Edgar Wallace
Der Mann, der seinen Namen änderte
Edgar Wallace

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30

In der Nacht schlief Marjorie sehr schlecht. Vielleicht quälte sie der Gedanke an ihren Mann und seine baldige Abreise.

Sie würde dann auch eine Lady Tynewood sein, eine Frau ohne Mann. Noch vor einer Woche hätte sie dieser Gedanke glücklich und zufrieden gemacht, aber heute sah sie nur die Nachteile ihrer Lage und war sehr bedrückt.

Sie schaltete das Licht wieder ein und versuchte zu lesen. Aber immer wieder kehrten ihre Gedanken zu ihren eigenen Sorgen und Nöten zurück. Sollte sie hier immer mit ihrer Mutter weiterleben und nur dem Namen nach mit einem Mann verheiratet sein, der sie nicht zu sehen wünschte?

Auch diese Aussichten erschienen ihr nicht mehr so angenehm wie noch vor zwei Wochen. Sie hatte ihm vorschlagen wollen, ihn nach Südafrika zu begleiten, und sich eingeredet, daß ihr die Reise gut bekommen würde. Außerdem hatte sie auch den Wunsch, fremde Länder kennenzulernen. Sie konnte ja in Kapstadt oder auch in Kimberley bleiben, und sie brauchten nicht viel voneinander zu sehen. Natürlich wollte sie auch Onkel Stedman besuchen, der sie zu dieser merkwürdigen Heirat gezwungen hatte.

Marjorie war ganz tief in Gedanken, als sie plötzlich ein Geräusch im Gang hörte, und ging zur Tür. Sie sah noch gerade, wie Pretoria-Smith in seinem Zimmer verschwand.

Erstaunt sah sie zu seiner Tür hinüber, die am anderen Ende des Korridors lag. Vielleicht konnte er auch nicht schlafen? Sie ging leise den Gang entlang und klopfte an seiner Tür.

»Wer ist da?« hörte sie seine Stimme.

»Marjorie«, entgegnete sie schnell. Sie glaubte ein »Verflucht!« zu hören, aber sie hoffte, daß sie sich getäuscht hatte.

»Oh! Was treibst du denn noch zu so früher Morgenstunde?«

Sie blickte ihn voll Interesse an. »Sonderbare Frage!« erwiderte sie lachend. »Bist du spazierengegangen?«

»Ja, ich war noch ein wenig draußen.«

Sein Regenmantel lag auf dem Bett.

»Ich hoffe, daß du schlafen kannst«, sagte sie etwas verlegen.

»Es sieht nicht so aus. Glaubst du, daß wir deine Mutter stören, wenn wir uns bei dir ein wenig unterhalten?«

»Nein.« Sie freute sich über das Zutrauen, das er zu ihr hatte. »Wir stören sie sicher nicht. Sie hat einen sehr gesunden Schlaf.«

Er ging den Korridor entlang und wunderte sich, daß sie so schnell vorauseilte. Als er in ihr Zimmer trat, sah er, daß sie die Bettdecke glattstrich.

Er schloß die Tür, setzte sich, stand aber sofort wieder auf, weil er ein unangenehmes Gefühl hatte, und steckte die Hand in die Hüfttasche. Zu Marjories Verwunderung zog er einen Revolver heraus und legte ihn neben den Stuhl auf den Teppich.

»Du brauchst keine Angst zu haben, er ist nicht geladen. In diesem Land trage ich niemals Patronen in der Schußwaffe. Hier leben nämlich so viele Leute, denen ich gern das Lebenslicht ausblasen möchte, daß ich dauernd in Versuchung käme, es wirklich zu tun.«

»Aber warum trägst du dann überhaupt eine Waffe bei dir? Hast du etwa einen Einbruch begangen?« scherzte sie.

Als er nickte, sah sie ihn verblüfft an.

»Ja, ich habe mich eben als Amateureinbrecher betätigt«, sagte er ruhig. »Das ist heute nacht schon das zweite Schlafzimmer einer Dame, das ich betrete.«

»Ist das dein Ernst?« fragte sie verwundert.

»Ich habe Lady Tynewood besucht. Ein offenes Geständnis erleichtert das Gewissen. Außerdem kann eine Frau vor Gericht nicht als Zeugin gegen ihren Mann aussagen.«

»Ist das wirklich wahr, was du eben sagtest?«

»Ich lüge niemals, besonders nicht um drei Uhr morgens. Um diese Zeit ist man gewöhnlich sehr korrekt.« Er machte eine Pause. »An einem der nächsten Tage werde ich dir auch erzählen, warum ich hingegangen bin. Der Besuch hat sich gelohnt. Ich habe heute nacht über manches nachgedacht, und auf dem Heimweg ist es mir schwer auf die Seele gefallen, daß ich dir einen sehr schlechten Dienst erwiesen habe, Marjorie.«

»Wieso?«

»Durch diese Heirat. Selbst um dem alten Stedman einen Wunsch zu erfüllen, hätte ich es nicht tun dürfen. Es muß doch schrecklich für dich sein.«

»Und für dich nicht?«

»Für mich macht es keinen großen Unterschied. Nur schleppe ich die unangenehme Gewißheit herum, daß ich dir wahrscheinlich dein Leben verdorben habe.«

»Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen«, erwiderte sie mit einer Gelassenheit, die in größtem Widerspruch zu ihrer eigentlichen Stimmung stand. »Es hat allerdings manche Unannehmlichkeiten mit sich gebracht, aber es macht auch für mich keinen großen Unterschied. Sicher hätte ich in aller Ruhe in Tynewood weitergelebt, bis ich eine alte Jungfer geworden wäre. Und zu Weihnachten hätte ich gestrickte Röcke und Westen an die Armen verteilt.«

»Das glaube ich nicht! Natürlich wärst du gut und liebevoll zu armen Leuten gewesen, aber eine alte Jungfer wärst du unter keinen Umständen geworden. Aber Marjorie, mache dir keine Sorgen über deine unglückliche Lage, denn vielleicht – vielleicht kommt es nicht zu einer Scheidung.«

»Wie meinst du das?« fragte sie und sah ihn gespannt an.

»Wenn ich nach Afrika zurückkehre, werde ich mich mit Stedman aussprechen und dann in das Massai-Land ziehen, vielleicht auch in das Barotse-Land am belgischen Kongo. Ich habe mir schon immer gewünscht, einmal Okapi zu jagen. Ich will nicht mit voller Absicht Selbstmord begehen«, sagte er mit einem leichten Lächeln, »aber das sind merkwürdige Gebiete, die selbst für erfahrene Reisende große Gefahren bergen.«

»Dann darfst du nicht dorthin gehen«, sagte sie impulsiv.

»Noch einen Augenblick. Das klingt so, als ob ich den Versuch machen wollte, deine Sympathie auf diese Weise zu erringen, aber das stimmt nicht«, sagte er jetzt ernster. »Mit neunzig. Prozent Wahrscheinlichkeit gehöre ich zu den fünfundsiebzig Prozent, denen weiter nichts passiert, als daß die Sonne ihnen die Nase braunbrennt. Ich kenne dich und weiß, daß du meinen Tod nicht wünschst, selbst wenn du dadurch deine Freiheit wiedergewinnen könntest. Aber es ist immer, die Möglichkeit vorhanden, und Leute wie ich werden nicht alt.«

»Nun, eine ähnliche Chance hast du auch«, entgegnete sie.

»Wie meinst du denn das?«

»Ich habe ein schwaches Herz und eine angegriffene Lunge.«

»Stimmt das?« fragte er aufgeregt. »Aber mein liebes Kind, dann solltest du doch morgen sofort mit mir nach London gehen und einen Spezialisten aufsuchen. Ich kenne einen erstklassigen Arzt, dem du dich anvertrauen kannst . . .«

Er hielt plötzlich an, weil sie ihn auslachte, bis ihr die Tränen in die Augen kamen.

»Du läßt dir aber auch wirklich alles weismachen. Meinetwegen kannst du ganz unbesorgt sein. Ich bin die gesündeste Frau, die du dir denken kannst, und ich bin davon überzeugt, daß du meinen Tod nicht wünschst, und mit neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit –«

Er neigte sich zu ihr und faßte sie am Ohrläppchen.

»Du kleiner Teufel!« Weiter sagte er nichts, steckte seinen Revolver wieder ein und ging in sein Zimmer zurück.

Ein wenig traurig blieb Marjorie zurück.


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