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Die Sonne sank hinter die nebligen Hügel im Westen. Am Himmel da segelten Sommerwolken und auf dem Sund Lustkutter. Eine Möwe schoss blitzschnell nieder, um einen Stichling zu ergattern. Eine Kuh brüllte. Eine Ziege meckerte. Ein Kind lachte. Ein Paar Liebende küssten sich ... usw. usw. und alldergleichen.

Kurz: es war ein herrlicher Abend zu Anfang Juni ...

Die Gardinen vor Zollkontrolleur Knagsteds Wohnstubenfenster waren zugezogen und die Lampe angezündet. Er selbst sass an seinem Schreibtisch und arbeitete an dem fünften Akt seines Lustspiels: »Die Tragödie des sogenannten besten Alters« ...

Die Uhr war acht Uhr zweiundvierzig. Jochum, der wider seine Gewohnheit zu Hause war, lag zusammengerollt, aber mit wachsamen Ohren, auf seiner Decke an der Tür nach dem Vorplatz hinaus. Die Decke war gestickt; ein Geschenk von Line Meincke. Auf himmelblauem Grund standen mit goldenen Sternenbuchstaben die Worte Cave canem ...

Die Haustürglocke schellte. Jochums Zornbüschel sträubte sich.

»Wuff ...!« sagte er unten in seinem Halse.

»Still ...!« gebot der Zöllner.

»Thorwald« kam eilfertig herein:

»Da sind drei Herren ...«

» Drei ...!« sagte Knagsted. »Das ist ja eine Menge! Kennst du sie?«

»Ja, es sind Pastor Sörensen, Eisenhändler Fredriksen und Brauer Sandberg .. Sie wünschen mit dem Herrn zu sprechen.«

»Lass sie hereinkommen ...«

Der Zöllner erhob sich und wühlte den »Heuschober« auf. Auch Jochum kam auf die Beine.

Thorwald riss die Tür auf:

»Bitte schön!«

Pastor Sörensen, gefolgt von den beiden Stadträten, trat ein und grüsste.

»Spielen Sie denn Winter bei diesem herrlichen Sommerwetter!« sagte der Pastor. »Das ist doch wahrhaftig fast ein Jammer!«

Knagsted ging umher und drückte den Herren die Hand.

»Ja, ich kann nur bei Lampenlicht arbeiten,« erklärte er. »Aber nun will ich ...«

Er blies die Lampe aus.

»Wuff ...!« sagte es in Jochums Hals. Er glaubte natürlich, dass es jetzt »Prügel« setzte.

»Kusch! Leg' dich!« kommandierte der Zöllner und zog die Gardinen zurück.

Jochum legte sich auf seine Decke. Vorher hatte er jedoch forschend die Hosen der Herren beschnüffelt. Die des Pastors waren schwarz, die der Räte lebhafter.

»Eine Zigarre gefällig, meine Herren?«

»Sehr gütig ...«

Knagsted bot Hirschsprungs »Imperial«, seine Lieblingszigarre, an.

Man setzte sie in Brand, und es entstand eine Pause.

»Ein Whisky gefällig?«

»Danke, nein, danke ...!« Der Pfarrer antwortete. Und dann wagten die anderen ja nicht, Ja zu sagen.

Der Zöllner sah nach der Uhr.

»Ja, verzeihen Sie,« sagte er, ging an die Tür und drückte auf einen elektrischen Knopf, »aber ich pflege meinen Abendwhisky immer um diese Zeit zu trinken.«

Thorwald erschien.

»Whisky und Sodawasser,« nickte Knagsted, »und ... und Himbeersaft ...! Nettes kleines Mädchen, wie?« fragte er, als Thorwald wieder hinaus war.

Der Pastor runzelte die Brauen. Die Räte knurrten.

Pause.

Auf seiner Decke lag Jochum. Die Ohren hielt er beständig auf halb, und der Zornbüschel stieg und fiel, stieg und fiel.

»Herrliches Wetter!« sagte der Zöllner und zeigte nach dem Fenster. »Herrliches Wetter!«

»Schön! Schön!« sagte der Pastor.

Und die Begleiter nickten.

Neue Pause ...

Dann kam die Haushälterin mit den Getränken herein. Knagsted mischte sich einen Whisky. Die anderen bedienten sich mit Himbeersaft.

»Ihr Wohl, meine Herren, und Willkommen!«

Man trank. Der Brauer und der Eisenhändler schnitten fürchterliche Grimassen, nachdem sie das Zeugs hinuntergeschluckt hatten.

Abermalige Pause ...

Endlich raffte sich der Pfarrer energisch auf, richtete den Rücken kerzengrade und sprach:

»Ja,« sagte er, »wir kommen hier ja im Namen der Gemeinde, Herr Zollkontrolleur ...«

»Man hat doch wohl nicht die Absicht, mich zu wählen ...?« fragte Knagsted lächelnd.

Der Brauer gab einen Laut von sich, und der Eisenhändler rollte die Nase.

»Nein! Nein!« sagte der Pastor schnell. »Nein ... die Absicht haben wir nicht ... keineswegs ... Obwohl es gewiss der Gemeinde zu grosser Freude gereichen würde, wenn wir Sie zu den Unsern zählen könnten ... Sie sind im Besitze so vieler hervorragender Eigenschaften, Herr Kontrolleur ...«

»Sehr gütig ...!«

»... Eins aber tut not: der Glaube! Der Glaube, der uns andere in Freude und Zuversicht vereint.«

»Ja, den habe ich freilich nicht ...« bedauerte Knagsted. »Sind die Herren vielleicht gekommen, um einen Beitrag zu irgendeinem Zweck von mir einzusammeln – dann äussern Sie sich nur ganz offen; wir können ja immer darüber reden ...«

»Ja, wir wissen, dass Sie auch nach der Richtung hin willig sind, Herr Kontrolleur, wie in so vieler anderer Beziehung,« nickte der Pastor mild. »Aber auch das ist nicht der Grund, weswegen wir uns hier eingefunden haben ...«

»Ja, verzeihen Sie, aber ich darf mir ja nicht schmeicheln, dass die Herren einzig und allein, um mir eine Visite abzustatten, mir die Ehre erweisen; folglich ...«

Auch des Zöllners Zornbüschel fing an, sich zu sträuben. Und er musste sich ein frisches Glas Whisky bereiten, damit seine phänomenale Selbstbeherrschung nicht ins Schwanken geriet.

Der Brauer und der Eisenkrämer schielten missmutig nach seinem Glas ...

»Ja, sehen Sie, Herr Zollkontrolleur,« startete darauf der Pfarrer zum zweitenmal, »wir sind von der Gemeinde hierher gesandt ...«

»Von der Gemeinde? So–o?«

»Hm ... ja, ja, wie soll ich mich ausdrücken, um nicht zu verletzen ... Sie – hm ... Sie haben schon lange hier in der Stadt Ärgernis erregt ... Jetzt ist es gesagt!«

»Ich,« fragte Knagsted wirklich überrascht, »ich, der ich so still und zurückgezogen von allem lebe ... Sind Sie es etwa, Fredriksen,« wandte er sich plötzlich nach O.W. um, »der Ärgernis an mir nimmt?«

»Ö–ö–ö!« grunzte der Eisenhändler überrumpelt und fuhr sich an seine Nase.

»Oder etwa Sie, Sandberg?«

»Es handelt sich um die ganze Gemeinde ...« murmelte der Brauer.

»Ja,« ergriff der Pastor das Wort, »Herr Sandberg hat recht ... wir alle, alle nehmen Anstoss. Und die Sache ist die, dass wir drei, Herr Eisenhändler Fredriksen, Herr Brauereibesitzer Sandberg und ich, im Namen der Gemeinde ausgesandt sind, um Sie in Liebe zu bitten, Ihr Leben zu wandeln.«

»Mein Leben – zu – wandeln ...?« wiederholte

der Zöllner. »Ich verstehe Sie nicht, Herr Pastor. Ganz und gar nicht!«

Pastor Sörensen schoss plötzlich in seiner vollen Höhe vom Stuhl auf:

»Sie leben in einem unmoralischen Verhältnis zu Ihrer Haushälterin, Herr Zollkontrolleur ... Jetzt ist es gesagt!«

»Wuff ...!« ertönte es unterirdisch von der Cavecanem-Decke.

»Halt's Maul, Jochum! ... ›In unmoralischem Verhältnis‹,« fragte Knagsted dann, völlig ruhig, indem er sich jedoch gleichzeitig einen neuen Whisky mischte, »was soll das eigentlich heissen, Herr Pastor? Erklären Sie mir das. Ich habe diesen Begriff nie so recht verstehen können. Natürlich ist das mein Fehler, aber ...«

»Ja,« begann der Pastor, »ich – hm ...«

Der Zöllner sah ihn unschuldig an:

»Meinen Sie, weil ich zuweilen Holz mit ihr zusammen säge?«

»Holz – sägen ...?«

»Ja; und wir rollen auch zusammen ... Ich habe eine Maschinenrolle im Keller ... der Motion halber, wissen Sie. Ich halte ja nur ein Mädchen, folglich ... Andere halten mehr ... Wer ist übrigens Mitglied des Gemeinderats?«

»Das sind also wir drei Herren hier,« antwortete der Pastor (er war ein wenig verwirrt), »und Rechtsanwalt Ivar Petersen ... sowie die Damen Bürgermeisterin Rosenbaum, Konsulin Wä ... Birk, Maklerin Blom und Postmeisterin Hansen.«

»Das ist ja ein ganzer kleiner Lancier!« lächelte Knagsted. »Wollen die Herren sich nicht ein frisches Glas Limonade zurechtmachen?«

»Nein, danke, danke ...«

Der Eisenhändler und der Brauer hatten allmählich ein Gefühl, als würden die Stühle so wunderlich warm unter ihnen.

»Nun,« fuhr der Zöllner fort, »wovon sprachen wir doch eben ...? Ja: Man nimmt also Ärgernis daran, dass ich mit meiner Haushälterin Holz säge und rolle?«

Der Pastor sprang entrüstet auf:

»Herr Zollkontrolleur,« sagte er, »dies ist Ernst!«

»Ja, ja, ja, ja!« nickte Knagsted. »(Halt's Maul, Jochum!) ... Mein Gott, als Ernst fasse ich es ebenfalls auf ... Fahren Sie also fort, Herr Pastor! Wollen Sie nicht gefälligst Platz nehmen?«

Der Pastor setzte sich.

»Ja,« begann er, »hm – wir ... meinen also ... die Stadt findet, dass ... der Gemeinderat findet, dass er Sie in Liebe daran erinnern muss, Herr Kontrolleur, dass ein Mensch sein Leben nicht für sich allein lebt ... man lebt es auch, wenn ich mich so ausdrücken darf, zum Beispiel für andere, für, was die Welt die Gesellschaft nennt, das Allgemeine ... aber was wir, die wir mehr in Christo denken, die Gemeinde nennen ... Sie soll des Nachts aufsitzen und auf Sie warten!« platzte er plötzlich los.

Die Räte fuhren auf ihren Sitzen in die Höhe, und Knagsted fragte überrascht:

» Wer!?'

»Ihre Haushälterin ... Wie heisst sie doch gleich?«

»Thorwald ...«

Der Pastor machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand:

»Ach, Unsinn ...!« sagte er ärgerlich. »Schon allein das, dass Sie so unpassenderweise Spott mit der heiligen Taufe treiben, muss Kummer bei allen ernsten Frauen und Männern erregen!«

»Sie wollen doch nicht etwa verlangen, Herr Pastor, dass ich herumgehen und sie Helia-Heralda rufen soll, so wie sie getauft ist?«

»Dann nennen Sie sie bei ihrem Nachnamen!«

»Macken?«

»Ja, nennen Sie sie Mamsell Macken ... oder Fräulein Macken, wenn Sie wollen.«

»Ja, wenn das die Gemeinde beruhigen kann, so ... Ist das das ganze, weswegen sich die Herren hierher bemüht haben?«

»Nein, wahrlich nicht!« sagte der Pfarrer, der sich wieder erhoben hatte. (Er war ja daran gewöhnt, fast immer stehend zu reden.) »Sie sollen Beischlaf mit dieser Frau betreiben!« donnerte er unbeherrscht.

Auch Knagsted erhob sich: »Mit dem grössten Vergnügen! ...!« er verneigte sich. »Aber jetzt muss ich die Herren bitten, mich zu entschuldigen,« fuhr er höflich fort. »Ich muss arbeiten. Es ist schon spät geworden, und ...«

»Erlauben Sie mir ...« versuchte der Pastor.

»Nein!« unterbrach ihn der Zöllner scharf, und sein Zornbüschel stand wie die Stacheln an einem Kaktus in die Höhe.

»Jetzt erlaube ich nicht das Geringste mehr! ... Adieu, meine Herren und vielen Dank für den Besuch! Sollten Sie einmal wieder vorüberkommen, so ... Und nun noch ein Wort: Wenn eine von den lieben Gemeinderatsdamen ... das Wort ist ein wenig schwer auszusprechen ... wenn eine von diesen Damen behindert sein sollte, so mache ich den Vorschlag, dass man sie durch die Witwe Eikke Elster ersetzt.«

»Was erlauben Sie sich zu sagen, Herr Zollkontrolleur,« brauste der Pfarrer abermals auf.

»Ja,« sagte Knagsted, »Sie haben recht, Herr Pastor: Ich bin bald der einzige Mensch hierzulande, der sich erlaubt, die Wahrheit zu sagen!«

Der Eisenhändler und der Brauer erhoben sich rot und verlegen ...

Da aber ging der Zorn des Zöllners plötzlich in menschenfreundliche Munterkeit über:

»Übrigens, meine Herren,« lächelte er, »mir fällt eben ein, wenn Sie bleiben wollten, könnten wir ja einen Bridge spielen?«

Aber die Herren wollten nicht bleiben. Sie verabschiedeten sich hastig und gingen in den warmen Sommerabend hinaus, wo sich die Liebenden küssten, und der Mond und die ewigen Sterne lachten ...

 

Am nächsten Morgen lag mit der ersten Post der folgende Brief auf Pastor Sörensens Teebrett:

Sr. Hochehrwürden Herrn Pastor Michael Sörensen hierselbst.

Du meines Fleisches wonnevolle Freundin, Du meines Sehnens stolzer Morgentraum! Hab' Dank für jede goldig schwere Frucht Vom duftend wollustvollen Lebensbaum, Die du mir aufgehängt in meinem Herzensraum!

Dies dichtete ich über Nacht und sende es Ihnen anbei mit einem freundlichen Gruss von Thorwald und

Ihrem hochachtungsvoll ergebenen
H. P. E. Knagsted.


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