Georg Weerth
Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski
Georg Weerth

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XIII.

Der Professor

Ritter Schnapphahnski war in demselben Falle wie Professor N. in Berlin – – es stand ihm etwas ganz Außerordentliches bevor.

Doch erzählen wir zuerst die Geschichte des Professors.

Der Herr Professor war krank. Er ließ den Doktor kommen. Der Doktor kam. Arzt und Professor standen einander gegenüber. Der erstere mit jenem heidnisch frohen Lächeln, welches den meisten Medizinern eigentümlich ist; der Professor: lang, dürr, einer ausgetrunkenen Flasche ähnlich, mit sehr miserablem Antlitz.

»Doktor, ich bin krank –«, begann der Professor.

»Das freut mich –«, erwiderte der Doktor.

»Ich glaube, ich habe die Schwindsucht, Doktor.«

»Sehr leicht möglich, Herr Professor.«

»Nicht wahr, ich bin sehr krank?«

»Lassen Sie mich Ihren Puls fühlen.«

»Glauben Sie, daß die Sache gefährlich ist?«

»Zeigen Sie mir Ihre Zunge.«

»Meinen Sie nicht, daß ich bald sterben werde?«

»Wann gehen Sie abends zu Bett?«

»Soll ich nicht lieber mein Testament machen?«

»Wie sieht es mit Ihrem Appetit aus?«

»Soll ich nicht die Verwandten von meiner traurigen Lage benachrichtigen?«

»Haben Sie regelmäßigen Stuhlgang?«

»Doktor, retten Sie mich!«

»Herr Professor, anworten Sie auf meine Frage!«

Eine Pause entstand. Der Professor schaute auf den Doktor wie ein krankes Fohlen auf seine Mutter. Der Doktor fuhr fort:

»Antworten Sie mir also klar und bestimmt, Herr Professor.«

»Ich bin ganz zu Ihren Diensten, Herr Doktor.«

»Schildern Sie mir Ihren Zustand – – haben Sie Beschwerden?«

»Der Beschwerden habe ich manche – –«

»Und welche, Herr Professor? Haben Sie z. B. eine gewisse Schwere in den Gliedern?«

»Ganz recht – es liegt mir wie Blei in den Gliedern –«

»Haben Sie Kongestionen nach dem Kopfe oder nach andern Teilen des Körpers?«

»Kongestionen – ganz recht, ich habe Kongestionen – fast nach allen Teilen.«

»Lassen Sie mich doch Ihre Augen sehen – Sie scheinen ganz rote Augen zu haben.«

»Ach, allerdings, Herr Doktor. Das kommt von dem vielen Arbeiten in der Nacht.«

»Schlafen Sie nachts auf dem Rücken?«

»Ich schlafe selten, Herr Doktor.«

»Also träumen Sie?«

»Ach, ich habe schwere Träume –«

Der Professor schlug verschämt die Augen nieder. Wiederum entstand eine Pause.

Der Doktor blickte auf den Professor wie der Teufel auf einen armen Sünder.

»Setzen wir unsere Konversation fort – nicht wahr, Sie sind unverheiratet, Herr Professor?«

»Allerdings, Herr Doktor!«

»Sie haben auch sonst keinen Umgang mit Frauen?«

»Herr Doktor, das ist eine Gewissensfrage.«

»Verzeihen Sie, eine reine Gesundheitsfrage.«

»Aber wie soll ich Ihnen darauf antworten?«

»Nun, ganz einfach mit ja oder nein; haben Sie Umgang mit Frauen oder nicht?«

»Nein, Herr Doktor! Das ist durchaus gegen mein Prinzip.«

»Aber es wäre gut für Ihre Gesundheit –«

»Mein Prinzip geht über die Gesundheit.«

»Aber Ihr Prinzip kann Sie ins Grab bringen.«

»Mit meinem Prinzip will ich sterben.«

»Nun, so sterben Sie wohl, Herr Professor« – der Doktor griff nach seinem Hute, um sich zu entfernen. Der Professor trat ihm in den Weg.

»Lieber Herr Doktor – –«

»Verehrter Herr Professor – –«

»Bleiben Sie um Gottes willen!«

»Aber gehorchen Sie meinen Befehlen!«

»Ich will alles tun, was Sie wünschen.«

»Meine Befehle werden Ihnen nur angenehm sein.«

»Ich will Moschus und Rhabarber fressen.«

»Würde Ihnen wenig helfen.«

»Ich will Balsam und Fliedertee trinken.«

»Könnte von gar keinem Nutzen sein.«

»Aber was wünschen Sie denn?«

»Ich wünsche nur das Allermenschlichste, das Allererfreulichste von Ihnen!«

»Sprechen Sie also!«

»Und gehorchen Sie mir.«

»Was soll ich tun?«

»Sie solln sich verlieben – ein Weib nehmen!«

Der Kopf des Professors sank auf die Brust, die Tabakspfeife entfiel seiner Hand, und Wolken der tiefsten Verlegenheit, des innigsten Schmerzes verdunkelten die Stirn des unglückseligsten Mannes.

»Herr Doktor«, fuhr endlich der Gepeinigte in sehr gedrücktem, schleppendem Tone fort, »Herr Doktor, Sie wissen, ich bin Theologe. Ihr Befehl widerspricht meinem ganzen System, meiner ganzen Anschauungsweise. Ein viertel Jahrhundert lang bin ich der Stimme meines Innern, meiner Überzeugung treu geblieben und glaube auch heute noch an das, was uns der Apostel sagt im 8. Verse des 7. Kapitels seiner Epistel an die Korinther, wo da geschrieben steht, daß es besser ist, wenn die Ledigen bleiben wie der Apostel, nämlich ebenfalls ledig und unbeweibt – –«

»Narrenspossen, nichts als Narrenspossen!« unterbrach hier der Doktor, »und außerdem vergessen Sie, Herr Professor, daß es im 9. Verse heißt: ›So sie aber sich nicht enthalten können, so laß sie freien. Es ist besser freien, denn – –‹«

Der Professor seufzte tief auf – »Sie verlangen also in vollem Ernst, daß ich mich verheirate?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber Sie wollen ja, daß ich mich verliebe.«

»Man kann lieben, ohne zu heiraten.«

»Aber Herr Doktor, das wäre Sünde.«

»Herr Professor, Sie sind von wahrhaft biblischer Unschuld.«

»Und eine Sünde werde ich nie begehen.«

»Herr Professor, es gibt nur eine Sünde, das ist die Sünde gegen das eigene Fleisch.«

»Nun, so will ich mit dem Apostel sündigen.«

»Vielleicht war der Apostel aber nicht in so krankhaftem Zustande wie Sie, Herr Professor.«

»Wie meinen Sie das, Herr Doktor?«

»Vielleicht konnte der Apostel seinem Verlangen widerstehen. Sie werden darüber zugrunde gehn.«

»Nun, es sei! Ich werde heiraten!«

»In vierundzwanzig Stunden!«

Die letzten Worte waren für den armen Professor ein neuer Donnerschlag. Er taumelte rücklings in seinen Sessel und bedeckte das fahle Antlitz mit beiden Händen. Der Doktor spielte gelassen mit seinem Hute.

»Sie sind grausam, Doktor!« nahm endlich der Professor das Gespräch wieder auf. »Ich soll in vierundzwanzig Stunden heiraten: das ist unmöglich!«

»Beim Menschen ist nichts unmöglich!«

»Ich kenne alle Kirchenväter, aber ich kenne kein einziges Weib.«

»So lassen Sie die Kirchenväter laufen und lernen Sie die Weiber kennen!«

»Ich will mich verbindlich machen, in vierundzwanzig Stunden eine neue Sprache kennenzulernen, aber ein Weib lieben lernen – bedenken Sie, Herr Doktor!«

»Die Sprache der Liebe lernt man in fünf Minuten.«

»Sie sind unerbittlich, Herr Doktor!«

»Unerbittlich, Herr Professor!«

»0 Gott, errette mich von diesem Doktor!«

Der Doktor wurde ungeduldig. Er schritt der Türe zu. »Tun Sie, was Sie wollen, Herr Professor. Ich bin hierhergekommen, um für Ihren Leib zu sorgen, nicht für Ihre Seele. Suchen Sie meine Ratschläge mit Ihrem Gewissen zu vereinbaren, das ist Ihre Sache. – Ich gebe zu, daß es mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist, in vierundzwanzig Stunden ein ehelich Weib zu finden, Hochzeit zu machen und so weiter – – aber es fällt mir im Traume nicht ein, Sie zu diesem extremen Schritte zu treiben. Richten Sie die Sache anders ein – Sie werden mich verstehen. – Ich stelle Ihnen einfach die beiden Chancen: entweder eine Konzession Ihres Gewissens oder ein früher Tod. Wählen Sie zwischen einem Gewissensmord und einem Selbstmord. Wählen Sie von zwei Sünden eine: wählen Sie!«

Von der Stirn des Professors perlte der Angstschweiß. Der Doktor machte seine Auseinandersetzungen aber mit soviel Präzision und mit so unendlicher Bonhomie, daß der geplagte Mann Gottes endlich langsam das Haupt erhob und nach einigem Stottern und Erröten mit einer wahrhaft naiven Unerschrockenheit die Frage wagte:

»Aber, lieber Herr Doktor, wie würde man diese Mordgeschichte einzurichten haben?«

Hier konnte sich der Doktor nicht länger halten. Er lachte laut auf –

»Teuerster Professor – –«

»Allerdings, Herr Doktor! Sagen Sie mir aufrichtig, wie ich mich dabei benehmen soll!«

»Aktiv sollen Sie sich dabei benehmen!«

»Aber bedenken Sie doch, daß ich durchaus Neuling in der Sünde bin!«

»Tant mieux, Herr Professor.«

»Tant pis, Herr Doktor!«

Das Dilemma wollte kein Ende nehmen. Der Doktor sah ein, daß er seinem Patienten zu Hilfe kommen mußte.

»Wenn Sie den alten Jesuiten Escobar gründlich studiert hätten, Herr Professor, so würden alle weiteren Explikationen unnötig sein. Aber ich merke, daß Sie von der verstocktesten Unschuld sind. Sie sind ein wahrer Sankt Aloisius – doch trösten Sie sich! Morgen abend zwischen 7 und 8 Uhr wird jemand vernehmlich an Ihrer Haustür schellen. Sie werden Ihre Hausbewohner, Ihren Knecht und Ihre Mägde hinausgeschickt haben, und Sie werden gütigst selbst die Türe öffnen. Sie werden die Türe behutsam öffnen, ohne allen Eklat, damit niemand der Vorübergehenden etwas bemerkt, und Sie werden die liebenswürdige Person, die Ihnen eine der interessantesten Visiten abstatten wird, ebenso artig als zuvorkommend empfangen und sie ohne Umstände sofort in Ihr Studierzimmer führen. Sie werden dort die Fenster verhängt und das Sofa von Bibeln und Kirchenvätern gereinigt haben. Sie werden ein gehöriges Feuer im Ofen unterhalten und für die geeignete Beleuchtung sorgen. Sie werden sich leicht und komfortabel gekleidet haben, Sie werden ebenso höflich als zutraulich und hingebend sein, kurz, Sie werden sich ganz den Freuden Ihres Besuches hingeben – – nun Adieu, Herr Professor! Für den Rest werde ich sorgen. Adieu! Bedenken Sie, daß Ihr Leben auf dem Spiele steht – –«

Da war der Doktor verschwunden.

Von der Angst, die der Professor nach dem Fortgehen des Doktors ausstand, kann sich nur der eine richtige Idee machen, der überhaupt die Qualen eines Gerechten zu würdigen versteht. Der gelehrte Herr war außer sich. Zwanzigmal in Zeit von zehn Minuten erlosch ihm die Pfeife. Vierzigmal rieb er die Stirn, und achtzigmal sah er mit frommen Augen andächtig gen Himmel, innerlich flehend, daß dieser Kelch der Freude an ihm vorübergehe. Vor allen Dingen suchte er nach irgendeiner Entschuldigung für seine bevorstehende Sünde, denn das Wagnis seines Lebens schien ihm ein keineswegs ausreichender Grund zu sein. Er schlug den Irenaeus nach, den Augustinus, den Eusebius, den Lactantius, den Chrysostomus und einige Dreißig andere Schweinslederbände, um nachzuforschen, ob denn nicht irgendein Kirchenvater weiland in demselben Falle gewesen sei und ob nicht einer von ihnen auch nur ein Wörtlein über diesen kitzlichen Punkt habe fallen lassen – aber vergebens!

Der Professor überzeugte sich davon, daß nie ein Heiliger der Art vom Teufel versucht worden sei, und an allem verzweifelnd, warf er sich schließlich auf das Lager seiner Leiden, um schlimmer zu träumen als je vorher.

Der kommende Tag brachte nur neue und immer wildere Seelenstürme für den gelehrten Herrn, denn mit jedem Augenblicke rückte ja die Stunde näher, wo die Schelle von unbekannter Hand gerührt und wo der Herr Professor den Beweis ablegen sollte, daß er als Mann und Meisterstück aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen sei. Wir brauchen nicht zu versichern, daß der Herr Professor die Vorschriften des Doktors genau befolgte. Schon um 2 Uhr nachmittags war das Haus des Gelehrten wie ausgestorben. Die Schwester des Unglücklichen, die Mägde, der Knecht: alle waren vertrieben. Die Seufzer, welche sich der Studierstube entrangen, zeigten, daß nur ein einziges Wesen in dem verödeten Raume zurückgeblieben sei.

Es schlug 4 Uhr: der Herr Professor zitterte. Es schlug 5 Uhr: der Herr Professor schnappte nach Luft. Es schlug 7: da tönte die Schelle der Haustür, und der Gelehrte stürzte hinab. – –

Lassen wir ihn stürzen.

Meine Leser werden mir verzeihen, daß ich sie so lange mit dem alten Professor ennuyiere. – Die Sage geht, daß der unglückliche Mann statt einer reizenden Bajadere die bejahrte Freundin seiner Schwester umarmte – der Herr Professor war mit Blindheit geschlagen; er versicherte, daß sein Leben auf dem Spiele stehe; er hielt den Besuch, welcher der Schwester galt, für den Besuch, den er erwartete, und die herzzerreißendste Szene entwickelte sich zwischen Kirchenvater und Matrone, eine Szene, der Feder eines Swift, eines Sterne, eines Smollet würdig – wert, von einem andern Hogarth gezeichnet zu werden, zur Lust aller kommenden Geschlechter.

Herr von Schnapphahnski verlebte vor seiner ersten Unterredung mit der Herzogin von S. einen ähnlichen Tag wie der Berliner Professor. Der Kirchenvater umarmte statt einer Grazie: eine Matrone. Sehen wir, wie es dem edlen Ritter mit der Herzogin erging.


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