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Offensichtlich hatte man Joe Farmer von hinten niedergeschossen. Leicester schaute ihn noch immer entsetzt an; erst nach einer Weile nahm er mechanisch die Karte aus der Hand des Toten. Wieder die gefiederte Schlange!
Joes Uhr und ein anderer Gegenstand waren bei dem Sturz aus seiner Tasche auf den Boden gefallen. Leicester schaute reglos auf den viereckigen, flachen Geldbeutel, den er nur allzugut kannte. Was für ein Idiot dieser Joe doch gewesen war. Immer noch hatte er dieses Andenken mit sich herumgetragen! Crewe beugte sich über den Toten, nahm den Geldbeutel und reichte ihn nach hinten.
»Merkwürdig . . ., man konnte keinen Schuß hören«, murmelte er. »Nimm das Ding, Paula – wirf es ins Feuer, bevor die Polizei kommt.«
Der Geldbeutel wurde ihm aus der Hand genommen. Er drehte sich nicht um, sondern blickte erst auf, als er eine weiche, erschreckte Stimme hörte:
»Soll ich die Polizei rufen . . .? Ist er verletzt, Mr. Crewe?«
Daphne Olroyd stand dicht hinter ihm.
»Ach, Sie sind es«, sagte er verwirrt. Dann erst sah er, daß Paula auf einem Stuhl an der Wand saß. Anscheinend war ihr schlecht geworden; sie war kalkweiß, und ihr Gesicht sah plötzlich ganz verfallen aus.
»Bitte . . . wenn Sie so freundlich sein wollen . . . telefonieren Sie . . .«
Als Daphne gerade zum Telefon lief, kam der Diener hastig die Treppe herunter. Sie hatte noch ein wenig ausgehen wollen und war nur zufällig Zeugin dieser Tragödie geworden.
Am Telefon berichtete sie dem Beamten auf der Polizeiwache in abgerissenen Worten, daß sich ein Unglück ereignet hätte. Sie hatte dabei das ungewisse Gefühl, daß der Polizeisergeant den Eindruck haben müsse, daß sie verrückt sei. Dann erinnerte sie sich plötzlich an den jungen Journalisten und suchte im Telefonbuch die Nummer seiner Zeitung. Die Verbindung mit seinem Büro wurde hergestellt, und gleich darauf hörte sie Peters Stimme:
»Hallo, wer ist dort?«
Ihr Bericht fiel noch verwirrter aus, als der Anruf bei der Polizei.
». . . eine schreckliche Sache . . . Ich glaube, der Mann ist tot . . . er hatte eine Karte in der Hand . . . können Sie sich an die gefiederte Schlange erinnern?«
»Von wo aus sprechen Sie denn?« unterbrach er sie plötzlich.
»Ich bin in Mr. Crewes Haus. Der Tote heißt Joe Farmer . . . es ist furchtbar . . .!«
»Ist er wirklich tot? Und er hatte eine Karte mit der gefiederten Schlange in der Hand? Ich komme sofort!«
Sie erschrak. »Aber bitte erzählen Sie Mr. Crewe auf keinen Fall, daß ich Sie benachrichtigt habe.«
»Verlassen Sie sich nur auf mich«, entgegnete er heiter und brach das Gespräch ab.
Sie hörte, daß ihr Name gerufen wurde und lief schnell die Treppe hinunter.
»Paula ist ohnmächtig geworden – schauen Sie bitte nach ihr!«
Crewes Stimme war heiser; es schien Daphne, als ob er selbst dem Zusammenbruch nahe sei.
Um den Toten hatte sich inzwischen das gesamte Hauspersonal versammelt. Einer der Diener untersuchte gerade die Wunde. Sie hörte, wie er leise sagte: »Mitten durchs Herz!«
Paula Staines lag in der Bibliothek bleich und vollständig kraftlos auf der Couch. Anscheinend war sie schon vor einiger Zeit wieder zum Bewußtsein gekommen, denn als Daphne hereinkam, schaute sie sie starr an.
»Joe Farmer ist ermordet worden«, sagte sie dann, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und warf krampfhaft den Kopf hin und her.
Ratlos ging Daphne wieder in die Halle, um Mr. Crewe zu rufen. Seine Augenlider zuckten nervös; er war unfähig, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen oder etwas zu unternehmen.
»Es wird am besten sein, wenn Sie gehen«, sagte er schließlich zu ihr. »Nehmen Sie den Küchenausgang durch den Garten; die Polizei wird in wenigen Minuten hier sein.«
»Kann ich Ihnen nicht irgendwie behilflich sein?«
»Behilflich . . .?« entgegnete er heiser. »Was könnten Sie helfen . . . Auf jeden Fall möchte ich nicht, daß Sie hier bleiben. Und dann, Miss Olroyd, wenn die Polizei Sie fragen sollte, ob Farmer hier im Hause ein häufiger Besucher war, dann müssen Sie sagen, daß Sie ihn kaum gesehen haben. Selbstverständlich habe ich geschäftlich mit ihm zu tun gehabt, aber er war nicht mein Freund – ich habe ihn erst letztes Jahr kennengelernt. Verstehen Sie mich?«
Dann schien er sich plötzlich an ihre frühere Unterhaltung zu erinnern.
»Ach, Sie wollten ja sowieso die Stellung wechseln dann ist es besser, wenn Sie gleich ganz gehen. Ich werde Ihnen einen Scheck über Ihr restliches Gehalt schicken . . .«
Er drängte sie hastig aus dem Raum, und sie stand draußen im Nebel, bevor sie noch eine Erklärung für seine außerordentliche Ängstlichkeit finden konnte.
Als Daphne das Grundstück durch einen Seitenausgang verließ, fuhr eben ein Streifenwagen vor. Einige Beamte sprangen heraus; mit knirschenden Bremsen hielten gleich darauf ein Krankenwagen und ein Taxi, aus dem Peter Dewin stieg. Sie rief ihn an, und er drehte sich zu ihr um.
»Hallo! Ich hoffte eigentlich, Sie wären nicht mehr hier. Was ist denn nun passiert?«
Sie erzählte ihm alles, was sie wußte. Sie war oben in ihrem kleinen Arbeitszimmer gewesen und hatte eben den Mantel angezogen, um nach Hause zu gehen. Als sie das Licht ausdrehte und noch einmal ans Fenster trat, um die Vorhänge zu schließen, sah sie, wie ein Wagen vor dem Tor hielt. Gleich darauf war sie die Treppe hinuntergegangen. Sie hatte vergessen, oben das Licht anzumachen, so daß die Halle im Dunkeln lag. Sie war eben in die Halle getreten, als sich die Haustür öffnete. Dann hörte sie, wie etwas zu Boden fiel und wie Mr. Crewe nach Licht rief – gleich darauf sah sie die reglos ausgestreckte Gestalt auf dem Teppich.
»Ach so – noch etwas!« rief sie plötzlich.
»Was ist?« fragte er.
»Mr. Crewe gab mir diesen Geldbeutel und sagte, daß ich ihn ins Feuer werfen sollte. Wahrscheinlich hielt er mich für Mrs. Staines. Würden Sie so liebenswürdig sein und ihm das Ding zurückgeben?«
Er nahm den Geldbeutel aus ihrer Hand und steckte ihn ein. Sein Taxi wartete noch.
»Fahren Sie nach Hause, nehmen Sie gleich das Taxi hier«, meinte er dann.
Er fragte nach ihrer Adresse. Sie hatte eine kleine Wohnung in der Nähe der Baker Street; Peter drückte dem Chauffeur einige Silbermünzen in die Hand und nannte ihm die Straße.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie heute abend noch einmal aufsuche? Oder wohnt die unvermeidliche sittenstrenge Tante bei Ihnen?« erkundigte er sich noch durchs Wagenfenster.
Sie lachte.
»Kommen Sie auf jeden Fall – auf Kosten meines guten Rufes. Aber jetzt auf Wiedersehen, ich halte Sie von Ihrer Arbeit ab.«
Er wartete, bis das Rücklicht des Wagens verschwunden war; dann ging er die Treppe zum Haus hinauf. Die Tür stand weit offen, und in der hellerleuchteten Halle sah er Oberinspektor Clarke. Der Beamte kam ihm bis zur Treppe entgegen.
»Sie haben wohl eine Nase für solche Angelegenheiten, Dewin«, sagte er. »Wir haben doch selbst eben erst davon erfahren.«
»Sie wissen doch, daß ich manchmal hellsehen kann«, entgegnete Dewin. »Ist er tot?«
Clarke nickte.
»Besser, Sie besuchen mich morgen früh. Jetzt kann ich Ihnen wirklich noch nichts sagen.« Dies erklärte er in einem so bestimmten Ton, daß Peter wußte, daß dagegen nichts zu machen war.
Immerhin besaß er schon bedeutend mehr Informationen, als der Oberinspektor ahnte. Er konnte sich den Hergang der Tat ungefähr zusammenreimen und wußte außerdem, daß der Ermordete in Bloomsbury gewohnt hatte. Peter hatte ihn dort schon verschiedentlich interviewt und kannte auch seine alte Haushälterin.
Jetzt galt es vor allem, schnell zu handeln, denn Peter hatte die Absicht, die Wohnung Joe Farmers unter allen Umständen vor der Polizei zu erreichen. Er mußte irgendeinen Anhaltspunkt finden, der auf den Weg zum Motiv des Verbrechens führte.
Als er bei Joe Farmers Wohnung ankam, wollte die Haushälterin gerade ins Kino gehen. Sie hatte an diesem Abend Ausgang, und Mr. Farmer hatte ihr außerdem gesagt, daß er erst sehr spät zurückkommen würde.
»Macht gar nichts, Mrs. Curtin«, sagte Dewin freundlich. »Ich muß ihn unbedingt sprechen und werde warten, bis er kommt.«
Die alte Frau ließ ihn ohne weiteres ein. Es war durchaus nichts Ungewöhnliches, daß Farmers Freunde in der Wohnung des häufig abwesenden Hausherrn auf ihn warteten; vor allem wußte sie auch, daß Mr. Farmer den Zeitungsreporter stets sehr liebenswürdig empfangen hatte.
Peter Dewin wartete, bis sich die Haustür hinter der alten Frau geschlossen hatte, und begann dann eine schnelle Durchsuchung. Die Wohnung bestand aus vier Zimmern und einer Küche, die sich alle um einen Korridor gruppierten. Dieser führte zu einem kleinen Vorraum und der Haustür.
Der größte Raum der Wohnung – Farmers Arbeitszimmer – war mit viel Geld und wenig Geschmack eingerichtet. In der einen Ecke stand ein einfacher Büroschreibtisch mit Rolläden – ein merkwürdiger Gegensatz zu den Stilmöbeln der übrigen Einrichtung. Der Schreibtisch war verschlossen, aber schon der erste kleine Schlüssel, den Dewin der reichhaltigen Auswahl seines Schlüsselbundes entnahm, paßte in das Schloß. Er öffnete und durchsuchte systematisch sämtliche Schubladen. Anscheinend war Farmer ein Mann gewesen, der ordentlich und methodisch gearbeitet hatte. Dewin fand Aktenordner, die Abrechnungen über Farmers verschiedene Nachtlokale und andere Unternehmungen enthielten; am meisten interessierte ihn aber eine Schublade, die allem Anschein nach später eingebaut worden sein mußte. Sie war mit einem Patentschloß gesichert, aber Peter Dewin hatte heute seinen glücklichen Tag, denn der Schlüssel steckte im Schloß. Wie sich später herausstellte, hatte Joe Farmer gerade an diesem Tag den Inhalt der Schublade kontrolliert.
Dewin schloß auf und zog eine Metallkassette heraus, die nicht verschlossen war. Er hob den Deckel auf – der Inhalt bestand lediglich aus zwei zusammengefalteten Papieren. Er faltete sie auseinander und betrachtete sie. Das erste Blatt zeigte offensichtlich einen Grundriß für einen großen Block von Arbeiterwohnungen. Er brummte mißmutig; er wußte, daß Joe Farmer seine Hand in vielen Bauunternehmungen gehabt hatte.
Das zweite Schriftstück bestand aus zwei zusammengehefteten Blättern Papier, die mit Seite 3 und 4 numeriert waren. Die Seiten 1 und 2 fehlten. Aus dem Text ging ohne weiteres hervor, daß dies ein amtliches Aktenstück war, anscheinend eine Zeugenaussage bei einem Verhör. Er las:
»Der besagte William Lane war mir als ein Mann bekannt, der Falschgeld vertrieb. Ich traf ihn zum erstenmal in dem Gasthaus ›Rose und Krone‹, das ich gepachtet hatte. Er erzählte mir, daß er früher Matrose gewesen und selten in England gewesen sei. Dann fragte er mich, ob ich nicht Falschgeld von ihm kaufen wolle. Er sagte mir, daß er selbst Drucker sei und mir jede beliebige Menge falscher Pfundnoten liefern könne. Er habe bereits zwanzig Stück davon ausgegeben, ohne daß jemand Verdacht geschöpft hätte. Ich dachte, er mache einen Scherz und erwiderte, daß ich gar nicht daran denken würde, so etwas zu tun. Er lachte und sprach von etwas anderem. Zwei Tage später kam er dann in ein Lokal, das im West End liegt und auch mir gehört, und fragte den Barmixer, ob er ihm nicht eine Fünfpfundnote wechseln könne. Mein Angestellter, der William Lane kannte, berichtete mir abends den Vorfall. Als ich meine Abrechnung machte, untersuchte ich den Geldschein genau. Er schien mir völlig echt zu sein, aber ich legte ihn trotzdem am nächsten Morgen in meiner Bank vor. Der Kassierer prüfte ihn und sagte, daß es eine Fälschung wäre und daß in den letzten Tagen schon mehrfach ähnliche Noten eingegangen seien. Ich brachte den Schein sofort zu Inspektor Bradbury und erzählte ihm von meiner Unterredung mit William Lane. Einige Tage später erhielt ich von der Polizei eine Benachrichtigung, daß die Wohnung William Lanes durchsucht worden sei. Man hatte dort eine Presse, Druckmaschinen und Falschgeld gefunden. Bei der Gegenüberstellung sagte der Gefangene aus:
Es sei nicht wahr, daß zwischen William Lane und Farmer eine Unterhaltung über den Verkauf von Falschgeld stattgefunden habe. Es würde auch nicht stimmen, daß William Lane eine falsche Fünfpfundnote zum Wechseln vorgelegt habe.
Nachdem er noch einmal vom Staatsanwalt befragt worden war:
Es ist nicht richtig, wenn Lane behauptet, daß er sein Freund war. Er hat höchstens zwei- oder dreimal mit ihm gesprochen und kannte ihn nur als einen Gast der ›Rose und Krone‹.«
Hier endete das Aktenstück, das ganz offensichtlich nicht vollständig war; schließlich fand er auf einer Rückseite noch eine Bleistiftnotiz in Farmers Handschrift:
»Ich bin sicher, daß dieser Mann William Lane war, weil über sein linkes Handgelenk die Narbe einer alten Schnittwunde lief, die ihm nach seiner Erzählung einmal ein Neger auf einem Schiff beigebracht hatte.«
Am unteren Rand des Blattes standen noch drei Zeilen, mit blauem Farbstift geschrieben:
»A. Bone starb am 14. Februar. Harry, der Barmann, 18b Calle Rosina, B. A., sehr krank.«
Peter Dewins Augen glänzten. Ohne Zögern faltete er die Papiere wieder zusammen, steckte sie in seine Tasche und wollte den Bauplan eben in die Schublade legen, als er den Namen des Architekten und das Datum las. Warum hatte Joe Farmer diesen Plan so lange aufgehoben? Ohne Gewissensbisse schob Dewin auch den Plan in seine Tasche. In diesem Augenblick hörte er ein Klopfen an der Haustür. Er schaute sich schnell noch einmal im Zimmer um, schob dann die Rolljalousie des Schreibtisches hoch und schloß ab, bevor er Oberinspektor Clarke die Haustür öffnete. Das Gesicht des Beamten zog sich merklich in die Länge, als er den Reporter erblickte.
»Donnerwetter, Sie verlieren aber wirklich keine Zeit«, sagte er. »Wer ist außer Ihnen hier in der Wohnung?«
»Niemand«, entgegnete Dewin gelassen. »Die Haushälterin ist ins Kino gegangen – sie schaut sich den neuesten Kriminalfilm an.«
»Hören Sie mit dem Blödsinn auf!« Oberinspektor Clarke betrat die Wohnung, seine Beamten folgten ihm, »Haben Sie etwa schon hier herumgeschnüffelt und etwas gefunden?«
»Ich bin erst vor ein paar Minuten gekommen«, log Dewin frech drauflos, »und ich überlegte eben, ob ich hier nicht etwas mitgehen lassen könnte, als ich durch Ihr Klopfen wieder auf den Pfad der Tugend zurückgeführt wurde.«
Clarke brummte etwas Unliebenswürdiges und begann dann mit der Durchsuchung der Räume. Dewin ging bescheiden hinter ihm her.
»Vermutlich haben Sie diesen Schreibtisch geöffnet und alle Papiere angesehen«, sagte der Inspektor, während er geschickt das Schloß aufdrückte und die Schubladen herauszog.
Dann bückte er sich und hob einen Blaustift vom Boden auf.
»Ist der Ihnen aus der Tasche gefallen?« erkundigte er sich ironisch.
Peter Dewin wurde klar, daß die Notiz auf der Rückseite des einen Blattes erst kürzlich geschrieben worden war. Es war ein neuer Farbstift, frisch angespitzt. Die Holzspäne lagen auf dem Teppich, und das offene Federmesser auf dem Tisch zeigte blaue Spuren.
»Keine Spur von gefiederten Schlangen, wie?« meinte Clarke, als er seine Untersuchung beendet hatte. Dann ließ er sich dazu herbei, Dewin einige Informationen zu geben.
»Farmer wurde mit einer automatischen Pistole erschossen, die wahrscheinlich einen Schalldämpfer hatte – wir fanden eine leere Patronenhülse mitten auf dem Gartenweg. Er hatte ein Taxi benutzt; der Wagen wurde an der Ecke des Grosvenor Square gesehen und bog dann in die Grosvenor Street ein. Mr. Crewe gab an, es sei ein kleiner Wagen gewesen, aber seine Beschreibung stimmt nicht mit der anderer Zeugen überein. Der Mann, der Farmer tötete, fuhr in diesem Auto mit – vielleicht war es der Chauffeur selbst. So, das können Sie veröffentlichen, Peter. Sie dürfen aber nicht schreiben, daß Farmer noch eine halbe Stunde vor seinem Tode mit Crewe telefonierte – ich erzähle Ihnen das nur deshalb, weil Sie es wahrscheinlich doch erfahren werden. Farmer sagte, daß er etwas über die gefiederte Schlange in Erfahrung gebracht habe und Crewe aufsuchen wolle, um es ihm mitzuteilen.«
»Wieso interessierten sich die beiden eigentlich für die gefiederte Schlange?« fragte Dewin. Der Oberinspektor sah ihn nachdenklich an.
»Wollen Sie mich bluffen? Sie wissen doch ganz genau, daß Crewe und Farmer diese mysteriösen Karten erhalten haben. Wie erklärt man sich die Geschichte eigentlich auf Ihrer Redaktion?«
»Wir haben die Sache bis jetzt nicht ernst genommen – es sah zu sehr nach Sensationsmache aus. Daß so etwas in Wirklichkeit nicht passiert, das wissen Sie doch am besten, Clarke.«
»Dafür hat sich dieser Mord aber wirklich zugetragen«, entgegnete Clarke grimmig.
Als sie zusammen zum Bloomsbury Square gingen, schaute er Dewin immer noch ab und zu argwöhnisch von der Seite an und fragte schließlich:
»Haben Sie wirklich nichts gefunden?«
»Bestimmt nichts, was der Polizei irgendwie von Nutzen sein könnte«, erwiderte Dewin prompt.
»Das heißt also, daß Sie mich irgendwie aufs Glatteis führen wollen. Es wäre eigentlich meine Pflicht, Sie auf die Polizeiwache zu bringen und Ihre Taschen vollständig durchsuchen zu lassen.«
Als Peter Dewin in seinem Büro am Schreibtisch saß, war er sich schon klar darüber, wie er die Reportage über das Verbrechen abfassen wollte. Es waren inzwischen auch einige weitere Details der Zeugenaussagen gemeldet worden, und schließlich war der Bericht, den er den Lesern seiner Zeitung vorsetzte, derselbe, der am nächsten Morgen in jedem anderen Blatt zu lesen war.
Für gewöhnlich verbrachte Peter Dewin sein Wochenende in einem kleinen Landhaus an der Godalming Road. Gern hätte er auch diesmal die Gelegenheit wahrgenommen, in ländlicher Abgeschiedenheit über die verschiedenen Probleme nachzudenken, die sich ergeben hatten; aber diesmal konnte er sich beim besten Willen kein Wochenende gönnen. Für seine Verhältnisse ziemlich aufgeregt und bestürzt, fuhr er schließlich zu seiner Wohnung in Bayswater.
Wie Dewin aus langer Erfahrung wußte, war ein Mord fast immer eine sehr prosaische und unromantische Angelegenheit. Zum ersten Male hatte er hier über eine Tat zu berichten, die etwas geradezu Phantastisches an sich hatte.
Er saß auf dem Rand seines Bettes und zog seine Schuhe aus, als ihm plötzlich der kleine Geldbeutel einfiel, den ihm Daphne gegeben hatte. Er zog ihn aus der Tasche; es war eigentlich mehr ein flaches Etui aus weichem Leder, die Klappe wurde durch einen Druckknopf festgehalten. Im Innern fühlte er einen harten Gegenstand; als er öffnete, fand er einen Schlüssel, an dem ein Streifen Pappe hing.
Der Schlüssel gehörte anscheinend zu einem Patentschloß. Er war sehr klein und trug oben am Griff die Nummer 7916.
Daneben schien noch etwas eingraviert gewesen zu sein; es war dann aber ziemlich nachlässig wieder weggekratzt worden.
Er betrachtete den Pappstreifen, auf dem zwei Reihen Buchstaben standen:
F. T. B. T. L. Z. S. Y. H. V. D. V. N. B. Z. A. |
Entweder waren es Codeworte, oder es war der Schlüssel zu einer Geheimschrift. Die Pappe war ziemlich alt; die mit Tinte geschriebenen Buchstaben begannen bereits zu verblassen. Weiter fand sich nichts in dem Geldbeutel, und Peter wollte ihn gerade wieder in seine Tasche stecken, als er aus irgendeinem Grund, über den er sich selbst nicht im klaren war, seine Meinung änderte und ihn unter sein Kopfkissen legte. Dann zog er sich aus und ging ins Bett. Todmüde schlief er sofort ein.