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Hansen Hochrippe hatte sich mit seinem Kaffee und Kognak im Boudoir installiert. Jetzt war er wieder ganz Herr seiner selbst. Die Farbe auf seinen Wangen war wiedergekehrt.

»Adel, Geistlichkeit, Bürger und Bauer!« lachte er verschmitzt, während er auf Kammerherr Löwenfeldt, Stiftspropst Wedel, Bierbrauer Sandberg und sich selbst zeigte. »Früher wäret ihr es ... jetzt sind wir es!«

»Politik ist Schwindel!« sagte der Stiftspropst, »ich habe nie Lust gehabt, mich mit Politik zu befassen.«

»Wenn der Bauersmann zu Ehren kommt, weiss er nicht mehr, was ihm geziemt und frommt!« zitierte Löwenfeldt mit dunkelrotem Kopf.

»Ja, das weiss er wohl, Kammerherr, das weiss er sehr wohl,« wieherte Hochrippe. »Er lässt euch reden, und dann handelt er inzwischen!«

»Handelt, ja! Aber wohl kaum zum Vorteil für andere als sich selbst!«

»Wart ihr etwa die reine Aufopferung, als ihr am Steuer sasset?«

»Wird hier über Politik geredet?« fragte der Konsul, der ruhig und lächelnd aus dem Salon kam. »Das ist eigentlich verboten!«

Hansen Hochrippe erhob sich:

»Ja,« lachte er, »Sie haben recht, Konsul! Es ist auch amüsanter, die kleinen Mädchen dadrinnen mal rumzuschwenken!«

Aber als er an die Tür gelangt war, wandte er sich um:

»Aber wenn wir Sie nun auch erst aus dem Landesting herausgeworfen haben, lieber Kammerherr, was dann? He?«

Der Kammerherr wusste in seiner Not nichts anderes zu antworten, als sein Zitat von vorhin zu wiederholen:

»Wenn der Bauersmann zu Ehren kommt,« rief er, »weiss er nicht, was ihm geziemt und frommt!«

»Politik ist Schwindel,« sagte der Stiftspropst.

Nur Bierbrauer Sandberg, der sich bisher dick und stumm verhalten hatte (er war Mitglied des Stadtrats), kam mit etwas wirklich positiv Neuem zum Vorschein:

» Ja, ja!« sagte er, und sein Ton klang so, als wolle er durch diese seine Äusserung nicht nur sich, sondern auch die ganze Menschheit zugleich beruhigen. »Ja, ja, aber Bier wollen, weiss Gott, alle Parteien haben ...!«

 

Am L'hombretisch im Herrenzimmer sassen Eisenhändler Fredriksen, Makler Blom, Obergerichtsrat Ivar Petersen und Rektor Freitag.

Es wurde Whisky und Sodawasser gereicht. Die weissbemützten Stubenmädchen hatten die Fausthandschuhe ausgezogen. Niemand wusste warum.

»Ja, man sagt so viel!« meinte der Makler.

»Die Gerüchte sind ja nun schon seit Jahren im Umlauf,« sagte der Eisenhändler. »Und man gibt doch nicht solche Gesellschaften, wenn man aus dem letzten Loch pfeift.«

»So–o?« nickte der »Topf« zweifelnd. – »Und dann der Schwiegervater, der sich nie hier im Hause blicken lässt.«

Der Rektor rückte den Kneifer zurecht: »Der alte Birk ist in diesem Punkt monoman! ... Sie spielen aus, Obergerichtsrat!«

Und dann spielte man eine Weile schweigend.

»Und dieser Hansen Hochrippe, was soll der hier eigentlich?« begann dann Blom.

»Er hat ja mit den Banken dadrinnen im Reichstag zu tun ... Und dann hiess es ja, er würde mit einem Ritterkreuz für das Geburtstagskind kommen.«

»Ist ihm aber gar nicht eingefallen!«

»Ne – diese Bauern haben eine feine Nase gekriegt, jetzt nach dem Krach mit dem Minister.«

»Ach, Unsinn, Petersen! Sie wollen doch nicht sagen ...«

»Ja, weiss Gott, will ich das sagen ...! Hansen Hochrippe war gestern bei mir, um ...«

»Nun, wie geht das Spiel, meine Herren?«

Konsul Wäver erschien in der Tür, lachend und zutrauenerweckend.

Er war ein vorzüglicher Wirt. Ging von einem Salon in den andern; liess hier ein Wort und dort ein Wort fallen; unterhielt die Damen, klopfte die Herren kordial auf die Schulter, verschaffte den jungen Mädchen Tänzer; alles ruhig, würdig, stilvoll, englisch.

»Bekommen Sie auch Whisky, meine Herren?«

»Ja, danke, danke!«

Er stand eine Weile da und sah dem Spiel zu, dann ging er zu den Nächsten.

 

Im Gartensaal wurde »gesteppt«.

Das »Versuchskaninchen« sprang an der Spitze mit dem jüngsten Fräulein Blom, die sich williger zeigte als Line. Er war im Esssaal gewesen und hatte eine grosse Handvoll Orchideen gesammelt, und nun flogen alle die jungen, Achtzehn- bis Neunzehnjährigen herum, mit dieser seltsamen Blume geschmückt.

»Schneller! Schneller!« rief der junge Wäver und hampelte und zappelte mit den schlackerigen Armen und Beinen. »Schneller! Schneller!« Und das Tempo wurde beschleunigt.

Hansen Hochrippe stand wie gebannt da und sah zu.

»Phänomenal, wie er kann, der junge Wäver!«

Aber die Konsulin rief:

»Frejlif, Frejlif! denke an deine Zufälle!«

 

Knagsted kam an der Gruppe der Bürgermeisterin vorüber und hörte sie eine giftige Bemerkung über den verstorbenen Hother Neumann machen, den sie beschuldigte, sich das Leben genommen zu haben, weil er bei Unzucht mit einem Schulkameraden ertappt worden war: »Aber daran sind die Eltern ja selbst schuld,« endete sie, »mit all ihrem Sonnengebade!«

Der Zöllner blieb stehen. Sein Zornesbüschel sprühte Funken. Er hatte die grösste Lust zuzuschlagen ...

Im selben Augenblick, als sie ihn erblickte, ging die Bürgermeisterin in einen andern Ton über und fragte katzenfreundlich:

»Sie tanzen nicht, Herr Zollkontrolleur?«

»Nein,« sagte Knagsted, »ich leide an Plätschern im Herzbeutel, Frau Bürgermeister.«

»An Plätschern im ...« lächelte sie unsicher.

»... im Herzbeutel, ja!« wiederholte er. »Das ist eine Krankheit, die bei älteren Stieren recht allgemein ist.«

Die Bürgermeisterin rückte unruhig auf ihrem Sitz hin und her: Hatte er ...? Du grosser Gott! Und wollte er ...? Hier mitten in der Gesellschaft ...

Aber der Zöllner begnügte sich damit, ihr verschmitzt zuzulächeln und zu sagen:

»Und dann können sie ja doch nicht tanzen ...«

Als sie in ihrer Bestürzung nichts hierauf erwiderte, fügte er grimmig hinzu:

»Nicht wahr, das können die Stiere doch nicht?«

»Nein, nein!« sagte sie. »Nein, nein!«

Er sah ihr lächelnd in die Augen: »To–re–a–dor, ver–tei–dige dich ...!« sang er aus »Carmen«.

Und dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging.

»Ungezogener Mensch ...!« fauchte die Bürgermeisterin ihm nach.

Und ihre Leibwache gab ihr recht ... freute sich aber in ihrem Herzen. Die Geschichte von dem Stier war schon längst in der ganzen Stadt ausposaunt.

»Und dann rennt der alte Affe da mit diesen beiden langen Dirnen aus Abildtorpegaard herum!« endete die Bürgermeisterin logisch.

 

In der Ecke bei der Musik entstand grosser Lärm und lautes Gelächter; man klatschte in die Hände und rief Bravo.

Hansen Hochrippe hatte dort eine Schar junger Damen und Herren um sich versammelt und deklamierte ein Trinklied aus »Des Königs Handschuh«.

»Das hab' ich selbst gedichtet!« rief er seelenvergnügt. »Das hab' ich vor vierzig Jahren selbst gedichtet!«

Bravo! Bravo! lange lebe das Folketing!

 

Die Musik setzte wieder ein. Der Tanz wurde freier, zügelloser, der Lärm immer lauter.

Christian Werner hatte sich vor einer korpulenten, üppig strotzenden Gutsbesitzersfrau, einer Nachbarin von Storgaarden, verbeugt. Aber sie hatte ihm einen Korb gegeben.

Jetzt kam er ganz geschlagen zurück.

»Bist du verrückt, Werner, die aufzufordern?« sagte der junge Wäver und packte ihn beim Rockaufschlag. »Kannst du denn nicht sehen, dass sie zum Platzen voll von Jungen ist?«

»Aber Frejlif! ...« kicherte das jüngste Fräulein Blom.

Das Versuchskaninchen schlang die Arme um sie und zappelte mit ihr in den Saal hinein:

»Küss mich ...!« flüsterte er.

Und sie hielt ihm bereitwillig die Wange hin. Ihre Mutter hatte gesagt, sie sollte ein wenig freundlich gegen den jungen Wäver sein. Es wäre wirklich unrecht, dass ihn immer alle so aufzögen ...

 

Um zwölf Uhr wurde ein leichtes Souper serviert.

Um zwei Uhr brach man auf.

Die drei Automobile der Stadt waren in unaufhörlicher Wirksamkeit ...

»Du musst dafür sorgen, dass Treschau mit uns fährt!«

»Ja, aber liebste, beste Michaela ...«

»Er soll mit uns fahren!«

Der Kammerherr sah unglücklich aus. Aber das Verhältnis zwischen ihm und der Tochter war nun einmal der Art, dass er sich ihrem Willen beugen musste. Dann schloss sie ihrerseits auch einmal die Augen, wenn es nötig war.

»Und er soll auf dem Bock sitzen!«

Das Fräulein hatte den Förster und die Konsulin einen flüchtigen Händedruck hinter einer Portiere wechseln sehen.

»Förster!« rief der Kammerherr.

»Jawohl, Herr Kammerherr ...«

»Sie fahren mit uns!«

»Sehr gütig ... aber ...«

»Ich habe noch etwas mit Ihnen zu besprechen.«

»Ja ... ja ... Aber da ist sonst Platz für mich in Gutsbesitzer Werners Wagen, und mein Fuhrwerk steht in Storeholt.«

»Das können Sie morgen abholen.«

»Ja ... ja ... wenn Herr Kammerherr befehlen ...«

 

Fräulein von Löwenfeldt sass bereits im Landauer, als die Herren herunterkamen.

Der Kammerherr setzte sich zu ihr und zog die Tür zu:

»Sie ... Sie können sich neben den Kutscher setzen, Treschau ...« stammelte er. »Der Platz hier drinnen ist so beengt.«

Aber dies war dem Förster denn doch zuviel. Mit einem raschen Griff öffnete er die Wagentür und stieg ein:

»Herr Kammerherr wollten ja mit mir sprechen ...« sagte er.

Und dann setzte sich die Kutsche in Bewegung.

 

»Schläfst du, Theodor?«

»Nein ...«

Die Bürgermeisterin wandte sich nach ihrem Mann um, der winzig klein und zusammengesunken in der von ihr am weitesten entfernten Ecke sass. Das Automobil schaukelte dahin, der Stadt zu. Es war dunkel. Die Laternen der Villenstrasse waren ausgelöscht.

Das Fuhrwerk machte einen Plumps auf seinen Gummireifen in ein Loch hinein und sprang wieder heraus.

»Du solltest doch wirklich für bessere Pflasterung sorgen, Theodor!«

»Damit habe ich nichts zu tun!«

»Bist du denn nicht Bürgermeister?«

»Nein, das bist du ...«

Es entstand eine längere Pause.

»Weisst du, was das Wort Orchidee bedeutet?« fragte Frau Rosenbaum dann.

»Nein ...«

»Hast du denn nicht Griechisch gelernt?«

»Ja, ... aber ich habe es wieder vergessen ... Weisst du es denn?«

»Ja ...«

»Na, das muss ich sagen!«

»Ja, du sagtest aber doch eben, dass du es nicht wüsstest!«

»Freilich ... ich meinte, dass eine Dame ...«

»Stell dir vor,« unterbrach sie ihn voller Empörung, »plötzlich fragt mich dieser unerzogene Kerl ...«

»Wer?«

»Dieser Knagsted natürlich! Du hast doch gesehen, dass ich ihn zu Tische hatte!«

»Nun, und was hat er getan ...«

»Er fragt mich, ob ich wüsste, was das Wort Orchidee bedeutet ...«

»Nun?«

»Und ich sage natürlich in meiner Unschuld nein.«

»Hm!«

»Und da erzählt er es mir!«

»Ja ... mein Gott ...«

» Mein Gott ...!?«

»Ja, ich meine ... eine alte verheiratete Frau ...!«

»Einer fremden Dame!«

»Du brauchst ja nicht danach hinzuhören ...«

» Hinzuhören!? Wenn der Mensch es mir gerade ins Gesicht sagt!«

»Tja ...«

Pause.

»Soviel ich gesehen habe, sprachst du gar nicht mit dem Folketingsabgeordneten?«

»Nein, worüber sollte ich wohl mit ihm sprechen?«

» Seine Partei ist aber doch am Ruder!«

»Ja, was soll mir das nützen?«

»Du bleibst dir doch auch immer gleich, Theodor!« Abermalige Pause.

Das Automobil war durch die Stadt gelangt. Und erst, als es sich der Bürgermeisterwohnung näherte, erhob Frau Rosenbaum abermals ihre Stimme, indem sie zum Fenster hinaufzeigte:

»Und da ist Licht bei ihm!«

»Licht ...?« fragte der Bürgermeister. Er war in ein angenehmes Schweigen versunken.

»Ja ... Da sitzt natürlich sein ›Thorwald‹ auf und erwartet ihn!«

»Das ist ja sehr hübsch von ihr ... Du gehst immer zu Bett, wenn ich im Klub bin.«

»Du willst mich doch wohl nicht mit der vergleichen!«

»Nein, nein, nein! So, da wären wir gottlob zu Hause!«


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