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Es regnete, als Penelope auf der etwas schmutzigen Strickleiter zu dem wenig einladenden Eisendeck des Tankers emporkletterte. Mr. Orford hatte merkwürdigerweise die etwas halsbrecherische Tour längst hinter sich. Er hatte vorher drahtlose Nachrichten an das Schiff geschickt, so daß sie alle möglichen Bequemlichkeiten in den Kabinen vorfanden, mit denen sie gar nicht gerechnet hatten. Die beiden Schiffe trennten sich im Morgengrauen wieder, und Penelope beobachtete zwischen großen Haufen aufgerollter Taue und rostiger Ankerketten, wie die schlanke ›Polyantha‹ sich immer weiter entfernte. Es regnete unaufhörlich.
Der Tanker war lange nicht so gemütlich. Er rollte und stampfte unheimlich, selbst bei geringem Wellengang. Mrs. Dorban, die leicht seekrank wurde und obendrein den Petroleumgeruch nicht vertragen konnte, legte sich bald in ihrer Kabine nieder und blieb den ganzen Tag dort.
Penelope verfügte nur über eine kleine Kabine und hatte große Mühe, all ihre Habseligkeiten unterzubringen. Die Schubladen der Kommode und der kleine Schrank waren mit Sachen des Schiffsoffiziers angefüllt, der die Kabine vor ihr innegehabt hatte. Sie richtete sich so gut wie möglich ein und sehnte sich noch lange nicht nach dem Ende ihres Abenteuers. Sie war sich selbst nicht recht über ihre Stimmung klar.
Am nächsten Morgen begegnete sie John an Deck. Er teilte ihr viele Neuigkeiten mit, die sie in Erstaunen setzten.
»Ich glaube nicht, daß wir für immer Abschied von der ›Polyantha‹ genommen haben«, meinte er. »Mr. Orford hat mir gerade gesagt, daß er einen anderen Treffpunkt mit ihr vereinbart habe. Wenn sie von dem ersten Kriegsschiff, dem sie begegnet, durchsucht worden ist, werden wir nördlich von Madeira wieder zu ihr stoßen. Und wir haben dann Aussicht, unsere Reise unter angenehmeren Bedingungen fortzusetzen.«
»Was soll denn aus den Dorbans werden? Und aus Hollin?« fragte Penelope.
»Hollin werde ich mitnehmen müssen, wie ich es ihm versprochen habe. Was aus den Dorbans werden soll, weiß ich selbst noch nicht. Das ist noch die größte Schwierigkeit, aber ich glaube, man kann sie mit Geld abfinden und mit einem Versprechen, das ich ihnen schon halbwegs gegeben habe.«
»Was haben Sie ihnen denn versprochen?«
Er schaute aufs Meer hinaus und schwieg eine Zeit.
»Ich habe ihnen versprochen, mich unter der Bedingung, daß sie mich nicht wieder betrügen, nicht zu verheiraten. Aber ich bin mir selbst noch nie so gram wie jetzt gewesen, nachdem ich dieses Versprechen gab.« Er sah sie wieder an.
»Warum denn?«
»Weil ich Sie liebe und mir dadurch das einzige Glück raube, das mir erstrebenswert erscheint. Sie müssen annehmen, daß ich ein recht ungebildeter Mensch bin, Penelope, und ich glaube es beinahe selbst. Ich wollte Sie aus diplomatischen Gründen heiraten, aber ich erkannte auch, daß Sie das Anerbieten Mr. Orfords nicht aus Liebe zu mir annahmen. Wie wäre das auch möglich gewesen? Sie kennen mich erst seit ein paar Tagen und wissen noch nicht einmal das Schlimmste über mich.«
»Ich glaube, ich weiß es doch.«
Er schüttelte den Kopf, aber Penelope fuhr unbeirrt fort.
»Sie fliehen vor jemandem. Haben Sie nicht –«, sie zögerte, aber dann sagte sie doch, »– ein Verbrechen begangen?«
»Nein, ich bin zwar angeklagt worden – aber es ist doch alles zwecklos ...«
Sie schaute ihm nach, als er fortging, und fühlte eine sonderbare Leere im Herzen.
Am Nachmittag fuhren sie an zwei Torpedobootszerstörern vorbei, die anfragten, ob sie nicht die ›Polyantha‹ gesichtet hätten. Es wurde ihnen wahrheitswidrig mit »Nein« geantwortet. Gegen Abend erhielten sie einen Funkspruch, der mit Mr. Orford verabredet worden war.
»Die ›Polyantha‹ ist angehalten und durchsucht worden«, erklärte Mr. Orford beim Abendessen.
»Armer Bobby«, flüsterte Penelope. Bobby war an Bord geblieben, um die Rolle des reichen Besitzers zu spielen.
»Bobby fällt das Lügen nicht schwer«, sagte John ruhig. »Er kann tausend Ausflüchte machen und ist nie um eine Ausrede verlegen. Wie geht es Ihrer Frau, Dorban?«
Arthur lächelte geheimnisvoll, aber er gab keine Antwort.
Am Abend saßen sie auf dem Achterdeck zusammen, als der Captain zu ihnen trat. John und Mr. Orford rauchten, Penelope kauerte in ihrem Deckstuhl, denn das Schlingern des Schiffes war etwas ungemütlich geworden. Dorban ging unruhig auf und ab.
»Soeben habe ich einen Hilferuf aufgefangen, Mr. Orford«, sagte der Captain. »Das Schiff ›Pealego‹ ist auf ein Riff gelaufen und im Sinken.«
»Was ist das denn für ein Schiff?«
»Ein Passagierschiff, das von Vigo nach Funchal fährt, ein sonderbares Schiff, ich bin ihm schon mindestens ein dutzendmal in diesen Gewässern begegnet. Natürlich haben wir jetzt den Kurs ändern müssen und fahren auf die ›Pealego‹ zu. Das Unglück passierte ungefähr zwanzig Meilen von uns entfernt. Wir werden sehr bald auf ihre Rettungsboote stoßen.«
Zwei Stunden waren vergangen, als sie Licht auf dem Wasser entdeckten. Durch Ferngläser erkannten sie zwei Boote, die nebeneinander ruderten.
»Das ist schrecklich für uns«, sagte Mr. Orford und schüttelte den Kopf, »denn wir müssen diese Leute irgendwo an Land bringen. Und ich wollte meinen Fuß erst wieder auf festen Boden setzen, wenn wir die Mole von Boston erreicht hätten.«
Die Mannschaft des Tankers hängte eine hellbrennende Lampe über das Fallreep, das heruntergelassen wurde, und sie lehnten sich über die Reling, um die Geretteten zu sehen, als sie an Bord gebracht wurden.
Zuerst kamen zwei weinende Frauen in Matrosenmänteln, dann ein alter Mann, der ganz durchnäßt war. Hinter ihm tauchte ein großer, schlanker Mann auf, der das Aussehen eines Militärs hatte. Der erste, der ihm an Deck begegnete, war John, in dessen Gesicht kein Muskel zuckte, als der Mann auf ihn zukam.
»Ich bin Inspektor Spinner – ich denke, wir kennen uns.«
»Das ist wohl möglich«, erwiderte John kühl.
»Sie sind der Earl von Rivertor, ein Sträfling, der wegen Herstellung falscher Banknoten zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Und dieses ist James Hollin, auch ein entflohener Sträfling, der fünf Jahre wegen Einbruchs abzusitzen hat. Sie sind beide am Vierzehnten des vergangenen Monats aus Dartmoor entflohen.«
Mr. Dorban kam heran.
»Ich kann diese Angabe nur bestätigen. Mein Name ist Arthur Dorban. Und dieser Mann –«, er zeigte auf John, »ist mein Vetter.«
Zu Penelopes größtem Erstaunen wandte sich John mit einem strahlenden Lächeln an seinen schlimmsten Feind.
»Jetzt bin ich meines Versprechens ledig, Arthur«, sagte er.
*
Für Penelope Pitt war die nächste Nacht ein langer, schrecklicher Traum. Sie war so wenig imstande, Wirklichkeit und Traum voneinander zu unterscheiden, daß sie beinahe ernsthaft an ihrem Verstand zu zweifeln begann. John war der Earl von Rivertor, und er war ein entflohener Sträfling! Das klang alles so unglaublich, so phantastisch, daß sie sich wohl zwanzigmal in der Nacht erhob und das elektrische Licht andrehte, um sich zu überzeugen, daß sie wachte und nicht das Opfer schrecklicher Halluzinationen war.
Was war aus Mr. Orford geworden? Sie wußte es nicht. Sie konnte ihre Gedanken nicht einmal so weit sammeln, um über ihre eigene Zukunft nachzudenken.
Am nächsten Morgen stand sie früh auf und ging an Deck, wo die Matrosen mit Wasserschläuchen und Bürsten tätig waren. Sie fand Mr. Orford in dem bequemsten Stuhl, der an Bord des Schiffes aufzutreiben gewesen war. Er hatte sich in viele Decken eingehüllt, war ebenfalls wach und in tiefe Gedanken versunken. Sie nahm an, daß er nicht gut auf sie zu sprechen sei, da sie sich indirekt für das tragische Ende seiner kühnen Pläne verantwortlich fühlte, aber er begrüßte sie mit einem freundlichen, fast väterlichen Lächeln.
»Ich bin überhaupt nicht zu Bett gegangen – ich habe auch nicht geschlafen«, sagte er erklärend.
»Bitte stehen Sie nicht auf«, bat sie ihn schnell, als er Miene machte, sich aus all seinen Decken herauszuwinden. »Ich kann mich hierher setzen.« Sie zog einen Stuhl herbei und ließ sich an seiner Seite nieder. »Mr. Orford, was bedeutet das alles?«
»Was es bedeutet? Sechs Monate harter Arbeit und eine halbe Million Dollar für die bestorganisierte Flucht, die die Welt jemals gesehen hat, sind zum Teufel gegangen!«
»Wollen Sie mir denn nicht endlich alles sagen?«
»Es ist ja jetzt doch kein Grund mehr vorhanden, warum Sie nicht alles wissen könnten.« Er winkte einem Matrosen. »Mein Sohn, gehen Sie einmal in die Küche und bringen Sie etwas heißen Kaffee«, wies er ihn an. Dann wandte er sich wieder an Penelope. »John ist der Lord von Rivertor. Als er zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, war er es noch nicht und hatte überdies nicht die leiseste Ahnung, daß er die nächste Anwartschaft auf diesen Titel hatte. Er ist sehr reich und begütert, ebenso Mr. Stamford Mills, sein Freund. Sie haben zusammen in Paris auf der Kunstakademie studiert, und seit Lord Rivertors Verurteilung hat dieser junge Mann alles aufgeboten, um ihn zu befreien. Ich selbst habe schon viel organisiert, aber noch niemals eine Flucht aus dem Gefängnis.«
Er machte eine Pause und schüttelte den Kopf.
»Der erste Unglücksfall begegnete uns, als Hollins Mütze davonflog. Alle englischen Sträflinge haben eine Nummer, die in die Kappen eingestickt wird.«
»Sie müssen mir aber alles von Anfang an erzählen. Warum wurde Lord Rivertor eigentlich verurteilt – welches Verbrechen hat er denn begangen?«
»Ich bin fest davon überzeugt, daß er überhaupt kein Verbrechen begangen hat«, sagte Mr. Orford mit Nachdruck. »Ich habe die Erfahrung gemacht, daß viele Leute unschuldig im Zuchthaus sitzen, die das Opfer eines widrigen Schicksals oder gemeiner Verleumdung sind. Als ich hörte, daß Lord Rivertor durch ein gemeines Komplott zu Fall gebracht worden war, fühlte ich sofort, daß hier wieder ein Justizirrtum vorliegen mußte. Er ist wirklich unschuldig.«
Mr. Orford war im Eifer aufgestanden und gestikulierte heftig.
»John war ein Künstler und ein Vetter dritten oder vierten Grades des alten Earls von Rivertor. Der alte Herr hatte drei Söhne, die alle innerhalb einer Woche an Lungenentzündung starben. Das klingt fast wie ein Märchen, aber sie sind tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben. Ich habe mich sehr genau danach erkundigt, denn ich verdächtigte Mr. Dorban, daß er die Natur bei ihrem Vernichtungswerk unterstützt hätte.
John Rivertor wußte nichts von alledem. Er lebte als Maler und Zeichner in Paris und hatte sein Auskommen. Er war ein besonderer Spezialist für Radierungen. Möglich, daß er ein großer Künstler ist, möglich, daß er es nicht ist. Ich verstehe zuwenig von Kunst, um das beurteilen zu können.
Bei der Gerichtsverhandlung wurde nun folgender Tatbestand festgestellt: John verkehrte in einem Restaurant im Westen Londons. Der Eigentümer dieses Lokals hatte bei den verschiedensten Gelegenheiten gefälschte Fünfpfundnoten in seiner Kasse gefunden, konnte aber nicht genau sagen, von wem er die Scheine bekommen hatte. Der Verdacht fiel jedenfalls auf John. Mir ist es ganz unerklärlich, wie das möglich war, aber ich habe eine Vermutung, wer dieses Gerücht aufgebracht hat. Wahrscheinlich hat der Betreffende die falschen Noten selbst in Umlauf gesetzt.
John war nicht gerade wohlhabend, aber es ging ihm auch nicht schlecht. Er verkaufte seine Radierungen ganz gut und lebte von der Arbeit seiner Hände. Eines Tages kam ein Mann in sein Atelier, der Radierungen für einen amerikanischen Millionär kaufen wollte. John hatte ihn noch niemals gesehen und traf ihn auch später nicht wieder. Der Mann wählte ein paar Blätter aus und bot eine so hohe Summe dafür, daß John sehr erstaunt war. John selbst forderte einen weit niedrigeren Preis, aber der merkwürdige Käufer bestand darauf, ihm den hohen Betrag zu zahlen. Er gab ihm nur Banknoten. Das erste halbe Dutzend war echt, die anderen Scheine waren nicht besonders gut gelungene Fälschungen. Der Fremde nahm die Radierungen an sich, und John begleitete ihn auf seine Bitte zum Bahnhof. Der Besucher nannte sich Smith und erzählte, daß er nach Brüssel reise. Es dauerte noch ziemlich lange, bis der Zug abfuhr, und Mr. Smith hielt John bis zur Abfahrt auf. John ging dann in sein Stammlokal, um dort zu Abend zu speisen. Er fühlte sich in recht gehobener Stimmung, daß er soviel Geld verdient hatte.
Als er das Restaurant wieder verließ, wurde er von zwei Kriminalbeamten verhaftet, die ihn mit zur Polizeistation nahmen und dort durchsuchten. Die falschen Banknoten wurden bei ihm gefunden, und obgleich er erklärte, wie er in ihren Besitz gekommen war, glaubte man ihm nicht. Auch seine Wohnung wurde durchsucht. Sie bestand aus einem großen Atelier und zwei kleinen Zimmern; außerdem gehörten noch ein Abstellraum und eine kleine Küche dazu. In der verschlossenen Rumpelkammer entdeckte die Polizei eine vollständige Falschmünzereinrichtung – Druckerpressen, Platten und Pakete gefälschter Banknoten, die anscheinend eben erst gedruckt waren. Außerdem fand man Säurebäder, Radierwerkzeuge und alles, was sonst noch zum Druck von Banknoten notwendig ist. Die Indizien waren erdrückend, und obwohl verschiedene Sachverständige ihr Urteil dahin abgaben, daß diese Noten in einem anderen Land gedruckt worden seien, wurde John doch schuldig gesprochen. Da man außerdem glaubte, einen sehr gefährlichen Verbrecher gefaßt zu haben, wurde er zu der schwersten Strafe verurteilt, die das englische Gesetz dafür vorsieht – zu zwanzig Jahren Zuchthaus.
Ich war sehr verwundert, daß Sie von dieser ganzen Sache nichts wußten, denn alle englischen und amerikanischen Zeitungen waren von dieser Geschichte voll. Nicht nur der Prozeß wurde überall besprochen, sondern auch die Tatsache, daß der Mann, der fast zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt worden war, später den Titel eines Earl von Rivertor erbte. Außer diesem Titel fiel ihm noch eine Erbschaft von etwa zehn Millionen Dollar zu.«
Penelope hatte schweigend und staunend zugehört.
»Die Nachrichten darüber dürften nicht nach Edmonton gekommen sein, ich habe jedenfalls nichts darüber gelesen. Wann hat sich denn diese Tragödie abgespielt?«
»Es ist jetzt ein Jahr und siebzehn Tage her.«
Nun wurde es ihr plötzlich klar.
»Ich war damals sechs Monate lang auf einer Farm und habe überhaupt keine Zeitungen in die Hand bekommen. Die Zeitungen in Edmonton haben die Sache doch sicher gebracht, denn Lord Rivertor besaß eine große Farm in der Nähe der Stadt.«
»John kam also ins Zuchthaus«, sagte Mr. Orford. »Mr. Stamford Mills, sein bester Freund, nahm sich vor, das Geheimnis, das über der Verurteilung Johns lag, aufzudecken. Er war vollkommen davon überzeugt, daß die Geschichte, die John vor Gericht vorbrachte, auf Wahrheit beruhte. Zunächst galt es nun, die Verwandten herauszufinden, die von seinem Verschwinden profitierten, und so kam er auf die Spur El Slicos. Arthur ist Johns nächster Vetter und deshalb auch der nächste Erbe des Titels.«
»Aber Lord Rivertor ist noch jung, und zwanzig Jahre sind doch keine unendliche Zeit. Wie konnten sie denn sicher sein, das Geld und den Titel zu erben?«
»Sie haben nichts dem Zufall überlassen«, entgegnete Mr. Orford grimmig. »Einen Monat nach seiner Einlieferung in Dartmoor wurde John schwer krank. Die Mahlzeiten werden dort von Sträflingen serviert, die sich gut geführt haben und deswegen mit diesen Posten betraut werden. Sie genießen gewisse Vorrechte. Zweifellos war das Essen, das John erhielt, irgendwie vergiftet. Zwei Monate später ging das Gewehr eines Wärters ›zufällig‹ los, und die Kugel ging nur um Haaresbreite an Lord Rivertors Kopf vorbei. Bobby, der ein geborener Detektiv ist, entdeckte, daß der Wärter ein Mann war, der schon mehrere Verweise erhalten hatte. Bobby brachte auch heraus, daß dieser Mann in Verbindung mit den Dorbans stand und schon mehrere Besuche in Stone House bei Borcombe gemacht hatte, wonach sich jedesmal der Betrag auf seinem Bankkonto merklich erhöhte. Warum lebt Mr. Dorban überhaupt so abgeschlossen von aller Welt in Borcombe?«
»Ich dachte, er hätte sich zurückgezogen –«
»Da irren Sie sich aber gewaltig«, sagte Mr. Orford lächelnd. »Dorban hielt sich in Borcombe auf, weil es in der Nähe des Zuchthauses von Dartmoor lag und weil er auf diese Weise mit seinen dortigen Agenten ständig in Verbindung treten konnte. Und warum hat man Sie wohl aus Kanada geholt? Weil Sie nichts von dem Fall wußten und keine Freunde in England hatten. Wenn ich nur gewußt hätte ...«
Er schlug sich ungeduldig aufs Knie.
»Nach dem dritten Anschlag auf Johns Leben zog mich Bobby ins Vertrauen und bat um meinen Rat. Ich gebe gern zu, daß die hohe Belohnung, die mir angeboten wurde, viel dazu beitrug, daß ich diesen Auftrag überhaupt annahm. Wir charterten die Jacht ›Polyantha‹ für sechs Monate von einem französischen Herzog und bemannten sie mit zuverlässigen Leuten. Der Schiffsarzt ist ein entfernter Verwandter Johns, der alte Captain ist sein Onkel mütterlicherseits.
Bobby Mills diente während des Krieges als Flieger – es gelang ihm, von der Verwertungskommission für früheres Kriegsmaterial ein Flugzeug und einen ausrangierten Panzerwagen zu erwerben.
John arbeitete mit mehreren anderen Sträflingen in den Steinbrüchen, die in einiger Entfernung von dem Gefängnis liegen. Jeden Morgen und Nachmittag marschierten sie auf der großen Landstraße dorthin. John befand sich in der sechsten Abteilung, die jedesmal zuerst das Gefängnis verließ. Am Morgen des Vierzehnten kam ein Panzerwagen in die kleine Stadt, der anscheinend von einem Soldaten gelenkt wurde. In Wirklichkeit war es unser zweiter Ingenieur. Er fuhr langsam die Straße entlang und hielt vor dem Zuchthaus an, wo er sich zum Schein an dem Motor zu schaffen machte. Als die Abteilung herausmarschierte, sprang er auf seinen Sitz und fuhr weiter, zuerst langsam, dann immer schneller, bis er sich in gleicher Höhe mit der Abteilung befand.
John war auf alles genau vorbereitet. Ich will Ihnen nicht im einzelnen erzählen, welche Bestechungsmethoden wir anwandten, um ihn von unseren Absichten und Plänen in Kenntnis zu setzen. Als der Wagen in seine Nähe kam, sprang John auf das Trittbrett und wurde in das stahlgepanzerte Innere gezogen. Der Chauffeur beschleunigte sofort das Tempo. Unglücklicherweise war in dieser Abteilung auch der Sträfling Hollin, der diese günstige Gelegenheit wahrnahm. Bevor der Fahrer des Wagens wußte, was geschah, sprang auch er hinein und schlug den Gefangenenwärter nieder, der ihn zurückziehen wollte.
Der Wagen fuhr davon; die Panzerwände hielten die Geschosse ab, die ihm nachgesandt wurden. An einer verlassenen Stelle im Moor hielt Bobby sein Flugzeug bereit. Sie mußten Hollin wohl oder übel mitnehmen. Wenn seine Mütze nicht in der Nähe der Küste aus dem Flugzeug gefallen wäre, hätte niemand gewußt, welche Richtung wir nahmen oder wie die Flucht bewerkstelligt wurde.«
»Und auf dem Meer wartete sicher die ›Polyantha‹?«
»Ja, alles ging nach Wunsch. Das Flugzeug war mit besonderen Schwimmern versehen, so daß es sich auf der Wasserfläche halten konnte. Es kam in der Nähe des Fallreeps herunter. Wir nahmen John und diesen Kerl sofort an Bord, sprengten das Flugzeug und versenkten es. Nun glaubten wir, alles überstanden zu haben.«
»Und dann kam ich.«
»Ja, dann kamen Sie. Aber was haben Sie denn?«
Sie stand plötzlich auf, ihr Gesicht war bleich.
»Die Banknoten!« rief sie atemlos. »Und die Radierungen!«
»Was meinen Sie?«
Zusammenhanglos erzählte sie ihm, was sie damals gesehen hatte. Mr. Orford hörte gespannt zu, dann seufzte er schwer.
»Wenn ich das alles nur früher gewußt hätte! Natürlich ist es so! Die Banknoten schafften sie vom Ausland her, um Verdachtsmomente gegen ihn aufzubringen. Und die Radierungen! Zum Teufel!« Sie starrten einander an.
»Die Banknoten sind jetzt sicher ins Meer geworfen – wir haben also auch kein Beweismittel mehr gegen die Dorbans in den Händen!«
»Aber ich habe doch eine Quittung gesehen«, sagte Penelope langsam. »Ich vergaß den genauen Wortlaut. Aber die Unterschrift war von einem Mr. Feltham gegeben.«
»Das stimmt. Feltham war Johns früherer Familienname. Wo ist sie denn?«
»Ich versuche, mich zu besinnen.« Sie setzte sich nieder und stützte das Kinn in die Hände. Wo war doch nur die Quittung geblieben? Sie hatte sie auf das Fensterbrett gelegt, der Wind hatte sie in den Garten geweht, und sie hatte sie wieder aufgehoben in jener schrecklichen Nacht, in der Cynthia sie ermorden wollte.
»Ich habe sie irgendwo hingelegt – ich bin sicher, daß ich sie verwahrt habe. Ach, richtig – in der Tasche der Wolljacke!« rief sie plötzlich. »Erinnern Sie sich an die Jacke, in der ich an Bord der ›Polyantha‹ kam?«
»Wo ist diese Jacke?« fragte er heiser.
»Ich habe sie auf der ›Polyantha‹ zurückgelassen«, sagte Penelope atemlos. »Sie hängt dort in meinem Kleiderschrank.«
Mr. Orford sank in sich zusammen.
»Und ich habe dem Captain den strikten Auftrag gegeben, alles über Bord zu werfen, was an Ihre Anwesenheit erinnern könnte!«