Edgar Wallace
Die gefiederte Schlange
Edgar Wallace

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2

»›Glücklicherweise trug Miss Creed nicht ihre Juwelen, sondern täuschende Imitationen, so daß den Verbrechern keine Kostbarkeiten in die Hände fielen. Die Polizei ist im Besitz einer Karte mit der rohen Zeichnung einer gefiederten Schlange. Stündlich erwartet man eine weitere interessante Entwicklung des Falles.‹ – Das ist also die Geschichte«, fügte der Nachrichtenredakteur des »Kurier« seiner Vorlesung mit einer Selbstzufriedenheit hinzu, die Leute seines Schlages immer dann anwenden, wenn sie ihre Untergebenen fortschicken, um unlösbare Aufgaben zu lösen. »Die gefiederte Schlange gibt dem Fall eine besondere Nuance – ich verspreche mir eine Sensation . . .«

»Dann engagieren Sie doch gleich auch einen Sensationsschriftsteller für die Berichterstattung!« erklärte Peter Dewin grimmig.

Peter Dewin war ein großer, etwas nachlässig gekleideter junger Mann mit ziemlich saloppem Auftreten. Wenn er sich sauber rasierte und einen Frack anzog, was bei gewissen beruflichen Anlässen beim besten Willen nicht zu umgehen war, sah er geradezu flott und elegant aus. Was er allerdings durchaus nicht wahrhaben wollte. Auf der Redaktion des »Postkuriers« erzählte man von ihm, daß seine Vorliebe für Verbrechen und Verbrecher fast verdächtig wäre und daß er sich nichts Schöneres vorstellen könne, als in der Woche sieben Tage lang Detektiv zu spielen.

»Das Ganze gibt Stoff für einen Schauerroman, aber nicht für eine anständige Kriminalreportage, die Hand und Fuß hat«, erklärte er jetzt entrüstet. »Eine gefiederte Schlange – um Gottes willen! Ich wette, daß es sich nur um einen raffinierten Theatertrick handelt, den sich die Creed ausgedacht hat, um wieder mal in die Zeitungen zu kommen. Um das zu erreichen, würde sie sogar aus einem Ballon springen!«

»Hat sie das wirklich mal gemacht?« erkundigte sich der phantasielose Nachrichtenredakteur äußerst interessiert.

»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Dewin brummig. »Aber im Ernst, Parsons, übergeben Sie diese Geschichte doch lieber dem Theaterkritiker – der freut sich vielleicht darüber.«

Mr. Parsons zeigte nur auf die Tür. Peter Dewin hatte schon genug Erfahrungen als Journalist gemacht, um zu wissen, wieweit man einen Nachrichtenredakteur ärgern darf, ohne unmittelbare Gefahr zu laufen. Er schlenderte deshalb achselzuckend zum Reporterzimmer zurück und klagte seinen scheinheilig mitfühlenden Kollegen sein Leid.

Eines stand bei ihm auf jeden Fall fest – keine Schlange, mochte sie nun gefiedert sein oder nicht, sollte die Ursache sein, daß er seine Stellung verlor.

 

Bekanntschaften, die man in Cafés schließt, sind immer mit einer gewissen Gefahr verbunden. Wenn man zu jemandem sagt: »Darf ich Ihnen vielleicht den Zucker reichen?«, so ist das noch lange kein vollwertiger Ersatz für eine formelle Vorstellung.

Daphne Olroyd dachte darüber nach, als sie an einem grauen Novembernachmittag langsam auf den Eingang des Astoria-Hotels zusteuerte. Aber formelles Vorstellen garantiert keineswegs späteres gutes Betragen. Auf jeden Fall stand es bei ihr fest, daß trotz der etwas formlos geschlossenen Bekanntschaft Peter Dewin ein anständiger Mensch war. Davon war sie mehr überzeugt als von Leicester Crewes Anständigkeit oder von der seines ziemlich zweifelhaft aussehenden Freundes.

Vor allem hatte sie sich schon lange angewöhnt, sich bei der Beurteilung von Menschen auf ihr eigenes Gefühl zu verlassen. Und das sagte ihr in diesem Fall, daß der große, nachlässig gekleidete junge Mann es nicht falsch verstehen würde, daß sie seine Einladung zum Tee ohne Zögern angenommen hatte.

Peter Dewin stand mitten im Vestibül des Hotels und schaute bereits ängstlich wartend auf die Drehtür, als sie eintrat.

»Ich habe einen Tisch ausgesucht, der möglichst weit von dieser prächtigen Kapelle entfernt ist. Oder ziehen Sie vielleicht die Nähe des Orchesters vor . . .? Ich kann den dauernden Krach nicht ausstehen.«

Er führte sie zu einem Ecktisch und flüsterte ihr dabei so ungeniert Bemerkungen über die Leute zu, an denen sie vorbeigingen, daß sie unwillkürlich lachen mußte.

Es war eine seiner kleinen Eigenheiten, nicht gerade geizig mit den Informationen umzugehen, die er sich über Gott und die Welt zu verschaffen wußte. Und es kam ihr fast so vor, als ob sie neben einem lebenden Nachrichtenbüro herginge.

»Hier sind wir – nehmen Sie doch bitte den Sessel.« Er schob ihn für sie zurecht. »So, sitzen Sie bequem?«

Peter Dewin war hier ziemlich bekannt. Viele schauten herüber, um festzustellen, ob er es auch wirklich sei, da er ungewöhnlicherweise in Begleitung einer Dame war.

Daphne Olroyd erfuhr heute zum erstenmal, welchen Beruf er hatte. Interesse dafür brauchte sie nicht zu heucheln – Journalisten waren für sie schon immer mit einem gewissen Nimbus umgeben gewesen.

»Und worüber schreiben Sie speziell?« erkundigte sie sich.

»Hauptsächlich über Verbrechen, Mord, Raubüberfall und dergleichen«, erklärte er obenhin, während er seine schwarze Hornbrille aufsetzte. »Wenn es nicht genügend Verbrechen gibt, berichte ich auch über Hochzeiten und Begräbnisfeierlichkeiten. Ja, ich habe mich sogar schon soweit herabgelassen, über eine Parlamentsdebatte zu schreiben. – Was ist nur mit dieser verflixten Brille los, ich kann gar nichts sehen!«

»Warum setzen Sie sie dann überhaupt auf?« fragte sie erstaunt.

»Sie gehört ja gar nicht mir«, entgegnete er vergnügt und nahm sie wieder ab. »Ich habe sie eben für einen Kollegen beim Optiker abgeholt.«

Sie schaute ihn zweifelnd an, mußte dann aber doch lächeln.

»Wie gefalle ich Ihnen heute?« erkundigte sie sich.

»Sie sind sehr hübsch . . . Das bemerkte ich schon, als ich Sie das erste Mal traf. Eigentlich habe ich nicht gedacht, daß Sie heute kommen würden. War ich nicht zu frech?«

»Nein, durchaus nicht«, erwiderte sie lächelnd. »Ich fand Sie vielleicht etwas außergewöhnlich . . .«

»Das bin ich auch«, unterbrach er sie. »Ich habe mich auch noch niemals verliebt – bis jetzt war ich eigentlich immer der Meinung, daß man dabei seinen Verstand und Witz ziemlich umsonst vergeudet.«

Der Kellner kam und stellte Kannen und Tassen vor sie auf den Tisch.

»Sind Sie nicht die Sekretärin von Mr. Crewe?«

Sie schaute ihn verwundert an.

»Ich habe Sie neulich dort gesehen – als ich bei ihm war, um ihn zu interviewen. Erst heute morgen ist mir das wieder eingefallen.«

Gedankenvoll rührte er seinen Tee um und runzelte die Stirn.

»Kennen Sie die Dame dort drüben? Sie sieht dauernd herüber.«

»Das ist Mrs. Paula Staines«, erklärte sie. »Sie ist um sieben Ecken mit Mr. Crewe verwandt.«

Dewin beobachtete die elegante Dame. Sie saß aber zu weit von ihm entfernt, als daß er ihr Gesicht genauer hätte sehen können.

»Sind Sie eigentlich mit Ihrer Stellung zufrieden?« erkundigte er sich dann plötzlich.

»Mit meinem Posten bei Mr. Crewe?« Sie zögerte. »Wenn ich ehrlich sein soll – eigentlich nicht. Ich bin gerade dabei, mir eine andere Stellung zu suchen, habe aber leider noch keinen Erfolg gehabt.«

Er sah sie aufmerksam an.

»Ist Crewe nicht recht eigenartig? Er hat keinen besonders guten Ruf. Sein Vermögen hat er auf etwas seltsame Art erworben – über Nacht wurde er plötzlich reich, und niemand weiß, woher dieser Geldsegen kam. Es wäre wirklich besser, wenn Sie fortgingen.«

»Interessieren Sie sich so sehr für Crewe? Oder ist das nur Ihr allgemeiner Informationstrieb . . .?«

»Spotten Sie nicht, ich interessiere mich wirklich für ihn. Und habe schon die verschiedensten Theorien – aber keine stimmt. – Nun essen Sie doch endlich mal Ihre Torte auf!«

Daphne nickte folgsam.

»Nachher muß ich zu einer Dame, über die ich einen Artikel schreiben soll, der für sie mindestens tausend Pfund Reklamewert hat – und dabei hat sie noch nicht mal für zehn Pfund Schmuck eingebüßt.«

»Meinen Sie vielleicht Ella Creed?« fragte Daphne überrascht. »Die junge Dame, die vor ihrer Haustür überfallen wurde?«

»Kennen Sie sie etwa?« fragte er.

»Nur vom Sehen. Sie kommt manchmal zu Mr. Crewe, und er war auch sehr bestürzt über den Vorfall. Auch er hat an dem Tag, an dem Miss Creed überfallen wurde, eine Karte mit dem Bild der gefiederten Schlange erhalten und hat sich sehr darüber aufgeregt.«

Peter sah sie nachdenklich an.

»Ich glaube eigentlich nicht, daß es damit etwas auf sich hat«, meinte er schließlich. »Hinter phantastischen Geschichten wie dieser steckt meistens nichts als leeres Gerede. – Was haben Sie nachher vor?« erkundigte er sich nach einer kleinen Pause.

Sie lachte ihn an.

»Ich habe mich um eine andere Stellung beworben – ohne Hoffnung, daß ich dabei Erfolg haben werde.«

Vor dem Hoteleingang trennte er sich von ihr und schlenderte dann zum »Orpheum« – dem Theater, das Miss Creed gehörte. Er erwartete nicht, daß sie schon um diese Zeit dort sein würde, und freute sich um so mehr, als er erfuhr, daß sie schon in ihrer Garderobe sei und ihn erwarte.

Offensichtlich war sie kurz vorher eingetroffen, denn sie hatte ihren Pelzmantel noch an. Dewin begegnete ihr zum erstenmal, doch kannte er den Mann, der neben ihr stand, sehr gut.

Joe Farmer war wirklich eine sehr bekannte Persönlichkeit in London. Er war etwas untersetzt und hatte ein rotes, ziemlich gewöhnliches Gesicht. Man sah ihm von weitem den neureichen Unternehmer an. Hauptsächlich managte er Boxveranstaltungen, außerdem war er auch noch Eigentümer einer ganzen Reihe berüchtigter Nachtlokale. Bei den Rennen ließ er einige Pferde laufen, die in Berkshire trainiert wurden, und wenn sein Ruf auch nicht der beste war, erfreute er sich doch einer gewissen Popularität.

Wie viele Leute seines Schlages hatte er eine Schwäche für Brillanten. Auch jetzt blitzte in seiner Krawatte wieder ein Stein, den man beim besten Willen nicht übersehen konnte.

Er begrüßte den Reporter mit einem freundlichen Grinsen und streckte ihm seine fette, etwas feuchte Hand entgegen.

»Das ist der richtige Mann – an den mußt du dich wenden, Ella«, sagte er mit seiner tiefen, heiseren Stimme, die nach einer chronischen Kehlkopfentzündung klang. »Kommen Sie, Peter, alter Junge – nehmen Sie Platz. Darf ich dir vorstellen, Ella – dies ist Mr. Dervent . . .«

»Dewin, mein Bester«, entgegnete Peter gelangweilt. »D-e-w-i-n.«

Joe Farmer lachte heiser.

»Na, für mich sind Sie eben Peter. Werden Sie sich den nächsten großen Boxkampf ansehen, den ich arrangiere?«

»Rede doch jetzt nicht von Boxkämpfen!« fuhr Miss Creed ärgerlich dazwischen. »Sind Sie Journalist?« wendete sie sich dann an Dewin. »Vermutlich kommen Sie wegen des Überfalls von gestern abend. Ehrlich gesagt, ich habe mich noch nie in meinem Leben so gefürchtet.«

Sie sprach sehr hastig.

»Es ist wirklich ein Glück, daß es nicht meine echten Juwelen waren. Heutzutage kann es sich eine Dame einfach nicht leisten, Schmuck im Wert von 20 000 Pfund spazierenzutragen. Das finden Sie doch auch, Mr. Dewin?«

»Kann ich die Karte einmal sehen?« unterbrach er den Wortschwall.

Sie öffnete ihre Handtasche und zog ein schmutziges Stück Karton heraus, das an einer Schnur befestigt war. »Das hing um meinen Hals, als ich wieder zu mir kam«, berichtete sie. »Übrigens habe ich durchaus nicht die Geistesgegenwart verloren, als ich dem Verbrecher gegenüberstand . . .«

»Würden Sie die Leute, die Sie überfallen haben, wiedererkennen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, es war ja ganz dunkel. Das Taxi war schon weggefahren, und das Licht der Straßenlampen dringt nicht durch die Bäume und Sträucher.«

Dewin untersuchte die Karte mit dem Bild der gefiederten Schlange genau.

»Glauben Sie nicht, daß sich ganz einfach jemand einen schlechten Scherz mit Ihnen erlaubt hat?«

Offensichtlich ärgerte sie sich über seine Frage.

»Einen Scherz?« entgegnete sie scharf. »Glauben Sie vielleicht, daß meine Freunde sich so etwas erlauben würden? Nein, diese Kerle waren hinter meinen Juwelen her, und es tut mir leid, daß ich nicht ihre Gesichter sehen konnte, als sie entdeckten, daß sie nur wertlose Imitationen erbeutet hatten!«

Dewin ließ sich dann noch berichten, wie sie kurz vorher die Karte in ihrer Handtasche gefunden hatte.

»Es ist merkwürdig«, meinte Miss Creed, »daß mein Bekannter, Mr. Leicester Crewe, der Börsenmakler, auch eine solche Karte erhalten hat und . . .«

»Ich habe übrigens auch eine bekommen«, mischte sich plötzlich Joe Farmer ins Gespräch. Dabei verzog sich sein Gesicht zu einem ziemlich einfältigen Grinsen. »Sagen Sie mal, was halten Sie eigentlich davon, daß man diesem hübschen Baby hier so was angetan hat?«

Farmer hatte viel mit amerikanischen Boxern zu tun, und seine Sprechweise war danach.

»Passen Sie auf, Peter, ich glaube, ich habe eine ganz große Geschichte für Sie . . .«

»Halt endlich den Mund!« warf Miss Greed wieder dazwischen. »Deine Geschichte gehört jetzt wirklich nicht hierher.«

Sie hatte in so scharfem Ton gesprochen, daß sie sich gleich darauf veranlaßt fühlte abzumildern.

»Mr. Farmer vermutet nämlich, daß der Verbrecher ein Mann sei, mit dem wir einmal eine Auseinandersetzung hatten, aber der, den er meint, ist ja längst tot und kann es doch unmöglich gewesen sein.«

Sie schaute Farmer bedeutsam an.

»Je weniger darüber gesprochen wird, desto besser.«

»Ob er wirklich tot oder noch am Leben ist, weiß ich nicht«, erwiderte Joe vorsichtig. »Auf jeden Fall habe ich meine besonderen Ansichten darüber und handele danach. Ich gehöre zu den Leuten, die sich zu nichts drängen lassen!«

»Willst du jetzt endlich ruhig sein!« Diesmal war Miss Creed wirklich böse, und Mr. Farmer gehorchte ihr sofort.

Im allgemeinen konnte Dewin nicht viel Neues erfahren, und er ging ziemlich verärgert – und auch etwas bestürzt – zu seinem Büro zurück. Im Vorraum traf er den Nachrichtenredakteur, der gerade weggehen wollte.

»Irgend etwas steckt hinter diesen merkwürdigen Visitenkarten«, erklärte ihm Parsons sofort hartnäckig. »Die ganze Zeit habe ich darüber nachgedacht. Meiner Meinung nach hat die gefiederte Schlange eine ganz besondere Bedeutung. Ich habe im Konversationslexikon nachgeschlagen und dabei wenigstens herausgefunden, daß sie von den alten Azteken als Gottheit verehrt wurde. An Ihrer Stelle würde ich einmal Mr. Beale aufsuchen.«

»Wer ist Mr. Beale?« fragte Dewin.

»Mr. Gregory Beale ist Archäologe«, erklärte der Redakteur geduldig. »Außerdem ist er Millionär. Heute abend kam er von einer Expedition zurück, auf der er die Ruinenstädte der Maya durchforscht hat. Bestimmt kann er Ihnen genaueres sagen.«

Freundlich grüßend verließ er das Gebäude. Peter Dewin war schon auf halber Höhe der Treppe, als ihn der Redakteur noch einmal zurückrief.

»Mr. Beale interessiert sich im übrigen sehr für Sozialreformen«, sagte Parsons noch. »Bieten Sie ihm doch Ihre Begleitung bei einem Spaziergang durch den Osten Londons an. Das gibt einen Artikel von mindestens Spaltenlänge.«

Als Dewin wieder die Treppe hinaufstieg, war er in nicht gerade rosiger Stimmung.


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