Edgar Wallace
Der Mann, der seinen Namen änderte
Edgar Wallace

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29

Mrs. Stedman hatte gesagt, daß sie eine lange Spazierfahrt machen würde, und Marjorie war erstaunt, daß ihre Mutter schon nach kurzer Zeit in schlechter Stimmung zurückkam. Sie selbst saß mit Pretoria-Smith auf dem Rasen und trank Tee.

»Ich dachte nicht, daß du schon so bald wieder hier sein würdest«, sagte sie, während sie sich erhob und der alten Dame einen Stuhl holte.

»Das war auch gar nicht meine Absicht«, erwiderte Mrs. Stedman in weinerlichem Ton. »Ich wünschte nur, daß du mich nicht immer kontrolliertest, als ob ich eine Fabrikarbeiterin wäre. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir nachspioniert.«

»Aber warum bist du denn so ärgerlich? Was ist denn geschehen?« fragte Marjorie lächelnd.

»Ich bin absolut nicht ärgerlich«, entgegnete ihre Mutter feindselig. »Wenn ich ein wenig aufgeregt bin, dann hoffe ich doch immer noch so viel Haltung zu besitzen, daß ich es andere Leute nicht merken lasse. Aber Alma ist sehr unvernünftig.«

»Warst du wieder bei den Tynewoods?«

»Ja, ich war bei ihnen«, erklärte Mrs. Stedman trotzig. »Ich gehe dahin, wohin ich will, Marjorie, und ich kann es nicht dulden, daß du mir ständig Vorhaltungen machst, obendrein noch in Gegenwart von Fremden.«

»Ich bin doch eigentlich kein Fremder mehr, Mrs. Stedman«, meinte Pretoria-Smith. »Ich gehöre jetzt auch zur Familie.«

»Ach, verzeihen Sie bitte, Mr. Smith«, erwiderte sie sehr höflich. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Sie nehmen ja viel mehr Rücksicht auf mich als Marjorie. Also, ich fuhr zu den Tynewoods, um Alma in einer Privatangelegenheit zu sprechen. Die Sache ist rein geschäftlich und hat gar nichts mit den Dingen zu tun, die Marjorie nicht liebt. Aber Alma war so aufgeregt, wie ich sie noch nie gesehen habe. Sie sagte mir, daß sie heute nachmittag nicht spielen wollte, daß sie eine große Entdeckung gemacht habe, und daß sie und Mr. Javot keine Zeit für mich hätten. Ich muß wirklich sagen, daß sich Alma zum erstenmal unhöflich gegen mich benommen hat.«

Marjorie sagte nichts. Sie wünschte nur, Alma Tynewood möchte sich so häßlich und abstoßend gegen Mrs. Stedman benehmen, daß diese nie wieder zu ihr ginge. Marjorie seufzte.

»Und was hat sie denn entdeckt?« fragte Pretoria-Smith. »Hat sie eine neue Methode gefunden, Farben aus dem Gesicht zu entfernen? Es ist nicht gut möglich, daß es sich um einen neuen Kartenschwindel handelt – zum Beispiel um den Trick, alle Asse zusammenzumischen –, denn Javot hat ihr diese Kunststücke schon vor vielen Jahren beigebracht.«

Mrs. Stedman sah ihn erstaunt an. »Alle Asse zusammenzumischen?« fragte sie ungläubig. »Das wäre doch Betrug!«

»Gewiß. Sogar ein sehr grober Betrug, den man leicht durchschauen könnte.«

»Das kann ich aber nicht von Alma glauben.« Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Nein, Sie sind gegen Lady Tynewood voreingenommen, Mr. Smith.«

»Es steht bei Ihnen, es zu glauben oder nicht«, erwiderte er. »Aber wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einmal zeigen, wie man das macht. Geben Sie mir Spielkarten, dann werde ich sie so verteilen, daß ich alle Asse und Könige bekomme.«

»Sie können das vielleicht, Mr. Smith«, erwiderte sie gereizt, »aber Alma hat wahrscheinlich nicht solche Übung wie Sie.«

»Mutter!« rief Marjorie vorwurfsvoll.

Pretoria-Smith lachte und sah die alte Frau sonderbar an.

»Warum ziehst du sie eigentlich immer auf?« fragte die junge Frau, nachdem Mrs. Stedman in ihr Zimmer gegangen war.

»Habe ich sie aufgezogen? Das tut mir leid«, sagte er bescheiden, aber er lachte dabei. »Du darfst mir aber glauben, Alma Trebizond ist eine gefährliche Betrügerin.«

»Ich verstehe wohl, warum du das sagst. Aber so schlimm, wie du sie machst, kann sie doch wohl nicht sein.«

»Verlaß dich darauf, daß sie beim Kartenspielen betrügt, wenn du es auch selbst nicht erlebt hast.«

Sie schwieg.

Mrs. Stedman kam nach einiger Zeit etwas freundlicher zurück, aber ihre Gedanken beschäftigten sich immer noch mit Lady Tynewood. »Ich glaube, sie macht viel Lärm um nichts. Es muß allerdings ein großer Schock für sie gewesen sein – nach all diesen Jahren.«

»Was meinen Sie damit?« fragte Pretoria-Smith schnell.

»Sie hat ein Bild ihres Mannes bekommen. Die alte Haushälterin von Doktor Fordham hat es ihr gegeben. Es ist die einzige Fotografie, die Alma überhaupt jemals von ihm gesehen hat.«

Marjorie sah, wie ihr Mann entsetzt war.

»Was will sie denn damit machen?« fragte er heiser.

»Sie will sie in den Zeitungen veröffentlichen«, erklärte Mrs. Stedman. »Sie will eine Annonce einrücken und eine Belohnung für alle Nachrichten aussetzen, die sie über den jetzigen Aufenthalt von Sir James erhalten kann.«

»Das beabsichtigt sie?« fragte er und ging zum Hause, ohne sich zu entschuldigen.

Marjorie und ihre Mutter sahen einander erstaunt an.

*

Der Tag war allerdings sehr aufregend für Lady Tynewood. Mr. Javot, ihr angeblicher Sekretär, war den Anforderungen nicht gewachsen, die sie an ihn stellte. Er sollte die Texte der Annoncen aufsetzen, und als er darin versagte, übernahm sie diese Arbeit selbst. Sie wollte den Aufruf in allen größeren Zeitungen Londons und in Südafrika veröffentlichen.

Um zehn Uhr erhob sich Mr. Javot und gähnte.

»Ich kann heute nicht mehr arbeiten. Du wirst schon allein fertig werden, Alma.«

Sie nickte, ohne aufzusehen, und schrieb eifrig weiter.

»Das Foto kann ich in mein Zimmer mitnehmen«, meinte er. »Ich stehe morgen früher auf als du und bin dann auch leistungsfähiger.«

Sie zögerte einen Augenblick. »Gut«, erwiderte sie und reichte ihm das Bild über die Schulter.

Er betrachtete es und lachte. »Das Bild eines Idioten. Aber man soll ja nicht schlecht von den Toten sprechen.«

»Glaubst du denn, daß er tot ist?« fragte Alma.

»Ganz bestimmt. Er war kein Charakter, der schweigend leiden konnte und in der Verbannung blieb. Er war ein Schwächling, der sicher nach wenigen Monaten zurückgekommen wäre, um sich bei dir auszuweinen. Außerdem ist er doch das Oberhaupt einer Familie. Nimm einmal an, er hätte sich von seinem Bruder einen Rat geben lassen und wäre unter dessen Einfluß ins Ausland gegangen. Soweit ich Sir James kenne, würde das nicht lange vorgehalten haben.«

Sie runzelte die Stirn. »Da hast du recht, Javot. Manchmal verrätst du tatsächlich etwas Intelligenz.«

»Danke für das Kompliment«, entgegnete er ironisch, »ich werde das Foto unter mein Kissen legen und darauf schlafen.«

Es war halb zwölf, als Lady Tynewood ihre Papiere zusammenlegte und anschließend in ihr Zimmer ging.

Sie war derselben Überzeugung wie Javot, aber dieser Verdacht mußte erst bewiesen werden, bevor sie das Erbe der Tynewoods antreten konnte.

Sie öffnete ihre Schmuckkassette, die auf ihrem Frisiertisch stand, erinnerte sich dann aber daran, daß sie Javot das Bild gegeben hatte. Kurze Zeit später war sie fest eingeschlafen.

Um drei Uhr wachte sie plötzlich auf, lauschte, legte sich dann auf die andere Seite und war eben wieder am Einschlafen, als sie aufs neue durch ein Geräusch aufgestört wurde. Sie setzte sich rasch im Bett auf und knipste den Lichtschalter an.

Der Mann, der neben ihrem Frisiertisch stand, wandte sich schnell um und hielt ihr einen Revolver entgegen.

»Schreien Sie nicht«, sagte er leise.

Sie warf einen Blick auf den Frisiertisch. Ihr Schmuckkasten war geöffnet – sie konnte das rote Futter des Deckels sehen. Der Einbrecher hielt eine kleine Taschenlampe in der Hand.

»Was wollen Sie hier?« fragte sie heiser. »Ich habe kein Geld im Hause, und meine Schmucksachen sind auf der Bank.«

Das Gesicht des Mannes konnte sie nicht sehen, denn die untere Hälfte war von einem rotseidenen Taschentuch bedeckt. Außerdem trug er einen Filzhut und einen langen Regenmantel.

Auf dem Gang kam jemand mit bloßen Füßen näher. Die Tür öffnete sich, und Javot steckte den Kopf herein.

»Sprichst du im Schlaf?« fragte er und schrak dann zusammen, als er den Fremden entdeckte.

»Hände hoch!«

Javot gehorchte sofort.

»Stellen Sie sich an die Wand, damit ich Sie sehen kann.«

Der Eindringling trug die Schmuckkassette zum Bett und suchte in den Papieren, die darin lagen.

»Drehen Sie beide das Gesicht fort. Sie brauchen nicht zu sehen, was ich hier mache.«

Alma hörte, wie ihre Schmuckstücke durcheinandergewühlt wurden und wie die Papiere raschelten. Als kurz darauf eine Tür knarrte, sah sie sich um. Der Mann war verschwunden.

»Laufe ihm sofort nach, Javot«, schrie sie.

»Das kannst du selbst tun, wenn du so begierig danach bist.«

»Du bist ein Feigling!«

»Es ist besser, ein lebendiger Feigling zu sein als ein toter Held.«

Sie legte die Schmuckstücke, die auf der Bettdecke verstreut waren, wieder in die Kassette zurück.

»Er hat nichts mitgenommen – meine Ringe sind alle da –«

Unten wurde leise die Haustür geschlossen.

»So, jetzt ist es Zeit. Jetzt kann ich die Verfolgung aufnehmen«, erklärte Mr. Javot.

Wenige Sekunden später hörte Alma ihn eifrig am Telefon sprechen.


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