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XVIII

Am nächsten Morgen wurde das Bataillon zurückgenommen, alle erholten sich schnell, drängten sich in Bauernstuben, aßen, tranken, schliefen. Soldaten saßen gebückt und reinigten Stiefel mit dem Taschenmesser, da der zähe Kot das Gehen erschwerte. Besonders lästig waren ihnen die Strupfen, Tuchstreifen zwischen Schuhe und Hose eingeknöpft, wo sich der Lehm fing. Fußmarode und Leichtkranke kamen sehr zahlreich zu Alfred, klagten über Schmerzen und zeigten Löcher von Handtellergröße, rotes, nacktes Fleisch, in das Furchen von Schuhbändchen eingegraben waren, doch hatten sie bis jetzt nichts von Schmerzen gefühlt, hatten bloß geschossen und geladen, waren marschiert hinter der riesigen Trainkolonne, manchmal über freies Feld, hatten Patronen gefaßt, Menage gegessen, gebückt über kaltem Geschirr, schlafend in Eile.

Nun lag Alfred, glücklich, mit Menschen beisammen zu leben Tag und Nacht, in einem Schulzimmer, gedeckt durch Wälder und Hügel, das Schießen war schon lange verstummt. Das Stroh wich unter ihm auseinander beim Schlafen, er mußte es binden durch Tücher oder den Mantel, dessen Ärmel man bauchwärts zusammenknotete. Und doch war die Nachtruhe unruhig, Alfred mußte erwachen, süßlich umwittert von Zigarettengeruch, einer der jüngeren Herren rauchte und flüsterte, er müsse schnell die Ratten vertreiben, die über die Wurst und den Speck gekommen seien. Doch außer dem Zischen der Zigarette, anziehend im tief schlürfenden Atmen, hörte man auch leises Weinen, herabgewürgt im halben Traum.

Morgens war gut die Fahrküche, schwarzer Kaffee in Zinntassen, und bitteren Zinngeruch hatte man den ganzen Tag auf der Zunge. Viele Offiziere schliefen, andere redeten unaufhörlich, doch nie von Kote 337, nie vom Gefecht, nie von Geschützen, die laut tobten von Mittag an, schießend bei besserer Sicht.

Ein Hauptmann erzählte: »Die Lebensmittelmagazine haben wir daraufhin sofort niedergebrannt, vierzig Kisten Streichhölzel, eine halbe Million Konserven oder so, und wie's schon raucht, kommt in aller Eile der Proviantleutnant zu mir, Tränen in den Augen: Um nichts ist mir leid, aber für eine Million Havannazigarren, da, Herr Hauptmann, schau die große Kiste, um die ist's doch ewig schade. Ich sag drauf: Nun, was gibst du mir, wenn ich sie dir abnehm? – Na, nimm sie doch nur, ohne Quittung, es wäre doch zu schade drum. – Na ja, sag ich, eine Million, das ist schon etwas, das könnt unsereins in seinem ganzen Leben nicht aufrauchen. Na, ich requiriere schnell einen Wagen, laß die Kisten hineinschupfen, dem Offiziersdiener stopf ich gleich den ganzen Rucksack voll, tatsächlich, es waren Havanna. Und jetzt dahin. Wie wir so gehen, kommt ein Honved daher, verwundet, beide Arme angeschossen, Gewehr futsch, natürlich, Rucksack futsch, nichts zum Essen, nichts zum Rauchen. Er schaut mich so an. Zum Essen hab' ich selber nichts gehabt, die Rüben haben wir aus der Erde gezerrt, roh, wie sie waren, mit der Erde und dem ganzen Schmutz, wo die Leute drüber herüber gestrampelt sind, und daher auch die Ruhr, versteht sich. Also zum Essen, tut mir leid, mein Bürscherl. Aber zum Rauchen, da, mein Honved, da eine und da noch eine und noch zwei in die Tasche. Das Gesicht! Daraufhin sagt er was ungarisch, aber ebensogut hätte er es chinesisch sagen können. Am nächsten Tag sehe ich wieder einen, der wickelt in ein altes, dreckiges Kuvert von seiner Braut Pfeifentabak hinein, das soll auch eine Zigarette werden. Ich auf ihn zu, hau es ihm nur so aus der Hand, und das liebliche Rauchzeug fällt auf die Erde. Der Kerl schaut mich an, du ganz gemeiner Knochen, denkt er sich. Ich aber, die Zigarren waren ja dazu da. Aber, wie gesagt, diesen Kaiserbirnschnaps hat mir meine Frau noch so ans Herz gelegt, also setz dich her, Oberleutnant, und du, Doktor, wie heißt du eigentlich, wir spielen jetzt Quodlibet!«

Nach einer Stunde, als zwei Flaschen Schnaps geleert waren und das Geschützfeuer immer stärker geworden war, eins mit dem Dröhnen des betrunkenen Gehirns, hörte Alfred: »Sag mal, Dawidowitsch, bist du auch musikalisch? Ich bin sehr musikalisch. Aber jetzt spielen wir ordentlich. Übrigens, unser Feldkurat, der Kommischristus, hat vorgestern sehr rührend gepredigt.«

Jetzt erschien die Ordonnanz vom Regimentskommando und brachte einen Befehl. Der Hauptmann mußte unterschreiben: »Nirgends hat man Ruh. Aufpacken und fort und dahin. Vorn bei dem Jägerhaus, zwischen der ungarischen Division und der Kavalleriebrigade, ist ein Loch. Überall ein Loch. Und wo ein Loch ist, müssen meine Leute hin. Also gut, da ist ein Loch. Aber dahier ist auch ein Loch.« Und ein großes Glas Schnaps zielte nach seinem großen, gutmütigen Mund.

Während des Marsches nachts freute sich Alfred an dem Knarren des Reitzeuges, wenn sein Sattelgurt den des Hauptmanns berührte. Der Hauptmann schlief beinahe. Die Steigbügel, mit Stroh umschnürt, knisterten leise. Elektrische Laternen wurden trotz des Verbotes auf kurze Zeit aufgeknipst. Das Licht schimmerte auf den Ringen des Saumzeuges, und einmal auch auf den Augen des Hauptmanns. Da trafen sich Augen, menschlich, verwandt, klingend in eine Musik.

Es regnete jetzt. Der Schritt des Bataillons, das trotz der Rast marschmüde war, klang hinter ihnen und neben ihnen wie das Sausen eines Treibriemens, getrieben in der Fabrik, ohne Gesicht und endlos. Alfred blieb Tag und Nacht beim Bataillonskommandanten, der sich tollkühn in den dünnen Schnee kniete. Beim Kommando: »Auf und Sprung vorwärts«, riß er den geschliffenen Säbel heraus, da spiegelte sich Schnee, fernes Wolkenlicht und Schatten von Alfreds Gestalt, denn er ließ Alfred nicht aus seiner Nähe, vorausahnend Böses.

Am dritten Tage (der sechste Sturm in drei Tagen war geplant) traf eine Kugel des Hauptmanns linkes Auge. Schwärzend den Backenknochen, hatte ein Streifschuß die gläserne Vorderwand des Auges fortgerissen. Böser Wille? Niemand kannte den Hauptmann, der niedergesunken war, niemand kannte Alfred, der bei ihm stand und weinte.

Er hielt die Hand auf die Brust des Offiziers, auf der eine dicke Ledertasche mit den Kompagniegeldern lag, sah die starre Brust eingekrümmt von Schmerz. Der Notverband sollte sofort angelegt werden, die Sanitätspatrouille war zugegen, die eigenen Leute, die den Hauptmann sehr liebten, kamen mit großer Lebensgefahr während des Feuerüberfalls zu ihm. Der Hauptmann war wieder ganz wach, aber wie von Sinnen, fuhr mit der Hand zwischen die Bindenzügel, hinderte die Helfenden am Werk; auf dem Verband war schwarzer Schleim, auch Erde. Es war mehr als Verlust des Auges, das war Gefahr des Lebens, drohte Alfred, aber der Hauptmann flüsterte nur: »Laßt mich doch endlich in Ruh, weg mit dem blöden Verbandzeug, wo steht jetzt die Infanterie, was ist mit dem Telephon, her mit dem Telephonkorporal, der Maschinengewehrkommandant zu mir.«

Das Auge sank kraterförmig ein, hoch gerötet wie eine Kirsche. Der Hauptmann blieb auf seinem Posten, der Feuerüberfall wurde überstanden, der Angriff wurde abgewehrt, der Gegenangriff brachte Geländegewinn, das Bataillonskommando wurde übergeben an den rangältesten Subalternoffizier, der bei ihm blieb bis Abend, während rings das Gelände verödete, Karren vorbeizogen mit Rollen Stacheldraht für die neue Stellung, und Wolken lagen schwarz am Horizont. Während der Feuerpause sank der Hauptmann zusammen, am schlaff ohnmächtigen Haupte wurde nachts der Verband angelegt, der Hauptmann beiseite geschafft, wiegend über höckrige Schollen und geneigten Boden trug Alfred selbst den menschlichen Freund dahin. Als er spät nachts zurückkehrte, war schon für ihn eine kleine Höhle hergerichtet, in der gebückt er kaltgewordene Speisen aß. Die Pferde waren vorgenommen, standen in einer kleinen Mulde hinter ihm, wieherten ihn aus dem Schlafe, stampften ohne Ruhe in der Kälte, sie hatten bloß Zeltblätter auf dem Rücken, da die Wärter sich in die Pferdedecken gehüllt hatten. Die Zeltblätter froren im Novemberwind und glitten immer wieder von ihren Rücken herab. In mondheller Nacht schlich sich Alfred zu den Tieren, die gegürtet bereit standen, den Tränkeimer an der Schulter, die leere Säbelscheide des Hauptmanns funkelte an der Flanke seines Pferdes. Die Augen des Pferdes glimmerten matt, über den Augen senkten sich im Takt tiefe Gruben beim Kauen und Mahlen, die Nüstern waren in einen Hafersack gesenkt, der dunkler wurde unter der wühlenden Feuchtigkeit des Maules.

In dieses Stück Tuch sich zu verwandeln, träumte Alfred, erwärmt um etwas Lebendes sich zu schmiegen, er selbst leblos, besinnungslos.


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