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3.

Im Freithof zu Frankenburg glänzte das junge Gras, die stillen Hügel hatten sich mit neuen, zierlichen Blumen versehen, und aus dem Laubgehäng der Birken schollen die frohen Maienrufe der Vögel.

Allein die vielen Menschen, die heute Freithof und Kirchplatz bevölkern und in dunkeln Massen um das Gotteshaus drängten, kümmerten sich nicht um das helle Gras und die frommen Blüten und die Gesänge in Laub und Lüften und fürchteten nicht, dass sie die Toten unterm Rasen erschrecken und erbittern könnten mit dem lärmenden Wesen und den aufrührerischen Reden, die sie heute auf der geweihten Stätte führten. Ihre Gesichter brannten schwärmerisch und zuckten, ihre Gebärden, sonst maßvoll und sparsam, äußerten sich ungestüm und überschwänglich. Und immer mehr Leute liefen zu, und fast in geordneten Scharen rückten sie aus den nachbarlichen Dörfern heran.

Mitten im Gewühl stand der Tobias Hörleinsperger und schürte die Glut. »Wie die Bauern zu Natternbach müssen wir es halten«, forderte er. »Einen welschen Pfaffen hat man ihnen aufzwingen wollen. Die Kirche haben sie ihm versperrt. Und wie er daher kommen ist, da haben sie ihn gefragt, ob der Papst sein Vater ist. Er hat nit erwidern können: kein Wort Deutsch hat er verstanden. Da hab ich ihm das Birett vom Kopf geschlagen. Die Kutte haben wir ihm ausgestaubt. Davon gesprengt haben wir ihn. Hernach sind wir mit der Trummel vors Wirtshaus geruckt. Ist der kaiserliche Kommissarius drin gesessen, neben ihm der Dechant von Linz, auch so ein welscher Katzenhäuter. Aus und davon sind die zwei, wie sie unsere Trummel haben schindern hören. Hernach hat der Statthalter ein paar von uns eintürmen wollen, hat sie aber wieder laufen lassen. Ertrutzt haben wir es!«

»Wir Frankenburger leiden es schon gar nit, das Pfaffen- und Affenspiel!« rief der Schuster Hans Scheichl. Eine Kranichfeder hatte er herausfordernd hinter der Schnur seines spitzen Jodelhutes stecken, als wolle er mit dem römischen Pfarrer raufen, der heute in die Frankenburger Kirche eingeführt werden sollte.

Der Bäcker Hans Neuhödl schüttelte zornig ein Feuerrohr. »Wir lassen uns die Pfaffen nit ins Land schwärzen! Unsere lutherischen Prediger wollen wir wieder haben. Eher wird nit Ruh.«

»Jetzt soll uns der fremde Kerl am Altar herum gaukeln?« murrte der Färber Wolf Fürst. »Lateinisch Geschrei verstehen wir nit.«

»Er darf uns nit in die Kirche!« tümmelten sie durcheinander. »Und wenn wir ihn niederschlagen müssen. Wir wollen es ertrutzen wie die zu Natternbach!«

Der Ratsmann Hans Frödl legte sich ins Mittel. »Wir dürfen dem Geistlichen nix antun! Am besten ist es, es geht keiner von uns in die Kirche hinein. Soll er den leeren Mauern predigen. Das wird ihm unheimlich genug werden.«

Auch der Richter von Frankenburg, der Kristof Strattner, wollte die aufgerührten Leute beschwichtigen. »Ich bitt euch, seid klug!« mahnte er. »Der Graf Herbersdorf ist kitzlich worden. Sein Herr, der bayerische Kurfürst, hat es ihm übel genommen, dass er den Natternbachern so glimpflich durch die Finger geschaut hat. Der Kurfürst hat ihm zu wissen geben, an den Straßen hätt er sie aufhängen sollen, die Aufwiegler, und künftigmal soll er blutig zugreifen. Ich bitt euch, Leut, gebt dem Grafen keinen Anlass! Mit eurer Haus müsstet ihr zahlen.«

Zundelrot die Stirn, packte der Schuster Scheichl den Richter bei der Schulter. »Strattner, ha, willst du etwan auf deine alten Tag' auch den Balg wechseln und katholisch werden wie der Pfleger Grünpacher?!«

Das Getöse legte sich plötzlich, das Gewühl erstarrte. Eine Gasse riss sich auf, und mitten durch das gereizte, entrüstete Volk führten der Pfleger Abraham Grünpacher und der Pfarrer von Pfaffing den Geistlichen, der bestimmt war, Frankenburg dem Luthertum abzuringen.

»Schaut, wie der Pfleger die Augen niederschlagt!« rief es halblaut aus der Menge.

»Hat halt ein böses Gewissen, seit er die Seel verschachert hat«, erwiderte es.

Einer gellte: »Der römisch Wind geht. Ruckt das Hütel danach!«

Der Grünpacher schoss einen messerspitzen Blick in das Volk.

Geduckt neben ihm trippelte der Pfarrer von Pfaffing. Ein kränklicher Mann, kannte er die unfügsamen Bauern und fürchtete sie. Ach, heute ging es gewisse nicht gütlich ab. Die Leute standen gar zu streitbar da.

Der neue Pfarrer aber schaute hochfahrend über die Gefahr hinweg. Er hatte ein kühnes Herz, und der Widerstand reizte es nur auf. Er war sich gewiss, dass er die Ketzer bekehre mit der Kraft seines reinen, eifernden Gemütes, sie entzünde an seinem Feuer und mit beredter Zunge sie entwaffne. Er war ein blutjunger Mensch und hatte mit der Welt noch nicht viel zu schaffen gehabt.

In der Kirche bestieg er sogleich die Kanzel. Dort betete er zuerst für die brennenden Seelen im Fegfeuer. Hernach richtete er sich aus der demütigen Gebetsversunkenheit frei empor, und die breite Brust bebte ihm, der Blick leuchtete.

Allein die Kirche war leer. Kein Richter, kein Ratsherr, kein Gewerbsmann, kein Bauer, nicht Weib, nicht Kind, die seinem überschwellenden Herzen hätten lauschen wollen; kein gläubiges und kein trotziges Gesicht hier, daran er seine Glut und Kunst hätte steigern können; keine Seele, darin ein Widerhall sich wecken ließe. Die öden Wände standen bereit, seine Worte zurück zu äffen.

Nur der Pfleger und der geistliche Bruder aus Pfaffing saßen einsam im Gestühl, und sie rieben sich die Hände, als fröre sie in der leeren Kirche.

Zwar standen im Tor einige Männer, doch mit abweisender, unholder Miene, und sie schienen Kundschafter zu sein, des Predigers abgünstige Rede der Bauernschaft zu hinterbringen, die draußen sumste wie ein erzürntes Immenvolk.

Der Priester hub an. Doch sprach er nicht so, wie er es sich vorher hundertmal überdacht hatte, nicht mit der verzeihenden Sanftheit, die ein im Übermut entsprungenes Kind wieder zurückholt; er schmückte seine Rede nicht mit mildem Heilandswort, nicht mit anmutigen Marienwundern oder den Opfertaten der Heiligen aus. Wild und schwertscharf begann er, entrüstet über den Hass, der heute diese Kirchhaus umzingelt hielt und den er ungerecht fand; empört über die tückischen Lauscher im Tor; verstört darüber, dass man ihn übersah, dass man die Ohren vor ihm verschloss.

»Was lauert ihr dort mit falschen Augen an der Tür? Was treibt ihr euch mit Büchsen und Stangen um dies Haus herum, als wolltet ihr den Herrgott suchen und erschlagen wie einst die Rotte am Ölberg? Ja, stecht nur herauf mit feindseligem Blick! Da steh ich, da halt ich euch stand, von jetzt an euer Pfarrer, von der Obrigkeit bestellt! O, ihr verirrten Seelen, sagt mir, was ist Grund und Ursach, dasss ihr von dem rechten Gott in Irrsal abgewichen seid? Wer hat euch zur schändlichen Ketzerei verführt? Der Luther ist es gewesen! Der Luther! Der Stein des Anstoßes ist er, der Fels des Ärgernisses! Seiner Blendnis seid ihr gefolgt. Hütet euch! Hütet euch sonderlich vor einen Trompetern und Flötern!

Zum Lärmenblasen und Unglückstiften,
auch Krieg und Unheil anzurichten,
ist keiner tauglicher im Land
als ein luthrischer Pfädikant.«

Die Männer in der Tür wispelten gegeneinander. Draußen wuchs das Getümmel, und darüber erhob sich eine einzelne Stimme gell und drohend, als wäre ein Gegenprediger erstanden. Der Pfleger zwinkerte unruhig mit seinen kleinen, verquollenen Augen, und der Pfarrer von Pfaffing drückte die verkrampften Finger gegen das weißstoppelige Kinn und winkte dann hastig zur Kanzel empor, der droben möge schweigen.

Der Prediger achtete nicht darauf. »Ihr wollt euch trutzig verhalten und des Kaisers Befehl widerstreben«, zürnte er. »Damit betrübt ihr sein hohes Gemüt und fügt ihm hartes Herzleid zu. Der Kaiser will euch wohl. In seiner ungemessenen Güte, besorgt um euer irdisch und jenseitig Heil, will er euch wieder legen an das Herz der einzig wahren Kirche. Danket ihr ihm aber mit Trutz und weiset ihr seine väterliche Hand zurück, so wird er mit Strenge euch angreifen. Und dies ist sein Recht. Denn wem das Land gehört, der hat drin den Glauben zu bestimmen. So ist es im Augsburger Frieden beschlossen. Und wenn die luthrischen und kalvinistischen Fürsten mit ihren Untertanen also umspringen, warum sollt es just dem Kaiser versagt sein? Und dazu haben seine evangelischen Leut sich häufig schnöd gegen ihn aufgebäumt, mit seinen Feinden am selben Strick gezogen und ihn bitter beleidigt! Ja, absetzen haben die lutherischen Stände ihn wollen und ihn in ein Kloster sperren! Noch einmal behaupt ich: es ist des Kaisers Recht, dass er euch zwingt, und ihr habt ehrfürchtig euch danach zu richten!«

Da erwiderte eine hallende Stimme vom Eingang der Kirche her: »Nein! Und nein! Wir dürfen uns wehren! Und das Recht gilt mehr, als was in einem toten Brief geschrieben steht, und ob auch der Kaiser sein goldenes Siegel dran hängt!«

Der Pfleger Grünpacher schnellte empor. »Ha, welcher Bub traut sich das? Du bist es, Student? Du?!«

Kampflüstern reckte sich der Priester droben. »O, du frevler Schreier, der du mich widerlegen willst, sag, seid ihr etwan freiwillig luthrisch worden? Haben nit die luthrischen Herren deine Vorfahrer zu Ketzerei gezwungen und gedrungen und sie von Haus und Hof gejagt, wenn sie sich gesträubt haben? Und die Kirchen rings im Land, wem haben sie denn früher gehört? Uns sind sie gestohlen worden! Und geschändet haben sie sie, die frommen Mauern abgebrochen, das Gerät geraubt, die Heiligen und Nothelfer hinaus geworfen und verstümpelt, aus den lieblichen Kapellen Rumpelkammer gemacht! Gehetzt haben die Prädikanten gegen uns, als ob wir Teufel wären, verflucht haben sie uns, unser geheiligt Haupt zu Rom verspottet und beschimpft, den Papst den Antichrist gescholten …«

Er überschrillte sich und stockte. Und als hätten seine Schreie die Mauern durchschnitten und seien denen draußen offenbar worden, entgegnete draußen ein tolles Geheul und brandete Schimpf und Drohung herein.

»Wir ertragen sein Gespei nimmer!« tosten sie. »Das Donnermaul soll er halten! Der Diebspfaff! Der Seelenmörder! Wie ein Wolf feimt er. Das lautere Wort wollen wir und die reine Wahrheit! Weg mit den römischen Pfaffen! Sie fälschen des Herrgotts klares Wort. Sie deuten es mit Trug. Wer darf uns befehlen, was wir glauben sollen?!«

Der Grünpacher hatte sich mit grobem Ellbogen durch das Dickicht der Bauernleiber in den Freithof hinaus gekämpft. Im wirbelnden Gewimmel stand er, die Hirnader blau und zum Bersten strotzend.

»Ziemt sich das, ihr Böswichter?« brüllte er. »Ihr lärmt wie auf einem Judenmarkt, derweil Gottes und des Kaisers Wille drin ausgelegt wird.«

»Halt die Gosche, Pfleger! Bist du schon ein Schelm worden, so soll man aus uns keine Schelmen schnitzen!« Ein Schauer von Flüchen prasselte auf den erbleichenden Mann nieder, feindliche Leiber drängten an ihn heran, immer dichter, immer näher, als wollten sie ihn zerquetschen.

»Striegelt ihn! Schlagt ihn tot, den abgefallenen Lumpen!« scholl es.

Der Hans Neuhödl trat hart vor den Grünpacher. Die Büchse legt er auf ihn an. Mitten ins Gesicht zielte er ihm.

»Bäck, was treibst du?« stammelte der Pfleger. »Das wird dich reuen.«

Der Richter Kristof Strattner langte her und schob dem Bäcker den Flintenlauf in die Luft. »Neuhödl«, rief er, »du sollst nit töten!«

Indes brach der Grünpacher mit der Kraft seiner verzweifelten Angst sich einen Weg durch das Gewühl. Auf den eisernen Arm eines Kreuzes steigend, schwang er sich über die Freithofsmauer.

In das feste Haus Freyn rannte er. Dort hatte er seinen Sitz. »Riegelt zu, Leut! Riegelt zu!« schlotterte er. »Verrammelt die Tür!«

Aus dem Stubenfenster stürzte er, hielt sich an dem Gitter. Die Knie versagten ihm.

Schwarz wimmelte es draußen daher. Bauern und Bauern und Bauern. Mit Spießen und Stangen und Büchsen. Gibt es denn um Gottes willen so viel Bauern auf der Welt?!

Sie wurden den Pfleger gewahr. Sie fluchten, hoben die Fäuste. Einer stieß den Spieß ins Tor. Ein Schuss brach durchs Fenster. Es splitterte, klirrte.

Der Grünpacher fiel ins Knie. »Jetzt, päpstischer Herrgott, beweis mir, dass du obenauf bist!«

Inzwischen waren die Aufrührer in die Kirche hinein gelaufen.

»Weg mit dem römischen Buben!« schrien sie. »Weg mit dem welschen Blimelblamel! Wenn der Herrgott nit Deutsch versteht, soll er enterhalb dem Alpengebirg bleiben!«

Der Färber Wolf Fürst rang droben auf dem Predigtstuhl mit dem Geistlichen, mit seinen blauen Händen fasste er ihn, als wolle er ihn hinunter stürzen. Die Kanzel zitterte unter der Wucht der zwei starken Männer. Zierat brach ab, ein Engelflügel, golden und zart, ein Apostelarm; die heilige Taube fiel vom Dächlein, knirschte, ward zertreten.

Wie trotzig auch der Priester sich mit den Händen in die Kanzelbrüstung einkrampfte, die Menge zerrte ihn herab, stieß ihn zur Kirche hinaus.

Der Pfarrer von Pfaffing jagte verzagt über den Freithof. In grausamem Scherz zielte der Schuster Scheichl mit dem Spieß nach seiner Platte. »Jetzt will ich einmal scheibenstechen!« lachte er.

Drin auf der Kanzel aber stand ein Jüngling mit weißer, adeliger Stirn, mit Flammenaugen und frauenhaft feinen Händen. Seine helle Stimme überscholl und stillte das Gebraus der Tiefe.

»Gottes Wort Deutsch!«

Und das Volk, das wild aufgezuckt hatte in den Schmerzen seines gepeinigten Gewissens, es ward wieder fromm und gut. Die Lippen lösten sich aus Trotz und Verzerrung, die zur Gewalttat geballte Hand öffnet sich und faltete sich friedlich zum Gebet, die verwirrten Augen klärten sich und grüßten zum Himmel hinauf in Sehnsucht nach dem reinen Herrgottswort.


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