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Konsul Wävers Automobil kam mit voller Fahrt durch die Süderstrasse gesaust, von einem erstklassigen Chauffeur gefahren, und machte genau vor dem Torweg des Geschäftshauses auf dem Kirchenplatz halt.

»Da sind die Konsulin und Frejlif!« meldete Fräulein Solberg vom Fenster aus.

»Hm!« brummte der Kaufmann. »Was ist denn jetzt wieder los!«

Die Tür nach der Diele flog auf, ohne dass angeklopft war.

P. A. setzte den Gucker vor das Seh-Auge.

Ja; es war seine Tochter mit Sohn.

Die kleine Frau lief mit Bändern und Enden, die sie wie Wimpel umflatterten, hin und ergriff die Hand des Alten:

»Ach, Papa, Papa!« sagte sie, und sie war blass und verstört. »Ach, Papa, Papa!«

»Na, haben sie ihn nun gefasst?« fragte der Kaufmann. »Er war wohl vorbereitet, denn er hatte in den letzten zehn Jahren an nichts anderes gedacht.«

Der junge Wäver war kerzengrade in der Tür stehengeblieben. Er war in Reitkostüm: grossgewürfelter Schinkenhose, dunkelblauer Jacke, gelben Stiefeln und Sportmütze. Auch er war bleich, und er glich mehr denn je einem rachitischen Frosch.

Die Konsulin sank vor P. A.s Stuhl auf die Knie:

»Papa, Papa,« wiederholte sie. »Du musst helfen, du musst helfen!«

» Ist er eingesteckt?« fragte der Alte; er war keinen Augenblick darüber im Zweifel, dass es sich um die Geldangelegenheiten des Schwiegersohns handelte. »Der Kaufmann sollte sich schämen!« liess sich die Solberg vernehmen.

»Ich frage, ob er eingesteckt ist?« wiederholte der Alte.

»Nein, nein, nein ...« schluchzte die Konsulin. »Wie grausam du bist!«

»Was ist denn los?«

»Es ist etwas mit der Bank ...«

»Hab' ich mir's doch gedacht ...! Wieviel?«

»Das weiss ich nicht ... Das weiss man noch nicht ... Aber Hagbart bat mich, zu dir zu fahren und dich um Hilfe zu bitten ... Das Ganze liesse sich noch ordnen.«

»Nicht mit einem Schilling helfe ich!« sagte P. A. sehr bestimmt. »Nicht mit einem roten Heller. Die Sache ist bodenlos! ... Hat er Geld gestohlen

»Er hat spekuliert ...« sagte die Konsulin. »Ach, was weiss ich! Ich verstehe mich ja nicht darauf! Du musst mir helfen!«

»Ist die Revision dagewesen?«

»Ja, sie kam plötzlich heute morgen: Rechtsanwalt Petersen, Eisenhändler Fredriksen und Brauer Sandberg ... Es ist ein ganzes Komplott, sagt Hagbart ... Aber wenn du nur helfen willst, wird die Sache nicht angezeigt ... Sonst wird Hagbart verhaftet ...!«

»Aber ich will nicht, fahr du nur nach Hause und grüss' ihn und sag' ihm das!«

»Ach, Papa, Papa ...!« Die Konsulin wandte sich schluchzend nach ihrem Sohn um, der noch immer regungslos auf demselben Fleck stand. »Frejlif,« sagte sie, »so komm doch her und bitte deinen Grossvater, dass er deinen armen Eltern eine helfende Hand reicht.«

Der junge Wäver rührte sich nicht:

»Ich hab' dir ja gesagt, ehe wir fuhren, dass es nichts nützen könne; Grossvater hat sein Geld viel zu lieb.«

P. A. nickte dem Enkel anerkennend zu.

»Ganz recht, mein Junge. Ich habe mein Geld viel zu lieb, um es ins Wasser zu werfen ... Wäre es wenigstens noch reines Wasser gewesen,« endete er.

Die Konsulin war nun ganz in Tränen aufgelöst.

Fräulein Solberg tröstete und streichelte sie und führte sie zu einem Stuhl.

Auf dem Kirchenplatz hörte man das Fauchen des Automobils.

»Du willst wohl auch nicht für die Summe bürgen, Grossvater,« fragte Frejlif plötzlich, »und der Bank das Geld in Raten zurückzahlen?«

Der Alte richtete sich unwillkürlich auf, hielt die Kanone vors Auge und sah fast wohlwollend zu dem jungen Mann hinüber:

»Bürgen?« wiederholte er. »Verstehst du dich auf die Sachen? Du bist also nicht ganz so töricht, wie du dich kleidest ... Nein, ich will auch nicht bürgen, lieber Frejlif ... Weisst du vielleicht auch, wie gross die Summe ist?«

»Drei- bis vierhunderttausend Kronen.«

»Und da sind Fälschungen mit im Spiel?«

»Das wusste man noch nicht ...«

Die Konsulin hörte auf zu weinen und starrte den Sohn verwundert an: Woher kannte er alle diese Einzelheiten? Sie fasste eine neue, schwache Hoffnung:

»Hilf uns, Papa ...« bat sie. »Wenn nicht um Hagbarts und meinetwillen, so doch um Frejlifs willen; er kann das Ganze vielleicht wieder in die Wege leiten ...?«

»Helfen Sie ihnen doch, Kaufmann ...« sagte die Solberg. »Helfen Sie Ihren Kindern doch ...«

Aber nun wurde P.A. wütend. Dass diese kurzsichtigen Frauenzimmer ihren Schnabel nicht halten konnten!

»Helfen!« höhnte er, »damit mein Geld zur Hölle gehen soll, wie? Nein! Mag dieser Schlappschwanz von Konsul liegen, wie er sich gebettet hat! Meiner Tochter und ihres Jungen will ich mich schon annehmen, wenn es erst so weit ist.«

»Ja, aber der Skandal ...« versuchte die Solberg.

»Ich pfeife auf den Skandal. Ich habe die Bank ja nicht bemogelt ... Sehen Sie wohl, es war gut, dass ich nicht auf das Diner gegangen bin!«

»Ich halte es mit Grossvater,« sagte der junge Wäver ruhig; er stand noch immer auf demselben Platz; es war, als wage er nicht, sich vom Fleck zu rühren. »Ich halte es mit Grossvater: es hiesse ja, unser Geld zwecklos wegwerfen.«

Der Kaufmann hüpfte auf dem Stuhle in die Höhe:

»Du bist ja ein ganz verteufelter Junge,« platzte er los. »Sagst du ›unser‹ Geld, he, he!«

»Ja; soll ich etwa Grossvater nicht einmal beerben?«

»Ja–a ...«

»Aber dein eigener Papa, Frejlif ...« flehte die Konsulin, deren Hoffnung sich wieder zerschlagen hatte. »Denke doch an deinen eigenen Papa! An all die Schande, die über ihn und über uns kommen wird.«

»Ja, und über die ganze Familie!« fügte die Solberg hinzu.

»Über die alte, geachtete Familie.«

Frejlif trat ein paar Schritte vor, als wolle er antworten ... Plötzlich aber griff er mit seinen langen Armen in die Luft hinein, schnappte ein paarmal nach Atem und stürzte zu Boden.

Er hatte einen seiner epileptischen Anfälle bekommen ...

 

Ringsumher in der Stadt zischelte und tuschelte man über die Wäversche Angelegenheit. Aber noch war nichts geschehen. Wohl hielt sich der Konsul zu Hause in seiner Villa, aber das Geschäft auf dem Kirchenplatz war noch immer offen, und in der Bank ging alles seinen gewohnten Gang.

 

Am Tage nach dem vergeblichen Besuch der Konsulin sass Fräulein Solberg wieder an ihrem Fenster.

»Da ist unser Folketingsabgeordneter,« meldete sie.

»Wer ...« entfuhr es dem Kaufmann mit einem Ruck. »Jetzt biegt er in den Torweg ein ...«

» Wer, sage ich.«

»Unser Folketingsabgeordneter.«

»Da soll mich denn doch ... Haben sie den nun herübergelotst?«

Es klopfte. Hansen Hochrippe trat ein.

»Guten Tag, Kaufmann Birk ...«

»Hm ...«

»Ja, Sie wundern sich wohl, mich zu sehen?«

»Nein ...«

»Na, ha, ha, ha. Um so besser. Guten Tag, Fräulein Solberg.«

Hochrippe drückte P.A. und der Solberg die Hände ... Dann entstand eine kleine Pause.

»Hm, ja ... ich möchte gern mit Ihnen reden, Herr Birk ...« begann er.

»Reden Sie nur frisch von der Leber weg ... Vor der Solberg habe ich keine Geheimnisse.«

Das Fräulein erhob sich.

»Ja, aber wenn der Herr Folketingsabgeordnete meint ...«

»Unsinn,« rief P.A. aus. »Sie bleiben hier!«

Hansen Hochrippe sah sich ein wenig unangenehm berührt um; ihm war nicht ganz behaglich bei der Mission, auf die er sich eingelassen hatte.

»Ja, Sie wissen wohl, Herr Birk, weswegen ich komme?«

»Nein ...«

»Hm, ja ... Es geschieht ja in Anlass Ihres Herrn Schwiegersohns ...«

»Was soll der?«

Der Folketingsabgeordnete wiegte sich hilflos hin und her: dass der Alte so hart sein könnte, hatte er sich doch nicht vorgestellt.

»Hm, ja ...« begann er von neuem, »sehen Sie, es handelt sich ja um diese Bankgeschichte ...«

»Die geht mich gar nichts an,« erwiderte P.A. »Ich habe meiner Tochter und ihrem Sohn gesagt, dass sie mich gar nichts angeht. Und dann geht sie mich also nichts an ...«

»Es liesse sich doch am Ende eine Übereinkunft treffen ...« versuchte der Abgeordnete.

»Dann wenden Sie sich an den Konsul ... Ich hab' nichts mit seinen Geldschwindeleien zu schaffen.«

»Kaufmann, Sie sollten doch wirklich ...« begann Fräulein Solberg.

»Sie hält das Maul, bis Sie gefragt wird!«

Hansen Hochrippe erhob sich und trat an P.A.s Stuhl.

»Ich verstehe sehr gut, dass Sie erbittert auf Ihren Schwiegersohn sind,« sagte er und stellte sich in Tingstellung auf, um eine längere Rede zu halten, »ich verstehe das nur zu gut ... Und dass Sie nichts für ihn tun wollen, verstehe ich zur Not auch ... Aber denken Sie doch an Ihre Tochter und deren armen Sohn, denen Sie viel Kummer und Not ersparen können, wenn Sie der übervorteilten Gläu...«

»Sie meinen sich selbst und die anderen Aktionäre – wie?«

»Hm, ja ... der Bank gegenüber, meine ich.«

»Frejlif hält aber mit mir!« feuerte P.A. triumphierend ab.

»Frejlif ... Wer ist Frejlif?«

»Mein Enkel; er ist klüger, als er aussieht, will ich Ihnen sagen; und er hält mit mir: Grossvater soll unser Geld nicht zum Fenster hinauswerfen, sagte er.«

»Ja, das hat er gesagt ...« bekräftigte die Solberg kopfschüttelnd.

»Der arme junge Mensch, er ist ja nicht so ganz richtig ... so ganz richtig ... und nun liegt er krank dadrüben in der Villa ...« seufzte der Mann des Gesetzes mitfühlend. »Der Arzt ist ernstlich um ihn besorgt ... Und nun hat seine liebe kleine Mutter auch noch die Sorge zu all dem andern ...« Hansen Hochrippe legte eine Hand auf den Arm des alten P.A. »Diese traurige Geschichte hat einen tieferen Sinn, als Sie glauben, lieber Freund,« fuhr er fort und seine Stimme wurde schwer vertraulich. »Nicht nur Ihre arme Tochter, ihr Mann und ihr Sohn werden dadurch getroffen ...«

»Sondern auch ihr Aktionäre ...« brummte der Kaufmann.

Der Folketingsabgeordnete tat jedoch, als habe er nichts gehört, und fuhr fort:

»Sondern auch die ganze Regierungspartei als solche!« sagte er. »Sollen wir nun schon wieder einen von diesen trübseligen Bankkrachs mit all seinem Staub und Schmutz erleben ... Wir können alle diese Stösse nicht aushalten; das Zutrauen wird erschüttert ... Der Grundstoss mit dem Minister war wirklich mehr als hinreichend ...« Er beugte sich dicht über den Alten. »Ich bin höheren Orts ermächtigt, Ihnen eine dekorative Gratifikation anzubieten, falls Sie uns behilflich sein wollen, diese Sache so lautlos wie möglich aus der Welt zu schaffen ...«

Der Kaufmann entwand sich der überredenden Faust, die auf seinem Arm lag:

»Ja, ich will aber nicht,« und er schlug auf die Fensterbank. »Ich will euch eure Kastanien nicht aus dem Feuer holen! Warum soll ich eigentlich den Verlust tragen? Lasst die Schafsköpfe von Garanten und Revisoren selbst für ihre Schlafsucht leiden. Warum habt ihr nicht rechtzeitig aufgepasst? ... Die ›Regierungspartei‹, he! Ja, das ist wirklich eine nette Regierungspartei, die sich nicht selbst regieren kann! Ihr glaubt wirklich, ihr könnt mich belauern, indem ihr mir einen von euren Bimmelbammel-Orden anbietet? Bild't euch das man bloss nich ein! Mein Geld kriegt ihr nich, wieviele ›Gratifikationen‹ ihr mir auch anbietet. Kehren Sie man mit dem Bescheid zu den Herren zurück, Herr Folketingsabgeordneter! Und denn Adieu – und grüssen Sie die ganze Klerisei von mir! ... Machen Sie ihm auf, Solberg! Und dann lassen Sie mich in Zukunft in Frieden!«

Als Fräulein Solberg zurückkam, nachdem sie den Mann des Gesetzes hinausgelassen hatte, streckte sie ihrem Brotherrn die gefalteten Hände entgegen und sagte:

»Kaufmann, Kaufmann!« sagte sie. »Bedenken Sie doch, dass dies die Leute sind, die die Macht in Händen haben ...«

»He!« grunzte P. A. »Was zum Kuckuck können sie mir wohl anhaben, wenn ich mein Geld in Sicherheit hab'? Eine andere Sache war' es gewesen, wenn sie es mir abgeluchst hätten!«

Und er hielt die Kanone vor das Seh-Auge und guckte nach dem Reichsboten aus, der bei der Zionbrücke um die Ecke verschwand.

»Ha, ha, ha!« gluckste der Alte voller Wonne, »mir deucht, er sieht nu ein gut Teil kleiner aus wie erst, als er kam!«

 

So musste denn also Bankdirektor, Konsul Hagbart Wäver in die Untersuchungshaft wandern ...

Sowohl Bürgermeister Rosenbaum als auch Stiftspropst Wedel waren bei dem alten P. A. Birk gewesen; aber der Kaufmann hatte gleich zu Anfang der Seance die Zähne auf den Tisch gelegt, und die Herren hatten ihn unverrichteter Sache verlassen müssen.

Und dann musste man ja die höchsteigene Person des Konsuls mit Beschlag belegen.

»Hack, hack,« krächzte Rikke Elster, als die Sache ruchbar wurde, »da ging dem Pfau sein Schwanz perdü!«


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