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Der Sommer ging zu Gnaden. Der Schlehdorn wurde blau, und in den Hecken lauschte schon der frühe Herbst.
Auf einem Berg bei dem Dorf Kornöd mitten im Pramwald lauerte das bäuerische Heer.
Die Sonne stach schwül. Gewittrig dunkles Gewölk lastete ohne Bewegung am Himmel. Es war fast hochsommerlich heiß.
Kasparus lag abseits der sich vorbereitenden Haufen. Altsommergespinst umgraute sein Haar und vergreiste es.
Trübe, entmutigende Wochen waren verflossen. Der Däne von Tilly zermalmt, der Mannsfelder von Wallenstein verscheucht: von außen war keine Hilfe mehr zu erwarten. Und des Kaisers Unterhändler hatten ihr süßen Versprechungen abgebrochen und schroff die bedingungslose Unterwerfung unter den Willen ihres Herrn gefordert. Kniefällig, im Bußkittel und den Strick um den Hals hatte hernach zu Enns die Bauernschaft um Verzeihung betteln müssen. Und der Wiellinger und der Madelseder gefangen, der Hamel geflohen und manch anderer in der Feigheit seines Herzens übergegangen! Viele herzhafte Leute waren mit Ketten an die Flöße gebunden und nach Wien geschafft worden, um dort ihr Lebtag im Stadtgraben zu fronen. Kasparus selber, verfolgt und gesucht von den Häschern, hatte sich unstet in den Wäldern des Hausrucks umher getrieben.
Und für alle die schimpflich demütige Unterwerfung, für das Gelöbnis des Gehorsams wurde dem Volke nichts geboten als ein paar hohle Versprechungen, kein offenes Wort des Kaisers, dass er das Gewissen ehren wolle, um dessen Freiheit sie so wacker und treuherzig gestritten und so schmerzlich gelitten hatten. Und zu all dem gesellte sich der unerhörte Treubruch, dass jetzt nach dem harten Opfer der Unterwerfung plötzlich die Horden des Herzogs von Holstein in das entwaffnete Land geschickt wurden, die mit maßlosen Gräueln die Untaten der Kaiserlichen noch überboten.
Kasparus schaute in die breiten, rauen Wälder hinein und dachte dem Lauf der Welt und der Untreue der Menschen nach. Aber sein Herz verzagte nicht.
Der Berndl, der mannliche Held, rammte neben ihm eine Fahne in den Grund, deren schwarzes Tuch mit Sternen bestickt war und mit einem Spruch, der da lautete: »Das wollt Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist, der uns den Weg in den Himmel bereit.«
Der Berndl lachte: »Gelt, Student, da schaust du, dass der Bauer wieder aufs Ross kommt? Wie ein Feuer ist unser Aufgebot durch den Hausruck gelaufen. Und kommt uns heut der Lindlo in den Fang, ihm geht es wie dem Holsteiner, dem Raubvogel.«
Da erzählte der Hans Vischer von Egg, der die Holsteiner in Neukirchen geschlagen hatte: »Im Hemd ist der liederliche Herzog davon. Sein silbernes Geschirr, seine Schiffe, seine Fahnen, seine Ehr, alles hat er hinter sich müssen lassen. Wir haben weit über tausend von seinen Leuten bezahlt für ihr überschändliches Treiben. Ganze Gruben haben wir mit ihren Leichen ausgefüllt.«
»Ein Glück kommt selten allein«, sagte der Berndl, und seine borstigen Brauen zuckten. »Lindlo, heut biegen wir dich! Dein Gelüst soll dir vergehen!«
»Jetzt ist in Bayern das Bier selten worden«, meinte der Jäger Kietopler, »ein neues Gesetz ist, man darf im Tag nur eine Stund saufen. Drum kommen sie herüber zu uns.«
Dunkler brämte es sich in dem Wetterloch an. In die Bauern kam Bewegung, sie griffen nach den Prügeln und Äxten, womit sie sich in Eile bewehrt hatten. Bessere Waffen führten sie nicht.
Aus den Wäldern des Tales quoll mit Tross und Plunder das feindliche Volk.
Der Hans Vischer trat unter die Bauern und rief: »Schaut hinunter, wie sie drunten wimmeln! Schinden, spießen, braten wollen sie uns bei lebendigem Leib, wie es die Holsteiner gemacht haben. Stricke führen sie mit, unser letztes Vieh wollen sie wegtreiben. Drüben das Land am Inn haben sie schon sauber ausgefressen, jetzt steigen sie uns in die Schüssel hinein.«
»Ärger sind sie als derm Wolf sein Schlung!« schrie der Ecklehner. »Sie dürfen nit herein. Die Straße müssen wir ihnen verlegen!«
»Die Holsteiner haben die kleinen Kinder auf den Spieß gesteckt«, fuhr der Hans Vischer fort, »den tragenden Weibern haben sie die Bäuche aufgeschnitten. Aber dem Lindlo sein Haufen ist noch verschriener, der wird noch hundertmal ärger wüsten!«
Da brüllten die Männer auf: »Nit herein lassen ins Land!« Die Tremmel bäumten sie, die Stichmesser zückten sie gegen die Tiefe.
Dort entfaltete sich der Feind breit in geübter Ordnung, den Berg mit stürmender Hand zu nehmen. Die Donnerschlünde wurden gerichtet, Haubitzen, Falkonen und Feldschlangen, und hinter dem Heer zeigte sich, weit zahlreicher noch als die Schar der Kämpfer, mit Zugtier und Wagen der Tross, Abhub aus aller Herren Landen.
Die Bauern droben ahnten die verwilderten Augen der Soldatenweiber und des ganzen heimatlosen Gesindels, gierig nach den Dingen des Landes und gewärtig, sich darüber zu ergießen und wie Heuschrecken es auszugrasen.
»Nachbarn, lasst die Soldaten heraufrücken!« befahl der Berndl. »Wenn sie schießen, duckt euch! Und hernach: hui auf, Bauer! Ein zweites Mals dürfen sie nimmer auf uns schießen!«
Kasparus erhob seine starke Stimme. Wie ein brennender Baum ragte er, von Gottes Feuer entzündet, und hingerissen von dem Geist des kämpferischen Psalmes, den er betete, war ihm, er sei nicht Menschenleib mehr, sondern nur Atem und rufende Bitte, und er fühlte den Erdboden nimmer unter sich, und ihn deuchte, er schwebe.
»Gelobt sei der Herr, mein Hort, der meine Hände lehret streiten und meine Fäuste kriegen! Meine Güte und mein Bergschloss, mein Schirm und mein Helfer, mein Schild, darauf ich traue, der mein Volk unter mich zwingt!
»Herr, was ist der Mensch, dass du dich sein annimmst? Und des Menschen Kind, dass du ihn so achtest? Ist doch der Mensch gleich wie nichts; seine Zeit fähret dahin wie ein Schatten.
Herr, neige den Himmel und fahre herab! Rühre die Berge an, dass sie rauchen! Lass blitzen und zerstreue sie! Schieße die Strahlen und schreckt sie! Strecke die Hand aus von der Höhe und erlöse und errette uns von den großen Wassern, von der Hand der Söhne der Fremde!«
Eine wunderbare Kraft wuchs aus dem Psalm hinein in die Seelen der Streiter. Sie wussten, Gott war ergriffen worden von dem demütig starken Anruf, und er neigte gewährend das gewaltige, uralte Haupt.
Und atemlos wartete der schwarze, große Haufe, glühte verderblichen Auges der feindlichen Schar entgegen, die hastig den Berg heran klomm, näher und näher. So still war es, dass man das Gras wehen hörte.
Der Schauervogel schrie. »Haglen wird es«, lispelte ein wettergerechtes, alterfahrenes Bauernknechtlein.
Droben am Himmel bewegte sich die finstere, wilderhabene Wolke.
Drunten im bayerischen Heer schollen Befehle, erregte Rufe, die Trommeln murrten. Die Musketiere stießen die Gabeln in die Kuhtrift, darauf sie Halt machten.
Jäh warf sich der Bauernhaufe zu Boden. Feuer blitzte herauf, Dampf wob. Donner schütterte durch den wallenden Rauch. Die Wälder gaben verworrenen Hall.
Denn aber schnellte es empor wie ein riesiges Kornfeld, wenn der Druck der Sturmwelle nachgelassen hat. In brausendem Getümmel flutete es hinab in die Feinde, rachelechzend, verzerrt die Mäuler, hassspeiend die aufgerissenen Augen, nichts Menschliches mehr in ihrem Anblick.
In dieser Schlacht fiel kein Schuss mehr.
Die Bauern schloffen den Musketieren unter die aufgelegten Büchsen. Gewaltig schlugen sie mit Kolben und Hacken drein. Keiner stach, alle holten nur aus und tremmelten. Ehe die Bayern zersprengen oder deren Ordnung mit den Donnerschlünden zertrennen konnten, waren sie überrumpelt und in wirbelndem Wirrwarr mit dem Angreifer kämpfend und gebunden.
Die gewitterreife Wolke droben hub nun zu dröhnen an, als feire Gott die Schlacht mit festlichem Donner.
»Schau, schau, jetzt rumpelt es!« brummte das wettergerechte Knechtlein. »Und heißt es doch, dass zu Barthelmä die Wetter heimgehen!«
Die Wolken krachten, der Donner tümmelte, ein scharfer Hagelschauer rieselte in den Kampf und geißelte die Streiter. Es hatte aber keiner Zeit zu lauschen, wie sich aus der Zornesschale droben Blitz und Donner niedergoss.
Mitten im Wirbel der Bauernschlacht riefen sie sich ein Wunder zu: der feurige Donnerstrahl habe niedergeschlagen in das erhobene Schwert des Studenten, das Eisen sei ihm in der Faust geschmolzen, und er sei heil geblieben.
Die Landsknechte wehrten sich mit den Kolben ihrer Büchsen gegen die besessene Stoßkraft der schwarzen Bauern. Doch vor den ungestümen Schlägen wichen sie zurück. Ihre Offiziere warfen sich mit den Rössern ihnen entgegen. »Ihr Huren, ihr Memmen, wollt ihr davonrennen?!« Sie ritten die Bauern an, aber die Gäule wurden ihnen niedergebengelt, und ihre Rippen knirschten unter der Wucht der stürzenden Tiere.
Der Generalwachtmeister Timon von Lindlo rasselte seine Reiter an. »Buben! Hinein in die Bauern! Reitet sie über den Haufen! Noch ist es nit zu spät!«
Das Spätgewitter vergrollte sich, sanftere Tropfen fielen, und über das Mordgewimmel wölbte sich in unsäglicher Schönheit, von keinem beachtet, der Regenbogen.
Der Lindlo krächzte wie ein wilder Vogel. »Reitet sie nieder!«
Aber ein Reiter erwiderte: »Es nutzt nix mehr. Die Teufel sind gefroren. Es geht kein Stich durch.«
»Du Katzenkopf, du Esel! Du lügst!« krächzte der Lindlo. »Reitersleut, schau her!« Und er stieß sein Schwert so fest in einen Bauern, dass er es nimmer herausbrachte und es stecken lassen musste in dem Geripp.
Aber die Reiter hatten ihre Tiere schon herumgeworfen. In kopfloser Flucht verschwand das Geschwader im Wald.
»O Spott, o Schand!« tobte der Lindlo. »Ich überleb das nit!«
Der Obrist Gottfried Hübner trieb seinen gereizten, zornig tänzelnden Feuerfuchs seinen weichenden Truppen entgegen. »Steht!« kreischte er. »Bringt mich um! Ich lass euch nit vorüber!« Wutberauscht spornte er das Tier. Es bäumte sich steil, und dann jagte es in wahnwitzigen Sprüngen davon und entführte seinen Herrn in die Mitte der Bauern. Dort erschlug ihn der Thomas Ecklehner mit der Hacke.
Der Berndl stieß auf den Obristen Kurtembach, den verwegensten Mann im bayerischen Heer. Der Obrist, in Hieb und Stich gewandt wie kein zweiter, kam nicht auf gegen die ungeschlachten, blinden Schläge des Riesen. Sein dampfendes Blut spritzte dem Berndl in die Hände. »Wie eine Sau blut ich!« lachte er. Schließlich rettete ihn sein Ross aus dem Gefecht.
Der Sieg der Bauern war so weit gediehen, dass die Soldaten ihre Waffen wegschleuderten, auf die Knie fielen und um Gnade baten. Sie fanden nicht Gehör.
Irrlings durch Wald und Tal floh das Heer des Lindlo. Es rannte, als wolle es unter dem bunten Joch des Regenbogens durchlaufen. Waffen, Sterbende und Tote bezeichneten seinen Weg.
Die Bauern folgten ihnen bis an die Grenze des Landes.
Dort rief einer dem Hauptmann Hans Vischer zu: »He, Vischer, jetzt rucken wir unserm Anrainer ins Land! Niederhauen müssen wir die Soldaten bis auf den letzten Mann! Und drüben treiben wir die bayerischen Bauern auf! Sie stehen zu uns. Sie sind viel gemartert worden von dem Lindlo seinem Volk.«
»Die Grenzen sind uns heilig«, lehnte der Hans Vischer ab. »Wir haben drüben nix zu schaffen. Wir wollen uns nur wehren.«