Edgar Wallace
Der Mann, der seinen Namen änderte
Edgar Wallace

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16

Lance kam verstört und aufgeregt ins Zimmer.

»Marjorie«, begann er, »dieser Herzog hat mich ganz schamlos behandelt. Ich habe zwar nie etwas von königlichen Hoheiten gehalten, aber er –«

Sie brachte ihn durch eine energische Handbewegung zum Schweigen.

»Lance, du hast dich heute abend abscheulich benommen«, erwiderte sie ruhig. »Was dich dazu gebracht haben könnte, weiß ich nicht. Aber vielleicht war deine Eitelkeit verletzt, als du erfuhrst, daß ich einen anderen Mann heiraten würde. Bitte, unterbrich mich nicht«, fuhr sie mit erhobener Stimme fort, als er etwas sagen wollte. »Du hast mich vor der ganzen Gesellschaft beleidigt und lächerlich gemacht. In deiner kleinlichen, selbstsüchtigen Art hast du dir eingebildet, du könntest Pretoria-Smith in meinen Augen so herabsetzen, daß ich ihn ablehnen und dich heiraten würde. Aber ich sage dir nur das eine, Lance«, ihre Augen blitzten so gefährlich, daß er vor ihr zurückschrak, »ich heirate noch eher Pretoria-Smith oder zwanzig Leute wie ihn als einen Mann wie dich. Es ist ja möglich, daß er keine Erziehung genossen hat und es eben nicht besser versteht. Aber du hast auf der Universität studiert, und man hält dich im allgemeinen für einen Gentleman. Nur um deiner Eitelkeit zu frönen, hast du mich vor der ganzen Versammlung lächerlich gemacht. Du hast jedes Wort redlich verdient, das der Prinz zu dir sagte – und nun mach, daß du hinauskommst!«

Sie zeigte auf die Tür.

Lance Kelman machte noch den vergeblichen Versuch, etwas zu erwidern, aber dann entfernte er sich, und erst als er zu Hause angekommen war und im Bett lag, fiel ihm ein, was er eigentlich hätte sagen sollen.

*

Marjorie Stedman brachte eine schlaflose Nacht zu. Ruhelos warf sie sich von einer Seite auf die andere, und beim Morgengrauen saß sie in ihrem Kimono am Fenster, sah zum westlichen Himmel und beobachtete, wie die Sterne allmählich ihren Glanz verloren. Die Luft war wunderbar mild, und schwerer Blütenduft wurde vom Wind zu ihr hereingetragen. Sie fühlte sich nicht im mindesten müde. Die Stille der Morgenstunde stärkte und beruhigte sie, und allmählich zog wieder Friede in ihr zerrissenes Gemüt.

Von ihrem Zimmer aus konnte sie die Chaussee übersehen. Das eine Ende des Hauses lag nur zehn Meter von der hohen Hecke entfernt, die das Grundstück ihrer Mutter von der Landstraße trennte. Das Fenster gewährte Ausblick auf einen großen Teil des Weges, der von Tynewood zum Schloß, führte, und plötzlich entdeckte Marjorie einen Wanderer, der mitten auf der Straße näher kam. Sie dachte, es wäre ein Landarbeiter, der frühzeitig aufs Feld ging. Aber an seinen elastischen, schwingenden Schritten und an der Leichtigkeit, mit der er sich bewegte, erkannte sie bald, daß sie sich getäuscht hatte. Sie saß still und beobachtete ihn, bis er ganz nahe herangekommen war. Er trug den Hut in der Hand, und nun wußte sie, daß dort unten Pretoria-Smith ging. Er schien jetzt vollkommen nüchtern zu sein. Vielleicht machte er diesen Spaziergang in der Morgenluft, um seine heiße Stirn zu kühlen.

Er sah weder nach rechts noch nach links, und erst als er dicht vor ihrem Hause stand, schaute er auf. Sie hatte vom Fenster zurücktreten wollen, damit er sie nicht sehen sollte, aber seine unerwartete Bewegung überraschte sie. Auch er schrak offenbar zusammen, blieb dann verlegen stehen und sagte etwas. Sie verstand nur die Worte »sehr leid«, dann sprang sie auf und schlug das Fenster geräuschvoll zu.

Pretoria-Smith zuckte die Schultern und ging weiter.

Unruhe und Angst hatten Marjorie wieder erfaßt. Sie warf sich aufs Bett und verbarg das Gesicht in den Armen. Aber sie war so traurig, daß sie nicht weinen konnte. Diesen Mann sollte sie doch heiraten! Es war töricht und schlecht von ihr gewesen, ihn so zu behandeln und sich ihm gegenüber so feindselig zu verhalten.

Mit diesem Mann sollte sie zusammenleben. Sie fuhr schaudernd zusammen und zog die Daunendecke höher.

Schließlich fiel sie doch in Schlaf und wachte an diesem Morgen erst um zehn Uhr auf. Sie badete, zog sich langsam an und ging dann die Treppe hinunter.

Mrs. Stedman saß im Wohnzimmer, hatte ein Buch in der Hand und rauchte eine Zigarette. Diese Gewohnheit hatte sie erst angenommen, nachdem sie die Bekanntschaft der Lady Tynewood gemacht hatte, Marjorie fühlte sich nicht wohl, aber sie mußte doch heimlich lächeln. Sie wußte, daß ihre Mutter nur rauchte, wenn sie etwas Unangenehmes erlebt hatte.

»Bist du schon auf, mein Liebling?« bemerkte Mrs. Stedman unnötigerweise. »Es sind einige Briefe für dich gekommen.«

Marjorie warf einen gleichgültigen Blick auf die Post.

»Hast du schon gefrühstückt?«

»Ja, ich habe mir Kaffee nach oben bringen lassen«, erwiderte Marjorie kurz und beschloß, der Sache sofort auf den Grund zu gehen. »Was ist denn los, Mutter?«

»Ach, es ist entsetzlich«, klagte die alte Frau nervös. »Ich habe einen Brief von Alma bekommen – sie schreibt sehr liebenswürdig – aber – sie – sie –«

»Sie will ihr Geld haben – das wolltest du doch sagen?«

Es hatte sich aber auch alles gegen sie verschworen – alles. Selbst wenn sie nach dieser fürchterlichen Szene am vergangenen Abend ihre Meinung doch noch hätte ändern wollen, hätte die erneut verschärfte Lage sie gezwungen, davon abzusehen. Sie konnte ihrem grauenvollen Geschick nicht mehr entgehen.

»Ja, sie will das Geld haben«, sagte Mrs. Stedman unsicher. »Alma hat natürlich auch viele Ausgaben, und gerade im Augenblick ist ihr etwas Unerwartetes dazwischengekommen. Ich will dir den Brief vorlesen, wenn es dir recht ist.«

»Nein, mache dir weiter keine Mühe. Ich weiß doch schon im voraus, was diese Lady Tynewood zu sagen hat. Vergiß nicht, daß ich in der letzten Zeit an Tausende von Leuten um Geld geschrieben habe, als ich für den Unterstützungsfonds sammelte. Ich bin im Bilde darüber, was man in solchen Fällen zu schreiben pflegt.«

»Aber Alma hat doch eine große Summe für deinen Fonds gezeichnet«, entgegnete Mrs. Stedman vorwurfsvoll. »Sie war wirklich großzügig.«

»Ja, sie hat hundert Pfund gezeichnet und so getan, als ob sie tausend gegeben hätte«, erwiderte Marjorie bitter. »Und sie würde ihre hundert Pfund am liebsten wieder zurücknehmen, wenn sie könnte. Wann sollst du ihr denn das Geld zurückzahlen?«

»Nächsten Montag. Es ist ganz furchtbar, daß ich meine eigene Tochter bitten muß, mir in dieser Sache zu helfen«, jammerte Mrs. Stedman wieder unter Tränen. »Ich dachte schon, daß ich die ganze Sache arrangieren könnte, ohne dir etwas davon zu sagen, denn gestern nachmittag hatte ich beim Spiel wirklich Glück.«

»Was, gespielt hast du auch wieder? Aber Mutter, wie konntest du das nur tun!«

»Warum soll ich denn nicht spielen?« begehrte Mrs. Stedman auf. »Du lieber Himmel, man sollte fast glauben, ich wäre nicht mehr imstande, mich um mich selbst zu kümmern.«

Marjorie seufzte, trat ans Fenster und sah in den Garten hinaus, um ruhiger zu werden. Nach einer Weile wandte sie sich wieder um.

»Wie schnell kann man heiraten?«

»Wie schnell?« wiederholte Mrs. Stedman. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis die Schneiderin deine Kleider gemacht hat –«

»Ich denke jetzt nicht an die Schneiderin. Ich denke an eine Heirat. Wie lange vorher muß man das Aufgebot bestellen, bis die Zeremonie selbst stattfinden kann?«

»Wenn du natürlich eine besondere Erlaubnis bekommst – aber ich halte nichts von diesen überstürzten Trauungen –, kann man die Sache beschleunigen. In ein oder zwei Tagen läßt sich alles erledigen.«

Marjorie lachte verächtlich.

»Es bleibt doch gar nichts anderes übrig, als die Trauung zu beschleunigen. Telefoniere bitte an Rechtsanwalt Curtis, daß er diese Sondererlaubnis beschafft.«

Mrs. Stedman schaute ihre Tochter betroffen an.

»Du schuldest doch nicht am Ende Mr. Curtis auch Geld?« fragte Marjorie schnell.

»Mein Liebling, die letzten Hypothekenzinsen –«, stammelte die alte Frau. »Ich habe dir doch gestern gesagt, daß ich Hypotheken aufgenommen habe.«

»Sind vermutlich nicht bezahlt.« Marjorie schüttelte den Kopf.

»Aber ich kann die Sache natürlich arrangieren«, erklärte Mrs. Stedman plötzlich mit Würde. »Ich werde mit Mr. Curtis sprechen und ihm meine Wünsche auseinandersetzen.«

Sie ging zum Schreibtisch und griff nach einem Blatt Papier.

»Marjorie Mary Stedman«, sagte sie laut, während sie schrieb, »Tochter von Maud und John Francis Stedman.« Plötzlich drehte sie sich um. »Wie heißt dein Verlobter?« fragte sie so gleichgültig, als ob eine so phantastische Eheschließung etwas Alltägliches wäre.

»Wie mein Verlobter heißt?« wiederholte Marjorie und atmete schwer. »Das weiß ich nicht.«


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