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Über die Zeiten des Vereinigten Landtags und der Revolution setzen wir uns rasch hinweg und springen mitten in die heilige Stadt Köln, wo eben der Dom am 14. August 1848 seinen sechshundertjährigen Geburtstag feiert.
Große Erinnerungen ließ dies Ereignis zurück und manchen erhabenen Schnupfen. In der Tat, die Kölner konnten sagen, daß sie für ihren König zwar nicht ins Feuer gegangen seien, wohl aber ins Wasser.
Gab es je ein trefflicheres Regenwetter als das, welches den Tag verherrlichte, wo der Protektor des Doms, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, und der Erzherzog Reichsverweser die riesige Säulenhalle gemeinschaftlich besuchten? In die konstitutionellen Könige der Erde vertieft, hatte das Volk die absoluten Monarchen des Himmels vergessen, den Wolkenversammler Zeus, der, ärgerlich darüber, plötzlich seine Schleusen öffnete und die gottvergessene Menge in so nachdrücklicher Weise von aller Unsauberkeit reinigte, daß wirklich an den meisten Menschen kein einziger sündhafter Zoll mehr zu waschen übrigblieb.
Man muß gestehen, das Schicksal hat den Göttern nicht nur den Nektar gegeben, sondern auch das Regenwasser, und das letztere in so großer Menge, daß es ihnen eben nicht darauf ankommt, sich gerade dann ihres Überflusses zu entledigen, wenn die armen trocknen Menschenkinder des Befeuchtens am allerwenigsten bedürfen.
Leider sollte ich dem berühmten Festregen der Dombautage eben nicht aus einem sicheren Versteck zusehen. Tollkühn genug hatte ich mich gerade vor das Portal des Domes gepflanzt, fest entschlossen, meinen Posten zu behaupten, denn ich sollte ja auf drei Schritt den Reichsverweser sehen und den König – ich muß gestehen, ich befand mich in einer eigentümlich schwarzweiß und schwarz-rot-golden gemischten Stimmung. Der Regen floß hinab; ich stand wie eine Mauer. Ich habe da zum ersten Male für einen König gelitten; ich bin stolz darauf.
Ich wartete eine halbe Stunde, im Regen nämlich. Ein Verliebter kann nur so töricht sein oder jemand, der einen König sehen will. Weder der König noch der Reichsverweser wollte indes aus dem Dome hinaus ins Freie treten.
So gequält von banger Erwartung und gepeitscht vom Regen, legte ich mich auf den süßen Zeitvertreib des Gedankenspiels. Ist der König von Preußen nicht wirklich ein vortrefflicher König? Ja, wahrhaftig, er ist es! Wenn je ein Fürst rücksichtsvoll und artig mit einer Stadt verfuhr, so war es Friedrich Wilhelm. War ich nicht selbst dabei, als ihm die guten Kölner in ihrer Naivität einst zur Karnevalszeit eine bunte Schellenkappe überreichten? Gott weiß, wie man zu dieser Kühnheit kam! Ein Nero oder ein Tiberius würde uns gleich haben köpfen lassen – Friedrich Wilhelm nahm die Narrenkappe aber lächelnd entgegen, und seit der Zeit bin ich fest davon überzeugt, daß er ein geistreicher Mann und kein Nero ist – –
Die kölnischen Funken setzen ihre Schellenkappen eigentlich nie ab, das ganze Jahr hindurch klingelt es ihnen in den Ohren wie Römergeklirr und »0 Jerum! O Jerum!« Man ist verraten und verkauft, wenn man mit diesen Leuten in ernster Weise anbinden will. Der Spaß ist der Grundzug ihres Charakters, und dieser Spaß kitzelt sie auch bei jeder Gelegenheit, die ganze Welt existiert nur für sie, damit Späße darüber gerissen werden. Ein Kölner ist mit seinem alten holprigen Köln so liebend verwachsen wie ein Großvater mit seinem Schlafrock. Ein humoristischer Großvater und ein humoristischer Schlafrock. Ein Kölner ist ganz unglücklich, wenn er nicht außer seinem Karneval jedes Jahr wenigstens zwei oder drei recht gründliche Feste in seinen Mauern feiert. Ein Musikfest, der Empfang eines hohen Geistlichen oder eines Künstlers, eine Erinnerungsfeier vergangener Herrlichkeit, ein politisches Fest, die Ankunft des neuen Weißen, ein Bockessen usw., man ist wahrhaftig nicht verlegen um irgendeinen denkwürdigen Gegenstand. Für alle möglichen Feierlichkeiten ist man vorbereitet. Wenigstens zwei- oder dreimal im Jahre läutet man zu irgendeiner Feier mit allen Glocken und mit allen Römergläsern; wenigstens zwei- oder dreimal schießt man aus Kanonen und Böllern und läßt Raketen aufsteigen und steckt die Giebel der Häuser voll Fahnen und schmückt die Türen mit Eichenlaub und die eignen Rücken mit Sonntagsröcken; wenigstens zwei- oder dreimal öffnet man die Kirchen, damit alle Welt die lieblichen Heiligenbilder sehe, und läßt die Wirtshäuser wagenweit offenstehen, damit jeder Fremde sich davon überzeuge, wie die Kölner so fromme und so lustige Leute sind; wenigstens zwei- oder dreimal läßt man die Lokalgrößen ihre wundervollsten Reden halten, die Mädchen und Frauen ihre schönsten Kleider spazierenführen, alle Stadtmusikanten zu irgendeinem stillen Vergnügen ihre Waldhörner blasen, und zwei- oder dreimal im Jahre läßt man den alten Gürzenich bis in seine basaltenen Grundfesten zittern von dem Tanz oder dem Gelage seiner heitersten Bürger. So war es bisher, und so wird es in Zukunft sein; der Feste wird es geben in Köln, solange Groß-Martin und der Bayenturm in den Rhein schauen und solange über dem Rhein das alte Banner weht mit den drei Kronen und den elf Funken und den Farben Weiß und Rot, die gewissermaßen das Sinnbild des vielen weißen und roten Weines sind, der in Köln getrunken wird.
So mit Erinnerungen spielend und zitternd vor Nässe und süßer Erwartung, mochte ich eine halbe Stunde im furchtbarsten Gedränge gestanden haben, da entstand vor der Türe des Domes eine unruhige Bewegung; die Mäuler flüsterten, die Hälse reckten sich, die Regenschirme wurden geschlossen, und Federbüsche und lange Schnurrbärte und kriegerische Figuren nickten in den Domhof hinaus.
Voran der Erzherzog Reichsverweser und der König von Preußen. Der Reichsverweser ist ein kleiner alter Mann mit gutmütigem Gesichte und mit großem kahlem Schädel. In der Tat, dieser ernste Schädel hängt über dem freundlichen Antlitz wie ein Gletscher über einem friedlichen Alpentale. Der alte Herr nahm sich ganz liebenswürdig in dem grauen Soldatenmäntelchen aus; nach der frommen Hitze des Domes schien es ihn in der feuchten Außenwelt zu frösteln; er hielt die Krempe des Mantels fest aneinander und trippelte vorsichtig über die glatten Steine. Wenn ich nicht den tiefsten Respekt vor dem Reichsverweser hätte, so glaube ich, daß mir das Lachen näher gewesen wäre als das Weinen. Es ist nämlich ein Fehler meiner Einbildungskraft, daß ich mir einen Kaiser oder einen Reichsverweser noch immer wenigstens 7 Fuß hoch denke, mit furchtbaren Lenden, breiter Brust, schrecklichem Barte – mit einem Worte, ein Kaiser mußte meiner Meinung nach ein Eisenfresser sein, ein Mann, der bei jedem Ritt ein oder zwei Hengste zuschanden reitet, der die Türken lebendig frißt und, allezeit Mehrer des Reiches, mit einem Säbel über das Pflaster rasselt, bei dem einem alle Schrecken des Jüngsten Gerichtes einfallen. Wie freute ich mich daher, als ich das friedliche Antlitz des alten Johann erblickte. Es wurde mir ganz familiär zumute, ich würde den Hut vom Kopfe gerissen und ihn bewillkommend geschwenkt haben, wenn nicht meine Hände in den Taschen gesessen hätten und dergestalt von meinen schaulustigen Nachbarn zusammengepreßt worden wären, daß nur eine Herzensregung nicht zu den Unmöglichkeiten gehörte und an ein Schwingen des Hutes vollends gar nicht zu denken war.
Se. Majestät den König von Preußen kannte ich schon von früher. Er ist noch immer derselbe wohlaussehende Mann mit den jugendlich roten Wangen und dem pfiffigen Lächeln. Manche meiner Nachbarn behaupteten freilich, er sei etwas mager geworden, man sähe Spuren der Sorge und der Betrübnis in seinen Zügen und sein Auge strahle nicht mehr so volksvertrauend wie früher – –
Ich muß gestehen, ich halte diese Ansicht für grundfalsch. Ich habe noch nie eine so heitere Majestät gesehen – und ist nicht alle Ursache dazu vorhanden, geht nicht alles nach Wunsch? »Es lebe der König!« rief ich, und ich mäßigte erst meinen Jubel, als einige alte Generäle mit grausenerregenden Gesichtern den beiden Fürsten auf dem Fuße folgten und mich mit so komischen Augen ansahen, als merkten sie trotz meiner loyalen Jubelausbrüche einigen Unrat und als wollten sie sagen: »Kerl, du bist doch ein Kryptorepublikaner, und der Teufel soll dich holen!« – – Da saßen die Fürsten in der Tiefe des schützenden Wagens, und hinter ihnen her wogte das Volk, lange Gymnasiasten und duftende Hofräte, Flegel vom Lande und gebildete Städter, Soldaten und Handwerker, Gemüseweiber und Taschendiebe, und in dem steinernen Laubgewinde des Domes fingen die Glocken an zu brummen und zu summen gleich riesigen Käfern in den Zweigen einer Linde, und unter Lachen und Fluchen, unter Boxen, Beten, Grunzen und Hurrarufen stürzte der Strom der Menge in die Gassen hinunter, daß man seinen besten Feinden auf die Hühneraugen trat und an den Wänden der Häuser hinaufzufliegen meinte vor lauter Lust und Begeisterung.
Wer weiß, wie weit ich mit fortgerissen wäre, wenn nicht ein seltsames Ereignis meine Schritte aufgehalten hätte. An einer der nächsten Straßenecken hatte nämlich auf dem Rand einer Treppe ein fliegender Buchhändler Posto gefaßt. Wenig kehrten sich die vorüberstürzenden Fremden an den armen Gesellen. Da rollte plötzlich eine brillante Karosse hart an der Treppe vorüber; der Junge erhebt seine Bilder und Zeitungen, und »Fortsetzung von Schnapphahnski! Fortsetzung des Ritters Schnapphahnski!« schreit er, und der Wagen hält, und empor richtet sich ein eleganter, hübscher Mann, der sich über den Wagenschlag hinaus in die Straße biegt. Das Wort »Schnapphahnski« scheint ihn zum Stutzen gebracht zu haben; rasch greift er in die Tasche und wirft dem frohen Buchhändler ein Geldstück in den Hut; noch hastiger streckt er die Hand nach der gekauften Zeitung aus, und wie er das Blatt auseinanderfaltet und hinunter auf den Titel des Feuilletons blickt, da schrickt er zusammen und – aber die Rosse schlagen schon wieder aufs Pflaster, und der Wagen rollt weiter, und verschwunden ist der schöne Fremde, und »Fortsetzung von Schnapphahnski! Fortsetzung des Ritters Schnapphahnski!« beginnt der Junge von neuem, und tönend verliert sich sein Ruf in dem Getöse der Gassen.
In den Kölner Straßen wurde an jenem Tage die »Neue Rheinische Zeitung« verkauft. Als Feuilletonaufsatz enthielt sie ein Kapitel aus dem »Leben und den Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski«.