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»Halte endlich die Klappe oder mach, daß du fortkommst«, schrie Mrs. Polly Smith verzweifelt und erbost, indem sie vor dem Spiegel heftig mit dem Fuß stampfte.
Sie war eben im Begriff, zu dem übrigen kostbaren Schmuck ein Paar ebenso kostbarer Ohrgehänge anzulegen, als ihr die Geduld riß, weil der semmelblonde, dickliche Mr. Smith seit einer halben Stunde mit schiefem Kopf und gespitzten Lippen in einem Fauteuil lümmelte und bald einen einzelnen Ton, bald eine ganze Tonleiter vor sich hinpfiff.
»Was ist dir schon wieder nicht recht?« fuhr er auf, und seine pathetische, ölige Stimme bebte vor Empörung. »Willst du den Künstler in mir wirklich ganz töten? Soll das köstliche Geschenk der göttlichen Musik, das mir in die Wiege gelegt wurde, verkümmern und verderben, weil du leider keinen Sinn dafür hast?«
»Nimm den Mund nicht so voll«, gab sie gereizt zurück, »denn deine albernen Redensarten verfangen bei mir nicht. Verkümmern und verderben würdest du, wenn du von deiner göttlichen Musik leben müßtest. Wenn einer ein zweibeiniges Geschöpf um sich haben will, das den ganzen Tag piepst und trällert, so kauft er sich einen Kanarienvogel oder einen Zeisig. Nur ihr Musikanten macht so ein Wesen aus der Geschichte, weil ihr sonst zu nichts zu gebrauchen seid . . .«
»Das sagst du mir«, empörte sich Mr. Smith, »der ich bereits mit sechs Jahren Konzerte gegeben habe?« Aber Mrs. Smith hob ungerührt die stark gepuderten, bloßen Schultern.
»Wenn du mit sechs Jahren, anstatt Konzerte zu geben, wie andere gesunde und vernünftige Kinder in der Nase gebohrt hättest, so wäre vielleicht etwas aus dir geworden. So aber lungerst du den ganzen Tag müßig herum und malträtierst einem die Ohren.«
»Malträtierst einem die Ohren . . .!« Seine Stimme überschlug sich, und sein Blick war so verschwommen, als ob er durch eine dicke Schicht von Aspik käme. »Weil man ständig übt, um das Gedächtnis aufzufrischen und auf der Höhe zu bleiben. Wenn ich daran denke, wie man mich in Amerika gefeiert hat . . .«
Er gab dem bequemen Fauteuil einen Tritt, legte den Kopf schief, maß Mrs. Smith mit einem vernichtenden, glasigen Blick und ging wiegenden Schrittes ab.
Mrs. Smith legte befriedigt das zweite Ohrgehänge an und fühlte sich einigermaßen erleichtert. Die schlechte Laune, unter der sie seit einigen Tagen litt, kam daher, daß ihr Freund ihr untreu geworden war, und so wenig eine derartige Episode in dem bewegten Leben von Mrs. Polly früher bedeutet hatte, jetzt war das immerhin eine unangenehme Sache. Nicht, daß Mrs. Smith gerade sentimental veranlagt gewesen wäre und sich auf den einen kapriziert hätte, aber einen Freund mußte man haben, wenn man mit Mr. Smith verheiratet war. Dessen Lebens- und Gefühlsäußerungen beschränkten sich lediglich auf Essen, Trinken, Schlafen und Musizieren. Ein Grammophon mit Pfeif- und Flüsterplatten hätten den gleichen Zweck erfüllt, ohne so anspruchsvoll zu sein. Für Mrs. Polly bedeutete dieser Gatte allerdings keine sonderliche Enttäuschung. Sie hatte den musikbesessenen Mann geheiratet, als sie entschlossen war, sich ins bürgerliche Leben zurückzuziehen und hier ihren regen und tüchtigen Erwerbssinn zu betätigen.
Schließlich und endlich war eine Tanzbar mit entsprechender Aufmachung auch eine Art Kunstetablissement und noch dazu eines, mit dem man Geld verdienen konnte.
Nur in der allerersten Zeit war es zu einem kleinen Zwischenfall gekommen, den Mr. Smith verursacht hatte. Um dem Unternehmen seiner Frau eine besondere Note zu geben, hatte er sich entschlossen, in das Programm einige wertvolle musikalische Nummern aufzunehmen, die er selbst am Klavier zum Vortrag bringen wollte.
Nach der ersten Viertelstunde aber erscholl hier und dort ein energisches Räuspern, und von irgendwoher erklang sogar ein schriller Pfiff, nach weiteren fünf Minuten setzte ein allgemeines Trampeln ein, und als der weltentrückte Mr. Smith auch diese bedenklichen Sturmzeichen überhörte, kamen nach weiteren fünf Minuten zuerst Bananen und dann plötzlich Gläser und Flaschen geflogen . . .
Seit jenem Tage mied Mr. Smith das Lokal und überließ es seiner Frau, hier den Ton anzugeben. Mrs. Polly tat dies in großer Abendtoilette und mit sehr viel Takt und Umsicht. Sie war eine große, schlanke Brünette von einigen vierzig Jahren, die sich bei diskreter Beleuchtung noch immer sehen lassen konnte, und wenn sie hie und da einmal in das Tanzparkett hinabstieg, stellte sie selbst weit jüngere Frauen in den Schatten. Von einer der kleinen, völlig abgeschlossenen Logen aus überwachte sie Nacht für Nacht den Betrieb, und ihr Freund hatte ihr über dieses ewige Einerlei bisher hinweggeholfen.
Nun allerdings waren für die vereinsamte Frau diese Nächte eine Qual, und der unternehmende Mr. Bayford hätte für die Zwecke, die er im Auge hatte, keinen günstigeren Zeitpunkt finden können.
Er erschien in seiner vornehmen Hagerkeit etwas vor elf Uhr und schlenderte gelassen zwischen den Tischen hindurch, um nach Ferguson Ausschau zu halten. Als er ihn nirgends entdecken konnte, stieg er die kleine Treppe zu dem Logengang hinauf und stand nach wenigen Schritten vor Mrs. Smith, die eben die Portiere ihrer Loge zurückschlug.
Einige Augenblicke später saß Bayford mit Mrs. Smith an der Logenbrüstung und warf einen flüchtigen Blick auf das Getriebe im Barraum. Das Tanzparkett war ziemlich geräumig, vermochte aber die Paare doch kaum zu fassen, und auch die Tische waren dicht besetzt.
»Sie haben die gesamte Konkurrenz geschlagen, und ich kann das verstehen«, stellte er anerkennend fest, um vorsichtig auf jene Sache zu kommen, die ihn eigentlich hergeführt hatte. »Es ist hier wirklich dafür gesorgt, daß alle Sinne auf ihre Rechnung kommen: Der märchenhafte Rahmen mit der stimmungsvollen Beleuchtung, das bunte Menschengemisch aus aller Welt, die diskrete und doch so aufreizende Musik –«
»Die schönen Frauen . . .«, flocht Mrs. Smith mit einem schalkhaften Lächeln nachträglich ein, aber Mr. Bayford sah sie seltsam an und legte seine Hand leicht auf ihre Rechte.
»Dafür hat man in Ihrer Nähe kein Auge«, entgegnete er leise, und Mrs. Polly war so verwirrt, daß sie ganz vergaß, ihm die Hand zu entziehen. Aber dann fand sie doch, daß Mr. Bayford etwas zu stürmisch ins Zeug ging und sah verlegen zur Seite.
»Wie gefällt Ihnen die Rote?« fragte sie hastig, um über den erregenden Augenblick, der ihr noch zu verfrüht schien, hinwegzukommen, und Bayford folgte mit höflicher Gleichgültigkeit ihrem Blick.
Im Arme eines zu eleganten Mannes mit glänzendem dunklem Scheitel tanzte unter ihnen eben ein Mädchen vorüber, ganz dazu angetan, selbst in diesem Milieu sofort die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Ein Körper von vollendeten Formen, schmiegsam und federnd, die Haut von blendender Frische und jede Bewegung von wunderbarer Grazie. Dazu das sinnliche Rot des einfachen, aber geschmackvollen Kleides und unter dem glatt anliegenden Turban, der das Haar völlig verdeckte, ein Paar große, seltsam schillernde Augen, die bald den Tänzer anblitzten, bald herausfordernd nach links und rechts flogen. Das Gesicht fein geschnitten, aber von einer gewissen Frechheit des Ausdrucks, der durch die leicht vibrierenden Nasenflügel, vor allem aber durch die aufdringliche Schminke noch unterstrichen wurde.
»Nun?« forschte Mrs. Smith mit etwas spitzem Munde, da Bayford die Erscheinung nun doch etwas länger verfolgte, als dies ihr notwendig erschien, aber dieser wandte sich ihr mit einem unbefangenen Lächeln zu und begann umständlich sein Monokel zu putzen.
»Anscheinend eine sehr draufgängerische Halbweltdame«, stellte er leichthin fest, und Mrs. Polly schien von dem Urteil befriedigt zu sein.
»Wie überhaupt das meiste, was Sie hier sehen«, erklärte sie mit einem, leichten Achselzucken. »Leider. Aber man kann sich sein Publikum nicht aussuchen. Übrigens« – sie beugte sich etwas näher zu ihm und dämpfte ihre Stimme zu einem vertraulichen Flüstern – »dürfte sich das Schicksal der Roten rasch erfüllen, denn sie ist in üble Hände geraten. Der Mann, mit dem sie am meisten tanzt, hat einen auffallend großen Verbrauch an Frauen, die dann alle plötzlich von der Bildfläche verschwinden. Die Rote ist ungefähr bereits die zehnte innerhalb von wenigen Wochen, an die er sich herangemacht hat, und man munkelt natürlich allerlei . . .«
Sie drückte sich nicht näher aus, sondern beschränkte sich auf einen vielsagenden Blick, aber Mr. Bayford verstand sie sofort und klemmte mit besonderer Sorgfalt das Glas wieder ins Auge. Mrs. Smith hatte ihm soeben das Stichwort gegeben, dessen er bedurfte, und er konnte nun das Eisen schmieden.
»Schließlich ein Geschäft wie jedes andere. Nur ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage, den man nicht allzu sentimental oder philiströs beurteilen darf. Zumeist handelt es sich ja ohnehin um Existenzen, die früher oder später so oder so unter die Räder kommen würden. Vielleicht geraten manche dieser Wesen dadurch sogar in weit bessere Verhältnisse, als sie sie früher gekannt haben. Vom Standpunkt der landläufigen Moral betrachtet, ist die Geschichte natürlich schrecklich, aber wie viele andere Geschäfte sind ebenso unmoralisch, ohne daß darum solche ein Lärm gemacht würde! – Jedenfalls verdient der Mann nach dem, was Sie mir gesagt haben, seine zweihunderttausend französische Francs im Jahr . . .«
»Zweihunderttausend Francs . . .!« entfuhr es der erstaunten Mrs. Polly, und der Herr mit dem Monokel nickte gelassen. Mrs. Polly saß starr und stumm, und ihre Finger spielten nervös mit den blitzenden Ringen. Sie war eine so geschäftstüchtige Frau, daß sie von Geld nicht hören konnte, ohne sofort Berechnungen anzustellen, und die Zahlen, die Mr. Bayford eben so ganz beiläufig genannt hatte, machten ihr den Kopf ordentlich wirbelig. Sie mußte einige Male an ihrem Sektglas nippen, um mit dem interessanten Rechenexempel fertig zu werden, und das Ergebnis machte sie etwas ungerecht und undankbar.
»Ein besseres Geschäft als eine Bar«, lispelte sie mit einem leichten Seufzer und einem ratlosen Blick auf Bayford, der ihr recht gab.
»Allerdings . . . Aber eine Bar, die sich auch auf diese – sagen wir Vermittlung – verlegen würde, wäre natürlich ein noch weit einträglicheres Unternehmen. – Ganz abgesehen davon, daß sie das Material nicht erst mühsam hier und dort zusammensuchen müßte, sondern in reichster Auswahl ständig bei der Hand hätte, könnte sie auch . . .«
Der Herr mit dem Monokel brach seine interessanten theoretischen Erwägungen zur größten Enttäuschung von Mrs. Smith mitten im Satze ab, um lebhaft in das Parkett zu winken.
»Wenn Sie gestatten, bringe ich also Ferguson herauf«, wandte er sich dann verbindlich an Mrs. Polly, und diese nickte mit einem etwas zerstreuten Lächeln. Sie war eine kluge, feinhörige Frau, und Bayfords Andeutungen hatten bei ihr eine verständnisvolle Aufnahme gefunden.
Sie kannte den Mann nicht näher und wußte nicht, welche Geschäfte er betrieb, aber jedenfalls spielte er eine gewisse gesellschaftliche Rolle und verfügte über die notwendigen Mittel hierzu. Das war für Mrs. Smith die Hauptsache. Sie war von einer unersättlichen Geldgier besessen, die sich in ihrem Betrieb in Wucherpreisen und in ihrem Haushalt in kleinlichem Geiz äußerte. Der arme Mr. Smith war auf ein Taschengeld angewiesen, das das Einkommen eines kleinen Angestellten kaum überstieg, und selbst Mrs. Polly wunderte sich zuweilen, wie er bei seinen Ansprüchen damit sein Auskommen finden konnte. Aber das war schließlich seine Sache. Mrs. Smith mußte vor allem für ihr Alter sorgen, und dafür schien ihr kein Betrag ausreichend.
»Ich habe den Köder bereits ausgeworfen«, sagte unten Bayford zu seinem verdrießlich dreinschauenden Teilhaber, »und ich glaube, sie hängt auch schon daran. Nun lasse ich sie zappeln, und dann werden wir ja sehen. Du hast bei der Sache nichts anderes zu tun, als den Mund zu halten und deine Visage in liebenswürdige Falten zu legen.«