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II.

Als Justine Brent aus dem Hope Hospital heraustrat, war die Oktoberdämmerung hereingebrochen und die breite Vorstadtstraße fast dunkel, außer wenn eine beleuchtete Straßenbahn schwer unter den Ahornbäumen vorbeirauschte.

Sie überquerte die Gleise und näherte sich der schmaleren Querstraße, wo Amherst sie erwartete. Er zögerte einen Augenblick, und es amüsierte sie, dass er die uniformierte Krankenschwester in diesem Mädchen nicht wiedererkannte, das in seiner adretten, dunklen, von schlichter Vollständigkeit in all ihren Accessoires geprägten Kleidung mit einem Lächeln unter ihrem kleinen Schleier auf ihn zuhielt.

»Ich danke Ihnen,« sagte er, sich umwendend und neben ihr her gehend. »Ist dies Ihr Weg?«

»Ich wohne auf der Oak Street. Aber über die Maplewood Avenue ist es genauso weit.«

»Ja, und ruhiger.«

Einige Meter legten sie schweigend zurück; ihre langen Schritte fielen dabei unwillkürlich in denselben Rhythmus, obwohl Amherst etwas größer war als seine Begleiterin.

Schließlich sagte er: »Ich vermute, dass Sie nichts über die Beziehung zwischen dem Hope Hospital und Westmore Mills ›Mills‹, in diesem Zusammenhang ›Textil-Fabrik‹ bedeutend, wurde überall dort so belassen, wo Edith Wharton den Begriff im Original groß schreibt und ›Westmore Mills‹ als Eigenname auftritt. wissen.«

»Nur dass das Krankenhaus von einem aus der Westmore-Familie gestiftet worden ist.«

»Ja, von einer alten Miss Hope, einer Großtante der Westmores. Aber es gibt mehr als dies zwischen den beiden – nämlich alle Arten unterirdischer Verbindungen.« Er unterbrach sich und begann wieder: »Zum Beispiel hat Dr. Disbrow die Schwester der Gattin unseres Geschäftsführers geheiratet.«

»Von Ihrem Chef in der Fabrik?«

»Ja,« sagte er mit einer leichten Grimasse. »Sie sehen also: wenn Truscomb – der Geschäftsführer – meint, einer der Textil-Arbeiter sei nur leicht verletzt, ist es selbstverständlich, dass sein Schwager, Dr. Disbrow, den Fall optimistisch betrachtet.«

»Selbstverständlich? Ich weiß nicht – –«

»Halten Sie es nicht für selbstverständlich, dass ein Mann von seiner Frau beeinflusst wird?«

»Nicht wo es seine berufliche Ehre betrifft.«

Amherst lächelte. »Das klingt sehr jugendlich – wenn Sie mir dieses Wort verzeihen. Nun, ich will nicht mit Andeutungen fortfahren, dass Disbrows Stellung dort, indem Truscomb in hoher Gunst bei den Westmores steht und die Westmores ein Retentionsrecht Zurückbehaltungsrecht; Recht des Schuldners, eine zu erbringende Leistung solange zurückzubehalten, bis ein Gegenanspruch erbracht ist. gegenüber dem Krankenhaus besitzen, auch davon abhängt, dass er – mehr oder weniger – dieselbe Perspektive wie Truscomb einnimmt.«

Miss Brent bliebt unvermittelt auf dem verlassenen Pflaster stehen.

»Nein, fahren Sie nicht fort – wenn Sie wollen, dass ich gut von Ihnen denke,« brach es aus ihr heraus.

Amherst trug diesen Angriff mit Fassung; als sie ihm ihr Gesicht zuwandte, bemerkte er, dass ihr Groll nicht so sehr seinen Andeutungen in Bezug auf seine Vorgesetzten galt als seiner Anspielung auf die Jugendlichkeit ihrer Gefühle. Sie war tatsächlich, wie er nun feststellte, noch jung genug, ihre Jugend als Entschuldigungsgrund abzulehnen. In ihrer strengen, blauleinenen Uniform, deren Schwesternhaube ihren dunklen Teint vertiefte, und vor dem fahlen Hintergrund der Krankenhauswände hatte sie älter gewirkt, kompetenter und erfahrener; nun aber sah er, wie frisch die blasse Linie ihrer Wangen war und wie geschmeidig sich ihr Haar in dichten Wellen um die Brauen schmiegte.

»Ich habe die Sache falsch herum angefasst,« bestätigte er. »Aber lassen Sie mich Dillons Fall darlegen, bevor Sie mich fortschicken.«

Sie lenkte ein. »Es ist nur wegen meines Interesses für diesen armen Burschen, dass ich hier – –«

»Weil sie glauben, dass er Hilfe braucht – und dass Sie ihm helfen können?«

Sie hielt abermals an. »Bitte sagen Sie mir erst mehr über ihn,« sagte sie weitergehend.

Amherst begegnete der Bitte mit einer weiteren Frage: »Ich wüsste gern, wie viel Sie über die Fabrikarbeit wissen?«

»Oh, so viel wie nichts. Nur das, was ich in diesen beiden Tagen im Hospital aufgeschnappt habe.«

Er warf einen Blick auf ihr schmales, entschlossenes Profil unter ihrer dunklen Haartolle und sagte halb zu sich selbst: »Das ist vielleicht auch gut so.«

Sie nahm davon keine Notiz, und er fuhr fort: »Nun, ich will nicht die allgemeine Situation vor Ihnen ausbreiten, obwohl Dillons Unfall wirklich deren Ergebnis ist. Er arbeitet in der Kämmerei In der ›Kämmerei‹ sorgt die Karde oder Kardätsche (›Kamm‹) beim Kammgarnspinnverfahren für die mechanische Ausrichtung der Fasern mit Schwingkämmen oder Rundbürsten.; am Tag des Unfalls hielt sein ›Kamm‹ plötzlich an, und er fasste mit der Hand hinter sich, um ein notwendiges Werkzeug aus seiner Hosentasche zu ziehen. Er geriet dabei ein wenig zu weit nach hinten, und der Kamm hinter ihm erwischte seine Hand mit seinen tausend diamantscharfen Drähten. Truscomb und der Aufseher des Raumes behaupten, dass der Unfall seiner eigenen Sorglosigkeit geschuldet sei; aber die Arbeiter sagen, dass er dadurch verursacht wurde, dass die Kämme zu nahe beieinander stehen und dass genau so ein Unfall früher oder später sich ereignen musste

Miss Brent holte heftig Atem. »Und was sagen Sie

»Dass sie Recht haben: die Kämmerei ist schändlich überfüllt. Dillon war noch nicht lange dort – er hat sich in der Fabrik empor gearbeitet, seit er Spuler Der ›bobbin-boy‹ brachte leere und holte volle Spulen in den Textilfabriken des 18. und 19. Jh. Berühmt geworden ist Andrew Carnegie (1835-1919), der mit 13 als ›Spuler‹ angefangen hat und zum reichsten Menschen seiner Zeit wurde. war – und er hatte noch nicht gelernt, wie vorsichtig man dort sein muss. Die Kämme stehen so dicht beieinander, dass sogar die alten Arbeiter gefährdet sind; auch die geschickteste Fachkraft braucht einige Zeit, um zu lernen, dass sie jede Bewegung auf den Bruchteil eines Zentimeters kalkulieren muss.«

»Aber warum überfüllt man die Räume so?«

»Um den maximalen Profit bei minimalem Raumverbrauch zu erzielen. Es ist teurer, die Räume zu erweitern, als einen Arbeiter dann und wann zum Krüppel zu machen.«

»Ich verstehe. Fahren Sie fort,« murmelte sie.

»Das ist der erste Punkt; nun der zweite: Dr. Disbrow erzählte Truscomb heute morgen, dass Dillons Hand mit Sicherheit gerettet würde und er in einigen Monaten an die Arbeit zurückkehren könnte, wenn die Firma ihm ein oder zwei künstliche Finger spendieren würde.«

Miss Brent sah ihn vor Entrüstung errötend an. »Mr. Amherst – von wem haben Sie diese Version von Dr. Disbrows Bericht?«

»Vom Geschäftsführer selbst.«

»Mündlich?«

»Nein – er zeigte mir Disbrows Brief.«

Einige Augenblicke gingen sie schweigend weiter die ruhige Straße entlang; dann sagte sie mit immer noch bewegter Stimme: »Wie ich Ihnen am Nachmittag mitteilte, hat Dr. Disbrow in meiner Gegenwart nichts gesagt.«

»Und Mrs. Ogan?«

»Oh, Mrs. Ogan –« Ihr Stimme versiegte in ironischem Gemurmel. »Mrs. Ogan ›hält es für eine wundervolle Fügung, meine Liebe, dass wir, auf Grund eines Todesfalls heute morgen in der Chirurgie, gerade ein Bett frei haben für diesen armen Mann, nur drei Stunden nach dem Unfall.‹« Sie hatte ihren tiefen, kehligen Tonfall ersetzt durch einen hohen, grellen Klang, der perfekt die damenhafte Artikulation der Oberschwester parodierte.

Amherst wandte sich ihr am Ende zu mit einer jungenhaften Lachsalve, in die sie einfiel, und für einen Augenblick waren sie verschmolzen in jenem engsten Bund, der Entdeckung eines gemeinsamen Fundus von Humor.

Sie wurde als erste wieder ernst. »Diese Verzögerung von drei Stunden war der Sache nicht dienlich – wie kommt es, dass es keine Unfallstation bei der Fabrik gibt?«

Amherst lachte wieder, aber in einer anderen Tonart. »Das ist Teil der größeren Frage, zu der wir jetzt keine Zeit haben.« Er wartete einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Sie haben mir Ihre eigene Einschätzung von Dillons Fall noch nicht verraten.«

»Sie sollen sie haben, da Sie auch den Brief gesehen haben. Dillon wird sicherlich seine Hand verlieren – und wahrscheinlich den ganzen Arm.« Aus ihrer schlanken Gestalt sprach eine Erregung, die die leidenschaftslose Fachkraft in ein von empörter Scham aufgewühltes Mädchen verwandelte.

Amherst stand bewegungslos vor ihr. »Mein Gott! Nie mehr etwas anderes als ein nutzloser Krüppel?«

»Nie mehr – –«

»Und er wird nicht sterben?«

»Leider Gottes!«

»Er hat eine schwindsüchtige Frau und drei Kinder. Sie hat ihre Gesundheit durch Einatmen von Baumwollstaub in der Fabrik ruiniert,« fuhr Amherst fort.

»Das hat sie mir gestern erzählt.«

Überrascht wandte er sich um. »Sie haben mit ihr gesprochen?«

»Ich bin gestern abend nach Westmore gegangen. Ihr Gesicht verfolgte mich, seit sie ins Krankenhaus gekommen war. Sie sieht aus wie vierzig, aber sie sagte mir, sie sei erst sechsundzwanzig.« Miss Brent unterbrach sich, um ihrer Stimme Festigkeit zu geben. »Es ist der Fluch meines Berufs, dass ich immer versucht bin, bei Fällen einzugreifen, wo es mir nicht möglich ist, Gutes zu tun. Ich bin als Krankenschwester einfach nicht geeignet – ich werde als elende sentimentale Mimose mein Leben fristen!« schloss sie mit einem verärgerten Schlag nach dem tränenfeuchten Schleier.

Ihr Begleiter ging schweigend weiter, bis sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte. Dann sagte er: »Welchen Eindruck hatten Sie von Westmore?«

»Ich glaube, es ist einer der schlimmsten Orte, den ich je sah – und Slums sind mir nicht fremd. Es sieht so tot aus. Die Slums großer Städte sind viel lebhafter.«

Er gab keine Antwort, und nach einem Augenblick fragte sie: »Zieht der Baumwollstaub immer die Lunge in Mitleidenschaft?«

»Sehr wahrscheinlich, sofern nur die geringste Veranlagung zur Tuberkulose besteht. Aber natürlich könnte das Leiden gewaltig reduziert werden, wenn man die alten groben Dielen entfernen und für Sauberkeit und Belüftung sorgen würde.«

»Wie verhält sich die Firma in solchen Fällen? Wenn ein Arbeiter mit fünfundzwanzig zusammenbricht?«

»Die Firma sagt, es habe an einer tuberkulösen Veranlagung gelegen.«

»Und sie werden nicht entschädigt für die zwei Leben, die man ihnen genommen hat?«

»Man wird wahrscheinlich für Dillons Pflege im Krankenhaus zahlen, und man hat die Frau als Reinigungskraft wieder eingestellt.«

»Um diese Dielen zu reinigen, die man nicht sauber machen kann? Dafür ist sie nicht geeignet!«

»Sie muss arbeiten, ob geeignet oder nicht; und Schrubben ist weniger anstrengend, als sich über Webstühle und Kämme zu beugen. Der Lohn ist natürlich niedriger, aber sie ist sehr dankbar, dass man sie überhaupt wieder nimmt, wo sie jetzt keine erstklassige Arbeiterin mehr ist.«

Miss Brents Gesicht erglühte in hellem Zorn. »Sie kann das möglicherweise nicht länger als zwei oder drei Monate aushalten, ohne zusammenzubrechen!«

»Na ja: man hat ihr eben erzählt, dass vor Ablauf dieser Zeit ihr Mann wieder bei der Arbeit sein werde.«

»Und was wird die Firma für sie tun, wenn die Frau eine hoffnungslose Invalidin ist und ihr Mann ein Krüppel?«

Amherst stieß erneut jenes trockene Lachen aus, mit dem er ihrem Vorschlag einer Unfallstation begegnet war. »Ich weiß, was ich zu tun hätte, wenn ich Dillon nahe kommen könnte – ich gäbe ihm eine Überdosis Morphium und ließe die Wittwe seine Lebensversicherung kassieren, um einen Neuanfang zu machen.«

Sie schaute ihn verwundert an. »Das würden Sie tatsächlich?«

»Wenn ich das Leiden so sehen würde wie Sie und die Umstände kennen würde, wie ich sie kenne, dann würde ich mich, glaube ich, dazu berechtigt fühlen –« Er brach ab. »Sind Sie in Ihrer Arbeit jemals versucht, einen armen Teufel zu erlösen?«

Sie dachte nach. »Man könnte … aber vielleicht kommt der berufliche Instinkt zu retten immer zuerst.«

»Zu retten? – Was? Wenn alles Gute vom Leben vorbei ist?«

»Ich könnte mir denken,« seufzte sie, »der arme Dillon würde es selbst tun, wenn er könnte – wenn er erkennt, dass alles Gute vorbei ist

»Ja, aber er kann es nicht selbst tun; die Ironie solcher Fälle liegt ja darin, dass seine Arbeitgeber, nachdem sie sein Leben ruiniert haben, alles tun werden, um die Ruinen wieder zusammen zu flicken.«

»Aber das wird ihnen am Ende zu ihren Gunsten angerechnet.«

»Vielleicht; wenn –« Er hielt inne, als sei er abgeneigt, sich erneut dem Vorwurf der Lieblosigkeit auszusetzen; und plötzlich rief sie, sich umschauend: »Ich habe gar nicht bemerkt, dass wir die Maplewood Avenue so weit hinunter gegangen sind!«

Sie waren wenige Minuten zuvor auf die breite, zu einer höheren Lage führende Straße eingebogen, dem Villenviertel von Hanaford. Hier standen, zurückgezogen hinter Strauchwerk und Rasenflächen, geräumige Häuser, die in ihren Umrissen alle Formen architektonischen Experimentierens aufwiesen, von der symmetrischen, vorrevolutionären Struktur, mit ihrem klassischen Säulenvorbau und den gestutzten Buchsbaum-Hecken, bis hin zur neuesten Mode mit Felsbrocken und maurischen Kacheln.

Amherst folgte überrascht dem Blick seiner Begleiterin. »Wir sind tatsächlich ein oder zwei Blocks zu weit gegangen. Ich vergesse immer, wo ich bin, wenn ich mich über etwas unterhalte, das mich interessiert.«

Miss Brent schaute auf ihre Uhr. »Meine Freunde essen nicht vor sieben zu Abend, und ich kann rechtzeitig zu Hause sein, wenn ich die Grove-Street-Bahn nehme,« sagte sie.

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, noch ein bisschen weiter zu gehen, können Sie statt dessen die Liberty-Street-Bahn nehmen. Sie fährt öfter, und Sie werden ebenso schnell zu Hause sein.«

Sie stimmte mit einer Geste zu, und während sie gingen, fuhr er fort: »Ich habe noch nicht erklärt, warum ich bemüht bin, eine unvoreingenommene Meinung zu Dillons Fall zu erfahren.«

Überrascht sah sie ihn an. »Was Sie mir über Dr. Disbrow und Ihren Geschäftsführer erzählt haben, reicht sicher aus.«

»Wohl kaum, wenn man bedenkt, dass ich Truscombs Untergebener bin. Ich hätte nicht gegen berufliche Regeln verstoßen oder von Ihnen solches verlangt, wenn ich keine Hoffnung auf Besserung hätte; aber ich habe sie, und deshalb hielt ich bei Westmore die letzten Monate aus, anstatt all dies hinter mir zu lassen.«

»Das freut mich,« sagte sie rasch.

»Der Besitzer der Fabrik – der junge Richard Westmore – starb letzten Winter,« sprach er weiter, »und meine Hoffnung – mehr ist es nicht – besteht darin, dass der neue Besen vielleicht ein bisschen sauberer kehrt.«

»Wer ist der neue Besen?«

»Westmore hinterließ alles seiner Witwe, und sie kommt morgen hierher, um einen Blick auf die Geschäftsführung der Fabrik zu werfen.«

»Sie kommt? Dann lebt sie also nicht hier?«

»In Hanaford? Gott bewahre! Es ist heutzutage für Arbeitgeber nicht normal, in der Nähe der Beschäftigten zu leben. Die Westmores haben immer in New York gelebt – und ich glaube, sie haben ein großes Anwesen auf Long Island.«

»Nun, jedenfalls kommt sie, und das dürfte ein gutes Zeichen sein. Hat sie nie Interesse an der Fabrik zu Lebzeiten ihres Mannes gezeigt?«

»So weit ich weiß nicht. Ich bin seit drei Jahren bei Westmore, und sie ist in dieser Zeit nie dort gewesen. Sie ist sehr jung, und Westmore selbst machte sich nichts daraus. Es war ein Fall vererbten Vermögens. Er bezog die Dividenden, und Truscomb machte den Rest.«

Miss Brent überlegte. »Ich weiß nicht viel über den Aufbau solcher Firmen – aber ich nehme an, Mrs. Westmore vereinigt nicht alle Aufgaben in ihrer eigenen Person. Gibt es keinen, der zwischen Truscomb und den Arbeitern steht?«

»Oh, die Firma weist auf dem Papier die übliche Hierarchie der Funktionen auf. Richard Westmore war natürlich der Präsident, und seit seinem Tod hat ihn der frühere Finanzverwalter – Halford Gaines – ersetzt, und sein Sohn, Westmore Gaines, ist zum Finanzverwalter bestimmt worden. Sie erkennen an den Namen, dass alles in der Familie bleibt. Halford Gaines heiratete eine Miss Westmore und repräsentiert den Clan in Hanaford – er steht an der Spitze der Gesellschaft und wahrt das soziale Ansehen des Namens. Als Finanzverwalter hielt sich Mr. Halford Gaines strikt an sein besonderes Gebiet und lehnte es immer ab, zwischen Truscomb und den Arbeitern zu vermitteln. Als Präsident wird er wahrscheinlich dieselbe Politik verfolgen, umso mehr als es zu seinem ererbten Respekt für den Status quo und seiner gottseligen ökonomischen Ignoranz passt.«

»Und der neue Finanzverwalter – der junge Gaines? Besteht da keine Hoffnung, dass er die Familientradition durchbricht?«

»Westy Gaines besitzt einen besseren Kopf als sein Vater; aber er hasst Hanaford und die Fabrik, und das Hauptinteresse seines Lebens liegt darin, für einen New Yorker gehalten zu werden. Insofern hat er sich hier nicht viel aufgehalten, außer bei den vierteljährlichen Konferenzen, und seine eigentliche Arbeit wird von einem anderen Vetter erledigt – Sie merken, dass Westmore ein Nest der Vetternwirtschaft ist.«

Miss Brents Arbeit unter den Armen hatte ihr Interesse für soziale Probleme entwickelt, und sie folgte diesen Einzelheiten sehr aufmerksam.

»Tja, die Aussichten sind nicht ermutigend, aber vielleicht bringt Mrs. Westmores Kommen eine Veränderung. Ich vermute, sie hat mehr Macht als sonst jemand.«

»Die hätte sie vielleicht, wenn sie sich entscheidet sie auszuüben; schließlich stand ihr Mann für die gesamte Fabrik. Die offiziellen Vettern besitzen nur paar Anteile pro Person.«

»Dann wird ihr vielleicht dieser Besuch die Augen öffnen. Wer weiß, womöglich könnte der Fall des armen Dillon sogar anderen helfen – sich als wundervolle Fügung erweisen, wie Mrs. Ogan sagen würde?«

»Er scheint schrecklich treffend einige der Missstände zu veranschaulichen, die ich abstellen möchte. Die Schwierigkeit wird darin bestehen, die Aufmerksamkeit der Dame zu gewinnen. Das ist übrigens ihr Haus, zu dem wir gerade kommen.«

Eine elektrische Straßenlaterne beleuchtete die blattlosen Bäume und steinernen Torpfosten des Gebäudes vor ihnen. Obwohl sich hinten Gärten erstreckten, stand das Haus so nahe an der Straße, dass nur zwei kurze Treppenfluchten zwischen den Torpfosten und dem Säulenvorbau lagen. Licht strahlte aus jedem Fenster der pompösen Landhaus-Fassade – in dem betürmten toskanischen Villen-Stil der Fünfziger – und als Miss Brent und Amherst sich näherten, wurde ihr Herankommen von einer Gruppe von Leuten beäugt, die soeben aus zwei Wagen vor der Tür ausstiegen.

Das Lampenlicht zeigte jede Einzelheit in Kleidung und Miene der Gesellschaft; sie bestand aus zwei Männern – der eine, mit einem langen weißen Schnurrbart, zog ein wenig das Bein nach, der andere, klein und mager, wirkte wie ein Geschäftsmann – sowie zwei Damen mit deren beladenen Dienstboten.

»Oh, das wird ihre Gesellschaft sein, die da ankommt!« rief Miss Brent; und während sie sprach, drehte sich die jüngere der beiden Damen zu ihrer Zofe um und gab dabei im Strahl des elektrischen Lichts ein hübsches, bleiches Gesicht preis, das von ihrem vorgezogenen Witwenschleier beschattet war.

»Ist das Mrs. Westmore?« flüsterte Miss Brent; und als Amherst murmelte: »Ich nehme es an; ich habe sie nie gesehen – –« fuhr sie aufgeregt fort: »Sie sieht so aus wie – wissen Sie, wie sie vor Ihrer Heirat hieß?«

In hoffnungslosem Bemühen sich zu erinnern zog er seine Brauen zusammen. »Ich weiß nicht – ich muss ihn gehört haben – aber ich kann mich nie an Namen von Leuten erinnern.«

»Das ist schlecht, für jemanden, der Leute zu führen hat!« sagte sie spöttisch, und er antwortete, wie an einem wunden Punkt berührt: »Ich meine Leute, die nicht zählen. Ich vergesse nie Gesicht oder Namen eines Arbeiters.«

»Man kann nie wissen, wer vielleicht etwas zählen wird,« erwiderte sie schulmeisternd.

Er quittierte dies mit Schweigen, während ihre Blicke im Vorbeigehen einen Schimmer der mit rotem Teppich ausgelegten Westmore-Vorhalle auffingen, deren Glastüren gerade geschlossen wurden. Endlich raffte er sich auf zu fragen: »Sieht Mrs. Westmore aus wie jemand, den Sie kennen?«

»Es kommt mir so vor – ein Mädchen, das mit mir am Sacre Cœur in Paris war. Aber ist das nicht meine Ecke?« rief sie aus, als sie in eine andere Straße einbogen, auf der soeben eine gut besetzte Bahn heranfuhr.

Ihr Nahen ließ ihnen nur noch Zeit für einen eiligen Handschlag, und als Miss Brent in der vollen Bahn verschwunden war, blieb ihr Begleiter, wie es seine Gewohnheit war, eine Weile stehen, wo sie ihn verlassen hatte, und betrachtete einen unbestimmten Punkt im Raum; als er zu einem plötzlichen Bewusstsein seiner Umgebung erwachte, wandte er sich ab und ging zum Stadtzentrum.

An der Kreuzung zweier Geschäftsstraßen kam gerade eine leere Bahn mit der Aufschrift »Westmore«; er sprang auf, setzte sich in eine Ecke und zog eine Taschenbuchausgabe von Shakespeare hervor. Er las, ohne seine Umgebung zu beachten, bis die Bahn die asphaltierte Straße mit ihren beleuchteten Ladenfenstern hinter sich ließ und einen grauen Landstrich voller Schlamm und Schotter durchfuhr. Da verstaute er seinen Band und schaute hinaus in die Dunkelheit.

Die Häuser wurden weniger, die Lücken zwischen ihnen dunkler in der Nacht; die seltenen Straßenlaternen beschienen aufgebrochenes Pflaster, schiefe Telegraphenstangen, Plakatwände mit Medikamenten-Werbung und die gesamte Trostlosigkeit amerikanischer Industrie-Viertel. Etwas weiter kamen ein paar Unkrautfelder, dann eine Reihe Arbeiterhäuser, die auffälligen Giebel des »Eldorado«-Wirtshauses – des einzigen Gebäudes in Westmore, auf das großzügig Farbe verschwendet worden war – dann der Fabrik-»Laden«, die Maschinen-Werkstätten und andere Nebengebäude, die gewaltige, unwirtliche Masse der Fabrikanlage, die sich über dem Flussknie abzeichnete, und die plötzliche Zierlichkeit von Rasen und Ligusterhecke des Geschäftsführers. Das Bild war Amherst so vertraut, dass ihm die Gewohnheit zu vergleichen abhanden gekommen war; sein Aufgehen in den moralischen und materiellen Nöten der Arbeiter ließ ihn manchmal das äußere Umfeld ihres Lebens vergessen. Heute abend aber erinnerte er sich an die Bemerkung der Krankenschwester – »es sieht so tot aus« – und dieser Satz rüttelte ihn auf zu einer neuen Wahrnehmung des Ortes. Mit plötzlichem Ekel sah er das Elend von alledem – die ärmlichen, eintönigen Häuser, die zertrampelten Grasflächen, die dürren Hunde, die sich auf Abfallhaufen herumtrieben, den Widerschein einer krummen Gaslampe auf einem stillen Altwasser-Flussarm; und er fragte sich, wie man in dieses Leben, das für immer an den niederen Horizont der Fabrik gebunden blieb, irgend ein Gefühl moralischer Schönheit hinein bringen könne. Es gibt eine zufällige Hässlichkeit, die Leben und Hoffnung in sich trägt: die Hässlichkeit überfüllter Stadtstraßen, des rasenden Getriebes strammer Geschäftigkeit; aber diese ausgebreitete Niedertracht des vorstädtischen Arbeiterviertels, unumschränkt von irgend einem Druck umgebenden Lebens und hinabgesunken zur schieren Billigung seiner Abschottung, seiner Vertreibung von Schönheit, Abwechslung und Überraschung, erschien Amherst geradezu als Verneinung von Hoffnung und Leben.

»Sie hat Recht,« grübelte er – »es ist tot – mausetot: nicht ein einziger Tropfen gesunden Blutes ist noch darin übrig.«

Das Moosuc-River-Tal, in dessen Niederung um des Flusses willen die Westmore-Fabrik errichtet worden war, galt im vorindustriellen Hanaford als der erfreulichste Vorort der Stadt. Hier hatten sich jenseits einer Region von Obstplantagen und Farmhäusern mehrere »führende Bürger« oberhalb der Flussböschung ihre aus Holz gefertigten, hochtrabenden »Residenzen« errichtet mit Säulenvorbauten und terrassierten Wiesen; und von deren Oberhaupt, Hopewood, in die Westmore-Familie gebracht durch jene Miss Hope, die einen früheren Westmore geheiratet hatte, war das öde Fabrik-Viertel aufgebaut worden. Die säulengeschmückten »Residenzen« waren danach unvermeidlich zu minderem Nutzen abgesunken; aber das alte Haus von Hopewood, jenseits der ersten Flussbiegung, blieb inmitten seines bewaldeten Grundstücks trotz Vernachlässigung unversehrt, zwar als Wohnhaus verwaist, aber »gehalten« in Erwartung steigenden Wertes, wenn das zwangsläufige Wachstum von Westmore die Nachfrage nach kleinen Bauplätzen vermehren würde. Immer wenn Amhersts Augen sich an dem Laub über den Westmore-Dächern erfrischt hatten, sehnte er sich danach, den verlassenen Landsitz zu Park und Erholungsgebiet für die Fabrikarbeiter umzuwandeln; aber er wusste, dass die Firma auf den schrittweisen Verkauf von Hopewood als Profitquelle rechnete. Nein – die Fabrikstadt würde mit zunehmender Größe nicht schöner werden – vielmehr würde sie, in Befolgung des ehernen Gesetzes industriellen Gedeihens, bald ihre einzig verbliebene Zierde verlieren und sich in ungemilderter Hässlichkeit ausbreiten, indem sie grüne Felder und schattige Hänge verschlänge, wie eine Insektenplage das Land verzehrt. Die Umstände waren Amherst nur zu gut vertraut; und ihre scheinbare Unausweichlichkeit spottete der Hoffnungen, die er auf Mrs. Westmores Eintreffen gesetzt hatte.

»Wo in dieser ganzen törichten Konstruktion von Egoismus und Geltungssucht jeder Stein auf einen anderen geschichtet ist: wie kann man einen herausziehen, ohne das ganze Ding ins Wanken zu bringen? Und wie blind sie sonst auch sind: das sehen sie immer,« grübelte er, nach dem Haltegriff der Bahn fassend.

Er ging ein paar Meter hinter dem Haus des Geschäftsführers weiter und bog in eine Seitenstraße mit vereinzelten Häuschen ein. Einem von ihnen näherte er sich auf einem Schotterweg, drückte die offene Tür auf und betrat eine Wohnstube, in der eine grün bespannte Lampe freundlich auf Bücherrücken und einen voll belegten Schreibtisch schien.

Eine lebhafte kleine Frau in Schwarz legte aufstehend die Abendzeitung fort und erhob ihre Hände zu seinen hohen Schultern.

»Na, Mutter,« sagte er, sich zu ihrem Kuss niederbeugend.

»Du bist spät dran, John,« erwiderte sie lächelnd ohne Vorwurf, sondern voller Zuneigung.

Sie war ein wundervoll kompaktes, reges Geschöpf, mit einem so jungen Gesicht und so weißem Haar, dass sie unwirklich wie eine Bühnenmutter aussah, bis ein näherer Blick die feinen Linien entdeckte, welche die Erfahrung ihr um Mund und Augen gezeichnet hatte. Die Augen selbst glänzten in strahlendem Schwarz und besaßen nichts von der verhangenen Tiefe im Blick Ihres Sohnes. Ihr Blick war nach außen gerichtet, auf eine Welt, die ihr harte Stöße und nur wenige Gefälligkeiten beschert hatte, an der jedoch ihr Interesse immer noch frisch, vergnügt und ungebrochen war.

Amherst schaute auf seine Uhr. »Macht nichts – Duplain wird noch später kommen. Ich musste nach Hanaford, und er vertritt mich im Dienst.«

»Um so besser, mein Lieber: so haben wir eine Minute nur für uns selbst. Setz dich und erzähl mir, was dich aufgehalten hat.«

Sie nahm im Sprechen ihr Strickzeug auf, denn ihre Hände fanden nur Ruhe in unablässigen kleinen Tätigkeiten. Ihr Sohn konnte sich nicht erinnern, diese kleinen Hände nicht in Bewegung gesehen zu haben – bei der Kleiderpflege, beim Stopfen von Löchern, Reparieren von Möbeln oder Erkunden des Inneren einer Uhr. »Ich mache eine Art Flickenteppich aus den ungeraden Minuten«, hatte sie einmal einem Freund erklärt, der sich wunderte, dass sie sich in den Augenblicken zwischen anderen Betätigungen der Nadelarbeit widmete.

Amherst selbst ließ sich erschöpft in einen Sessel sinken. »Ich hab' versucht, etwas über den Fall Dillon herauszufinden,« sagte er.

Seine Mutter warf einen raschen Blick auf die Tür, erhob sich, um sie zu schließen und setzte sich wieder.

»Und?«

»Ich konnte es einrichten, mit seiner Krankenschwester zu sprechen, als sie heute abend Dienstschluss hatte.«

»Die Krankenschwester? Es wundert mich, dass du sie zum Reden brachtest.«

»Glücklicherweise ist sie keine reguläre Angestellte, sondern eine Aushilfe, die hier zufällig auf Besuch ist. Ich hatte durchaus einige Schwierigkeiten, sie zum Sprechen zu bringen – bis ich ihr von Disbrows Brief erzählte.«

Mrs. Amherst erhob ihren klaren Blick von den Nadeln. »Es geht ihm also sehr schlecht?«

»Er ist hoffnungslos verkrüppelt!«

Sie erschauerte und ließ den Blick sinken. »Glaubst du, dass sie sich wirklich auskennt?«

»Ihr absolut kompetentes Urteilsvermögen hat mich überzeugt.«

»Eine Aushilfe, sagst du, die hier auf Besuch ist? Wie heißt sie?«

Er hob seinen Kopf mit einem unbestimmten Blick. »Ich habe nicht daran gedacht, sie zu fragen.«

Mrs. Amherst lachte. »Sieht dir ähnlich! Hat sie gesagt, bei wem sie wohnt?«

»Ich glaube, sie sprach von der Oak Street – aber sie erwähnte keinen Namen.«

Mrs. Amherst runzelte nachdenklich ihre Brauen. »Ich frage mich, ob sie nicht das dünne, dunkle Mädchen ist, das ich die Tage mit Mrs. Harry Dressel gesehen habe. War sie groß und recht hübsch?«

»Ich weiß nicht,« murmelte Amherst gleichgültig. In der Regel nahm er die Gewohnheit seiner Mutter, das Allgemeine zugunsten des Besonderen zu verlassen und irgend einem bedeutungslosen Assoziationsstrang in äußerster Missachtung des Hauptpunktes zu folgen, mit heiterer Ergebenheit. Aber heute abend, wo er in sein Thema vertieft war und nicht zu begreifen vermochte, wie ein anderer davon unberührt bleiben konnte, verübelte er ihr diese Gleichgültigkeit als Zeichen unverbesserlicher Oberflächlichkeit.

»Wie kann sie in der Nähe solchen Leidens leben und es vergessen!« dachte er; dann erinnerte er sich in einem Anfall von Selbsttadel, dass die Arbeit, die durch ihre Finger flog, für die Bekleidung eines der Dillon-Kinder bestimmt war. »Sie arbeitet ihr Mitleid in Tätigkeit ab, wie diese ruhige Krankenschwester, die abgebrüht war wie ein Tambour-Major, bis sie ihre Uniform auszog – aber dann!« Sein Gesicht entspannte sich bei der Erinnerung an den Ausbruch des Mädchens. So sehr er auch, in der Theorie, eine Frau bewunderte, die in Notfällen ein gelassenes Verhalten bewahrte, verlangte es ihn wie jeden Mann, die Quellen des Gefühls kennen zu lernen, die unter der unerschütterten Oberfläche liegen.

Mrs. Amherst hatte sich erhoben und kam herüber zu seinem Sessel. Sie stützte sich einen Augenblick auf ihn und strich ihm das wirre Haar aus der Stirn.

»John, hast du dir überlegt, was du als nächstes tun willst?«

Er warf seinen Kopf zurück, um ihren Blick zu erwidern.

»In dieser Dillon-Sache,« fuhr sie fort. »Was werden dir all diese Nachforschungen einbringen?«

Ihre Augen ruhten einen Moment aufeinander; dann sagte er kühl: »Du fürchtest, ich werde meine Arbeit verlieren.«

Sie errötete wie ein Mädchen und murmelte: »Es ist nicht die Position, an der ich dich jemals sehen wollte.«

»Das weiß ich,« antwortete er in wärmerem Ton und umklammerte mit einer Hand die Sessellehne. »Ich hätte einen Beruf ergreifen sollen, wie mein Großvater ihn hatte; aber das Blut meines Vaters war zu mächtig in mir. Ich wäre niemals damit zufrieden gewesen, nur ein Arbeiter zu sein.«

»Wie kannst du deinen Vater einen Arbeiter nennen? Er hatte eine Begabung für die Mechanik, und wenn er länger gelebt hätte, wäre er auf seine Weise ebenso groß geworden wie irgend ein Politiker oder Anwalt.«

Amherst lächelte. »Größer, meiner Ansicht nach; aber er schenkte mir seine hart arbeitenden Hände ohne die Begabung, etwas mit ihnen zu erschaffen. Ich wünschte, ich hätte mehr von ihm geerbt – oder weniger; aber ich muss das Beste aus dem machen, was ich bin, anstatt zu versuchen, jemand anders zu sein.« Er legte ihre Hand zärtlich an seine Wange. »Es ist hart für dich, Mutter – aber du musst es mit mir tragen.«

»Ich habe nie geklagt, John; aber wo du nun deine Tätigkeit gewählt hast, möchte ich natürlich, dass du dabei bleibst.«

Er stand mit einer ungeduldigen Gebärde auf. »Keine Angst; ich könnte leicht einen anderen Job bekommen – –«

»Wie bitte? Wenn Truscomb dich auf die schwarze Liste setzt? Hast du diesen schottischen Aufseher vergessen, der hier war, als wir kamen?«

»Und den Truscomb aus dem Berufsstand hinaus jagte? Ich erinnere mich an ihn,« sagte Amherst grimmig; »aber ich habe so eine Ahnung, dass diesmal ich der Jäger sein werde.«

Seine Mutter seufzte, aber ihre Antwort wurde durch das geräuschvolle Öffnen der Haustür unterdrückt. Amherst schien den Klang mit Erleichterung zu hören. »Das ist Duplain,« sagte er in den Flur gehend; auf der Schwelle begegnete ihm allerdings nicht der junge Elsässer Aufseher, der bei ihnen logierte, sondern ein kleiner Junge, der atemlos hervorstieß: »Mr. Truscomb will, dass Sie 'mal 'rüber kommen.«

»Heute abend? Zum Büro?«

»Nein – er liegt krank im Bett.«

Das Blut stieg Amherst zu Kopf, und er musste seine Lippen aufeinander pressen, um einen Ausruf zu unterdrücken. »Sag ihm, ich werde kommen, so bald ich zu Abend gegessen habe,« sagte er.

Der Junge verschwand, und Amherst ging wieder in die Wohnstube. »Truscomb ist krank – er hat nach mir geschickt; und ich habe Mrs. Westmore heute abend ankommen sehen! Bring das Abendessen, Mutter – wir werden auf Duplain nicht warten!« Sein Gesicht glühte noch vor Aufregung, und seine Augen verdunkelten sich vor Konzentration auf sein inneres Schauen.

»Oh, John, John!« seufzte Mrs. Amherst, als sie den Flur zur Küche überquerte.


 


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