Georg Weerth
Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski
Georg Weerth

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XX.

Die Politik

Von Rom kehrte unser Ritter zurück nach Berlin. Er trat jetzt bei weitem anders auf als früher, denn die Herzogin hatte ja alle Schwierigkeiten seines Daseins aus dem Wege geräumt. Herr von Schnapphahnski konnte sich nicht nur wieder auf der Straße sehen lassen, nein, er hatte auch wieder Zutritt zu den besten Kreisen, und allerhöchsten Ortes stand er von neuem sehr gut angeschrieben. Zu allen diesen Errungenschaften kam jetzt noch die Huld des Papstes und der Nimbus, die ihm die ganze italienische Reise verlieh – in der Tat, es gab nicht leicht einen Menschen, der in so kurzer Zeit mehr auf den Strumpf gekommen wäre als unser Ritter.

Alles drängte sich an ihn heran, um ihn zu protegieren und um von ihm protegiert zu werden. So machte man Schnapphahnski z. B. zum Direktor eines großen industriellen Unternehmens, eine Stellung, die er dadurch geschickt zu seinem Vorteile zu benutzen wußte, daß er die ganze Anlage auf den Namen einer der höchstgestellten Personen des Landes taufen ließ und sich natürlich dadurch die besondere Gunst derselben sicherte. Vor allen andern war es aber stets die Herzogin, die unserm Ritter getreu blieb. Sie konnte nicht mehr ohne ihn leben. Ging er von seinen Gütern nach Berlin, so folgte sie ihm; reiste sie nach Berlin, so mußte er ihr folgen. Schnapphahnski beutete diese Anhänglichkeit ganz in seinem Interesse aus. Wenn die Herzogin nämlich ihren Liebling einlud, so weigerte er sich gewöhnlich, ihrem Rufe zu folgen, unter dem Vorgeben: seine Vermögensverhältnisse zwängen ihn, den Luxus, den er als Er (!) in Berlin machen müsse, zu vermeiden und auf dem Lande zu bleiben. Dies Argument konnte dann stets nur auf eine Weise aus dem Wege geräumt werden, nämlich durch bare Zahlung. Regelmäßig schickte ihm die Herzogin für eine vierwöchentliche Reise nach Berlin 20 000 Taler; allermindestens 10 000 Taler.

Die Herzogin war reich genug, um allen ihren wie allen Launen ihres Ritters genügen zu können. Denn, wie wir früher schon erzählten, hatte sie nicht nur, mit Ausnahme von 80 000 Francs Revenue, welche an die Gemahlin des Grafen C., die vermeintliche Tochter des alten T., gingen, das ganze Vermögen jenes berüchtigten französischen Diplomaten geerbt, sondern auch noch seit 1839 den Besitz der sämtlichen Güter ihrer älteren Schwester angetreten.

Diese ihre älteste Schwester, welche wir schon früher als die Erfinderin der berühmten schwarzen Haartinktur erwähnten, war nämlich plötzlich gestorben. Ob sie, wie die alte Mars, eben an der Tinktur starb: haben wir nie ergründen können. Die Mars, die viele Jahre lang an unsäglichen Kopfschmerzen litt, soll nämlich dadurch zugrunde gegangen sein, daß die Tinktur allmählich durch die Poren in das Innere des Körpers drang und diesen langsam vergiftete.

Genug, die alte Herzogin starb, und ihr Tod erregte große Sensation, da man die Herzogin allgemein für unsterblich hielt.

Es ist nicht zu verwundern, wenn die englische Aristokratie bei ihrer gesunden, vernünftigen Lebensweise in den meisten Fällen ein wahrhaft alttestamentliches Alter erreicht; wenn aber der lasterhaftere französische oder deutsche Adel sich bis in die achtzig oder neunzig versteigt, so heißt dies wirklich, dem lieben Gotte einen Streich spielen.

Die Herzogin hatte sich, wie gesagt, den Tod länger vom Halse zu halten gewußt, als dies die kühnsten Sterndeuter für möglich hielten. Ein fünfzigjähriges Genießen, im weitesten Sinne des Wortes, hatte vergeblich an ihrem schönen Körper gerüttelt. Vom Jahre 1800 bis 1819 zu drei verschiedenen Malen vermählt, wiegte sie nicht nur nebenbei die glänzendsten Persönlichkeiten der damaligen Zeit – darunter auch den damals jugendlich reizenden, jetzt gefallenen Fürsten M. – auf ihrem Schoße: nein, sie wußte auch noch bis in die dreißiger Jahre hinein eine solche Virtuosität zu behaupten, daß ihr endlicher Tod in der Tat durchaus unvermutet kam und als sonderbares Faktum in der galanten Welt betrauert wurde.

Einmal mit ihren irdischen Resten unter der Erde, verfielen ihre irdischen Besitzungen über der Erde den hinterlassenen tiefbetrübten Schwestern, und zwar in der Weise, daß die zweite und die dritte Schwester auf jene Besitzungen als auf das Majorat des schon längst verstorbenen Vaters, des Herzogs von K., noch vor der jüngsten Tochter, der von uns so genau geschilderten Herzogin von S., Anspruch machen konnten.

Die zweite Schwester, die Herzogin von H., und die dritte, die Herzogin von A., lebten aber in zu wenig vorteilhaften Umständen, als daß sie den Besitz des verschuldeten Majorats hätten antreten können, und verkauften ihre Ansprüche daher an die jüngste Schwester, an unsere Herzogin von S., eine Abtretung, die gehörigen Ortes bestätigt wurde und durch ihre eigentümlich mittelalterliche Form seinerzeit viel Furore in der juristischen Welt machte.

Die Freundin unseres Ritters, nachdem sie so alle Güter der Familie ihren sonstigen Besitzungen hinzugefügt hatte, richtete sich dann in S. eine Art von Hofstaat ein, die Crême der Aristokratie um sich versammelnd und abwechselnd da und in Berlin lebend, im besten Einverständnis mit einem Herrn und einer Dame, deren hohe Stellung es uns verbietet, mehr Worte über dieses Verhältnis fallen zu lassen.

Die Erlebnisse unsres Ritters gewinnen inzwischen auch ein so allgemeines Interesse, daß wir ihm wirklich unsere ausschließliche Aufmerksamkeit schuldig sind.

Nach der bei der Herzogin gemachten Eroberung, nach der italienischen Reise und nach der Wiedererlangung einer Stellung in der Berliner Gesellschaft beginnt nämlich, wie wir bereits bemerkten, die politische Laufbahn unsres Helden.

Schnapphahnski: Politiker! Sollte es möglich sein! Aber unser Held ist zu allem fähig. Deswegen auch zur Politik.

Die ewig denkwürdige Epoche der Provinzial-Landtage mit ihren großen Erfolgen, der Emanzipation der Nachtigallen usw., ging zu Ende. Das Patent des 3. Februar 1847 erschien, und am 11. April eröffnete Se. Majestät der König von Preußen mit einer Rede »ohnegleichen«, »ohne Beispiel« den Vereinigten Landtag. Es verstand sich von selbst, daß der politische Ehrgeiz aller gesellschaftlichen Klassen durch dieses Ereignis in die lebendigste Bewegung geriet, und es konnte nicht ausbleiben, daß auch unser Ritter, von diesem Fieber angesteckt, das Bedürfnis fühlte, dem Vaterlande einmal als großer Mann gegenüberzutreten.

Die Herzogin hatte unsern Helden oft darauf aufmerksam gemacht, daß er sich à tout prix in die Politik hineinstürzen müsse. Die Krautjunkerei pure et simple, die der Ritter bisher trieb, konnte natürlich der ausgezeichneten Dame wenig gefallen. Sie war geistreich genug, um zu begreifen, daß die kompakte, hausbackene Liebe erst dann ihren rechten Reiz erhält, wenn sie mit den »strong emotions« des öffentlichen Lebens Hand in Hand geht. Einen Krautjunker zu umarmen, einen harmlosen schönen Wasserpolacken, dessen Abenteuer, so wunderlich sie auch sein mochten, doch keineswegs den Horizont des schon oft Dagewesenen passierten: konnte ihr unmöglich auf die Dauer genügen.

Die Herzogin war zu sehr an den Umgang mit weltgeschichtlichen Persönlichkeiten gewöhnt, als daß sie nicht in unserm Ritter außer dem bel homme auch noch den Politiker, den Staatsmann, den Redner zu umfangen gewünscht hätte. Ihre in diesem Sinne gemachten Andeutungen waren denn auch unserm Helden nicht entgangen, und wenn ihn schon seine eigne Eitelkeit zu einer politischen Karriere trieb, so sah er schließlich nur einen doppelten Nutzen, wenn er daran dachte, daß ihn auch der geringste Erfolg immer vorteilhafter mit der Herzogin verbinden würde.

Du willst als Staatsmann auftreten – sagte Schnapphahnski daher eines Morgens zu sich selbst, indem er den Kopf auf die Hand stützte –, eh bien! – und er besann sich auf alles, was er je von berühmten Rednern gehört, gesehen und gelesen hatte. Die Alten lagen unserm Helden zu fern. Ein Römer und Schnapphahnski – – der Ritter fühlte, daß er nie ein Römer werden würde.

Ohne weiteres wandte er sich daher der neuen Zeit zu, und gewiß würde er sich der Heroen der Konstituante und des Konvents erinnert haben, wenn er nicht bei dem Gedanken an diese »blutdürstigen Ungeheuer« ein solches Herzklopfen bekommen hätte, daß er sich schleunigst der allerneuesten Zeit zuwandte – – da war unser Ritter zu Hause! Denn bis in die kleinsten Details hinein war ihm das parlamentarische Leben der Franzosen und Briten gegenwärtig.

Sollst du ein Montalembert werden, hinreißend durch Beredsamkeit, imponierend durch altadlige Kühnheit und unterjochend durch jene mystisch-katholischen Wendungen, die wie ein riesiger Trauerflor seiner Rede nachwallen? Oder ein Larochejaquelin, lebendig, auf seinem Thema reitend wie auf geflügeltem Rosse, frech und herausfordernd, sarkastisch-witzig und erobernd durch die ritterliche Keckheit eines ungebändigten Edelmanns? Oder sollst du Lamartine nachahmen, bald vornehm durch die Nase sprechen und bald in blumenreichen Redensarten dich ergießen, von der Vorsehung säuseln und durch den Namen Gottes Effekt zu machen suchen; ja, historische und literarische Reminiszenzen auskramen und deine Zuhörer mit dir fortziehen in das rosenduftende Paradies der Rhetorik, wo da wenige praktische Wege und Stege sind, aber desto mehr weiche Mooshügel, Palmen, Trauerweiden und ähnliche wohlfeile dichterische Gegenstände? Oder sollst du dir den Herrn Guizot zum Muster nehmen, den kalten, tugendhaften Mann, oder gar den kleinen betörenden Thiers, der sich wie eine Schlange auf die Tribüne hinaufwindet und so allerliebst von allem spricht, was er weiß und was er nicht weiß – –? Unser Ritter wurde immer tiefsinniger.

Aber auch die Geister des britischen Parlaments stiegen vor unserem Helden herauf. Sollst du dich naiv ausdrücken wie der alte Wellington? Sollst du den Rufer im Streit, den Lord Stanley spielen? Sollst du dich Lord Campbell nähern und behaupten, du seist ein großer Rechtsgelehrter? Oder sollst du dir gar Henry, den unvergleichlichen Lord Brougham, zum Vorbild nehmen?

Das wäre eine Rolle!

Ja, und im Unterhaus, wen nimmst du dir da zum Muster? Sollst du, ein Sir Robert Peel, in weißer Weste und im blauen Frack vor deine Zuhörer treten, jetzt die Rechte feierlich erhebend und jetzt rasselnd die grüne Papierdose schlagend? Oder sollst du wüten wie Roebuck, der ewige Krakeeler, oder die Interessen der Torys vertreten wie ein Lord George oder ein Ferrand? O göttlicher Lord George, der du aus dem Jockey-Klub kamst und im Parlamente dich erhobst als der Erste deiner Partei, oh, wenn ich dir nicht gleichen kann, so laß mich wenigstens deinem Freunde Disraeli ähnlich sehn, wenn er im Wirbelwinde der Beredsamkeit seine Feinde zu Boden wirft, ihren alten Ruhm entwurzelnd und tabula rasa machend mit ihrem ganzen Einfluß.

Was sind die Lorbeeren der Literatur, was die Lorbeeren des Schlachtfeldes gegen die Lorbeeren der Tribüne! Staunen soll man, wenn ich mich einst erhebe! Schnapphahnski, o Schnapphahnski! was steht dir bevor! In wenigen Worten wirst du z. B. bei irgendeiner Debatte auseinandersetzen, wie es eigentlich gar nicht vonnöten sei, so vielen herrlichen Reden noch die deine folgen zu lassen, und wie nur die Wichtigkeit des vorliegenden Gegenstandes dich zu einigen einfachen Bemerkungen veranlassen könne – einfache Bemerkungen, die sich durch zwei oder drei Stunden hinwinden. Kurz und bündig ziehst du dann die Grenzen deiner etwaigen Rede um natürlich nie innerhalb dieser Grenzen zu bleiben, sondern abzuschweifen und dich über Spanien und Portugal zu ergehen, über die Heilige Allianz zu sprechen und über die Not der arbeitenden Klasse, über deine Zuneigung zu Don Carlos und über englische Wettrennen und über alles, nur nicht über das, was ursprünglich zum Ziele gesteckt wurde.

Bist du mit deiner Exposition fertig, so gibst du dich an die Argumentation und argumentierst mit Händen und Füßen, bis es deinen Zuhörern gelb und grün vor den Augen wird, ja, bis sie zu gähnen anfangen aus reinem Erstaunen vor deiner entsetzlichen Gelehrsamkeit. Dann aber brichst du plötzlich ab und rüstest dich zu der ersten Attacke auf deine Gegner, ein Übergang, der nie seine Wirkung verfehlt, der die Einschlafenden emporrüttelt und sie unwillkürlich in einen neuen Strom deiner Beredsamkeit hineinreißt. Mit Keulen schlägst du anfangs um dich, mit dem Morgenstern echt adliger Unverschämtheit; dann ziehst du den krummen Säbel des Humors, und zuletzt spielst du mit dem Dolche des Witzes, der spitz die Herzen trifft und tötet, wo bisher nur verwundet wurde.

Schrecken, Lachen und lustige Tränen folgen deinen Worten – doch da änderst du plötzlich deinen Ton, und wie du bisher als gewandter Gladiator deinen Gegenstand tief im Staube behandeltest: so schwingst du dich jetzt auf das stolze, hochtrabende Schlachtroß des Pathos und galoppierst zermalmend über die Kadaver deiner Feinde, die Posaune des Sieges an die Lippen drückend, um unter dem kaum verhaltenen Jubel der Versammlung in wenigen mystischen Worten den Schluß zu sprechen, wo die Stenographen sich den Schweiß von der Stirn trocknen, und das Haus »is ringing with cheers for several minutes«.

Schnapphahnski sprach's. Er ging hin, und wenn er auch kein Montalembert wurde, kein Larochejaquelin, kein Lamartine, kein Guizot, kein Thiers, kein Redner des Unterhauses oder des Oberhauses, so wurde er wenigstens – – nun, was wurde er denn?


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