Edgar Wallace
Der Mann, der seinen Namen änderte
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7

Von Mr. Kelmans dreimonatigem Aufenthalt auf der Mine ist nicht viel Rühmliches zu erzählen. Er sprach dauernd und manchmal etwas überflüssigerweise von der alten Heimat, von dem guten Leben dort, von den Vorteilen der Zivilisation und von dem geringen Komfort in dieser Wüstenei.

Die beiden hörten ihm meistens schweigend zu.

»Ich muß nächstens doch einmal nach England fahren«, meinte Smith eines Tages, als sie bei Tisch saßen. »Es scheint ein unheimlich interessantes Land zu sein. Habe schon viel davon gehört.«

»Sie würden sich dort allerdings wohl kaum zurechtfinden«, entgegnete Mr. Kelman gönnerhaft. »Aber wenn Sie mich vorher benachrichtigen, führe ich Sie herum und zeige Ihnen die wichtigsten Dinge.«

»Ach, kennen Sie England auch?« fragte Smith ironisch.

Mr. Lance Kelman wußte begreiflicherweise nicht, was er darauf antworten sollte.

Auch von Marjorie sprach er in einer etwas anmaßenden Art, so daß Pretoria-Smith ihn manchmal am liebsten beim Kragen gepackt und verprügelt hätte. Er nannte sie nur »Marje« oder »mein nettes, kleines Mädchen«.

Wenn Marjorie Stedman ihn gehört hätte, hätten ihr die Haare zu Berge gestanden.

Einen Monat nach seiner Ankunft machte er Andeutungen über den eigentlichen Zweck seiner Reise. Da er seiner Meinung nach mit Stedman eng verwandt war, glaubte er, Anspruch auf einen Teil seines Vermögens zu haben. Aber seine dahinzielenden Bemerkungen wurden von dem alten Herrn mit eisigem Schweigen aufgenommen. Mr. Kelman erklärte dann, daß er sogar damit zufrieden wäre, wenn man ihm eine gutbezahlte Anstellung bei der Company gäbe. Aber auch davon wollte Mr. Stedman nichts wissen.

Schließlich wurde Lance obendrein noch krank und behauptete, nur durch Genuß von Treibhausfrüchten wieder gesund werden zu können. Pretoria-Smith ging wenigstens hierauf ein und sorgte dafür, daß er genügend Bananen erhielt.

*

»Gott, sei Dank, daß er wieder abgedampft ist«, sagte der alte Stedman.

Pretoria-Smith kam eben mit dem Ford von dem Bahnhof zurück, wohin er Kelman mit seinen sechs Koffern gebracht hatte.

Er lachte laut und unbekümmert, aber Stedman fand nichts Vergnügliches an der Angelegenheit. Kelmans Besuch hatte ihm viel zu denken gegeben, und während der nächsten Monate blieb er schweigsam und in sich gekehrt.

An einem bitterkalten Tag im Mai – zu der Zeit ist es in jener Gegend Südafrikas Winter – saß Mr. Stedman in seinem einfachen Büro. Viele Pläne und Blaupausen hingen an den Wänden, andere lagen auf den Tischen umher oder waren in großen Mappen verwahrt. Er hatte die buschigen Augenbrauen zusammengezogen und strich dauernd mit seiner fleischigen Hand über das Kinn. Die äußere Veranlassung seiner offensichtlichen Verwirrung war der Brief, den er las.

Schließlich legte er ihn auf den Tisch und kratzte sich den Kopf.

Gerade in diesem Augenblick kam Pretoria-Smith herein. Er hatte eine schön polierte Buchsbaumpfeife im Mund und rauchte. Nur die Goldnadel in seinem Schlips verriet, daß es ihm gut ging.

»Hallo, Smith, komm herein!«

»Bin ja schon hier«, entgegnete der andere lakonisch.

Der alte Mann brummte.

»Setz dich mal zu mir an den Tisch. Ich habe einen Brief von meiner Nichte bekommen.«

»Ich glaube kaum, daß du anständige Verwandte hast, nachdem ich diesen Mr. Kelman genossen habe!«

»Sie ist die Tochter meines jüngeren Bruders«, erklärte Stedman zum soundsovielten Male, ohne sich um die Bemerkung zu kümmern. »Mein Bruder ist nun schon viele Jahre tot, und das ist wohl auch gut für ihn. Und Margaret – Marjorie hat mir schon als kleines Mädchen geschrieben. Marjorie ist eben Marjorie.«

»Das gebe ich allerdings zu«, sagte Pretoria-Smith geduldig. »Wolltest du sonst noch etwas erzählen?«

»Also, sieh mal, Smith, sie ist doch nun die einzige Verwandte, die ich auf der Welt habe.«

Stedman machte eine Pause und rieb sein Kinn.

»Du entsinnst dich doch noch an den Bengel, der voriges Jahr hierherkam?«

Smith nickte. Er war auf Lance Kelman noch immer schlecht zu sprechen, da ihn dessen anmaßendes Wesen besonders geärgert hatte.

»Na, was soll ich denn von dem eleganten Lance hören? Du bist wieder einmal sehr gesprächig – komm doch endlich zur Sache.«

»Ja, also das war Lance Kelman.«

Pretoria-Smith lachte resigniert, während er die Asche aus seiner Pfeife klopfte.

»Also, das war Lance Kelman«, wiederholte er. »Was ist denn nun mit ihm los?«

»Du weißt doch, daß sie ihn gern hat. Das habe ich allerdings nicht aus ihren Briefen erfahren – ihre verrückte Mutter hat mir das geschrieben. Und dabei gebe ich ihr doch jährlich zweitausend Pfund. Sie schreibt also etwas von einem tapferen Jungen . . . Lebensgefahr . . . grauenvolle Wanderung durch die Wüste . . . na, und noch mehr solchen Blödsinn.«

»So? Der Mensch kam doch im Bulawayo-Luxuszug! Er hat auf der Fahrt Stachelbeermarmelade zum Frühstück bekommen und wer weiß, was sonst noch. Dann habe ich ihn persönlich in unserem neuen Wagen von der Station abgeholt! Zu Bett habe ich ihn nicht gebracht, das muß ich zugeben. Aber es kommt ja auch nicht darauf an, er ist ja wieder glücklich zu Hause angekommen.«

Mr. Stedman hatte eine glänzende Idee. Pretoria-Smith erkannte das bereits an den äußeren Symptomen.

»Smith«, sagte der alte Mann plötzlich, »sieh mal, wir beide sind doch eigentlich recht gute Kameraden und Freunde. Ich hab' dir immer noch nicht vergessen, daß du mich damals an dem Wasserloch gerettet hast.«

»Ach, rede doch nicht immer wieder davon. Ich wäre doch einfach ein Mörder gewesen, wenn ich das nicht getan hätte.«

»Nun schimpfe einmal nicht, Smith. Wir sind auf jeden Fall gute Freunde geworden«, wiederholte Stedman.

Sein Partner nahm diese fundamentale Tatsache als schweigende Voraussetzung für das Kommende.

»Du bist reich, und ich bin reich. Ich habe noch einen Winter hier zu leben, vielleicht auch noch zwei, wenn mich der Doktor in Kimberley nicht angelogen hat. Und das hatte der Mann ja schließlich nicht nötig, nachdem ich ihn so glänzend für seine Reise hierher bezahlt habe. Du kannst dir wohl denken, daß ich mir nun den Kopf zerbreche, was aus der Mine und meinem Vermögen werden soll, wenn ich einmal sterbe.«

»Du bist ein verrückter, alter Teufel«, erklärte Smith und klopfte ihm vertraulich auf die Schulter. »Erst solltest du dich doch mal darum kümmern, was aus dir selbst wird, ehe du stirbst. Außerdem stirbt es sich überhaupt nicht so schnell. Wir wollen uns in zehn Jahren einmal wieder über den Fall unterhalten.«

»Na, darüber brauchen wir uns ja nicht zu streiten. Irgendwie, irgendwo, irgendwann werde ich schon abkratzen. Nein, es ist mein Vermögen, das mir Sorge macht. Ich könnte es ja einfach dir überlassen oder dem Hospital in Kimberley. Aber das möchte ich nicht. Du hast selbst über sechshunderttausend Pfund. Nun komme ich auf einen wichtigen Punkt zu sprechen. Bist du eigentlich verheiratet?«

Eine solche Frage hatte er früher noch nie an Pretoria-Smith gerichtet, und er machte ein ängstliches Gesicht, als er sah, daß sein Partner die Stirn runzelte.

»Nein. Frauen interessieren mich nicht, und ich habe sie auch schon früher nicht leiden können. Ich wollte dir eigentlich auch schon lange sagen, daß ich nicht Smith heiße.«

»Der Name ist allerdings so außergewöhnlich, daß ich mir das selbst an meinen zehn Fingern abzählen konnte. Du hast dich wohl einmal eine Zeitlang in Pretoria aufgehalten?«

Smith nickte.

»Was wolltest du mir denn nun vorschlagen?«

Mr. Stedman steckte umständlich ein Stück Kaugummi in den Mund und starrte dann wie versteinert zum Fenster hinaus.

»Geh nach England und heirate Marjorie!« sagte er schließlich.

Eine Weile herrschte Totenstille in dem Raum.

»Was denkst du dir denn eigentlich, du alte Strandhaubitze?« erwiderte Smith dann verblüfft. »Willst du ein Heiratsbüro aufmachen? Und was soll denn aus unserem guten Lance Kelman werden? Soll ich den etwa als Nebenbuhler vergiften oder im Zweikampf erdolchen?«

»Ach, von dem Bengel brauchen wir doch überhaupt keinen Ton mehr zu reden«, rief der alte Stedman ärgerlich.

Smith lachte.

»Und dann müßte doch vor allem noch etwas anderes überlegt werden.« Pretoria-Smith war merkwürdigerweise nicht abgeneigt, die Sache zu besprechen, da dieses Thema den Reiz der Neuheit für ihn bot. »Glaubst du denn, daß deine Nichte Marjorie so ohne weiteres einverstanden ist, wenn ich nach England komme und ihr sage: ›Onkel Alfred hat befohlen, daß wir beide heiraten sollen‹?«

Mr. Stedman schenkte sich erst einen Brandy ein, bevor er antwortete.

»Ach, Marjorie wird schon vernünftig sein. Um die brauchen wir uns weiter nicht zu sorgen. Die tut alles, wenn sie weiß, daß sie mir damit eine Freude macht. Ich werde ihr heute noch einen langen Brief schreiben.«

Pretoria-Smith hatte sich auf den hohen Drehstuhl gesetzt, auf dem sonst der technische Zeichner saß, und schaute düster auf den alten Mann hinunter.

»Ich fürchtete schon, sie würde mich wegen meines hübschen Aussehens, meiner blendenden Jugend und anderer angenehmer Eigenschaften wählen.«

»Du siehst doch wirklich ganz gut aus«, protestierte Stedman.

»Ich bin aber entschieden zu alt, um dich Onkel nennen zu können«, erklärte Smith entschieden.

»Du bist doch noch nicht über dreißig – wenigstens nicht viel. Mach du mir doch keine Schwierigkeiten, Smith. Ich dachte immer, mit dir könnte man ein vernünftiges Wort reden. Auf jeden Fall wollte ich dir sagen, daß es mein Wunsch ist. Das ist alles. Ich habe das Gefühl, daß ich dafür mein ganzes Leben lang gearbeitet habe. Und es gibt einem doch schließlich eine kolossale Genugtuung, wenn man weiß, daß die Lebensarbeit auch einen Zweck gehabt hat. Wenn ich so sterben müßte, wie ich jetzt bin, käme ich mir vor wie ein Halbkreis, dessen eines Ende nicht wieder zum Anfang zurückgefunden hat.«

»Aber nun einmal allen Scherz beiseite. Jetzt ist es genug mit den dummen Witzen. Es ist doch nicht tatsächlich dein Ernst? Das Mädchen lacht mich doch aus, wenn ich ihr einen solchen Unsinn erzähle. Und mir ist es wirklich ziemlich egal, ob ich mich verheirate oder nicht. Ich würde ihr die Verwaltung der Farm und der Felder überlassen und sie weiter nicht stören.«

»So war die Sache allerdings nicht gemeint, mein Junge.« Mr. Stedman zog die buschigen Augenbrauen in die Höhe und sah Pretoria-Smith durchdringend an. »Damit ist es nicht getan, daß du dich mit Marjorie trauen läßt. Du sollst meine Familie weiterführen. Marjorie muß Kinder haben.«

»Mein lieber Stedman, du bist mir denn doch zu gründlich und energisch. Wir wollen jetzt einmal über Schacht Nummer drei sprechen. Da haben wir einen Erdrutsch gehabt, und ich wollte dir eigentlich vorschlagen –«

»Ach, laß doch den verdammten Schacht Nummer drei! Und ebenso Nummer eins, zwei, vier und fünf. Du hast mir noch nicht auf meine Frage geantwortet. Willst du nach England fahren, Marjorie aufsuchen und sie fragen, ob sie deine Frau werden will? Wenn sie nein sagt, dann ist es ja gut, dann hast du wenigstens getan, was du tun konntest. Aber ich kann es wirklich nicht mitansehen, daß sie so einen geschniegelten Modeaffen wie diesen Kelman heiratet!«

Smith stopfte seine Pfeife und steckte sie umständlich in Brand.

»Schön, ich werde deinen Wunsch erfüllen«, erklärte er resigniert. »Aber mir wäre es lieber gewesen, wenn du dein Geld einem Waisenhaus überlassen hättest.«

»Bedenke doch, daß du sie vor diesem Lance Kelman rettest. Das ist wirklich eine gute Tat.«

»Das ist allerdings beinahe die Reise wert. Außerdem könnte es ja auch sein, daß ich Lance Kelman vor ihr rette.«

»Aber erlaube mal, Marjorie ist meine Nichte!« rief Stedman aufgebracht.

»Gerade deshalb kam ich ja auf den Gedanken.«

Pretoria-Smith erhob sich und ging zur Tür.

»Aber sag mal, wo wohnt denn eigentlich deine unvergleichbare Nichte?«

»In Tynewood.«

»Um Himmels willen!« Pretoria-Smith nahm die Pfeife aus dem Mund und setzte sich in den nächsten Stuhl. Sein Gesicht wurde fahl.

Stedman sah ihn betroffen an, denn er wußte nicht, wie er sich das veränderte Verhalten seines Partners erklären sollte.

»Das nützt dir jetzt alles nichts mehr – und wenn du ohnmächtig hinfällst! Du hast dein Wort gegeben.«

Smith nickte langsam.

Schließlich kannte man ihn ja in Tynewood nicht als Pretoria-Smith. Dieser Gedanke beruhigte ihn ein wenig.


 << zurück weiter >>