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Nachdem er Miss Brent seiner Frau zugeführt hatte, konnte John Amherst in Ausübung bemerkenswerten strategischen Geschicks erneut seinen Rückzug von dem Gedränge auf dem Rasen in die Wege leiten und hatte, einen Pfad durchs Strauchwerk zurückerobernd, Zuflucht auf der Veranda des Hauses gefunden.
Hier saßen unter dem Schatten der Markise zwei Damen in einer Abgeschiedenheit, die in noch erträglichem Maße durch das ferne Getümmel der Hanaford-Schar und die wechselnde Aussicht auf die Gruppen unter ihnen abgeschwächt wurde.
»Ach, da ist er ja!« rief die jüngere der beiden aus und zeigte Amherst jenes intelligente Lächeln, durch das Mrs. Eustace Ansell die müßigen Präliminarien der Konversation zu ersetzen pflegte. »Wir sprachen aber nicht über Sie,« fügte sie hinzu, als Amherst den Platz einnahm, zu dem ihn seine Mutter herbeiwinkte, »sondern über Bessy – was, glaube ich, fast genauso indiskret ist.«
Sie fügte die letzten Worte nach einer unmerklichen Unterbrechung hinzu, wie zur Missbilligung des kaum merklicheren Runzelns, das bei der Erwähnung des Namens seiner Frau die Falte zwischen Amhersts Brauen vertieft hatte.
»Indiskret von seiner eigenen Mutter und der Freundin seiner Frau?« protestierte Mrs. Amherst und legte ihre adrett behandschuhte Hand auf ihres Sohnes Arm, während letzterer mit seinen Augen auf ihrer Gefährtin langsam sagte: »Mrs. Ansell weiß, dass Indiskretion der letzte Fehler ist, dessen ihre Freunde sie wahrscheinlich anklagen würden.«
»Sie meinen: Raison de plus ›Ein Grund mehr!‹, ›Nun erst recht!‹?« lachte sie, der Herausforderung begegnend, die zwischen ihnen unter Mrs. Amhersts verwirrtem Blick ablief. »Nun, wenn ich aus meinem Ruf der Diskretion den Nutzen ziehe, mich dann und wann einzumischen, dann tue ich das wenigstens mit gutem Grund. Ich sagte gerade, wie sehr ich es mir wünsche, dass Sie Bessy mit nach Europa nähmen; und ich bin meines Anliegens in diesem Fall so sicher, dass ich es Ihrer Mutter überlassen werde, Ihnen meine Motive zu erläutern.«
Sie stand im Sprechen auf ohne ein Zeichen von Hast oder Verlegenheit, sondern als ob sie gnädig den Wunsch von Mutter und Sohn anerkenne, zusammen allein gelassen zu werden; Amherst jedoch stand auch auf und machte eine Bewegung, sie zurückzuhalten.
»Niemand sonst wird in der Lage sein, Ihre Gründe auch nur halb so überzeugend darzulegen,« sagte er mit schwachem Lächeln, »und ich bin sicher, meine Mutter würde sich diesen Versuch lieber ersparen.«
Mrs. Ansell begegnete dem Lächeln ebenso freimütig wie zuvor der Herausforderung. »Meine liebe Lucy,« erwiderte sie und streichelte sanft Mrs. Amhersts Hand, als sie sich wieder setzte, »es tut mir leid, dass mir auf deine Kosten geschmeichelt wird, aber es liegt nicht in der menschlichen Natur, einer solchen Ansprache zu widerstehen. Sie sehen,« fügte sie, ihre Augen zu Amherst erhebend, hinzu, »wie sicher ich meiner selbst bin – und Ihrer, wenn Sie mich angehört haben.«
»Oh, John ist immer bereit, jemanden anzuhören,« murmelte seine Mutter treuherzig.
»Nun, ich weiß nicht, ob ich ihn überhaupt bitten werde, dies zu tun – so sicher bin ich im Grunde, dass mein Vorschlag seine Erklärung in sich trägt.«
Es entstand ein Augenblick des Innehaltens, während dessen Amherst seine Augen abwesend über die sich auflösenden Gruppen auf dem Rasen schweifen ließ.
»Der Vorschlag, dass ich Bessy mit nach Europa nehmen sollte?« Er hielt wieder inne. »Wann – nächsten Herbst?«
»Nein: jetzt – sofort. Für lange Flitterwochen.«
Er runzelte ein wenig die Stirn beim letzten Wort, überging es aber, um auf die unmittelbare Antwort auf seine Frage zurück zu kommen.
»Sofort? Nein – ich kann nicht erkennen, dass der Vorschlag seine Erläuterung in sich trägt.«
Mrs. Ansell sah ihn zögernd an. Sie war sich des schlecht gewählten Wortes bewusst, das noch zwischen ihnen widerhallte, und das ungewohnte Gefühl, etwas verpfuscht zu haben, minderte für den Moment ihre vollständige Selbstdisziplin.
»Ach, Sie werden gleich weiter sehen –« Sie erhob sich wieder und entfaltete ihren spitzenverzierten Sonnenschirm, als wolle sie ihrem Handeln einen Hauch Bestimmtheit verleihen. »Es ist schließlich,« fügte sie mit allerliebster Offenheit hinzu, »kein Fall für Argumente und noch weniger für Überredung. Meine Gründe sind hervorragend – ich würde darauf bestehen, sie Ihnen darzulegen, wären sie es nicht! Aber sie sind so gut, dass ich es Ihnen überlassen kann, sie herauszufinden – und sie mit Ihren eigenen zu stützen, was wahrscheinlich um einiges besser wäre.«
Mit einem leichten Nicken, das Amherst und seine Mutter einschloss, beendete sie ihr Plädoyer, wandte sich um, schritt die Verandatreppe hinab und winkte Mr. Langhope zu, der niedergeschlagen zum Haus hinkte.
»Was hat sie dir gesagt, Mutter?« fragte Amherst, zum Platz neben seiner Mutter zurückkehrend.
Mrs. Amherst antwortete mit einem Kopfschütteln und indem sie vorwurfsvoll ihren Zeigefinger erhob. »Jetzt werde ich keine einzige Frage beantworten, Johnny, bevor du nicht diese Falten zwischen deinen Augen glättest.«
Ihr Sohn entspannte sein Gesicht und lächelte sie an. »Also, meine Liebe, in jeder Familie gibt es ein paar Fältchen, und da du es absolut ablehnst, dich an ihnen zu beteiligen –« Seine Augen ruhten liebevoll auf dem eisgrauen Funkeln ihres bezaubernden alten Gesichts, das in seiner wiedergewonnenen Blüte die Frische eines sonnigen Wintermorgens aufwies, wenn gerade der Schnee eine Vorstellung von Wärme weckt.
Er erinnerte sich daran, wie er am Abend seiner Entlassung aus der Fabrik auf der Schwelle ihres Wohnzimmers stehen geblieben war, um sie einen Augenblick im Lampenlicht zu betrachten, und mit bitteren Gewissensbissen an die frische Falte gedacht hatte, die er ihr zu den Linien um ihre Augen im Begriff war hinzuzufügen. Die drei folgenden Jahre hatten diese Falte getilgt und die anderen in einer verspäteten Blüte des Wohlergehens verhüllt. Von dem Augenblick an, wo sie Westmore den Rücken kehrte und sich in dem hübschen kleinen Haus in Hanaford niederließ, das ihr von der Frau ihres Sohnes zur Verfügung gestellt worden war, hatte Mrs. Amherst alle Spuren der schwierigen Jahre abgelegt; und die Tatsache, dass seine Heirat ihm die Möglichkeit gegeben hatte, die aufgestauten Quellen ihrer Jugendlichkeit zu entfesseln, bevor es zu spät war, erschien Amherst manchmal der eindeutigste Ertrag in seiner verworrenen Lebensbilanz von Gewinn und Verlust. Es war jedenfalls das Gefühl von Bessys Anteil bei dieser Veränderung, das seine Stimme sanft machte, wenn er über sie mit seiner Mutter sprach.
»Nun, wenn ich also eine hinreichend glatte Oberfläche aufweise, dann lass uns zu Mrs. Ansell zurückkehren – denn ich muss gestehen, dass ihre mysteriösen Gründe mir noch nicht sichtbar geworden sind.«
Mrs. Amherst schaut ihren Sohn missbilligend an. »Maria Ansell ist auch dir zugetan, John – –«
»Natürlich ist sie das! Es ist ihre Rolle, jedem zugetan zu sein – besonders ihren Feinden.«
»Ihren Feinden?«
»Oh, ich wollte auf keine persönliche Anwendung hinaus. Aber warum will sie, dass ich mit Bessy ins Ausland gehe?«
»Sie und Mr. Langhope denken, dass Bessy nicht gesund aussieht.«
Amherst hielt inne, und für einen Augenblick zeigt sich wieder die Stirnfalte. »Was denkst du, Mutter?«
»Ich hatte es selbst nicht bemerkt: Bessy wirkt auf mich reizender denn je. Aber vielleicht hat sie weniger Farbe – und sie klagt, dass sie nicht schlafen kann. Maria glaubt, sie quäle sich immer noch wegen des Babys.«
Amherst vollführte eine ungeduldige Gebärde. »Ist Europa das einzige Patentrezept?«
»Du solltest bedenken, John, dass Bessy an Abwechslung und Vergnügen gewöhnt ist. Ich glaube, du vergisst manchmal, dass andere nicht deine Fähigkeit besitzen, sich in ein einziges Anliegen zu versenken. Und Maria sagt, dass der neue Arzt in Clifton, den sie anscheinend für so gescheit halten, sehr darauf bedacht ist, dass Bessy diesen Sommer nach Europa geht.«
»Zweifellos; und so denken sie alle: ich meine ihren Vater und den alten Tredegar – und nicht zuletzt deine Freundin Mrs. Ansell.«
Mrs. Amherst erhob ihre glänzenden schwarzen Augen zu ihm. »Nun, also – wenn sie alle glauben, dass sie es nötig hat – –«
»Gott im Himmel, als ob es Reisen wäre, was sie braucht! – Nein, wir haben seit unserer Heirat mit Reisen überhaupt nicht aufgehört. Wir waren überall auf diesem Planeten außer in Hanaford – das ist ihr zweiter Besuch in drei Jahren!« Er stand auf und drehte eine zügige Runde über die verlassene Veranda. »Nicht ihre Gesundheit verlangt es – man will mich weg von Westmore haben, um zu verhüten, dass dort die Dinge getan werden, die getan werden müssten!« brach es heftig aus ihm heraus, als er wieder vor seiner Mutter stand.
Das Altersrosa entwich aus Mrs. Amhersts Gesicht, ihre Augen indes behielten ihr lebhaftes Glitzern. »Zu verhindern, dass Dinge getan werden? Was für seltsame Sachen sagst du da!«
»Ich hätte nicht davon gesprochen, wenn ich nicht gesehen hätte, wie du Mrs. Ansells Bann verfallen bist.«
Seine Mutter gebrauchte eine Geste, die zeigte, von wem er seine impulsiven Regungen geerbt hatte. »Also wirklich, mein Sohn – !« Sie faltete ihre Hände und fügte nach einer Erholungspause hinzu: »Wenn du glaubst, dass ich jemals versucht habe mich einzumischen – –«
»Nein, nein: aber wenn sie die Dinge so abscheulich verdrehen – –«
»John!«
Er sank zurück auf seinen Platz und schob sich mit einem Stöhnen das Haar aus der Stirn.
»Nun, dann – versteh es so, dass sie ebenso viel Recht zu ihrem Standpunkt haben wie ich zu meinem: ich will nur, dass du erkennst, worum es geht. Wann immer ich etwas in Westmore zu tun gedenke – einen wirklichen Anfang mit dem zu machen, was Bessy und ich zusammen geplant haben – wird irgend ein Vorwand gefunden, es aufzuhalten: uns an alle Enden der Welt zu verfrachten, aufzuschreien gegen die Reduzierung ihres Einkommens, sie zu einer neuen Extravaganz zu ermutigen, für die die Arbeit in der Fabrik geopfert werden muss!«
Mrs. Amherst erbleichte unter diesem Ausbruch und versicherte sich durch einen nervösen Blick rückwärts, dass ihre Privatheit noch ungestört war; dann kehrten ihre Augen zum Gesicht ihres Sohnes zurück.
»John – bist du sicher, dass du nicht deine Frau der Fabrik opferst?«
Er wurde nun seinerseits bleich, und sie sahen sich einen Augenblick sprachlos an.
»Du siehst es also so wie sie?« erwiderte er mit einem mutlosen Seufzen.
»Ich sehe es wie jede alte Frau, die auf meine Erfahrungen zurückblicken würde.«
»Mutter!« rief er aus.
Sie lächelte unerschüttert. »Denkst du, dass ich das als Vorwurf meine? Das ist es, weshalb Männer niemals Frauen verstehen werden – zumindest Söhne ihre Mütter. Keine echte Mutter will an erster Stelle stehen; sie stellt die Karriere ihres Sohnes über alles. Aber mit einer Ehefrau ist es etwas anderes – und besonders bei einer Frau, die so verliebt ist wie Bessy.«
Amherst schaute fort. »Ich sollte meinen, das wäre ein Grund – –«
»… der sie damit aussöhnen würde, auf die Seite gestellt zu werden, nur noch an zweiter Stelle zu stehen in deinen Plänen?«
»Es waren ihre Pläne, als wir heirateten!«
»Ach, mein Liebling – !« Sie hielt hierauf inne und ließ ihren pfiffigen Altersblick und all die zarten, von der Erfahrung in ihr Gesicht geschriebenen Linien ausdrücken, zu welch weiterer Kommentierung die Untauglichkeit seines Arguments einlud.
Er erfasste in vollem Umfang, was sie meinte, und nahm es auf in ratlosem Schweigen, das anhielt, als sie sich bereits erhob und ihren Spitzenumhang umlegte, wie um anzudeuten, dass ihre Vertraulichkeiten bei einer solchen Gelegenheiten nicht fortgeführt werden könnten, ohne eigenartig zu wirken. Dann stand er ebenfalls auf, trat zu ihr und legte seine Hand auf ihre, während sie sich ans Verandageländer lehnte.
»Arme Mutter! Und ich hab' dich die ganze Zeit bei mir fest gehalten und deinen schönen Nachmittag verdorben.«
»Nein, Lieber; ich war ein wenig ermüdet und hierhin entschlüpft, um etwas Ruhe zu genießen.« Sie unterbrach sich, erwiderte mit Überzeugung seinen Händedruck und fuhr fort: »Ich weiß, wie du dich wegen deiner Pflichterfüllung fühlst, John; aber wo nun die Dinge so angenehm ausgeglichen sind, wäre es nicht eine Schande, sie wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen?«
Nachdem er von seiner Mutter fort gegangen war, hatte Amherst beabsichtigt, sich erneut Bessy anzuschließen, die er immer noch auf dem Rasen mit Miss Brent ins Gespräch vertieft ausmachen konnte; doch nach dem, was geschehen war, schien es für den Augenblick unmöglich, den Gartenparty-Ton wieder zu beleben, und so suchte er sein Heil in der Flucht durch das Haus, während ein Trio von kubanischen Sängern, das die Krönung der Unterhaltung darstellte, die Gesellschaft in einem dichten Kreis um ihre Gitarren scharte.
Als er ziellos unter den tiefen Junischatten der Maplewood Avenue weiter ging, begleiteten die letzten Worte seiner Mutter ironisch seine Gedanken. »Wo nun die Dinge so angenehm ausgeglichen sind –« Er wusste nur zu gut, was dieses elastische Beiwort verbarg! Ihn selbst zum Beispiel, versteckt in dem undurchdringlichen Wohlstand seiner wundervollen Ehe; sie selbst auch (unbewusst, du liebe Seele!), verstaut in einen Winkel jenes neuen, weitläufigen Lebens und nicht fähiger zu begreifen, warum vorhandene Zustände gestört werden sollten, als ein Vogel auf der Traufe versteht, weshalb das Haus abgerissen wird. Nun gut – er hatte endlich eingesehen, was seine Erfahrung mit seiner armen, tapferen, ratlosen Mutter ihn hätte lehren können: dass man von Frauen niemals einen anderen Standpunkt als den persönlichen erwarten durfte oder einen anderen Verhaltensmaßstab als den ihrer eigenen Leiden und Freuden. Sie hatte in der Tat völlig unbeeindruckt die Last ihrer frühen Drangsale ertragen; aber wie sie selbst sagte, war das bloß deshalb geschehen, weil der Mutterinstinkt ihr gebot, all ihre privaten Hoffnungen auf dem großen, gefräßigen Altar von ihres Sohnes Ehrgeiz aufzuhäufen – und nicht, weil sie jemals im mindesten seine Ziele verstanden oder mit ihnen sympathisiert hätte.
Und Bessy –? Vielleicht würde sie, wenn ihr Sohn überlebt hätte, im Gegenzug dem uralten Instinkt des Altruismus gehorcht haben – aber jetzt! Er erinnerte sich mit heftiger Selbstverspottung, dass er – noch nicht einmal in der ersten Überwältigung durch die Leidenschaft – sich selbst mit der Vorstellung betrogen hatte, dass Bessy Westmore eine Ausnahme von ihrem Geschlecht sei. Er hatte sich eingeredet, dass sie, anstatt nur ein lieblicheres Produkt in der üblichen Form zu sein, eher reich sei an jenen Wandlungsfähigkeiten und Biegsamkeiten, welche die Herren dieser Erde zur Kultivierung ihrer Gefährtinnen für geeignet hielten. Sie würde sich um seine Anliegen kümmern, weil es seine waren. Während ihres überstürzten Liebeswerbens und noch in den ersten kurzen Monaten ihrer Ehe war diese tiefgründige und originelle Theorie erfreulich bestätigt worden; dann wies ihre perfekte Oberfläche allmählich einen Riss auf. Amherst hatte aus einer gewissen Bequemlichkeit immer den Glauben gehegt, dass die ethischen Grundsätze einer guten Frau in jener poetischen Zeile: »Er einzig für Gott, sie für den Gott in ihm« »He For God Only, She For God In Him« – Titel eines Gedichts von Caroline Howard Gilman (1794-1888), einer der populärsten Schriftstellerinnen der USA in der ersten Hälfte des 19. Jh., die auch in anderen Gedichten (»Household Woman«) das Aufgehen der Frau in einer dienenden Rolle innerhalb der Ehe idealisierte. zusammengefasst seien. Es geschah gewiss ›für den Gott in ihm‹, dass sie ihn geliebt hatte: für jenes erste Erleben eines »reichern Äthers, einer göttlichern Luft« Zeile aus »Laodamia« des englischen Dichters William Wordsworth (1770-1850)., die er in ihr beengtes, verhangenes Leben gebracht hatte. Er konnte jetzt niemals mehr diese frühere Illusion heraufbeschwören, ohne auf dessen immer noch zärtlicher Oberfläche den feinsinnigen Schwung von Mrs. Ansells Lächeln zu fühlen. Sie hätte ihm zweifellos jederzeit sagen können, weshalb Bessy ihn geheiratet hatte: wegen seiner beaux yeux ›schönen Augen‹., wie Mrs. Ansell es ausgedrückt hätte – weil er jung und hübsch war, verfolgt wurde und einen feurigen, wenn nicht gar geschickten Liebhaber bot – weil Bessy ihn in einem schicksalhaften Augenblick getroffen hatte, weil ihre Familie gegen die Heirat war – kurz, weil den Göttern an jenem Tag ein netter kleiner Zeitvertreib gefehlt haben mochte. Nun, jetzt würden sie mit Lachen an der Reihe sein – es gab Augenblicke, wo der hohe Himmel davon widerzuhallen schien …
Mit diesen Gedanken auf den Fersen schritt Amherst voran; er wurde dann und wann überholt von den Wagen abfahrender Gäste der Gartenparty, und während sie an ihm vorbeifuhren, war ihm bewusst, was in ihren Köpfen vorging – Neid auf seinen Erfolg, Bewunderung für seine Klugheit, ihn erreicht zu haben, und ein wenig halb-verächtliches Mitleid für seine Frau, die es mit ihrem Vermögen und ihrem Aussehen weit besser hätte treffen können. Gewiss, wenn der Fall Hanaford – dem Hanaford der Gaines-Gartenparty – hätte vorgelegt werden können, dann hätte es mit seiner Stimme für Bessy Partei ergriffen. Und wie viel Gerechtigkeit lag womöglich in dem, was seinem Gefühl nach das einstimmige Urteil ihrer Klasse gewesen wäre? Hatte seine Mutter Recht mit dem Tadel, er opfere Bessy der Fabrik? Aber die Fabrik war Bessy – wenigstens hatte er das geglaubt, als er sie heiratete! Sie war ihre eigentümliche Form des Kontakts mit dem Leben, der Ausdruck ihrer Beziehung zu ihren Mitmenschen, ihr Vorwand, ihre Chance – sofern sie bloß ein riesiger Geldbeutel war, in den sie wegen ihres Taschengeldes hineinlangte! Er hatte sich eingebildet, es werde bei ihm liegen zu entscheiden, von welchem dieser Standpunkte aus sie Westmore betrachten würde; und anfangs hatte sie begeistert seinen eingenommen. In ihrer eifrigen Aneignung seiner Ideen hatte sie ein Schoßkind aus der Fabrik gemacht, den Mütterclub organisiert, auf dem Hopewood-Gut eine Erholungsanlage errichtet und mit hübschen, aquarellfarbenen Plänen für die Notfallstation und jenem Gebäude, das die Abendschule, die Bibliothek und die Sporthalle enthalten sollte, geliebäugelt; aber selbst diese weniger bedeutenden Projekte – die er sie aufzugreifen gedrängt hatte, damit sie deren notwendige Abhängigkeit von seinem größeren Vorhaben erkenne – wurden bald beiseite gelegt wegen Hindernissen materieller Art. Bessy brauchte dauernd Geld – keine große Menge, aber, wie sie es vernünftiger Weise ausdrückte, »genug« – und wer sollte sie tadeln, wenn ihr Vater und Mr. Tredegar, im Rahmen ihrer jeweiligen Stellung, sich zu dem Hinweis verpflichtet fühlten, dass jede philanthropische Ausgabe in Westmore eine entsprechende Reduzierung ihres Einkommens nach sich ziehen musste? Wenn sie öfter in Hanaford hätte sein können, wären diese Argumente vielleicht durchkreuzt worden, denn sie besaß ein zärtliches Herz und war rasch geneigt, ein Leiden, das sich vor ihren Augen ereignete, zu lindern; aber ihr Vorstellungsvermögen reichte nicht weiter, so dass sie leicht qualvolle Anblicke vergaß, wenn sie ihr nicht unmittelbar vor Augen standen. Dies war vielleicht – halbbewusst – einer der Gründe, weshalb sie Hanaford mied; weshalb sie, wie Amherst in seinem Ausbruch hervorgestoßen hatte, seit ihrer Heirat überall gewesen waren außer an dem Ort, zu dem ihre Pflichten sie riefen. Es hatte wenigstens immer eine gute Entschuldigung gegeben, nicht dorthin zurückzukehren, und somit das Verbesserungswerk hintan zu stellen, das ihr Gatte – so wurde es allgemein empfunden – nicht in angemessener Weise beginnen konnte, bevor sie zurück gekehrt und mit ihm über das Gelände gegangen war. Nach ihrer Heirat, und besonders im Hinblick auf die Kommentare, die durch das romantische Ereignis hervorgerufen wurden, war es unmöglich, sich nicht ihrem Wunsch zu beugen, für einige Monate ins Ausland zu gehen; dann hatten ihr die Ärzte vor ihrer Niederkunft die Vermeidung jeder Erschöpfung und allen Kummers verordnet; und nach dem Tod des Babys hatte Amherst ein zu zärtliches Mitgefühl für sie, um eine unverzügliche Rückkehr zu unwillkommenen Fragen zu riskieren.
Denn zu dieser Zeit war ihm klar geworden, dass solche Fragen ihr unwillkommen waren – und es immer sein würden. Als einfachstes Mittel, ihnen zu entkommen, hatte sie das gesamte Problem wiederum dem vagen, lästigen Gebiet des »Geschäfts« zugewiesen, von dem er es in den ersten Tagen ihrer Vereinigung für einen Augenblick glücklich hatte loslösen können. Ihr erster Ehemann – der arme, verkannte Westmore! – hatte ihr stets die Langeweile des »Geschäfts« erspart, und Halford Gaines und Mr. Tredegar waren bereit, ihr dieselbe Rücksichtnahme entgegen zu bringen; es war Teil des modernen Kodex ritterlichen Verhaltens, dass eine bezaubernde Frau nicht wegen bestimmter geschäftlicher Verfahren oder Möglichkeiten gequält werden sollte. Aber Bessy war zu sehr Ehefrau – und verliebte Ehefrau – um auch zu glauben, dass die Ansichten ihres Ehemannes zur Geschäftsführung der Fabrik völlig unberücksichtigt bleiben sollten. Gerade weil ihre Ratgeber voller Ungunst auf seine Einmischung schauten, fühlte sie sich verpflichtet – wenn auch nur zur Verteidigung ihrer Illusionen – jene aufrechtzuerhalten und zu betonen. Die Fabrik war eigentlich die offizielle »Plattform«, auf der sie ihre Ehe geschlossen hatten: Amhersts aufopfernde Rolle in Westmore hatte das Unkonventionelle dieses Schritts gerechtfertigt. Und so sah sie sich – obwohl sie wegen ihrer massiven Unfähigkeit, beide Seiten des Problems zu erfassen, um so hilfloser war – gezwungen zur Strategie der Versöhnung widersprüchlicher Einflüsse, die es unbequemer Weise vorgezogen hatten, ihre Gefechte auf dem Feld ihrer armen kleinen Existenz auszutragen: theoretisch stand sie dabei auf Seiten ihres Ehemannes, aber er wusste: heimlich spendete sie Unterstützung und Trost dem Feind, der im Grunde ihr eigenes Anliegen verteidigte.
All das erkannte Amherst mit jener grausamen Einsicht, die seine frühere Blindheit ersetzt hatte. Er schämte sich in Wahrheit dieser Einsicht mehr als seiner Blindheit: es schien ihm furchtbar kaltherzig, nach zwei Jahren Ehe die Quelle der Widersprüchlichkeit seiner Frau auf diese Weise zu analysieren. Und zum Teil aus diesem Grund hatte er Monat für Monat die endgültige Frage nach der Zukunft der Fabrikführung und den grundlegenden Veränderungen, die zur Durchsetzung seines Systems vorzunehmen waren, hinaus geschoben. Aber es war die Zeit gekommen, wo er, wenn Betty zur Rechtfertigung ihrer Heirat nach Westmore musste, es noch viel nötiger hatte, von diesem Mittel zu demselben Zweck Gebrauch zu machen. Er hatte sie ganz gewiss nicht wegen Westmore geheiratet; aber er hätte kaum die Ehe mit einer reichen Frau in Betracht gezogen, wenn ihm nicht die Quelle ihres Wohlstands eine solche Gelegenheit geboten hätte, wie Westmore sie darstellte. Seine besondere Schulung und die natürliche Neigung seines Geistes qualifizierten ihn – worin sich einst etwas wie Vorherbestimmtheit auszudrücken schien – Bessy dabei zu helfen, von ihrer Macht edlen Gebrauch zu machen, zur Hebung ihrer selbst nicht weniger als zu der von Westmore; und so wurde – unpassend genug – die Fabrik zur Sicherheitsplanke, an der sich beide in ihrem Gefühl drohenden Unheils festhielten.
Amherst fürchtete nicht etwa die Versuchungen des Müßiggangs, wenn dieses Ventil für seine Aktivität abgestellt würde. Er hatte längst entdeckt, dass der Luxus, mit dem seine Frau ihn umgab, seine natürliche Neigung zu harter Arbeit und harter Kost bloß stimulierte. Mit einer Spur von Bitterkeit erinnerte er sich, wie er einst bedauert hatte, sich selbst von der Gesellschaftsklasse seiner Mutter abgesondert zu haben, und wie verführerisch einen Augenblick lang für Geist und Sinne jenes andere Leben erschien. Gut – er kannte es jetzt, und es besaß weder Zauber noch Gefahr für ihn. Capua muss für jemanden, der einmal die Freuden einer Schlacht dort genossen hatte, ein trüber Ort gewesen sein Bei Capua kämpfte Rom im Zweiten Punischen Krieg gegen die Karthager unter Hannibal in zwei Schlachten (212/211 v.u.Z.). – 1860 war Capua Mittelpunkt des vergeblichen Widerstands der neapolitanischen Armee gegen Giuseppe Garibaldi. – Dem gegenüber steht der landschaftliche Reiz der süditalienischen Stadt.. Was er scheute, war nicht, dass er ein behagliches Leben lieben lernen sollte, sondern dass es ihm zunehmend unkontrolliert als Symbol seiner geistigen und gefühlsmäßigen Knechtschaft zuwider werden könnte. Und Westmore war sein Sicherheitsventil, seine Zuflucht – wenn er von Westmore abgeschnitten wäre, was bliebe ihm? Es war nicht etwa nur die Arbeit, die er für seine Hände gefunden hatte, sondern es war die einzige Arbeit, für die seine Hände geschaffen waren. Es war sein Leben, für das er kämpfte, indem er darauf bestand, dass nun endlich, vor Ablauf dieses lange aufgeschobenen Besuchs in Hanaford, die Fabrikfrage angegangen und gelöst wurde. Er hatte dies Bessy in einer Szene klar gemacht, derer sich zu erinnern er immer noch zurückschrak; denn es betraf den Kern seiner einigermaßen unbeugsamen Redlichkeit, sie nicht in eine konfuse Ergebenheit gegenüber seinem persönlichen Einfluss, den er noch über sie besaß, hinein zu schwindeln, sondern zu versuchen, sie durch den langwierigen Prozess von Argumentation und Erläuterung zu überzeugen, gegen den sie nur Tränen und Verdrossenheit ins Feld zu führen wusste. Auf jeden Fall hatte er ihre Zustimmung gewonnen, seinen Standpunkt bei der Direktorenversammlung am nächsten Morgen darzulegen; und inzwischen hatte er sich zu außerordentlicher Geduld und Einsicht verpflichtet, bis der Hinweis auf Mrs. Ansells Kriegslist eine neue Reaktion des Misstrauens hervorrief.