Christoph Martin Wieland
Dschinnistan
Christoph Martin Wieland

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Farsana erseufzte bei diesen Worten. ‹Meine Gesundheit ist nicht angegriffen›, erwiderte sie, ‹und Kansu hat mir keine Ursache gegeben, mich über ihn zu beklagen. Gleichwohl leide ich auf die grausamste Weise, und ich weiß nicht, mein lieber Dahy, ob Ihr mit allem dem Diensteifer, dessen Ihr mich versichert, so geneigt wäret, meinem Leiden abzuhelfen, wenn Ihr es kenntet.› – ‹Ah, meine Gebieterin›, rief mein Bruder, ‹Ihr tut uns das größte Unrecht. Stellt uns auf die Probe, so werdet Ihr bald vorteilhafter von uns denken!› – ‹Und wenn ich Euch nun sagte›, antwortete sie errötend, ‹daß ihr beide ganz allein Ursache des Übels seid, das ihr heilen wollt.› – ‹Wer? Wir?› riefen wir beide zu gleicher Zeit voll Erstaunen, aber durch die seltsamste Verblendung noch immer weit entfernt, zu verstehen. ‹Wie sollte das möglich sein›, setzte ich hinzu, ‹daß wir Urheber einer Würkung sein könnten, die so gänzlich unsrer Absicht entgegen wäre?› – ‹Eine solche Frage, nach dem, was ich euch schon gesagt habe, sollte mir zwar den Mund auf ewig schließen›, versetzte die Dame; ‹aber ich habe mich schon zu weit herausgelassen, um mein Geständnis nicht zu vollenden. Wisset also, weil ihr es doch wissen wollt, allzu liebenswürdige Brüder, daß ich nicht stark genug gewesen bin, gegen den Eindruck eurer Reizungen auszuhalten. Ich habe vergebens allen meinen Kräften aufgeboten, ihren täglich zunehmenden Würkungen Einhalt zu tun, und dieser Widerstand hat mich endlich dahin gebracht, wo ihr mich sehet.› Sie begleitete diese Worte mit einem Strom von Tränen, der das Feuer ihrer Augen nur desto stärker anzufachen schien. Unsere Bestürzung bei einem so unerwarteten Geständnis ist unbeschreiblich; aber wir erholten uns bald genug, um sie zu überzeugen, daß sie sich keine Hoffnung machen dürfe, uns zu Teilnehmung an ihrem Vergehen gegen den Brahminen, unsern Gebieter, verleiten zu können. Wir beeiferten uns in die Wette, sie zur gehörigen Empfindung ihres Unrechts gegen Kansu und zur Überlegung der schrecklichen Folgen zu bringen, die ihre Leidenschaft für sie und uns haben würde. Aber es war schon zu weit mit ihr gekommen. Sie hörte uns zwar mit Gelassenheit an, weil das Geständnis, so sie uns getan, ihr Herz von einer drückenden Last erleichtert hatte, aber unsre Vorstellungen machten nicht den geringsten Eindruck auf ihr Gemüt. Sie schmeichelte sich eine Zeitlang mit der Hoffnung, durch ihre Beharrlichkeit und durch immer wiederholte Angriffe endlich den Sieg über uns zu erhalten; aber da sie sich von einem Tage zum andern in ihrer Erwartung betrogen sah, so verfiel sie wieder in ihren vorigen Zustand. Unglücklicherweise verpflichtete uns der ausdrückliche Befehl des Brahminen, sie nicht aus den Augen zu lassen. Ihre Begierden erhielten dadurch immer neue Nahrung, und wir befanden uns täglich und stündlich ihren Klagen und Vorwürfen ausgesetzt. Das Seltsamste bei dem allem war, daß ihre Leidenschaft nicht auf einen von uns, sondern mit gleicher Heftigkeit auf beide gerichtet war. Auch hierüber, wie anstößig es uns immer sein mußte, half keine Vorstellung bei ihr. Sie warf die Schuld auf ihr Verhängnis und auf die Unmöglichkeit, einen von uns dem andern vorzuziehen. Sie könnte und würde nie ruhig werden, sagte sie, wofern wir nicht beide ihre grenzenlose Liebe zu uns teilten. Bei der innigen Freundschaft, die uns gleichsam nur zu einer Person machte, könnte ja keine Eifersucht zwischen uns stattfinden. Kurz, es hälfe hier kein Widerstand, und wenn wir grausam genug sein könnten, sie noch länger ohne Hülfe schmachten zu lassen, so bliebe ihr kein anderer Trost, als daß wir bald genug das Ende ihres elenden Lebens sehen würden.

Es war keine leichte Sache, liebe Kadidsche, gegen die vereinigte Würkung der Reizungen der schönen Farsana, des Mitleidens, das uns der Anblick ihres Leidens einflößte, und der unaufhörlichen Stürme, so sie täglich auf unsere Standhaftigkeit tat, auszuhalten; und gleichwohl blieb ich immer unbeweglich, wiewohl ich die Verblendung und den Starrsinn der armen Unglücklichen von ganzem Herzen beklagte. Aber wer könnte sich vermessen, daß er, in einer solchen Lage, unter solchen Versuchungen, immer Herr über seine Sinnen bleiben werde?

Eines Abends, da ich allein bei ihr war und sie noch mehr als gewöhnlich niedergeschlagen sah, fragte ich, was für eine neue Ursache sie wohl haben könnte, sich so zu grämen. ‹Grausamer Dahy›, antwortete sie mir, ‹kannst du eine solche Frage an mich tun? Brauche ich eine andere Ursache, um aufs äußerste gebracht zu sein, als die unerbittliche Strenge, die du gegen mich beweisest? Oh, warum, da ihr Brüder einander sonst in allem so ähnlich seid, kannst du hierin allein deinem Bruder so unähnlich sein?› – ‹Meinem Bruder unähnlich?› fragte ich erstaunt; ‹wie soll ich das verstehen?› – ‹Er hat alles für mich getan, was ich von ihm erwartete›, versetzte sie mit schmachtender Stimme. Ich glaubte falsch gehört zu haben. ‹Wie?› rief ich, ‹mein Bruder Adis? Er hätte Eure Wünsche befriedigst?› – ‹Ja›, versetzte sie ganz kalt; ‹und was ist denn daran, das dich in solches Erstaunen setzen kann? Meinst du, jedermann müsse so hartherzig sein wie du? Er hat sich durch meine Tränen erweichen lassen; er hat sein Herz der Liebe geöffnet, er ist glücklich und bedauert itzt nur, daß er so viele Zeit verloren hat, wo er es hätte sein können.› – ‹Und Ihr seid noch nicht zufrieden?› rief ich mit Heftigkeit; ‹Ihr habt nicht an einem Schlachtopfer genug und hofft auch mich zu verführen, wie Ihr den allzu nachgiebigen Adis verführt habt?› – ‹Ja, mein liebster Dahy›, antwortete sie, indem sie einen Blick auf mich schoß, worin alle Pfeile der feurigsten Leidenschaft zusammengedrängt waren; ‹ja, dein Herz allein mangelt mir noch, um glücklich zu sein. Weh mir! Haben alle Leiden, die ich schon so lange um deinetwillen erdulde, mir nicht endlich einiges Mitleiden von dir verdienen können?› – ‹O Farsana›, erwiderte ich, ‹was Ihr mir sagt, überzeugt mich, daß Ihr meinen Bruder nicht liebet; unmöglich, wenn Ihr ihn liebtet, könntet Ihr auch noch für einen andern seufzen?› – ‹Ich bete ihn an›, versetzte sie. ‹Hundertmal wollte ich mein Leben hingeben, um ihm meine Liebe zu beweisen; aber eben diese grenzenlose Liebe, die ich für ihn fühle, hat die ganze Stärke derjenigen, die ich zu dir trage, wieder angefacht. Wie oft hab' ich dir's schon gesagt: ich kann keinen von euch weniger lieben als den andern. Alles, was Adis für mich empfindet, so teuer es meinem Herzen ist, kann mich nicht glücklich machen, wenn ich dir nicht die nehmlichen Empfindungen einzuflößen vermag. Mit einem Worte, liebenswürdiger Dahy: ich sterbe, wenn du dich nicht erbitten lässest. Kannst du gefühlloser sein als dein Bruder oder dich schämen, seinem Beispiele zu folgen? Oh, höre einmal auf zu widerstehen, wenn du nicht willst, daß ich mir vor deinen Augen einen Dolch ins Herz stoßen soll!›

Bei diesen Worten warf sie sich mit einem Strom von Tränen zu meinen Füßen und überhäufte mich mit so lebhaften Beweisen der heißesten Inbrunst, daß ich fürchten mußte, sie würde ihre Drohung wahr machen, wenn ich mich ihren Wünschen länger widersetzte. Ich bekenne es, ich wurde überwältigt; ich verlor die Kraft, länger zu widerstehen; kurz, ich wurde so schwach wie mein Bruder, zu dessen Verführung sich die listige Farsana (wie er mir hernach gestand) des nehmlichen Kunstgriffs bedient hatte. Eine natürliche Folge ihres über uns erhaltenen Sieges war, daß sich ihre Gesundheit in kurzer Zeit wiederherstellte; sie bekam ihre ganze Munterkeit wieder, wurde schöner als jemals und würde uns durch einen Reichtum von Liebe, der für beide groß genug war, vielleicht beide glücklich gemacht haben, wenn sie die Vorwürfe, womit unser Herz unsre Treulosigkeit an dem Brahminen bestrafte, zum Schweigen hätte bringen können. Bei allem dem führten wir einige Tage ein ganz angenehmes Leben, als unsere Sorglosigkeit uns auf einmal in das Unglück stürzte, dessen Folgen ich bis auf diese Stunde tragen muß.

Unter den Bedienten des Brahminen war ein sehr häßlicher schwarzer Sklave namens Torgut, dessen gewöhnliche Verrichtung war, eine tartarische Stute zu striegeln, welche Farsana zu reiten pflegte, wenn sie sich Bewegung im Freien machen wollte. Diesen häßlichen Unhold kam die Verwegenheit an, seine Augen bis zu seiner Gebieterin zu erheben und ihr eine Liebeserklärung zu tun. So übel gebaut er am Leibe war, so hatte ihn die Natur dafür mit einem sehr kurzweiligen Geiste begabt; und wenn er so neben seiner zu Pferde sitzende Gebieterin einherging, pflegte er sie mit allerlei drollichten Geschichtchen zu unterhalten, an welchen Farsana großes Belieben fand.

Einsmals fiel ihm ein, ihr von verschiedenen Mädchen vorzuschwatzen, von welchen er Gunstbezeugungen genossen zu haben vorgab. ‹Wie, Torgut›, sagte die Dame mit Lachen, ‹eine Figur wie du kann sich seines Glückes bei den Damen rühmen?› – ‹Warum das nicht›, antwortete der Schwarze; ‹bin ich etwa nicht so gut als ein anderer? Oh, wahrhaftig, wenn das wäre, so hätte ich meine Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn ich habe mir in den Kopf gesetzt, schöne Dame, die Liste meiner Eroberungen auch mit Euerm Namen zu vermehren.› Bei diesen Worten des Negers brach Farsana in ein noch größeres Gelächter aus; denn sie dachte nichts anders, als er sage es bloß, um ihr Spaß zu machen. ‹Du hast Absichten auf mich?› sagte sie. ‹Es ist mir lieb, daß ich's weiß; ich werde mich vor einem so gefährlichen Menschen, wie du bist, in acht nehmen zu wissen.› Torgut antwortete im nehmlichen Tone, und so kam es mit lauter Scherzen endlich so weit, daß der rohe Kerl aus Scherz Ernst machte und sich so benahm, daß Farsana sich genötigt sah, ihn nicht nur sehr ernsthaft und mit der Verachtung, die ihm gebührte, abzuweisen, sondern, weil er unverschämt genug war, ihren Unwillen noch immer für Scherz zu nehmen, ihm sogar zu drohen, daß sie sich bei dem Brahminen über seine Verwegenheit beklagen würde.

Der Neger wurde über eine Begegnung, die seinen vermeinten Verdiensten so schlecht entsprach, boshaft. Die gute Meinung, die er von sich selber hatte, ließ ihn nicht begreifen, daß ihm Farsana hätte widerstehen können, wenn ihr Herz nicht schon für einen andern begünstigten Liebhaber eingenommen gewesen wäre. Er nahm sich vor, sie genau zu beobachten, und es glückte ihm so gut, daß unser heimliches Verständnis mit ihr gar bald kein Geheimnis mehr für ihn war. Aus Neid und Rachgier entdeckte er es dem Brahminen, dem die Sache so unglaublich vorkam, daß er sie nur dem Zeugnis seiner eignen Augen glauben wollte. Um uns sicher zu machen, schützte er abermal eine Reise vor; aber er kam unzeitig genug wieder, um uns, mich und meinen Bruder Adis, mit Farsanen im Bade zu überraschen. Die Vorkehrungen, die wir gemacht hatten, um von niemand entdeckt werden zu können, halfen nichts gegen die Wissenschaft des Brahminen. Alle Türen öffneten sich ihm; der magische Nebel, der uns einhüllte, zerrann, und auf einmal stand Kansu als der furchtbarste Richter vor uns da. ‹Nichtswürdige›, sprach er, indem er einen Blick auf mich und meinen Bruder warf, der schon ein Anfang seiner Rache war, ‹die grausamsten Martern wären eine zu leichte Strafe für euer Verbrechen; aber ich will euch in einen so elenden Zustand herabstürzen, daß ihr das Vorrecht der Wesen euerer Art, nicht sterben zu können, als das äußerste Unglück beweinen sollt!› Und sogleich, ohne ein Wort zu unsrer Entschuldigung anhören zu wollen, fing er seine Beschwörungen an. In einem Augenblick erfüllte das Gemach, wo wir waren, die dickste Finsternis. Wir hörten den Donner mit schrecklichem Getöse über unsrer Scheitel rollen, die Erde zitterte unter unsern Füßen, und fürchterlich brüllende Wirbelwinde schienen den Untergang der Natur anzukünden. Wir blieben zwei ganzer Stunden in dieser entsetzlichen Finsternis und in bebender Erwartung der Strafe, die uns zubereitet würde. Endlich wurde es wieder so heiter als zuvor; aber wie groß war unser Erstaunen, als wir beide, ich und mein Bruder, uns, anstatt in einem prächtigen Palast und in dem herrlichsten Bade, mitten auf einer dürren Heide befanden, beide mit Lumpen bedeckt und in Gestalt zweier kleiner mißgestalteter Greise, so wie ich, schöne Kadidsche, in diesem Augenblick vor dir erscheine. ‹Undankbare›, sagte Kansu, ‹von diesem Augenblicke an seid ihr aller Vorrechte eurer Natur beraubt und zum Stande gewöhnlicher Menschen, wie ihr zu sein scheint, herabgesetzt. Ihr werdet nicht mehr wissen, nicht mehr vermögen als sie, und den Tod allein ausgenommen, werdet ihr allen Zufällen und allem Ungemach der Sterblichen unterworfen sein.›

Nachdem der Brahmine dieses Urteil über uns ausgesprochen hatte, verlangte er nun auch die Umstände unsers an ihm begangenen Hochverrats zu wissen. Wir erzählten ihm alles, von Anfang an, mit der größten Aufrichtigkeit: in welche Bestürzung uns Farsanens Erklärung gesetzt; welche Mühe wir uns gegeben, sie auf andere Gedanken zu bringen; wie lange und ernstlich wir uns gegen sie und gegen unsre eigene Neigung gewehrt; was für eine List die Dame gebraucht, um uns zu verführen; und wie schmerzlich uns der Gedanke sei, seinem Vertrauen so übel entsprochen zu haben.

Dieser Bericht und die Aufrichtigkeit unsrer Reue stimmte den Brahminen zu milderen Gesinnungen gegen uns herab. Er schien sich selbst zu tadeln, daß er unsre Treue einer so gefährlichen Prüfung ausgesetzt hätte; und da wir ihm immer sehr lieb gewesen waren, so konnte er sich nicht entbrechen, uns mit Mitleiden anzusehen. ‹Meine Kinder›, sprach er, ‹es ist nicht mehr in meiner Gewalt, euch eure vorige Gestalt ohne Bedingung wiederzugeben; aber ich will euch, soviel ich kann, die Strenge euers Schicksals erträglich zu machen suchen; und ihr werdet eure natürliche Figur mit allen ihren Vorrechten wiederbekommen., sobald jeder von euch ein Mädchen unter zwanzig Jahren, die ihn liebt, gefunden haben wird.› Mutlos schlugen wir bei diesen Worten die Augen nieder, denn es brauchte nur einen Blick auf uns Selbst, um uns alle Hoffnung, unter einer solchen Bedingung, auf ewig zu verbieten. Kansu erriet unsre Gedanken. ‹Wie unwahrscheinlich es auch immer sein mag›, sagte er, ‹daß ihr unter dieser Gestalt Liebe einflößen könntet, so ist es doch nicht unmöglich. Lebet dieser Hoffnung und seid versichert, daß ihr unter keiner andern Bedingung wieder in euern vorigen Stand gelangen könnt! Geht nun, Kinder, und erfüllt euer Schicksal! Ihr müßt euch trennen, damit jeder auf seiner Seite suchen könne, was er vonnöten hat.› Hierauf wies er jedem von uns einen gewissen Ort, ungefehr sechzig Meilen voneinander, zum gewöhnlichen Aufenthalt an, ließ uns anständige Kleider geben und jedem an Gold und Juwelen den Wert von fünfzigtausend Zechinen aus seinem Schatze auszahlen, damit wir während unserer Verbannung gemächlich leben könnten. Hierauf umarmte er uns und wünschte uns ein baldiges Ende unseres unglücklichen Zustandes.

Aber gegen die arme Farsana blieb er unerbittlich. Er verwandelte sie in einen Frosch und verbannte sie in einen Sumpf, wo er ihr den Sklaven Torgut zum Unglücksgefährten gab, nachdem er durch seine Kunst entdeckt hatte, daß dieser aus bloßer Rachgier zum Verräter an seiner Gebieterin worden war. Solchergestalt wurde der Ankläger und die Verklagte, beide in Frösche verwandelt, dazu verurteilt, ihr übriges Leben in dem nehmlichen Sumpfe zuzubringen, wo die Hoffnung, einander zu quälen, allenfalls noch der einzige elende Trost war, der ihnen übrigblieb.


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