Georg Weerth
Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski
Georg Weerth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Die Huldigung

Es ging Herrn von Schnapphahnski wie den jungen Katzen, die sechsmal aus der Dachrinne in die Straße hinunterpurzeln können, ohne den Hals zu brechen. Unser Ritter besaß wirklich vor allem andern die Eigenschaft, daß er ein unbeschreiblich zähes Leben hatte.

Nach so fatalen Niederlagen, wie sie unser Held in München und Wien erfuhr, würde jeder andere Mensch nach Indien, nach Amerika oder nach einem Eiland des Stillen Ozeans gereist sein. Nur ein Schnapphahnski durfte noch hoffen, auch an einem andern Orte eine Rolle spielen zu können.

Der Ritter konnte sich gratulieren, daß er deutscher Abkunft war, oder eigentlich wasserpolackischer. Wäre er als Pariser oder Londoner einmal in recht Schnapphahnskischer Weise durch gefallen, so würde er sich schwerlich so schnell wieder erholt haben. Bei den vielen Höfen des deutschen Vaterlandes wußte sich der erfinderische Mann aber schon eher zu retten, und Gott weiß es, zu welchen verwünschten Prinzessen er sich noch hinabgelassen hätte, wenn nicht um die Mitte des Jahres 1840 durch den Tod eines großen Monarchen plötzlich so viele Hindernisse für unsern Helden aus dem Wege geräumt worden wären, daß er schnell wieder den Plan aufgab, sich einstweilen nur in den mehr verborgenen Sphären des germanischen Adels herumzutreiben, und es abermals wagen zu können glaubte, sogar in Berlin sein holdes Antlitz von neuem sehen zu lassen. Sollte man es glauben? Schnapphahnski wieder in Berlin! – Man wird über die Keckheit unseres Helden lachen, wenn man bedenkt, wie schmählich er das dortige Feld einst räumen mußte. Wurde nicht das Abenteuer aus O. in Schlesien und das Duell aus Troppau noch manchmal bei Hofe erzählt? Lächelte nicht Carlotta noch immer so selig von der Bühne hinab in das Parkett, wo der Adonis der Garde stand, und wußte man nicht noch allerwärts die rührende Geschichte jener armen Tänzerin, die sich geradeso großmütig von des Ritters Diamanten trennte, wie der Ritter die Tänzerin ungroßmütig im Stiche ließ? Aber alles das machte nichts. Der Ritter war davon überzeugt, daß noch etwas aus ihm werden könne. Sein gewaltigster Feind war dahin; neue Gesichter verdrängten die alten, und unser Held hätte nicht Schnapphahnski heißen müssen, wenn er nicht versucht hätte, die Wendung der Dinge auch für sich zu exploitieren. Keck setzte er den Fuß wieder in das Berliner Leben.

Schnapphahnski mußte etwas wagen, denn er hatte drei Sachen nötig, drei Dinge, die man ungern im Leben zu entbehren pflegt. Unser Ritter bedurfte des Vergnügens, der Ehre und des Geldes; nach dem letzteren sehnte er sich am meisten. Für das Vergnügen war in Berlin schon gesorgt; Ehre konnte der Umschwung der politischen Zustände mit sich bringen; mit dem Gelde sah es am schlimmsten aus, und kopfschüttelnd dachte unser Ritter bisweilen an das alte Sprichwort: »Wo Geld ist, da ist der Teufel; aber wo keins ist, da ist er zweimal.«

Über die Geldverhältnisse unseres Helden finden wir in den schon erwähnten Dokumenten die genauesten und wichtigsten Aufschlüsse. Wir würden unserm Freunde gern die Demütigungen ersparen, so vor allem Volke seine Tasche umzukehren. Leider sehen wir uns aber gewissermaßen dazu gezwungen, denn die spätern Liebesabenteuer unsers Ritters stehen in so genauem Zusammenhange mit seinem Beutel, daß wir wirklich das eine nicht ohne das andere schildern können.

»Die in der Wasserpolackei gelegenen Güter Schnapphahnskis«, heißt es in unsern Notizen, »waren fast gänzlich ertraglos, da enorme Schulden auf ihnen lasteten, Schulden, die dadurch täglich stiegen, daß der edle Ritter auch nicht im entferntesten nur soviel Einkünfte besaß, als zur Bezahlung der Hypothekenzinsen nötig waren. Der Vater Schnapphahnskis schaffte sich einen Teil dieser Schuldenlast auf höchst geniale Weise vom Halse, indem er sich seinerzeit freiwillig interdizieren ließ. Die Güter gingen durch dieses Manöver auf den damals noch blutjungen Ritter über, der die Schulden des Vaters nicht bezahlte, da Majorate nicht angreifbar sind und selbst auf die Revenuen derselben nur so lange an den Gläubigern gerechter Anspruch gemacht werden kann, als der eigentliche Schuldner Herr des Majorates ist.

Durch dieses feine Finanzkunststück der Familie Schnapphahnski war zwar mit den Schulden großenteils tabula rasa gemacht und manche bürgerliche Kanaille ruiniert worden. Aus Mangel an jedem Betriebskapitale gerieten indes die Güter sehr bald wieder in die alte Lage. Alle ihre Einkünfte wurden abermals verpfändet, und der ganze Besitz war wiederum von Hypotheken erdrückt. An und für sich sind die Einkünfte dieser Güter sehr bedeutend.

»Tzztzztzzt« – hier trägt das Manuskript einen unaussprechlich schönen wasserpolackischen Namen, den wir dem Scharfsinn unserer Leser zu buchstabieren überlassen – also, »an und für sich sind die Einkünfte dieser Güter sehr bedeutend. Tzztzztzzt hat in ganz Deutschland die beste Zucht von Merinomutterschafen und Böcken.« – Ich bitte meine freundlichen Leserinnen, höchst aufmerksam zu sein, da meine Skizzen über Herrn von Schnapphahnski in diesem Augenblicke sehr belehrend werden. – »Diese Merinomutterschafe und Böcke werfen allein jährlich einen Ertrag von 60 000 Talern Revenue ab, von denen Se. Hochgeboren indes damals nicht einen Heller besah.« –

Armer Schnapphahnski! Für 60 000 Taler Schafe und Böcke, und dann nicht einmal einen Pfennig Einkommen. – Das ist unbegreiflich, das ist entsetzlich! Übrigens hat die Geschichte etwas sehr Patriarchalisches. Man denke sich den kleinen Schnapphahnski »sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd« mitten zwischen seine Schafe und Böcke tretend. Zu seiner Rechten stehen die Schafe, zu seiner Linken die Böcke. »Verehrte Mutterschafe und Böcke«, beginn Schnapphahnski, »ich bin viel gereist, und außerordentliche Taten bezeichnen meine Laufbahn. In 0. in Schlesien setzte ich dem Grafen S. ein Paar Hörner auf (hier unterbrach den Redner das freudige Geblök sämtlicher Böcke). In Troppau erschlug ich den wilden Menschenfresser, den Grafen G. (allgemeines Erstaunen). In Berlin kostete ich den Lilienleib Carlottens (alle Schafe schlagen verschämt die Augen nieder). In Spanien erwarb ich mir unsterblichen Ruhm unter Don Carlos (Schafe und Böcke brechen in Oho und Bravo aus). In München erschoß ich den Herzog von ... und wurde deswegen verbannt (schmerzliche Rührung auf allen Gesichtern). In Wien drohte mich die Liebe der Damen zu erdrücken (die Böcke wedeln und beißen einander in die Ohren). Verehrte Herde, teure Majorats- Mutterschafe und Böcke! Ihr begreift, daß mich ein wehmütig süßes Gefühl beschleichen muß, wenn ich nach so ungewöhnlichen Fahrten und Schicksalen endlich in euren stillfriedlichen Kreis zurückkehre (stilles Einverständnis aller Seelen). Oh, es ist mir zumute wie einem jener alten Nomaden, die uns das Buch der Bücher in so trefflichen arabeskenhaften Märchen zu schildern sucht. Gleiche ich nicht einem Joseph, einem Benjamin oder lieber jenem

– – – Sohne des Hethiten,
Der einst die Maultier in der Wüst erfand,
Als er des Vaters Esel mußte hüten?
(Allgemeines Interesse.)

Oh, ihr Gespielen meiner Jugend, ihr lieben Angehörigen der Familie Schnapphahnski, seid mir gegrüßt, ja, seid mir von Herzen willkommen! Mit euch aufgewachsen bin ich, ihr unvergleichlichen Mutterschafe, und gern denke ich noch daran, wie ich euch oft so zärtlich an die Lämmerschwänzchen faßte. Ja, mit euch habe ich mich entwickelt, ihr herrlichen Böcke, und nie werde ich vergessen, daß ich von euch alle meine tollen Sprünge lernte, bis ich endlich älter und erfahrener wurde und zu einem großen Sündenbock gedieh (rauschender Beifall). Ihr Schafe zur Rechten und ihr Böcke zur Linken, hört meine Rede! Beide liebe ich euch, und es ist nur aus altadliger Courtoisie, daß ich mich gewöhnlich mehr der Rechten zuwende, ja, euch, ihr trefflichen Mutterschafe, da ihr der Stamm und der Hort der ganzen Rasse seid (Bravo! Bravo! auf der Rechten). Oh, mein Enthusiasmus für euch und für diese Versammlung kennt keine Grenzen. Mit euch, ihr Schafe und Böcke, will ich schaffen und wirken für alle Schafe und Böcke außerhalb dieser Versammlung (stürmische Jubelunterbrechung). Groß ist unsere Aufgabe, aber nichts wird uns erschüttern. Einer der kühnsten Streiter, stehe ich unter euch, heiter das Haupt erhebend, und nur eins, ach, kränkt mich und schnürt mir das Herz zusammen (peinliche Aufmerksamkeit und lautlose Stille). Ja, eins nur tut mir weh, daß ihr herrlichen Merinomutterschafe und Böcke all miteinander hypotheziert seid und daß ihr nicht geschoren werdet – für mich.«

Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß die Beredsamkeit unsres Helden namentlich in einer tieftraurigen elegischen Wehmut ihren Hauptreiz hat. Viele der ausgezeichnetsten Schafe und Böcke haben mir versichert, daß sie bei verschiedenen Gelegenheiten wahrhaft davon bezaubert gewesen seien und sich schon bereit gehalten hätten, den Demosthenes der Wasserpolackei mit einem Donner des Applauses auf seinen Sitz zu begleiten, wenn nicht wider Erwarten, trotz aller adlig-patriarchalischen Phrasen, schließlich der Finanznot blasse Wehmut, tiefe Trauer zum Vorschein gekommen wäre und der ganze Sermon in einem unsterblichen Gelächter sein Ende erreicht hätte.

Ja, die Finanznot! Sie spielt in dem Leben unseres Helden eine ebenso große Rolle als die Liebe. Die Finanznot war es auch, welche Se. Hochgeboren vor allen Dingen wieder nach Berlin trieb.

Es wäre hier die Stelle, näher auf die Festlichkeiten einzugehen, die bei der Huldigung im Spätjahr 1840 in Berlin statthatten. Wir unterlassen dies aber. Herr von Schnapphahnski hatte sich natürlich sehr darauf gefreut. Er hoffte, daß man bei dem allgemeinen Tumult nicht mehr an seine seltsame Vergangenheit denken würde. Mit der angeborenen liebenswürdigen Frechheit glaubte er, das Verlorene wiedererobern zu können und dann auch schnell zu Amt, Ehre und Kredit, kurz, zu allem zu gelangen, was das Dasein wünschenswert macht.

»In Berlin«, heißt es in unsern Manuskripten, »wartete Sr. Hochgeboren aber ein äußerst schlechter Empfang von seiten der schlesischen Ritterschaft. Nach langen Debatten beschloß dieselbe nämlich, zu einem Diner, das sie als Korporation gab, Herrn von Schnapphahnski nicht zuzulassen. Unser Ritter fand sich aber dennoch ein und setzte sich mit zu Tische. Da erhob sich die ganze Ritterschaft ...«


 << zurück weiter >>