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Es war ganz dunkel, als Penelope wieder aufwachte. Das Schiff war in Fahrt, aber es brannte kein Licht in ihrer Kabine. Sie langte nach dem elektrischen Schalter, machte Licht und richtete sich auf. Sie fühlte sich merkwürdig leicht im Kopf und hatte nicht die geringsten Schmerzen. Als sie aber aufstand, wankten ihre Knie. Der Arzt hatte also doch recht!
»Um Gottes willen!« rief sie laut, als sie sich im Spiegel betrachtete. Ihr ganzes Gesicht, die Stirn, der Hals waren mit roten Flecken bedeckt.
Sie mußte schwer krank sein, sie hatte entweder Masern oder Scharlach. Sie legte sich wieder zu Bett.
Als sie zum zweitenmal aufwachte, war es heller Tag. Ein leises Klopfen an der Tür hatte sie geweckt.
Sie öffnete schnell und huschte zu ihrem Bett zurück.
»Setzen Sie das Tablett auf den Boden, John. Kommen Sie bitte nicht näher – ich habe Scharlach!«
Die Tür öffnete sich nur ein wenig, und ein sehniger Ann setzte ein Tablett nieder. Dann hörte sie Johns Stimme.
»Probieren Sie es einmal mit Wasser und Seife!«
»Was sagen Sie da?« fragte sie ungläubig.
»Sie müssen sich ordentlich mit Seife waschen«, wiederholte John begütigend. »Das ist das beste Mittel gegen Scharlach. Ich denke schon daran, mir diese Heilmethode patentieren zu lassen.«
Er hatte die Tür kaum geschlossen, als sie schon aus dem Bett sprang und in den Baderaum eilte. Mit dem nassen Schwamm rieb sie ihr Gesicht heftig ab, und die Flecken verschwanden tatsächlich.
Als sie sich angekleidet hatte, ging sie an Deck. John saß in einer schattigen Ecke und schälte Kartoffeln. Es ist nun eigentlich nicht Brauch, daß solche Arbeiten, die in die Küche gehören, auf dem Promenadendeck einer Jacht vorgenommen werden, das zur Erholung der Gäste reserviert ist. Aber Penelope war nun schon etwas an die sonderbaren Verhältnisse gewöhnt, die auf diesem Schiff herrschten. Wenn sie John auf der Spitze des Schornsteins Champagner trinken gesehen hätte, hätte sie das auch nicht mehr gewundert.
John ließ sein Messer sinken, erhob sich und wischte die Hand an seiner Jacke ab.
»Das ist zwar gerade nicht sehr schicklich«, sagte er, »aber ich darf kein Taschentuch tragen, um nicht den Neid der übrigen Mannschaft zu erregen.«
Sie schaute sich um. Außer einem Matrosen, der hinten an Deck zwei Taue zusammensplißte, war niemand zu sehen.
»John, nun sagen Sie mir einmal, wie diese Flecken in mein Gesicht gekommen sind.«
»Ein offenes Geständnis erleichtert des Gewissen – ich habe sie Ihnen aufgemalt!«
»Sie?« fragte sie atemlos.
Er nickte.
»Sie hatten doch schon vorher eine Probe meiner künstlerischen Fähigkeiten gesehen. Die Scharlachflecken sahen überzeugend naturgetreu aus. Es war nur schade, daß wir sie Ihnen nicht auch wieder abwaschen konnten, ohne Sie aufzuwecken.«
»Ich bin also betäubt worden?«
Er zögerte.
»Antworten Sie mir doch!« bat sie ihn.
»Man hat Ihnen einen Schlaftrunk gegeben, soviel ich weiß«, erwiderte John vorsichtig. »Es geschah ganz gegen meinen Willen, aber Mr. Orford bestand darauf. Wir begegneten nämlich einem englischen Kriegsschiff, das uns den Befehl gab, anzuhalten. Da wir den Aufenthalt der fremden Offiziere bei uns möglichst beschränken wollten, hißten wir die gelbe Flagge, um anzuzeigen, daß wir schwere, ansteckende Krankheiten an Bord hätten – und Sie waren eben der Patient.«
»Hatten Sie wirklich keine anderen Gründe?«
Er schwieg einen Augenblick.
»Vielleicht fürchtete Mr. Orford auch, daß Sie den Leuten unangenehme Dinge über die Heimlichkeit unserer Fahrt sagen würden. Immerhin, es war eine etwas peinliche Angelegenheit, und ich bin froh, daß alles vorüber ist.«
Sie konnte nur hilflos den Kopf schütteln.
»Ich verstehe die ganze Sache nicht!«
»Aber Sie fürchten sich doch nicht vor uns?« fragte er und sah sie forschend an.
»Nein – ich ärgere mich nur.«
»Dann ist ja alles in Ordnung.« Er schien von einer schweren Sorge befreit zu sein. »Nun will ich Ihnen auch etwas mehr mitteilen. Das Schiff läuft Vigo an. Eine der Maschinen ist nämlich nicht in Ordnung. Ich weiß nicht, was es ist, denn ich bin kein Ingenieur. Aber in zwei bis drei Tagen laufen wir Vigo an, und Sie haben die Möglichkeit, sich Kleider zu kaufen.«
»Kann ich denn an Land gehen?«
»Ja, unter Bedeckung«, erwiderte er ernst. »Und ich habe es übernommen, Sie zu begleiten. In mancher Beziehung war Ihr Erscheinen an Bord dieses Schiffes wie von der Vorsehung bestimmt. Man könnte es fast ein Wunder nennen. Ich weiß nicht, es ist vielleicht – aber das hängt ganz von Ihnen ab. Sehen Sie, hier kommt der nette Bobby, und ich werde jetzt wieder meine Kartoffeln schälen.«
Bobby sah viel vergnügter aus als während der letzten Tage.
»Hat John Ihnen schon gebeichtet? Können Sie uns verzeihen, Miss Pitt? Es war schrecklich, daß wir das getan haben. Wir mußten all unsere Überredungskunst aufbieten, um den Doktor zu überzeugen, daß er uns bei diesem niederträchtigen Plan helfen mußte. Er lag uns dauernd in den Ohren, daß er im Entdeckungsfalle sieben Jahre ins Gefängnis gesteckt wird, daß man seinen Namen von der Liste der Ärzte streicht und daß er dann lebenslänglich ruiniert ist.«
»Warum hat er es dann überhaupt getan?« fragte Penelope ein wenig kühl.
»Weil Dr. Fraser ein Verwandter von uns ist. Sie verzeihen uns doch, Miss Pitt?«
»Ich sehe nicht ein, was das ausmachen soll, ob ich Ihnen vergebe oder nicht«, erwiderte sie lächelnd. »Sie hätten es mir doch vorher sagen können. Es wäre mir ein Vergnügen gewesen, die Rolle eines interessanten Patienten zu spielen.«
»Das allein hätte aber nicht genügt«, sagte Bobby ernst. »Sie wissen schon, daß wir nach Vigo fahren?«
Sie nickte.
»Das hat Ihnen wieder John erzählt – er ist doch ein zu schwatzhafter Kerl. Das tut er bloß, weil ...«
»Warum tut er das?«
»Nun ja, Männer sind eigentlich geborene Klatschbasen«, sagte er ganz unlogisch.