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Der Ritter stand vor der Herzogin, und zierlich bog er sich hinab, ihre Hand zu küssen. Der Handkuß ist die beste Ouvertüre zu dem Gespräch mit einer Dame. Die Adligen kultivieren den Handkuß – wir Bürgerlichen höchstens die Kußhand. Die Adligen haben den Handkuß vor uns voraus; es gibt nichts Passenderes und Graziöseres, als einer schönen Dame passend und graziös die Hand zu küssen. Während sich die Dame majestätisch emporrichtet und den Kopf in den seligen Nacken wirft, daß die kohlschwarzen Locken wie verliebte Schlangen um den alabasternen Hals flattern: beugt der Ritter seinen untertänigen Rücken und drückt den Kuß auf die zierliche, souveräne Rechte, höfliche Grüße winselnd, süße Beteuerungen und galante Lügen. Gibt es etwas Liebenswürdigeres als den Handkuß? Wenn man mit der Hand anfängt, wer weiß, wo man aufhört! Als Ritter Schnapphahnski der Herzogin Hand geküßt hatte, hob er sich langsam empor und ließ die erwartungsvolle Dame in ein Antlitz schauen, auf dem der Reiz der jugendlichsten Schüchternheit sich so geschickt mit der Frivolität der Erfahrung zu vereinigen wußte, daß der Herzogin unwillkürlich ein Seufzer entfuhr, wie sie ihn lange nicht geseufzt hatte, einer jener Seufzer, für die man gern eine Million gibt, für die man sich in Fetzen schießen läßt, für die man tausend Eide schwört, aber auch tausend Eide bricht!
Aus ihren besten Zeiten hatte sich die Herzogin diesen Seufzer aufbewahrt. Herr von Schnapphahnski erschrak ordentlich, daß die Herzogin noch so natürlich seufzen könne, und schnell die Hand aufs Herz legend, fragte er in so naivem Tone als nur irgend möglich: »Gilt dieser Seufzer Ihnen oder mir, gnädige Frau? Ihnen kann er unmöglich gelten, denn in heiterer Hoheit sehe ich Sie vor mir thronen, erhaben über allen Seufzern, über jenen Lauten des Schmerzes und der Sehnsucht, die nur mir gehören – ja, gnädige Frau, Ihr Seufzer gehörte mir, er war mein Seufzer, er war die Huldigung, mit der ich Ihnen nahte, mit der ich mich über die Seufzerbrücke des Lebens zu Ihnen hinüberrettete!«
»Jedenfalls weiß dieser Schnapphahnski seine Phrasen abscheulich zu verdrechseln«, sagte der Baron, indem er den Grafen mehr in die Tiefe des Gemaches zog. Doch der Ritter war bereits im besten Zuge: »Am ersten Tage«, fuhr er fort, »lachte Gott und machte das Licht; am zweiten wurde er noch heiterer und schuf den Himmel. Am dritten Tage wurde er ernst und trocken und schuf die trockne solide Erde; doch am vierten wurde er phantastisch und erfand den Mond und die Sterne, und am fünften wandelte ihn endlich der Humor an, und er erschuf, was sich regt in den Höhn und den Tiefen – am sechsten Tage seufzte er aber und erfand den Menschen, er erfand die Liebe, und seit Jahrtausenden weht nun dieser Schöpfungsseufzer des sechsten Tages durch die Herzen aller Erschaffenen, einem ewigen Echo gleich, das von einer Seele zu der andern widertönt, immer neue Töne schaffend, Töne der Freude und Töne des Schmerzes, harmonische und herzzerreißende.«
»Es ist schade, daß der Ritter kein Pastor wurde«, murmelte der Baron in das Ohr des Grafen. »Sehn Sie nur, wie er gestikuliert: wie ein verrückt gewordener Telegraf! Hat man je etwas Tolleres erlebt?«
Die Herzogin hatte sich indes aufmerksamer emporgerichtet. Sie warf den roten Kaschmirschal in geheimnisvollere Falten, und dem Ritter das adlige Profil zeigend, den Handschuh der zierlichen Hand und den kleinen Fuß, erwiderte sie mit freundlichem Lächeln:
»Aber, in der Tat, Herr Ritter, Sie führen eine wahre Seufzerkonversation; Sie müssen entsetzlich unglücklich sein –«
»Entsetzlich! gnädige Frau –«
»Aber geistreiche Leute sollten nie unglücklich sein; wenigstens sollten sie nie so sehr an ihrem Glück verzweifeln, daß sie sich länger als einen Tag lang ärgerten oder ennuyierten. – Sagen Sie mir aufrichtig, Herr Ritter, sind Sie seit gestern unglücklich oder seit heute?«
»Seit zehn Minuten, gnädige Frau!« Der Ritter faltete die Hände und sah die Herzogin mit schwärmerischen Augen an. Die Herzogin hätte tausend Louisdor darum gegeben, wenn es ihr möglich gewesen wäre, in diesem Augenblick leise zu erröten.
»Sehn Sie nur, wie er wedelt und scharwenzelt«, murmelte der Graf. – »Wie ein junger Hund vor einer alten Katze«, erwiderte der Baron. – »Ich hätte ihn nie für einen so großen Komödianten gehalten.« – »Er hat sich zehn Jahre lang jeden Tag vor dem Spiegel im Gestikulieren geübt.« – »Es ist gar kein Zweifel mehr, daß er die Herzogin erobert.« – »Gott sei gedankt, so erobere ich die vier Hengste!« – Graf und Baron zogen sich etwas zurück, und unser Schnapphahnski fuhr fort, seine Liebesleiden so rührend zu entwickeln wie noch nie ein Ritter vor ihm.
Mit jeder Sekunde wurde seine Beredsamkeit blumenreicher und ergreifender; seine Worte galoppierten wie geflügelte Rosse über die Hindernisse der kitzlichsten aller Unterredungen. Wie ein Dichter in dem windstillen Raume seines Studierzimmers sich so lebhaft in den fürchterlichsten Sturm auf offener See versetzen kann, daß er während der Schilderung desselben unwillkürlich nach dem Kopfe greift, um den Hut festzuhalten, so wußte Herr von Schnapphahnski in der Nähe einer fast sechzigjährigen Dame derart die Gegenwart eines blutjungen unschuldigen Kindes heraufzubeschwören, daß er wahre Wunder der Naivität beging und die Herzogin unwillkürlich in den Strudel der süßesten Liebesraserei mit sich fortriß.
»Unglücklich bin ich«, rief der Ritter, »unglücklich geworden seit zehn Minuten, weil ich noch daran verzweifeln muß, ob ich je wieder glücklich werde. Eine Rose fand ich – darf ich sie brechen? Eine Perle fand ich – darf ich sie an meine Brust drücken?« –
Ähnliche Phrasen entschlüpften dem Ritter zu Dutzenden. Die Herzogin gestand sich, daß sie schon viel dummes Zeug im Leben gehört habe, gewiß aber nicht so viele verliebte Schnörkel, wie sie der Ritter in Zeit von einer halben Stunde produzierte.
»Reisen Sie, Ritter! Suchen Sie Trost und Zerstreuung auf Reisen –«
»Gnädige Frau, verstoßen Sie mich nicht.«
»Jagen Sie, Ritter! Suchen Sie Zerstreuung auf der Jagd –«
»Gnädige Frau, verjagen Sie mich nicht.«
»Treiben Sie Künste und Wissenschaften, Ritter, zerstreuen Sie sich!«
»Lassen Sie mich das nicht in der Kunst suchen, was ich im Leben vor mir habe –«
So dauerte die Unterredung fort, und immer schwärmerischer schaute der Ritter auf die Dame, und immer entzückter blickte die Dame auf den Ritter.
Doch ich kann von meinen Freunden nicht erwarten, daß sie die Liebesduselei zweier alter Sünder bis zu Ende lesen sollen. Das Geschwätz zweier Liebender ist unter allen Umständen langweilig, und wenn auch eine Konversation wie die der Herzogin und des Ritters schon ihrer Heuchelei wegen interessanter ist als eine wirkliche, aufrichtige, jugendliche Aventüre, so bleiben die mehr oder weniger abgedroschenen Phrasen doch immer dieselben. »Der süße Gram« und die »holde Not« machen sich in schlecht stilisierten Briefen und in erbärmlichen Redefloskeln Luft, und die Faseleien der Liebe sind unerträglich. Erst da wird die Liebe interessant, wo sie rein sinnlich auftritt. Die sinnlichen Engel auf Erden sind ganz leidliche und interessante Geschöpfe, aber die geschlechtslosen Engel im Himmel wollen wir dem lieben Gott überlassen.
Alle Leute, heißt es in unsern Manuskripten, die seinerzeit auf dem Schlosse des Grafen anwesend waren und die Manöver des Ritters der Herzogin gegenüber zu beobachten Gelegenheit hatten, meinten vor Lachen zu sterben. Der Ritter betrug sich wie der sentimentalste Affe, und er führte diese Rolle mit einer solchen Konsequenz durch, daß die Herzogin sich immer mehr täuschen ließ und wunderbarerweise zuletzt gar nicht mehr daran zweifelte, daß der Ritter ihr mit demselben Verlangen entgegeneilte, wie sie sich zu ihm hinübersehnte. Die Herzogin gestand sich, daß sie noch nie so geliebt worden sei. Alle ihre Jugendträume kehrten wieder; alles, was sie genossen, wurde aufs neue bei ihr lebendig. Sie glaubte sich in jene Tage zurückversetzt, wo einst die Blüte der französischen Jugend zu ihren Füßen lag, und in der Gestalt unseres Ritters erschienen ihr alle Männer, von denen sie Liebes erfuhr. Dem Ritter war es gelungen, was ihm der Graf als die schwierigste Aufgabe geschildert hatte. Es war ihm gelungen, die Jugend der Herzogin in ihr Alter zurückzuzaubern.
Als der Ritter aber soweit gelangt war, da kannte die Dankbarkeit der Herzogin keine Grenzen mehr. Wäre es Schnapphahnskis Wunsch gewesen: sie hätte wirklich mit Freuden ihre Schlösser in Brand gesteckt und ihre Demanten ins Meer geschleudert. Diese Dankbarkeit der alten, unverwüstlichen Dame soll etwas Rührendes gehabt haben. In dem abscheulichen Gewirr der Lügen, der Heuchelei, der widerwärtigsten Eitelkeit und der schamlosesten Intrigen tauchte diese Dankbarkeit, dem geschmolzenen Gold in seinen Schlacken ähnlich, als das einzig erquickliche Gefühl auf und versöhnte gewissermaßen das Bizarre und Ekelerregende des ganzen Umgangs.
Auf unsern Ritter wirkte dies zurück. Zum ersten Male in seinem Leben schämte er sich. Er hatte zu sehr gesiegt, um sich nicht zu schämen. Aus der ersten, unnatürlichen Annäherung wurde ein jahrelanges, zärtliches Verhältnis.
Nach dem Besuch auf dem Landsitze des Grafen kehrte damals die Herzogin nach ihrem Schlosse zurück, und es verstand sich von selbst, daß sie unsern Ritter mitnahm. Es erfolgte nun ein Zusammenleben, das man unmöglich hinlänglich beschreiben kann. Ein griechischer Kultus wird eingerichtet; die Herzogin läßt die Badegrotte mit asiatischem Luxus neu möblieren, und hier weilen die Liebenden halbe Tage lang.
Odysseus und Kalypso.
»Also geschah's; da sank die Sonne, und Dunkel erhob sich.
Beide gingen zur Kammer der schöngewölbten Grotte
Und genossen der Lieb und ruheten nebeneinander.«
Todmüde und nach Luft schnappend, zieht sich der Ritter endlich nach seinem Gute zurück. Aber hierhin folgt ihm die Schöne, voll ungestillten Verlangens, in Mannskleidern – – –
Groß wie der Dienst war auch schließlich der Lohn. Auf einen Schlag erhält der Ritter 200 000 Taler.