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15.

Dunkel stieg die Feste Linz in die Nacht. Die Donau sauste, die edle Flut. Der Bauernring war um die Stadt gespannt.

Hinter den Mauern war es unruhig. Sie wussten drin, dass anderntags der Feind stürmen wolle. »Schildwacht, gib acht!« mahnten einander die Wächter auf den Wehrgängen.

Der Fadinger stand mit Kasparus auf freiem Feld und lauschte den Rufern. Ihn schauderte. »Wie kalt die Nacht ist!« sorgte er. »Es wird doch dem Korn daheim nit schaden!«

Er griff sich an die Stirn, als besänne er sich. »Bin schon wieder bekümmert um das nichtig Gut der Welt!« flüsterte er. »Und steh doch jetzt da mit meiner Kriegsschar vor dem stolzen Schloss. Und gegen den Kaiser!«

»Bist du schuld dran?« sagte der Student. »Der Kaiser und die Kaiserin haben unsre Boten nit einmal vorgelassen. Unsre Klagen haben sie nit hören wollen. Wir haben in Wien nix zu hoffen. In Güte hast du alles versucht, Fadinger. Aber der Kaiser tut nur, was ihm seine Tellerlecker raten. Und die Jesuiter singen ihm die Ohren voll.«

»Ich hab meine Bauern nimmer zurückhalten können im Ebelsberger Lager«, seufzte der Fadinger. »Sie sind unwillig geworden, die Geduld hat sie verlassen. Und die schweren Wettergüsse Tag für Tag! Und ein Dach über uns!«

Der Student grollte: »Eitel Spiegelfechterei hat der Kaiser mit uns getrieben. Hätten wir uns nit hinhalten lassen, wir säßen schon längst in Linz.«

Traurig erwiderte der Feldhauptmann: »Sie stehen zu hoch über uns, sie verachten den Bauern. Und wir haben doch der hohen Frau das Land zu Füßen legen wollen und haben getraut und gebaut, sie wird unser gutwillig Herz erkennen. Und nit einmal angehört hat sie unsere demütige Begehr. O wir sind ein armes, verwaistes Volk!«

»Eine Antwort lässt uns der Kaiser dennoch zukommen«, sagte in schneidendem Spott Kasparus. »Treu und väterlich mahnt er uns, wir sollen hübsch ruhig sein und uns ducken und, was uns weh tut, dem Herbersdorf beichten.«

»Der Kaiser ist zu uns wie die Stiefmutter im Märchen«, klagte der Fadinger. »Sie kämmt das Kind mit eisernem Kamm, bis ihm das Blut in den Hals rinnt.«

»Was kümmert den Kaiser unsere Mühsal, unser geplagtes Leben!« sagte der Student. »Er lässt uns verderben. Seine einzige Furcht ist, unsere Seelen könnten im Luthertum ersticken, und er müsst beim Jüngsten Gericht drüber Rechenschaft legen.«

»Tät er sich doch um andre Sachen scheren!« brauste der Fadinger.

Sie schwiegen lange uns sahen rings die Wachtfeuer brennen wie fiebrig ruhlose Augen, und als sie des müde waren, blickten sie hinauf in die funkelnde, bodenlose Tiefe des Weltenraumes.

Und der Fadinger bat: »Kasparus, zeig mir den Kriegsstern! Ich bin da droben nit bewandert, hab mein Lebtag nur zur Erd niederschauen müssen und nit Zeit gefunden für das, was über mir ist.«

Der Student wies steil empor. »Der dort ist es, der so trüb feurizt.«

»Wie finster glüht er!« sann der Bauer. »Es ist ein fürnehmer Stern. Eine zornige Kraft geht von ihm her. Der Herrgott hätt ihn nit sollen über uns setzen.«

Kasparus deutete auf den Nordstern. »Der aber ist die Angel. Darum reisen alle andern Gestirne im Ring Tag und Nacht.«

»Das dreht sich wie eine ewige Rossmühl«, nickte der Hauptmann. »Etwan sitzt Gott auf selbigem Stern und schaut herunter auf unser rotblutig Werk.«

»Das weiß ich nit«, sagte der Student. »Aber drin in der finstern Stadt vor uns schaut jetzt wohl einer hinauf mit seinen edeln Schaugläsern, und mit dem Sternspiegel fängt er alles auf, was droben fremd und wie ein Geheimnis glänzt, und er misst die Wege droben und ihre Zeiten und deutet sie aus.«

Der Bauer horchte auf. »Und wer ist denn das?«

»Das ist der Johannes Kepler, der höchste Meister in der Gestirnkunst, vormals zu Prag des Kaisers Rudolf Sternwärtel. Er ist aber größer als ein Kaiser, er ist ein ewiger Mann.«

»Mir ist leid um ihn, dass er drin in Linz hungern muss«, sagte der Fadinger. »Ich hab gehört, dass die Bäcker drin schon winzige Hungerbrötchen feil halten. Ich möchte dem Sternenmann gern ein Gutes tun, wenn ich könnt.«

Ihn hungert nit, Fadinger. Er merkt nit viel vom Streit der kleinen Welt. Er lebt wo anders. Er lebt hoch über uns.«

»Aber wie nutzt er der Welt, wenn er so weit weg davon ist?«

»Er lehrt uns dem Herrgott seine Schrift lesen, die droben steht. Und jetzt soll er ein Buch schreiben über die Harmonei der Welt.«

»Die Harmonei?« Das Wort versteh ich nit.«

»Droben die Sterne laufen in klarer Ordnung ihre Straßen, keiner stört den andern. Und ob auch jeder den eigenen Weg geht, so ist doch droben alles in einer wunderbaren Eintracht miteinander verbunden und zu vergleichen mit einem riesigen Uhrwerk. Und diese Eintracht ist die Harmonei. Und also heißt man auch einen schönen Zusammenschall von Tönen, der uns das Herz erfreut und heilig macht. Und in uralter Zeit haben die Weisen geglaubt, dass die Sterne selig erklingen in ihrem gemessenen Glück.«

Der Fadinger versank in den Überglanz des Himmels. »Da droben ist leicht die selige Ordnung halten. Es sind keine Menschen oben.«

Er kehrte sich zur verfinsterten Erde zurück. Der Wind fuhr auf. Ein Käuzlein klagte: »Tod! Tod!«

Aber dann lächelte er träumerisch. »Und haben wir Linz genommen und ist hernach der Krieg aus, und haben wir unsern Glauben herzhaft bewahrt, so wollen wir auch Ordnung ins Land bringen. Die Möser wollen wir trocknen, besseres Korn säen, stolzeres Vieh aufzügeln. Wenn der Krieg aus ist. Aber wer kann von sich sagen, dass er die schwere Zeit überdauert?«

»Der Johannes Kepler wüsst schon, wie sich Krieg und Schicksal wendet. Er liest in den Sternen, was bevorsteht.«

»So wollt ich ihn fragen, ob das lautere Wort Gottes bestehen wird oder nit«, sagte der Fadinger. »Doch was frommt uns seine Wissenschaft?! Gestritten muss dennoch werden!«

»Glaubst du, Steffel Fadinger, dass wir den Feind überwinden?« raunte der Student. »Wir sind nit von der eisernen Zunft, sind nit kundige Kriegsleut.«

Der Obristhauptmann erwiderte ihm nicht. Es war, er habe sich in den Rätseln außerirdischer Gebiete vergessen. »Der Kepler«, murmelte er, und ein fremder Geist sprach in ihm auf, »er sucht mit dem Zauberglas seinen Herrgott. Ich wollt, er tät ihn finden.« Und erfragte jäh: »Weiß der Kepler, wie viel Stern droben sind?«

Der Student sagte: »Das weiß niemand. Es sind ihrer so viel als Tropfen in der Donau und noch viel mehr und nit zu ermessen da. Und jeder Stern ist eine Welt, ähnlich der unsern da. Und unsere Erde ist nur ein winzig Stäublein, das unter den unzähligen andern Welten im leeren Urgrund hangt und kreist.«

Der Bauer prallte zurück vor diesem Wort. »Du spaßest. Du redest irr. Du lügst.« Und er drängte: »Sag, so wär unsere Erd da, darum die Sterne tanzen, nit in der Mitte der ganzen Welt?«

Kasparus schüttelte in lächelndem Ernst das Haupt und grüßte wortlos empor, wo die Ewigkeit trostvoll und bedrückend zugleich sich öffnete, und das All und seine Seele erfassten und durchdrangen sich.

Dem Fadinger aber war, als donnerte etwas zusammen. Die ehernen Knie wurden ihm plötzlich kraftlos. »O weh!« rief er. »Wenn das wahr ist, dann sind wir Menschen ganz verloren und vergessen. Wie kann hernach der Herrgott unsere kleinwinzige Erd und unser Freud und Kümmernis drauf wichtig nehmen? Und Krieg und Leben und Tod ist dann nichtig und alles, was wir treiben!«

Zum ersten Mal im Leben ahnte er Unendlichkeit und Ewigkeit in ihrer tödlichen Vermählung, und das hohle Nichts schmetterte ihn nieder. Und wiederum war ihm, als ob er, hangend zwischen Flügeln, die Menschheit und ihr Werk drunten in entlegener Tiefe schaute: belanglos, wertlos, ohne Sinn, wie sich das Irdische drunten in dem ungeheuern, uferlosen All entwickle und löse.

Ach, was ist der Mensch? Was ein Volk? Es geht unter als ein Nichts in Raum und Zeit! Und was hilft es, dass wir unsere armselige irdische Klugheit kehren wider das Verhängnis, das donnernd aus den Fäusten des Ewigen fällt?!

»Fadinger«, tröstete der Student, »und donnoch dürfen wir unser Los nit nehmen, wie es uns auferlegt wird! Draufschlagen müssen wir wie der Schmied auf das Eisen. Und merk auf: die Welt wächst aus dem Gedanken: ‚Ich will leben!'«

Der Bauer stammelte: »Ich find mich – nimmer zurecht.«

»Fadinger, der Mensch hat etwas, was ihn groß macht über alle Grenzen hinaus, so dass er alle Gestirne und alle Räume droben und alles, was nimmer zu messen und zu zählen ist, in sich tragen kann. Das ist seine Seele. Gott selber hat sie uns in den Leib gegossen, und wir müssen sie hüten als seinen lebendigen Atem in uns, und was Frommes drin wächst, ist göttlich und wert, dass wir uns drum wehren und es schützen bis zum Tod.«

Der Bauer rang qualvoll, die Worte des andern zu durchgründen. »Was ist denn so kostbar in unserer Seel? Dem Luther seine Lehr? Die Freiheit? Die Wahrheit?«

»Das alles kommt als Äußerstes nit in Frage.«

»So sag, Kasparus, was ist das Beste, was der Mensch hat?«

»Die Sehnsucht!«

»Ich versteh dich nit«, murmelte der Fadinger trostlos.

Kasparus umschlang in scheuer Zärtlichkeit den Nacken des Freundes und sagte: »Und dennoch lebt es in dir feierlich und schön.«

Jähe Glut wischte über den Himmel und nahm die Nacht aus ihrem Frieden. Es war, ein zorniger Unstern habe sich von seiner Wurzel losgerissen und fege mit brennendem Pfauenschweif dahin.

»Der Himmel bricht ein!« rief der Fadinger. Die Stille der Nacht barst, Donnerschlünde spien, krachend und glühend zuckte es durch die Düsternis und spiegelte sich in murrendem Widerhall und im Strom.

»Der Graf schießt!« rief der Student. »Er traut sich! Pechkränze! Gegen das Urfahr!«

Mitten in der Donau schlug es zackig empor. Feuer war auf die hölzerne Brücke geworfen worden, die an das Nordufer führte, wo in dem Orte Urfahr die Sturmhaufen aus dem Mühlkreis und dem Machland bereit standen. Die Mitteljoche und das Schlagtor drüber brannten hoch in die Nacht.

In Linz jauchzten die Soldaten. Jenhalb der Donau scholl das verworrene Geschrei der aus der Ruhe geschreckten Haufen. Lichter liefen hin und her, Fackeln irrten.

Aber auch im Heerlager von Linz hatte sich der blinde Schreck erhoben. Schlaftrunken taumelten die Bauern auf, tappten nach den Waffen und wähnten, der Herbersdorf habe sie überrumpelt und wäre schon mitten unter ihnen. Ein Trommler zeterte: »Lärm! Lärm! Ich find meine Trommel nit!« Zu schwarzem Getümmel geballt, unwissend, aus welchem Dunkel die Gefahr ziele, drängten, stießen und quetschten sie sich scheltend und fluchend und verletzten sich an den eigenen Waffen.

Der Fadinger trat ihnen entgegen. Mit einem Windlicht schlug er auf die Flüchtigen ein und brachte sie zum Stehen. »Reibt euch die Augen!« schrie er. »Wollt ihr davonrennen wie die Berghasen? Der Graf hat die Brücke angezündet. Was nutzt es ihm? Morgen kommen die Nachbarn auf Plätten und Zillen herüber und packen das Schloss von der Donau her. Morgen sitzen wir in Linz.«

Da löste sich das Wirrwarr. Schweigend schlichen die Bauern zurück zu ihren Liegerstätten, und die auf der Wacht standen, schauten den Flammen zu, die in steiler Ruhe an der Brücke fraßen.


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