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Sein zu Stein erstarrtes Inneres wurde aufgerüttelt durch Empörung: Die Russen hatten tückisch das schuldlose Reich überfallen, retten mußte man die unbewachte Heimat. Empörend waren die Russen, welche die Rotekreuzfahne mit Absicht durch Bombenwürfe und Zerstörungsfeuer angriffen. Teuflisch waren die Millionen Russen, die absichtlich Seuchen einschleppten, die Brunnen vergifteten, und die vernichtet werden mußten, wenn etwas leben sollte und gut sein auf der geliebten Erde. So predigte man ihm. Alfred kehrte Anfang Februar zu seinem Regiment: zurück.
Ziemlich weit hinter der Stellung hatten die Einwohner eines Dorfes in einem Birkenwäldchen ihre Familien und ihr Vieh gesammelt, die Kinder schrien vor Kälte, denn sie konnten sich nur notdürftig nähren von den mitgeführten Vorräten, da die Bauern das Vieh durchaus nicht schlachten wollten. Die Tiere hörte man nachts brüllen und winseln, die Menschen lungerten elend dahin mit schwarzem Brot, nagten in der letzten Zeit an Rinden und schleimigen Flechten, erbettelten Brot und Konserven von den gutmütigen Soldaten. Doch wenn sie auch genährt waren, so konnten sie doch in diesem Zustande solche Kälte nicht mehr lange ertragen, der Haufen, der sich in der Nähe des Regiments herumtrieb, wurde rasch kleiner in der letzten Zeit.
Ein hübsches Mädchen, die siebenjährige Parascha, kam zu Alfred, hielt sich schwankend fest, um ihren linken Fuß aus Bastbündeln, Fetzen und Stricken hervorzuschälen. Alfred fand den Fuß schwarz, wohl von der den Bastschuh durchdringenden Erde getränkt.
Schon wollte Alfred das Kind abschütteln, abrollend in seinem Gehirn: Patient leicht fußmarod, Kommodschuhe erforderlich, so wie er es bei seinen Soldaten verordnete. Doch zur Vorsicht griff er den Fuß an, eiskaltes Fleisch blieb in seiner Hand. Ein verwestes Stückchen Mensch fiel ab vom leise knirschenden Knochen und der Schrei des Kindes heulte sehr stark. Alfred verband schnell den abgefrorenen Fuß, er wollte das Kind nach rückwärts bringen lassen, auf einem landesüblichen Wagen es in Stroh verpacken lassen, sogar gegen die Vorschrift militärische Kotzen dazu verwenden. Doch widersetzten sich die Eltern und Geschwister, selbst der zottelige Hund, alles drängte sich zu Alfred herein. Nach dem Verband zogen alle wieder ab. Alfred ging durch den Wald zur Stellung. Die Flüchtlinge sammelten sich in einer Waldblöße, unter Zweigen erschien groß der Kopf eines Rindes und durch das Unterholz kam ein fast nackter Knabe, der zwei nackte weiße Schweine herschleppte hinter sich.
Die herrlichste Beruhigung fand Alfred in dem Gedanken: das Ende ist gut. Das Ende ist zum Greifen nahe. Menschen werden den Krieg überleben. Allen Überlebenden wird man helfen nach dem Krieg. Die Menschen werden mit vielen Milliarden rüsten für die Menschlichkeit, man wird Kasernen bauen, Exerzierplätze mitten in Städten freimachen, um den Menschen zu drillen zum Mitleid zu sich selbst. Die Flüchtlinge hinter ihm zündeten Feuer an in sternheller Nacht, sie sammelten Zweige, sangen im leisen Chor, in schwebender Musik. Hell krachten niedere Bäume, gefrorenes Holz wurde mit der Axt gespalten.
Zwei Minuten nachher sauste Heulen vor, Trommeltriller, klirrend geschlagen, ein Explosionspunkt erschien rot leuchtend über dem Feuer, Schrapnellkugeln knackten in den Zweigen. Gleich darauf erfolgte der erste Granatentreffer, fünf Herzschläge, nachher der zweite, in gleicher Distanz weitere vier, der fünfte war ein Volltreffer. Die russischen Geschütze schossen.
Namenlosen Laut, nie gehörten, mußte Alfred hören. Das arme Kind, das eben verbunden, gleich wieder gelächelt hatte nach seinem Schmerzensschrei, den Unterleib durch die Kleider hindurch aufgerissen, das buntgewirkte Röckchen versengt, der Körper in Muskeln und Adern aufgeschnitten, die Därme bewegten sich noch und sprangen vor, unrettbar, unrettbar!
Einer sehr alten Frau war der Hinterkopf abgeschnitten, viele schrien und schlugen um sich und traten die Helfer mit Füßen. Andere lagen betäubt in dichtem Rauch, umwölkt von der Explosion, und Feuer entspann sich allmählich im bösen Wald.
Alfred und seine Leute waren allein bei Besinnung, man riß die Lebenden schnell fort, bettete sie in eine Schneemulde, bis endlich nach verstummtem Feuer der Mond hoch aufging in der menschlosen Nacht. Durch den Laufgraben brachte man die Verwundeten auf den Hilfsplatz. Von siebenundvierzig Zivilpersonen waren neun tot, darunter zwei Kinder, vierzehn Personen waren schwer oder leicht verwundet, das Vieh war unbeschädigt geblieben bis auf einen Stier, der sich ein Hörn bei der Flucht oder durch Verwundung abgebrochen hatte. Er fraß nicht. Am nächsten Morgen wurde ihm eine Kappe aufgesetzt, die einen eisernen Stachel enthielt. Mit der Rückseite eines Beiles wurde er wie eine Glocke angeschlagen und fiel sofort um. Man band ihm dann um die linke Vorderklaue einen Strick, ein Gehilfe stellte sich auf die Brust des auf dem Rücken liegenden Tieres, die Halsader wurde mit einem scharfen Bajonett angespießt, der Gehilfe trat auf der Brust und dem Leib hin und her, zog im Rhythmus an dem Vorderfuß und pumpte so dem Tiere das Blut heraus, das im hart wehenden Wintermorgen in Klumpen gefror.
So maschinenhaft das Tier auch da lag, schien doch noch süßes Leben in ihm. Wasser rann aus dem Auge, vielleicht war es Schnee von der Tanne, die über ihm stand und Schnee herabließ, durch das Schaukeln erschüttert.
Der Mund öffnete sich dem Tier, es bleckte die breite Zunge vor. Das sanfte Rot schmeichelte sich wie ein Lächeln um den schmerzlosen Tod.