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Komisch würde es sich ausnehmen, wenn man auf unsern heutigen Bühnen bei hellem, lichtem Tage Theater spielen wollte. Unter der ganzen gemalten Herrlichkeit würde das Eselsohr der Wirklichkeit hervorschauen. Blumen und Bäume würden ihren Glanz verlieren, und Salons und prächtige Hallen würden zu wahren Ställen und schofeln Korridoren hinabsinken. Auch die Künstler würden sich ganz anders ausnehmen. Unter einem Almaviva würde man trotz der besten Maske den Herrn Meyer erkennen, Marquis Posa käme als Herr Fischer zum Vorschein, und so würde man einen jeden an seinen Blatternarben erkennen, an seinem schlechten Schnurrbart oder an irgendeiner andern Vernachlässigung der Schöpfung, und der Herr Direktor würde bald vergebens sein Haus zu füllen suchen.
Wie es dem Direktor mit dem Theater geht, so ging es mir mit der Herzogin von S. Meine letzten Schilderungen würden ebenfalls hübscher geworden sein, wenn ich sie bei Lampenlicht hätte geben können. Aber nur in trocknen Worten, bei unzweifelhaftem Tageslichte mußte ich die Schönheiten jener hohen Dame zergliedern; da half kein Bitten und kein Flehen, die Sache wollte nun einmal beschrieben sein, so oder so, jedenfalls aber gemäß der Wahrheit, und leider mußte ich gehorchen. Meine Leser werden bemerkt haben, daß dies nur mit großem Widerstreben geschah, ich zog die Sache soviel wie möglich in die Länge und würde mich durch das Zwischenschieben anderer, fremdartiger Geschichten wohl noch länger dagegen gesträubt haben, wenn mich mein Gewissen nicht daran erinnert hätte, daß es besser sei, lieber um kein Haar breit von meinem Texte abzuweichen und allein der Wahrheit die Ehre zu geben.
Ich blieb bei der Wahrheit, und ich war deshalb zehnmal weniger interessant, als wenn ich die Göttin der Lüge umarmt hätte. Wahrheit und Lüge! Die Göttin der Wahrheit ist wie ein sechs Fuß hohes Mädchen mit blonden Haaren und mit kaltem, aber schneeweißem Teint. Aus zwei großen blauen Augen, die wie zwei Himmel in ruhig heiterer Herrlichkeit zu dir niederlächeln, schaut dich die Seele der reinen, keuschen Göttin so unbefangen und doch so feierlich an, daß du nur schüchtern zu nahen wagst, um ihr höchstens die Stirn zu küssen, die hohe olympische Stirn, und dann eines Befehles zu harren in banger Unterwürfigkeit, den langen, lieben, langweiligen Tag. Es geht uns mit der Wahrheit wie Cupido mit den sämtlichen Musen. Ich entsinne mich nämlich gelesen zu haben, sagt Meister Alcofribas, daß einst Cupido, den seine Mutter Venus frug, warum er nicht die Musen anfiel, zur Antwort gab, er fände sie so schön, rein, ehrbar, sittsam und stets beschäftigt, die eine mit Betrachtung der Sterne, die andere mit Berechnung der Zahlen, die dritte mit geometrischen Maßen, die vierte mit rednerischer Erfindung, die fünfte mit poetischen Künsten, die sechste mit Musikbesetzung usw., daß er, wenn er zu ihnen käme, seinen Bogen abspannte, den Köcher zuschlöß und die Fackel verlöschte, aus Scham und Scheu, ihnen weh zu tun.
Auch nähme er sich die Binde von den Augen, sie offenen Angesichts zu schauen, ihre artigen Lieder und Oden zu hören: dies wäre ihm die größte Lust der Welt, so daß er sich öfters schier verzückt fühle in ihrer Anmut und Lieblichkeit, ja in der Harmonie entschliefe, geschweige, daß er sie überfallen oder von ihren Studien sollte abziehen. – So geht es uns denn auch mit der Wahrheit.
Oh, wie anders ist es mit der Lüge! Die Göttin der Lüge oder der Phantasie, wenn ihr sie lieber so nennen wollt, ist nicht wie die der Wahrheit ihre sechs Fuß hoch; sie trägt auch keine blonden Haare – nein, eine kleine schwarz- oder braungelockte Person ist sie, südlich dunkler Gesichtsfarbe, mit schelmischem Rosenmund und so verführerisch zierlich an Taille, Händen und Füßen, daß man wirklich gleich auf allerlei Irrwege geraten würde, wenn die beiden feurigen Augen der Kleinen nicht so sehnsüchtig verlangten, daß man sich taumelnd in ihnen verlöre wie eine Mücke im flammenden Lichte. Ruhig nicht und ernst ist die reizende Göttin, nein, sie ist lebendig, beweglich, sie tanzt und singt und schmückt ihre Locken mit lustigen Blumen, lachend und weinend, wie es ihr gerade einfällt, und immer bleibt sie graziös. Der Wahrheit mußt du huldigen wie einer Königin, und was sie dir gibt, das gibt sie dir auf Gnade. Nicht so die Phantasie. Statt ihr nachzulaufen, läuft sie mitunter dir nach, und bist du ein hübscher Junge, da besucht sie dich in den Nächten des Frühlings und schlingt ihre weichen Arme um deinen Nacken und küßt dich, und am Morgen wachst du verwundert auf. Die nackte Wahrheit ist eine englische Ehefrau; die schöne Lüge eine französische Grisette.
Doch zurück zu Schnapphahnski!
Es war die höchste Zeit, daß unser Ritter in seinen Unternehmungen reüssierte; er siegte noch gerade zur rechten Zeit über die Herzogin; ihre Großmut konnte ihn noch retten. Die bedeutenden Besitzungen der Schnapphahnskischen Familie im östreichischen Schlesien sollten nämlich öffentlich verkauft werden, da der Ritter nicht mehr imstande war, sie zu halten. Schon war der Versteigerungstermin bestimmt, und ein Bevollmächtigter des K. von H. präsentierte sich, um die enorme Besitzung zu erstehen. Da trat jene Wendung in dem Leben unseres Ritters ein ... Die Herzogin von S. schwärmte für Schnapphahnski, und kein Opfer war ihr zu groß, um dem unglücklichen Manne zu helfen.
Durch ihren Einfluß wußte sie es dahin zu bringen, daß der K. von H. seinen Bevollmächtigten zurückzog und die Idee des Kaufes fahrenließ. – Andere Bieter waren bei der ungemeinen Beträchtlichkeit der Herrschaft nicht zu fürchten und nicht vorhanden, und die Herzogin gab dann dem Ritter 200 000 Taler, damit er die ganze Geschichte halten konnte. Hiermit nicht zufrieden, veranlaßte der Ritter seine Gönnerin außerdem noch, nach und nach die Hypotheken, welche auf den andern Gütern lasteten, abzulösen und so mit seinen bedeutendsten Schulden tabula rasa zu machen – unser Freund war einer der Glücklichsten unter der Sonne.
Ihr erinnert euch jener Sage von einem verwünschten Schlosse? Disteln und Dornen waren hoch um die alten Mauern gewachsen und bildeten mit den efeuberankten Bäumen des Waldes einen undurchdringlichen Kranz, der die ganze Feste einschloß. Totenstille herrschte in dem prächtigen Raume. Auf dem Hofe schlummerten Hunde und Katzen; regungslos standen im Stalle die edlen Rosse, eben noch bedient von rüstigen Knechten, die plötzlich bei der Arbeit eingeschlafen waren und mit halb geschlossenen Augen träumerisch an den Krippen lehnten.
In der Küche nickten Koch und Küchenjunge, und da und dort saßen die andern Dienstboten, alle wie vom Schlage gerührt. In den Hallen des Saales ruhten aber auf weichen Polstern: Herren und Damen, beim Bankett vom Schlafe überrascht, die Becher noch in den Händen, mit gesenkten Häuptern.
Kurz, alle lebenden Wesen des Schlosses, von den Helden des Saales an bis zu der Fliege an der Wand, waren behext und vom Zauber berückt, und schlafen würden sie vielleicht noch heute, wenn sich nicht einst ein jugendlicher Ritter mit dem Schwerte Bahn durch die Disteln und Dornen geschlagen hätte und keck hinein in den verwünschten Raum gedrungen wäre.
Er sah sich verwundert um, und er begriff, daß dieser Zauber nur auf ganz eigentümliche Weise gelöst werden könne, wochenlang hätte er die Herren und die Diener rütteln und schütteln können: sie würden doch nicht wach geworden sein. Er schritt daher die Wendeltreppe des Turmes hinauf, und als er hoch oben in ein kleines Gemach trat, da fand er auf weiche Kissen hingegossen: die schönste Jungfrau. Die Locken ruhten neben dem lieblichen Köpfchen, und die Lippen leuchteten in rosiger Frische.
Entzückt war der Ritter, und lange schwelgte er in dem seligen Anblick. Als er sich aber genug erquickt hatte, da bog er sich hinab, und es verstand sich von selbst, daß er die Schöne mitten auf ihren roten Mund küßte – da war der Zauber gelöst!
Im Hofe erwachten Hunde und Katzen; im Stall die Rosse samt ihren Knechten; in der Küche fuhr Koch und Küchenjunge empor, und erwachend reckten die übrigen Dienstboten ihre steif gewordenen Glieder. Die Herren und Damen des Saales regten sich nicht minder: sie fuhren in ihrem Bankett fort und ahnten kaum, daß sie ein paar hundert Jahre lang geschlafen hatten. Kurz, alles wurde lebendig, von den Helden des Saales an bis zu der Fliege an der Wand, denn oben im Erker küßte der Ritter die Jungfrau, und vom Traume erwachend, sank sie liebesseufzend an seine Brust.
Gelehrte Leute behaupten, der ganze Zauber rühre von dem Stich einer Spindel her und nur durch einen Kuß könne so etwas wiedergutgemacht werden – –
Ich weiß nicht, wie es darum steht, soviel ist aber gewiß, daß die Umarmung des Ritters Schnapphahnski und der Herzogin von S. denselben Einfluß auf die verschuldeten Güter des erstem hatte wie der Kuß des Ritters der Sage und der schlafenden Jungfrau auf das verwünschte Waldschloß. Der Kuß des Ritters entzauberte das Schloß; die Umarmung unseres Schnapphahnski enthypothezierte seine sämtlichen Besitzungen.
Wie die Rosse des Waldschlosses froh in die Luft hinauswieherten, daß endlich der Spuk gelöst sei, so huben sich auch die Merinomutterschafe und Böcke der Schnapphahnskischen Güter freudig empor und blökten ihrem schuldenfreien Herrn ein lustiges Willkommen.
Schnapphahnski hatte keine Schulden mehr.
Jeder, der einmal Schulden hatte, wird die Seligkeit dieses Gefühles zu begreifen wissen. Schulden gehören zu den unangenehmsten Rückerinnerungen; Schulden sind gewissermaßen der Katzenjammer längst verrauschter Genüsse. Alle dummen Streiche, die wir im Leben begingen, treten in den steifen Ziffern unserer Schulden noch einmal ärgerlich vor unser Gedächtnis, und mit widerlichen Grimassen grinst die Vergangenheit in unsere Gegenwart herein.
Das Schlimmste bei den Schulden ist indes, daß wir mit den Schulden Gläubiger bekommen! Diese ernsten, mürrischen Leute, die uns auf der Straße mit Nasenrümpfen anschauen, die schon in der goldenen Frühe an unsere Tür pochen, um uns all ihren Jammer vorzuleiern, ja, die uns gar bei der Arbeit überraschen, wenn wir mit den höchsten Weltinteressen beschäftigt sind, um uns von dem Sinai unserer Gedanken in das tote Meer ihrer kleinbürgerlichen Misere hinabzuziehen – oh, es ist entsetzlich!
Aber das ist die Ironie des Schicksals, daß schon mancher Titane, der für das Heil der Menschheit schwärmte, nicht einmal seine Hosen bezahlen konnte – –
Mensch, mache keine Schulden! Ein Gläubiger ist erboster als eine Hornisse, beständiger wie der Teufel und langweiliger als ein Engel.
Mit dem Bezahlen der Schnapphahnskischen Schulden glaubte die Herzogin indes, noch nicht genug getan zu haben. Vor allen Dingen wollte sie ihm wieder Bahn in die Berliner Gesellschaft brechen. Nur eine Herzogin von S. konnte eine solche Aufgabe übernehmen. Eine Frau, die alle Intrigen des Ancien régime und der Revolution kannte, die alle Wechselfälle des Kaiserreichs, der Restauration und der Dynastie mit durchgemacht hatte, schrak vor nichts zurück. Imponierend durch ihre Kühnheit, durch ihre Erfahrung und durch ihren kolossalen Reichtum, sehen wir sie zugleich mit unserem Ritter in Berlin auftreten. Die alten Feinde Schnapphahnskis regen sich an hundert Orten; aber ohnmächtig sind sie gegen die Energie der Herzogin; die heillosesten Geschichten ihres Freundes werden zu den liebenswürdigsten Abenteuern; Haß, Spott, Gelächter: alles weiß sie zu besiegen. In einer Audienz bei dem Gespiel ihrer Jugend weiß sie Schnapphahnskis Zulassung zu den höchsten Kreisen durchzusetzen. Der Ritter wird wieder »möglich«, er faßt Fuß, er bekommt eine Stellung und – muß geduldet werden.
Schnapphahnskis politische Laufbahn beginnt.