Georg Weerth
Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski
Georg Weerth

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XV.

Der Baron

Der Graf hatte alles aufgeboten, um die Herzogin glänzend zu empfangen. Vor allen Dingen hatte er für die Gesellschaft der hervorragendsten Häupter des benachbarten Adels gesorgt, die entweder für einige Tage bei ihrem Wirte verweilten oder am Abend von ihren Landsitzen zu der Wohnung des Grafen hinübereilten, um sich dann erst spät in der Nacht wieder zu entfernen. Baron von ... war einer von den Gästen, die immer nur wenige Stunden blieben. – Er war ein Fünfundvierziger und ein hoher, breitschultriger, robuster Mann, mit braunem Schnurrbart und einem Backenbart, der in wilden Büscheln bis hoch hinauf auf die Wangen wuchs. Nase, Füße und Hände des Barons waren sehr gewöhnlich; zwei große lebendige Augen verliehen ihm aber einiges Interesse. In seinen Manieren war der Baron im höchsten Grade ungeschlacht; die geräumigsten Zimmer waren zu klein für seine grotesken Bewegungen; er zerbrach bei jeder Soiree einige Tassen, einen Stuhl oder irgendein anderes unschuldiges Möbel, so daß seine Freunde ihn ein für allemal als den kostspieligsten Gast bezeichneten. Im Gespräche war der Baron sehr verständlich; er führte die undiplomatischsten Redensarten und drückte sich sogar sehr derb aus, wenn er in Eifer geriet. Nichtsdestoweniger war er bei den Damen gern gesehn, denn der Baron war jedenfalls eine zu ehrliche Erscheinung, als daß man ihm hätte zürnen sollen. Er ließ sich auch so willig von den jungen Komtessen an der Nase herumführen, daß man ihm schon der komischen Szenen wegen, zu denen er Veranlassung gab, mit Freuden alle Extravaganzen verzieh. Schrecklich blieb er freilich für die meisten Damen durch den mehr als pikanten Duft des Pferdestalles, den er fortwährend in seinen Kleidern trug. Die Röcke und Beinkleider des adligen Herrn waren dergestalt von diesem durchdringenden Parfüm gesättigt, daß die Fürstin X. einst ohnmächtig wurde, als sie den Baron näher beroch. Ein wahrer Kampf entspann sich zwischen der Atmosphäre des Salons und der Atmosphäre des Stalls, wenn der Baron zur Türe hineintrat, und Fürstin X. behauptete, sie glaube auch jedesmal nichts anderes, als daß ein leibhaftiger vierfüßiger Hengst hereinspaziere. Das Eigentümliche und Charakteristische des Barons hatte sich aus seiner täglichen Beschäftigung, aus seinem stündlichen Umgang entwickelt. Der Baron war nämlich nicht nur ein leidenschaftlicher und ausgezeichneter Reiter, sondern er trieb auch in eigner Person den bedeutendsten Roßhandel. Besonderes Vergnügen machte es ihm stets, von wahrhaft fabelhaften Gewinsten zu erzählen, die er bei seinem Schacher realisiert zu haben meinte. Kein Roßkamm, versicherte er, habe ihn je betrogen; er sei dagegen der Mann, der alle Welt überliste, und halbtot wollte er sich oft über diesen und jenen Israeliten lachen, den er bei dem letzten Geschäft hintergangen zu haben vorgab. Gut unterrichtete Freunde wußten indes besser, wie es mit der Liebhaberei des Barons aussah. Sie hatten meistens schon selbst davon profitiert und hüteten sich wohl, ihren enthusiastischen Bekannten in seinen Illusionen zu stören. Sie wußten, daß der Baron nur der Lust des Kaufens und Verkaufens wegen den Roßhandel trieb und daß er sich wenig daraus machte, wenn die Summe seiner Verluste jährlich einen nicht unbeträchtlichen Ausfall in seinen sonstigen Revenuen hervorbrachte. Vor allen andern zeichnete sich der Baron als Mitglied eines Reitjagdklubs aus, der nach englischem Muster bei dem schlesischen Adel viel Furore machte. Dieser Klub existierte nur für den Adel und für wenige auserlesene Bürgerliche; er sollte die Freuden des Reitens und der Jagd miteinander verbinden, »um die preußische Jugend wieder zu stählen«.

Dieses »Stählens« bedurfte der Baron freilich nicht, denn trotz mancher Ausschweifungen mit den Landschönheiten seiner Umgebung führte er im ganzen ein sehr regelmäßiges Leben und konservierte seinen eisernen Körper. Er stand morgens mit der Sonne auf und schlief deswegen auch abends im Salon, in der besten Gesellschaft, oft laut schnarchend auf seinem Stuhle ein. In den von den Landräten ausgeschriebenen Kreisversammlungen, die in Schlesien gewöhnlich aus 50 adligen Gutsbesitzern und aus nur 6 oder 8 bürgerlichen und bäuerlichen Deputierten bestehen, fehlte der Baron selten. Noch pünktlicher fand er sich indes auf den in allen benachbarten Orten regelmäßig statthabenden Wochenmärkten ein; nicht nur, um Pferdehandel zu treiben und als Schafzüchter seine Wolle an den Mann zu bringen, sondern namentlich der Annehmlichkeit wegen, viele Leute seines Gelichters beim Trunk oder Spiel zusammen anzutreffen. Diese Wochenmärkte bildeten für den schlesischen Adel lange Zeit einen besuchteren Sammelplatz als die gegen das Ende der dreißiger Jahre gestifteten Adelsreunionen, die zuerst nach den Freiheitskriegen auftauchten, dann aber für einige Jahre wieder verschwanden. Die Krone aller Vergnügungen war für den Baron der jährlich gleich nach Pfingsten stattfindende große Wollmarkt in Breslau. Es ist hinlänglich bekannt, daß der ganze schafzüchtende schlesische Adel um diese Zeit nach der Hauptstadt der Provinz pilgert. Der Baron war von jeher einer der hervorragendsten Besucher dieses Marktes. Er schlug bei solchen Gelegenheiten mehr Geld tot als jeder andere, und es war ihm schon mehr als einmal passiert, daß er eine gehörige Portion Schulden machte, statt einen Haufen Geldes für die verkaufte Wolle mit nach Hause zurückzubringen. Außer dem unvermeidlichen Pferde- und Wollhandel trieb der Baron auch noch die Runkelrübenkultur und die Schnapsbrennerei, so daß er also in seiner Person fast alle »nobeln Passionen« des schlesischen Landadels vereinigte.

Diesen robusten schafzüchtenden und schnapsbrennenden Edelmann finden wir als bestes Pendant zu seinem Wirte, dem in Bädern und großen Städten frühzeitig zerrütteten und entnervten Grafen: in der Gesellschaft einer durch ihre Liederlichkeit weltgeschichtlich gewordenen Herzogin v. S. und eines Ritters Schnapphahnski. Der Baron legitimierte sich zu solchem Umgange durch seinen uralten Adel und durch sein kolossales Vermögen.

Wie meine Leser wissen, war die Herzogin bereits auf dem Landsitze des Grafen angekommen. Zu ermüdet und zu ängstlich, sich gleich den Blicken vieler ihr noch unbekannter Leute auszusetzen, hatte sie aber am ersten Abend ihre Gemächer noch nicht verlassen wollen, so daß also Ritter Schnapphahnski abermals 24 Stunden in der peinlichsten Erwartung zubringen mußte.

Wie sie es stets in Schlössern tat, deren Einrichtung ihr noch nicht geläufig war, hatte die Herzogin auch dieses Mal vor ihrem Erscheinen erst mit dem Grafen in betreff der Beleuchtung des Salons Rücksprache genommen. Es war dies einer der wichtigsten Punkte für die Herzogin. Sie befand sich nämlich in der umgekehrten Lage wie weiland der selige Peter Schlemihl. Der arme Schlemihl hatte keine Schattenseite; die arme Herzogin hatte deren zu viele. Wenn Schlemihl daher seinen Freund Bendel voranschickte, um die Beleuchtung zu arrangieren, daß ihn alle Lichter trafen, so befahl die Herzogin dem Grafen, die Sache so einzurichten, daß sie möglicherweise von keinem getroffen werde. Der Graf war in die Geheimnisse der herzoglichen Toilette eingeweiht, und er leitete denn auch alles in so umfassender Weise, daß die Konstellation der Lampen am nächsten Abend die günstigste werden mußte.

Von der Nacht, die der Ritter und die Herzogin vor ihrem ersten Zusammentreffen zubrachten, kann man sich leicht eine Idee machen, während ihre Körper noch durch kalte Mauern getrennt waren, schlangen sich ihre Seelen schon ineinander und führten jenen lustigen Tanz der Träume auf, jenen Elfentanz der Gedanken, den alle Liebenden kennen.

Oh, das ist der Teufel, daß wir von dem Ziele unserer Wünsche oft nur durch eine Mauer getrennt sind, durch eine Bretterwand, durch einen Vorhang. Wir hören ihn seufzen und lachen und husten und singen: den Gegenstand unserer Verehrung. Aber die Mauer steht wie eine Mauer vor unserm Glück; die Welt unserer Sehnsucht ist mit Brettern vernagelt, und der Vorhang bleibt verhängt. Während die Dame unsres Herzens vielleicht von uns träumt und gebrochenen Lautes die seltsamsten Worte murmelt und mit den nackten kleinen Füßen in des Bettes Linnen wühlt und die weißen Arme emporstreckt, um ihren Traum zu ergreifen und ihn festzuhalten und an die Brust zu drücken mit Tränen und Küssen – ja, während unser ganzes Sein aufgeht in dem ihrigen: müssen wir vielleicht mit kalten Beinen bei einer Tasse schwarzen Kaffees sitzen, um über eine Zivilklage nachzudenken, über ein philosophisches Problem oder dergleichen Lappalien.

Aber alles das liegt an der schlechten Bauart unserer Häuser und an der schlechten Bauart unserer schlechten Gesellschaft. Wie in Menagerien leben wir in Käfigen und in Vogelbauern. Die Löwen verlernen das Brüllen, die Adler das Fliegen und die Nachtigallen das Singen. Unser halbes Leben verstreicht mit nichtsnutziger Arbeit, bei unbefriedigter Sehnsucht. Aus Titanen werden Philister und aus himmlischen Huris: hysterische alte Jungfern. Zu erbärmlichen, rücksichtsvollen Pedanten hat uns die gute Sitte gemacht, zu rechten Geizhälsen, die ihre Schätze so lange konservieren, bis sie rostig und schimmelig sind. Wir faseln wie der König Salomo, als er siebzig Jahr war, und meinen wir, etwas Neues gesagt oder getan zu haben, da war es doch nur altes, abgetakeltes Zeug, was die Griechen schon besser sagten und taten als wir, was längst im Homeros steht, zugänglich für jeden Tertianer.

Ach, nach Kaffee riechen wir, nach Wolle, nach alten Büchern und nach schmutzigen Akten – nur nicht nach Menschen! Schöne Kerls sind wir. Wenn die alten Götter noch leben, so werden sie sich hübsch über uns mokieren, daß wir mit all unserm Scharfsinn, mit unserer immensen Klugheit doch nur so züchtige Krämer geworden sind, so zahme Tagelöhner. Throne werfen wir um und jagen die armen Könige übers Meer, aber unsern sittsamen Zopf, den Rattenschwanz des Aberwitzes, behalten wir im Nacken. Möchte uns das Schicksal daran erhängen!

Oh, es ist Zeit, daß ihr die Mauern einrennt und die Bretterwände zerschlagt und die Vorhänge zerreißt. Wie die Kinder sollt ihr wieder werden – die Kinder nennen sich du und du und betrügen sich selten und lachen miteinander und weinen und küssen sich und schlafen sorglos in einem Bette, und die Kinder sind die einzigen vernünftigen Menschen auf Erden.


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