Edgar Wallace
Der Frosch mit der Maske
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19

Als sie zur Polizeidirektion zurückfuhren, war Elk noch immer in tiefes Sinnen versunken.

»Es ist die größte Unannehmlichkeit für uns, daß die Frösche keine ungesetzliche Verbindung sind«, sagte Dick. »Es wird am Ende noch nötig sein, den Ministerpräsidenten um die Proklamierung der Gesellschaft zu bitten.«

»Vielleicht ist der auch ein Frosch!« sagte Elk, hoffnungslos düster. »Lachen Sie mich nicht aus! Hauptmann Gordon, ich sage es Ihnen, es stecken hohe Tiere dahinter. Ich fange schon an, jeden zu verdächtigen.«

»Vielleicht beginnen Sie gleich bei mir?« sagte Gordon in seiner befreiten Laune.

»Das habe ich schon längst getan«, war die freimütige Antwort.

»Und dann ist mir auch noch eingefallen, daß ich als kleiner Junge Nachtwandler war. Vielleicht führe ich ein Doppelleben und bin bei Tag Detektiv und bei Nacht ein Frosch. Das kann man nie wissen! Denn es ist mir ganz klar, daß ein Genie unter den Fröschen sein muß«, fuhr er mit unbewußter Unbescheidenheit fort.

»Lola Bassano?« vermutete Dick.

»Sie kann nicht organisieren. Sie hat eine Girltruppe geführt, als sie neunzehn Jahre alt war, und die ging an schlechter Organisation zugrunde. Ich glaube, daß man, um die Frösche zu führen, ganz der gleichen Art der Intelligenz bedarf, wie zum Beispiel zur Führung einer Bank. Maitland wäre der Mann! Ich habe den Kreis um ihn noch enger gezogen, nachdem ich mit Johnson über ihn gesprochen habe. Johnson sagt, daß er noch nie das Bankbuch des Alten gesehen hat, und obgleich er sein Privatsekretär ist, kann er über seine Transaktionen nichts aussagen, als daß er Realitäten kauft und verkauft. Das Geld, das der Alte privat verdient, wird auch nicht in den Bankbüchern gebucht, und Johnson war geradezu überrascht, als ich meinte, daß Maitland überhaupt seine Geschäfte außerhalb der Führung der Gesellschaft mache. Ich möchte Sie aber jetzt etwas anderes fragen, Hauptmann Gordon. – Möchten Sie sich nicht ein für allemal davon überzeugen, daß Fräulein Bennett nichts mit alledem zu tun hat?«

»Sie glauben doch nicht wirklich, daß das der Fall sein könnte?« fragte Dick, den das Entsetzen von neuem überkam.

»Ich bin bereit, alles von allen zu glauben!« sagte Elk. »Die Straße liegt jetzt leer vor uns, wir könnten in einer Stunde in Horsham sein. Ich für meine Person weiß ja ganz gewiß, daß es nicht Fräulein Bennetts Stimme war, aber denken Sie nur daran, daß wir für die Leute da oben Berichte zu schreiben haben (›Die Leute da oben‹ war Elks unveränderlicher Name für seine höchsten Vorgesetzten), und da würde es böse aussehen, wenn wir einfach sagen wollten, daß wir Fräulein Bennetts Stimme im Radio gehört haben und es nicht einmal der Mühe wert fanden, herauszubekommen, wo sie zu dieser Zeit in Wirklichkeit gewesen ist.«

»Sie haben recht«, sagte Dick gedankenvoll. Und Elk lehnte sich aus dem Wagen und gab dem Fahrer die neue Fahrtrichtung an. Der Morgen dämmerte schon, als das Auto die verlassene Straße von Horsham durchraste und dann langsam an Maytree Haus entlangfuhr. Das Landhaus zeigte kein Lebenszeichen. Die Vorhänge waren herabgelassen, nirgends brannte Licht.

Dick zögerte, als Elk die Hand auf die Türklinke legte. »Ich möchte die Leute nicht gern aufwecken«, gestand er. »Der alte Bennett würde wahrscheinlich glauben, daß wir schlechte Nachrichten über seinen Sohn bringen.«

Aber sie brauchten John Bennett nicht erst aus dem Schlaf zu wecken. Elk wurde angerufen, und als er hinaufsah, bemerkte er den geheimnisvollen Mann, der aus dem Fenster lehnte.

»Was führt Sie hierher, Herr Inspektor?« fragte er gedämpft.

»Nichts Besonderes«, flüsterte Elk hinauf. »Wir haben heute nacht eine Radiobotschaft aufgefangen und uns war, als wäre es die Stimme Ihres Fräulein Tochter gewesen.«

John Bennett runzelte die Stirn, und Dick sah, daß er an der Wahrheit dieser Erklärung zweifelte.

»Auch ich habe die Stimme gehört, Herr Bennett«, bestätigte er.

»Wir haben einer ziemlich wichtigen Nachricht wegen zugehört, und die Umstände machen es uns zur dringenden Notwendigkeit, zu wissen, ob Fräulein Bennett gesprochen hat.«

»Das ist eine merkwürdige Geschichte«, sagte Bennett kopfschüttelnd. »Ich werde herunterkommen und Sie einlassen.«

Er öffnete, in einen alten Schlafrock gekleidet, die Tür und führte sie in das dunkle Wohnzimmer. »Ich werde Ella wecken, und sie wird wohl imstande sein, Ihnen zu beweisen, daß sie um zehn Uhr im Bett war.«

Er ging aus dem Zimmer, nachdem er die Vorhänge zurückgezogen hatte, um das Tageslicht hereinzulassen.

Und Dick wartete mit einem freudigen Vorgefühl auf Ellas Erscheinen. Er war nur zu froh gewesen, eine Ausrede für seinen neuerlichen Besuch in Horsham zu haben. Die Tage, die zwischen jedem Wiedersehen mit Ella lagen, schienen sich ihm zu Ewigkeiten zu dehnen.

Sie hörten Bennett die Treppe hinaufgehen, aber sogleich kam er wieder, und Entsetzen lag auf seinen Zügen.

»Ich kann das nicht verstehen«, murmelte er. »Ella ist nicht in ihrem Zimmer. Sie hat wohl in ihrem Bett geschlafen, aber sie hat sich offenbar wieder angezogen und ist fortgegangen.«

Elk kratzte sich das Kinn und vermied es, Dick anzusehen. »Fräulein Ella macht wohl gewöhnlich einen Morgenspaziergang?«

John Bennett schüttelte den Kopf. »Sie hat es sonst nie getan. Merkwürdig genug, daß ich sie nicht fortgehen gehört habe, denn ich habe heute nacht sehr wenig geschlafen. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, meine Herren.«

Er ging hinaus und kam in ein paar Minuten angekleidet wieder. Es war jetzt schon ganz hell, obgleich die Sonne noch nicht aufgegangen war. John Bennett schien nicht weniger beunruhigt, als Dick es war, in dessen Hirn tausend zweifelnde und entschuldigende Gedanken sich kreuzten.

»Sie sind ja im Auto hierhergekommen, haben Sie im Vorüberfahren niemanden gesehen?«

Dick schüttelte den Kopf.

»Liegt Ihnen etwas daran, wenn wir die Straße weiter nach Shoreham fahren?«

»Das wollte ich Ihnen eben vorschlagen«, sagte Dick. »Ist es nicht ziemlich gefährlich für Ihre Tochter, zu dieser Stunde allein spazierenzugehen? Die Straßen sind von Landstreichern bevölkert!«

Der Alte gab keine Antwort, er saß neben dem Chauffeur, und seine Blicke waren ängstlich auf die Straße vor ihnen gerichtet. Das Auto fuhr mit Eilzugsgeschwindigkeit zehn Meilen dahin, dann wendete es und begann die Seitenstraßen abzusuchen. Als sie sich dem Dorf näherten, zeigte Dick auf einen dichten Wald, zu dem ein schmaler Weg führte.

»Wie heißt dieser Wald?« fragte er.

»Es ist der Wald von Elsham, dort wird sie doch wohl nicht hingegangen sein!« Bennett zögerte.

»Versuchen wir es immerhin«, sagte Dick, und sie fuhren durch einen Hain von hohen Bäumen, deren verwachsene Wipfel die Straße gänzlich verdüsterten.

»Hier sind Autospuren«, sagte Dick plötzlich. Aber Bennett schüttelte den Kopf.

»Es kommen viele Leute hierher, um Picknicks abzuhalten«, sagte er.

Aber Dick hatte wohl gemerkt, daß diese Spuren frisch waren, und nun stellte er auch fest, daß sie von der Straße abbogen und zwischen den Bäumen hinführten. Von dem Auto selbst war jedoch nichts zu sehen. Die Straße endete nach einer weiteren Meile, und vor ihnen lag eine Lichtung, wo es nichts als Heidekraut und Baumstümpfe gab, denn der Wald war während des Krieges fast gänzlich abgeholzt worden. Mit einiger Schwierigkeit wurde das Auto gewendet und schoß zurück. Sie kamen durch den Hain ins Freie, und da stieß Dick einen Schrei aus.

John Bennett hatte seine Tochter schon erblickt. Sie ging in der Mitte der Straße rasch vor ihnen her und wich, als das Auto näher kam, auf den grasbewachsenen Rand zur Seite, ohne sich umzusehen. Dann blickte sie auf, sah ihren Vater und erblaßte. Im Augenblick war er neben ihr.

»Aber liebes Kind«, sagte er vorwurfsvoll, »wo bist du denn um diese Zeit gewesen?«

Es schien Dick, als sähe sie erschrocken aus. Elks Augen zogen sich prüfend zusammen.

»Ich konnte nicht schlafen und bin ein wenig ausgegangen, Vater«, sagte sie und nickte Dick zu. »Wie kommen Sie zu dieser Zeit hierher, Hauptmann Gordon? Das ist wirklich eine Überraschung!«

»Ich bin gekommen, um Sie um eine Unterredung zu bitten.«

»Mich!« rief Ella, aufrichtig erstaunt.

»Hauptmann Gordon hat deine Stimme im Radio mitten in der Nacht gehört und wollte etwas Näheres darüber erfahren. Warst du um Rays willen fort? Ist er hier?« fragte er eifrig.

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, Vater«, sagte sie ruhig. »Und was das Radiogespräch betrifft, so habe ich noch niemals durchs Radio gesprochen.«

»Wir haben auch sogleich gewußt, daß Sie es nicht gewesen sind!« sagte Dick Gordon rasch. »Elk hat sofort erklärt, daß jemand Ihre Stimme imitiert habe.«

»Sagen Sie mir nur das eine, Fräulein Bennett«, warf Elk ein, »waren Sie gestern abend in der Stadt?«

Ella schwieg.

»Meine Tochter ist um zehn Uhr zu Bett gegangen, ich habe es schon gesagt«, sagte John Bennett barsch.

»Waren Sie in den Morgenstunden in London, Fräulein Bennett?« beharrte Elk.

Und zu Dicks Verblüffung nickte sie.

»Waren Sie in Caverley Haus?«

»Nein«, antwortete sie sofort.

»Aber Ella, was hast du in der Stadt gemacht?« fragte John Bennett. »Hast du Ray besucht?«

Nach einem Zögern verneinte sie. – »Warst du allein?«

»Nein«, sagte Ella, und ihr Mund zitterte. »Bitte, frage mich nicht weiter. Ich kann in dieser Sache nicht frei reden. – Papa, du hast mir ja immer vertraut, du wirst mir auch jetzt vertrauen, nicht wahr?« sagte sie mit ihrer süßen Stimme.

Er nahm ihre Hand und hielt sie mit beiden Händen fest.

»Ich werde dir immer vertrauen, Mädel«, sagte er. »Und diese beiden Herren müssen es auch.«

Ihr bittender Blick begegnete Gordons Blick, und er nickte.

Elk rieb wütend sein Kinn.

»Ich bin sicherlich eine besonders vertrauensvoll veranlagte Natur und werde in Ihre Worte so wenig Zweifel setzen wie in meine eigenen, Fräulein Bennett.« Er sah auf die Uhr. »Aber ich denke, wir müssen jetzt wegfahren und den armen alten Balder aus dem Haus der Sünde befreien«, sagte er.

»Wollen Sie nicht bleiben und mit uns frühstücken?« lud Bennett ein.

Dick sah Elk bittend an, und der Detektiv stimmte zu.

»Nun, Balder wird es auf eine Stunde mehr oder weniger nicht ankommen«, sagte er.

Während Ella das Frühstück bereitete, spazierten Dick und Elk auf der Straße auf und ab.

»Ich habe das absolute Vertrauen in Fräulein Bennetts Wahrhaftigkeit!« sagte Dick begeistert.

»Vertrauen ist eine schöne Sache!« murmelte Elk. »Schließlich ist auch Fräulein Bennett nichts anders als eins der kleinen Stückchen, die zu diesem Puzzlespiel gehören, und wird ihren Platz finden, wenn wir nur erst das Stück, das so wie ein Frosch geformt ist, auf die richtige Stelle gelegt haben!«

Von dem Platz, auf dem sie nun standen, konnten sie, nach Shorham gewendet, den Anfang der engen Waldstraße von Elsham sehen.

»Und das Rätselhafteste ist mir daran«, murmelte Elk, »warum sie auf einmal mitten in der Nacht in den Wald spazieren mußte!«

Er hielt an und neigte horchend den Kopf zur Seite.

Das Rattern eines Autos kam näher und näher. Langsam ward auch der Kühler eines Autos sichtbar, dem der übrige Körper einer großen Limousine folgte.

Der Wagen kam auf sie zu, indem er sein Tempo mehr und mehr beschleunigte.

Einen Augenblick später schoß er an ihnen vorbei, und sie sahen den einzigen Insassen.

»Aber da soll mich doch der Teufel holen!« sagte Elk, der sehr selten einen Fluch gebrauchte. Und in diesem Augenblick hielt Dick ihn wirklich für gerechtfertigt, denn der Mann in der Limousine, den zu treffen Ella nachts in den Elshamwald gegangen war – war Ezra Maitland.


 << zurück weiter >>