Edgar Wallace
Der Frosch mit der Maske
Edgar Wallace

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5

Elk begleitete Johnson in sein Büro zurück, und als sie sich dem Bankpalast der Vereinigten Maitlands näherten, brach Herr Johnson mitten in der interessanten Darlegung seiner Philosophie ab und beschleunigte den Schritt. Elk sah auf dem Gehsteig vor ihnen Ray Bennett und neben ihm die schmale Gestalt eines Mädchens. Sie wendete den beiden Männern den Rücken zu, aber Elk erriet sogleich, daß es Ella Bennett war. Er hatte sie zweimal vorher gesehen und besaß ein wunderbares Gedächtnis für Rückenlinien. Als Johnson auf sie zustrebte, grüßte Ella ihn mit einem freundlichen Nicken.

»Das ist ein unerwartetes Vergnügen, Fräulein Bennett.« Johnsons gemütliches Gesicht erglühte rosig, und Elk stellte fest, daß sein Handschlag noch wärmer und herzlicher war als sonst.

»Ich wollte heute gar nicht in die Stadt kommen, aber Vater ist wieder auf einem seiner Ausflüge fort«, sagte sie. »Und ganz komisch – wenn ich nicht genau wüßte, daß sein Zug schon vor zwei Stunden abgefahren ist, so würde ich schwören, ihn soeben auf einem Autobus gesehen zu haben.«

»Mein Freund, Herr Elk«, stellte Johnson ein wenig ungeschickt vor.

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Fräulein Bennett«, sagte Elk.

Ray verabschiedete sich, und Ella sprach zu ihrem Bruder noch ein leises Wort. Elk sah, wie der Junge die Stirn runzelte.

»Nein, nein, ich werde nicht mehr so spät kommen«, sagte er so laut, daß der Detektiv es hörte. Er zog den Hut und war schon im Tor verschwunden. Ella sah ihm mit einem kleinen schmerzlichen Mundzucken nach, dann nahm sie sich zusammen, reichte Johnson die Hand, grüßte Elk mit einem leisen Neigen ihres Hauptes und ging.

»Haben Sie Fräulein Bennett schon gekannt?«

»Oberflächlich«, antwortete Elk mürrisch. »Oberflächlich kenne ich fast jeden. Gute und schlechte Leute. Je besser sie sind, desto weniger kenne ich sie. Auf Wiedersehen!«

Als Johnson die Treppe zu Maitlands Haus hinaufstieg, schlenderte Elk ziellos fort. Er überquerte die Straße und blieb stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Es war vier Uhr, und ein Taxi hielt vor der Tür der Vereinigten Maitlands und wartete. Elk sah wenige Minuten später den alten Maitland herauskommen, hastig, weder rechts noch links blickend. Elk betrachtete ihn mit mehr als dem gewöhnlichen Interesse. Er kannte den Finanzier vom Sehen her und hatte zwei oder drei Besuche im Büro gemacht, die mit ein paar kleinen, von Aufwartefrauen begangenen Diebstählen in Verbindung standen. So war er auch mit Philo Johnson bekannt geworden, denn der alte Mann hatte die Unterredung seinem Angestellten überlassen. Elk schätzte Maitland auf fast siebzig Jahre, und zum ersten Male überkam ihn die Neugier, wo er wohnen mochte. Es kam ihm als eine merkwürdige Tatsache zum Bewußtsein, daß er nicht das geringste über den Finanzier wußte und daß Maitland die einzige der Stadtgrößen war, über die die Zeitungen nichts schrieben.

Als das Auto davonfuhr, konnte Elk dem Anreiz nicht widerstehen und winkte einen zweiten Wagen heran.

»Verfolgen Sie das Auto!« sagte er. Und der Fahrer nickte ohne Frage, denn es gab keinen Chauffeur in den Straßen von London, der den melancholischen Polizeimann nicht gekannt hätte. Der erste Wagen fuhr schnell in der Richtung nach London-Nord und hielt bei einem belebten Straßenknotenpunkt in Finsbury-Park. Maitland stieg aus und eilte um die Ecke, eine belebtere Straße entlang, und Elk folgte ihm auf den Fersen. Der Alte ging eine kleine Strecke, dann stieg er in einen Straßenbahnwagen. Elk sprang hinter ihm auf, als der Wagen sich eben in Bewegung setzte. Der Alte fand einen Platz, zog eine verknüllte Zeitung aus der Tasche und begann zu lesen. In Tottenham stieg Herr Maitland aus.

Er bog in ein Seitengäßchen, überquerte die Straße, kam in eine engere und noch armseligere Gasse und dann – zu Elks namenlosem Erstaunen – schloß er die eiserne Tür eines dunkeln und schmutzigen Hauses auf, trat ein und warf sie hinter sich zu.

Der Detektiv blickte die Straße hinauf und hinunter. Sie war von armen Kindern bevölkert. Elk betrachtete wieder das Haus.

Die Fenster waren schmutzig, die Vorhänge hingen in Fetzen, der winzige Vorhof war vernachlässigt. Und dies war das Haus Ezra Maitlands, des Mannes, der Millionen besaß.

Elk faßte einen Entschluß und klopfte an die Tür. Lange kam keine Antwort, dann war das Schlürfen von Füßen, die in Pantoffeln steckten, hörbar, und eine alte Frau mit krankhaft gelbem Gesicht öffnete die Tür.

»Verzeihen Sie«, sagte Elk; »Ich glaube, der Herr, der gerade hereingegangen ist, hat dies hier fallen gelassen.« Er zog ein Taschentuch hervor, und sie starrte es einen Augenblick lang an. Dann streckte sie wortlos die Hand aus, zog es ihm weg und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

Das war das letzte meiner guten Taschentücher, dachte Elk bitter. Er hatte einen Blick in das Innere des Hauses geworfen. Ein trüb aussehender Gang, mit einem Streifen verblichenen Teppichs belegt, war zu sehen gewesen. Er entschloß sich, fortzugehen und Erkundigungen einzuziehen.

»Maitland oder Mainland, das weiß ich nicht genau«, sagte ein Kaufmann, der an der Ecke sein Geschäft hatte. »Der alte Herr geht jeden Tag um neun Uhr fort und kommt immer um dieselbe Stunde wie heute zurück. Ich kann nicht sagen, wer er ist. Aber das eine weiß ich: essen tun sie nicht viel. Er kauft alle seine Waren bei mir, und das alles, wovon die beiden Leute einen Tag lang leben, könnte ein gesundes Kind bei einer einzigen Mahlzeit verzehren.«

Elk kehrte niedergeschlagen nach dem Westen der Stadt zurück. Er beschloß, sich mit der Angelegenheit weiter zu befassen.

Doch schien es ihm für den Moment angebrachter, alle seine Kräfte auf diese interessante junge Dame, Fräulein Lola Bassano, zu konzentrieren. In einer jener modernen Straßen, die von Cavendish Square auslaufen, gibt es eine Reihe Appartements, die nur von reichen Mietern bewohnt werden. Die Miete ist auch für jenes exklusive Viertel ganz besonders hoch bemessen, und Elk, den man nicht leicht zu überraschen vermochte, war ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht, als er sah, daß Lola Bassano in diesem luxuriösen Gebäude eine Flucht von Zimmern innehatte.

Der Liftboy, dem Elk mit reichlicher Berechtigung ein wenig verdächtig vorkam, berichtete ihm, daß Fräulein Bassano im dritten Stock wohne.

»Wie lange wohnt sie hier?« fragte Elk.

»Das geht Sie nichts an«, antwortete der Liftboy, »dort ist der Eingang für Lieferanten.«

Beim Anblick von Elks Dienstmarke wurde er jedoch sofort höflicher und mitteilsamer.

»Sie wohnt seit zwei Monaten hier«, sagte er. »Und um Ihnen die Wahrheit zu sagen, es hat mich oft gewundert, daß sie die Wohnung im Caverley-Haus bekommen hat. Wie ich gehört habe, hat sie einmal einen Spielklub in der Germynstraße gehabt. Sie sind doch nicht gekommen, um sie zu verhaften?« fragte er ängstlich. »Das wäre ein schönes Renommee für Caverley-Haus.«

»Ich mache nur einen freundschaftlichen Besuch«, sagte Elk. Der Liftboy trat aus dem Aufzug und wies nach einer der beiden glatten Mahagonitüren, die auf den Flur mündeten.

»Die andere Wohnung gehört einem amerikanischen Millionär.«

Elk war im Begriff zu antworten, als der Liftboy zur Tür ging und auf eines der polierten Paneele deutete. »Das ist doch sonderbar –«, sagte er. »Da, schauen Sie einmal her.«

Elk trat neben ihn, und mit einem Blick erfaßte und verstand er. Auf der Mahagonitafel war ein kleiner weißer Frosch sichtbar, ein genaues Stempelbild desjenigen, den er heute morgen auf Dick Gordons Fotografien gesehen hatte.

Ein Frosch, kauernd und ein wenig schief. Er rührte mit spitzem Finger daran. Die Farbe war noch naß und blieb haften.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und ein Mann mittleren Alters erschien in ihrem Rahmen. Mit dem langläufigen Revolver in der Hand zielte er auf das Herz des Detektivs.

»Halten Sie die Hände hoch!« befahl er scharf.

Dann stockte er und starrte dem Detektiv ins Gesicht. Elk erwiderte sprachlos den Blick, denn der elegante Herr, der vor ihm stand, war der Hausierer, den er in Whitehall gesprochen hatte. Der Amerikaner gewann als erster die Selbstbeherrschung zurück, und Elk sah von neuem das Aufblitzen innerer Belustigung in seinen Augen. Er trat zurück und öffnete die Tür ganz. »Kommen Sie herein, Herr Elk«, sagte er und nickte dem verblüfften Liftboy zu. »Schon gut, Worth, ich habe mir einen kleinen Scherz mit Herrn Elk erlaubt.«

Er schloß die Tür und ließ den Detektiv in seinen Salon eintreten. Elk beschloß, den Frosch an der Tür zum Gegenstand einer späteren Diskussion zu machen.

»Wir sind ganz allein, Herr Elk, und Sie brauchen nicht leise zu sprechen. Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?« Elk streckte mechanisch die Hand aus und wählte eine blonde Havanna.

»Wenn ich mich nicht sehr irre, so haben wir uns schon heute morgen gesehen«, sagte er.

»Sie täuschen sich nicht«, unterbrach ihn der andere kühl. »Wir haben uns in Whitehall getroffen, und ich habe mit Schlüsselringen hausiert. Mein Name ist Joshua Broad. Sie können mir also nicht vorwerfen, daß ich unter falschem Namen gehandelt habe.«

Der Detektiv zündete die Zigarre an, bevor er sprach.

»Diese Wohnung scheint sehr kostspielig zu sein«, sagte er langsam. »Und ich verstehe es, daß Sie versuchen, etwas zu verdienen. Aber es dünkt mich, daß das Hausieren mit Schlüsselringen einem Geschäftsmann nur recht armselige Verdienstmöglichkeiten bieten kann.«

Joshua Broad nickte.

»Es macht mir aber Spaß, Herr Elk. Ich bin eine Art von Kriminalpsychologe.« Er zündete seinerseits eine Zigarre an und machte es sich in einem tiefen, kattunüberzogenen Armsessel bequem, die gekreuzten Beine von sich streckend, ein Bild der Zufriedenheit.

»Als Amerikaner habe ich Interesse an sozialen Problemen, und ich habe immer gefunden, daß der einzige Weg, um die Armen irgendeines Landes zu verstehen, der ist, unter ihnen zu leben.«

Elk setzte seine Brille fester auf die Nase, und seine Blicke streiften Herrn Broads Tasche, in die der Revolver zurückgekehrt war. »Wir leben in einem ziemlich freien Lande«, sagte er. »Und jedermann kann hier mit Schlüsselringen hausieren, sogar wenn er im Nebenberuf Mitglied des Oberhauses wäre. Aber etwas ist hier doch verboten, Herr Broad, und das ist, ehrbaren Polizeileuten Revolver auf die Brust zu setzen!«

Broad kicherte. »Ich bedauere, ich war ein wenig zu heftig«, sagte er. »Aber ich habe in Wahrheit mehr als eine Stunde auf jemanden gewartet, der zu mir kommen sollte. Und als ich Ihre Schritte hörte . . .« Er zuckte die Achseln. ». . . ich bin darüber so zerknirscht, wie Sie es nur verlangen können.«

Elks Blicke ließen nicht von ihm ab. »Ich möchte Ihnen nicht lästig werden, wenn ich Sie frage, ob Sie einen Freund erwartet haben? Ich möchte gar zu gerne den Namen des Gastes wissen.«

»Das möchte ich auch«, sagte der andere. »Und noch eine ganze Menge von Leuten mit mir.« Er sah Elk gedankenvoll an. »Ich habe einen Mann erwartet, der jeden Grund hat, sich sehr vor mir zu fürchten. Er heißt –, nun das tut nichts zur Sache. Ich habe ihn nur einmal im Leben getroffen und sah damals sein Gesicht nicht.«

»Aber Sie sind aneinandergeraten?« fragte Elk.

»Keineswegs, ich benahm mich sehr gutmütig gegen ihn. Ich war nicht länger als fünf Minuten mit ihm in einem verfinsterten Raum allein, der nur von einer Laterne, die auf dem Tisch stand, erhellt wurde. Und ich glaube, daß dies alles ist, was ich Ihnen darüber erzählen kann, Herr Inspektor.«

»Sergeant!« murrte Elk. »Es ist doch merkwürdig, wie viele Leute meinen, daß ich Inspektor wäre.«

Eine recht unbehagliche Pause entstand. Und dann fragte Elk und wies mit dem Kopf nach dem Gang: »Verkehren Sie mit Ihren Nachbarn?«

»Mit der Bassano und ihrem Freund? Nein! Sind Sie ihretwegen da?« Elk schüttelte den Kopf.

»Ich wollte nur einen freundschaftlichen Besuch machen«, sagte er. »Ich bin gerade aus Ihrem Land gekommen, Herr Broad. Es ist ein schönes Land, aber es gibt dort zu große Entfernungen für mich.« Er studierte noch eine ganze Weile das Teppichmuster, dann sagte er: »Ich hätte Ihren Freund von Herzen gerne kennengelernt. Ist er vielleicht auch Amerikaner?«

Broad schüttelte den Kopf. Als er Elk hinausbegleitete, sprachen sie beide kein Wort, und es schien fast, als ob Elk ohne guten Tag zu sagen gehen wollte, denn er schritt geistesabwesend weiter. Aber er drehte sich doch in der Tür um und lächelte trüb.

»Ich würde mich freuen, Sie wiederzusehen, Herr Broad«, sagte er. »Vielleicht treffen wir uns wieder in Whitehall?«

Seine Blicke hafteten an dem grotesken weißen Frosch an der Tür. Broad wischte mit dem Finger über das Zeichen.

»Der Abdruck ist noch ganz frisch«, sagte er. »Haben Sie sich schon Ihre Meinung darüber gebildet, Herr Elk?«

Elk prüfte die Matte vor der Tür. Ein kleiner weißer Fleck war auf ihr sichtbar, zu dem er sich hinabbückte. »Vollkommen frisch. Es muß gerade, bevor ich hierhergekommen bin, geschehen sein.«

Und hiermit schien sein Interesse an dem Frosch erschöpft.

»Ich werde jetzt hinübergehen. Guten Tag«, sagte er.

Lola Bassano saß wartend in ihrem schönen Salon. In einem tiefen Sessel kindhaft eingeschmiegt, viele weiche und farbige Kissen im Rücken, saß sie mit untergeschlagenen Beinen da, eine Zigarette zwischen den Lippen.

Von Zeit zu Zeit wendete sie den Kopf nach dem Mann, der, die Hände in den Hosentaschen, am Fenster stand und auf die Straße hinaussah. Er war groß, schwer gebaut, klobig und unvornehm. Alle Hilfe, die die Perfektion seines Schneiders und Kammerdieners ihm hatten angedeihen lassen, genügte nicht, um, seinen Ursprung zu verwischen. Er blieb ein recht fett gewordener Boxer. Vor einiger Zeit – vor noch ganz kurzer Zeit – war Lew Brady Schwergewichtsmeister von Europa gewesen, ein schrecklicher Kämpfer, mit gerade jenem Tropfen farbigen Blutes in den Adern, der den Unterschied zwischen Größe und Mittelmäßigkeit im Ring auszumachen pflegt. Ein stärkerer Mann hatte seine Schwäche aufgedeckt, und der Ruhm Lew Bradys welkte mit bemerkenswerter Schnelle dahin. Er hatte einen einzigen Vorteil vor seinen Gefährten, und dieser rettete ihn vor völliger Vergessenheit. Ein Philanthrop hatte ihn einst als Kind in der Gosse gefunden und ihm eine Erziehung angedeihen lassen. Er hatte eine gute Schule besucht und war mit Männern, die ein gutes Englisch sprachen, befreundet. Die Vorteile, die er dieser Freundschaft verdankte, waren nicht verlorengegangen, und seine Sprache war von so merkwürdiger Kultur, daß Leute, die den brutalen Mann zum ersten Male sprechen hörten, mit dem hellsten Erstaunen lauschten.

»Um wieviel Uhr erwartest du deinen Pagen?« fragte er.

Lola zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, wann er kommt.«

Der Mann wendete sich vom Fenster ab und begann langsam im Zimmer auf und nieder zu schreiten. »Ich verstehe nicht, warum sich der Frosch für ihn interessiert«, murrte er. »Lola, ich bin dieses alten Herrn Frosches entschieden überdrüssig.«

Lola lächelte und sah ihn mit halbgeschlossenen Augen an. »Vielleicht bist du nur der Tatsache überdrüssig, daß du Geld bekommst und nichts dafür zu tun hast«, sagte sie. »Mich selbst wird solch ein Überdruß niemals anwandeln. Und sei sicher, daß der Frosch nicht nach dem jungen Bennett fragen würde, wenn er dessen nicht wert wäre.« Brady zog seine Uhr heraus und blickte auf das juwelengeschmückte Zifferblatt. »Fünf Uhr. Vermutlich weiß der Junge nicht, daß du mit mir verheiratet bist.«

»Du bist ein Narr!« sagte Lola, sich träge dehnend. »Sollte ich mich dessen auch noch rühmen?«

Lew Brady ging von neuem hin und her, hin und her. Ein schwaches Glockenzeichen wurde hörbar, und er sah Lola an. Sie nickte, erhob sich, schüttelte die Kissen auf und nahm von neuem ihre frühere Stellung ein.

»Mach auf!« sagte sie, und der Mann ging gehorsam. Dann kam Ray Bennett herein; er nahm Lolas Hand und küßte sie.

»Ich komme spät. Der alte Johnson hat mich zurückgehalten, nachdem die anderen schon lange gegangen waren. Oh, ist das aber ein schöner Raum! Ich hatte keine Ahnung, daß du in so großem Stile lebst.«

»Kennst du Lew Brady?«

Ray nickte lächelnd. Er sah wie die verkörperte Glückseligkeit aus, und die Gegenwart Bradys hinderte ihn wenig. Er wußte längst, daß Lola mit Brady in irgendeiner Geschäftsverbindung stand.

»Also, sprechen wir jetzt von deinem wundervollen Plan!« sagte er, als er auf ein Zeichen von Lola sich neben sie gesetzt hatte. »Weiß Brady davon?«

»Es ist Lews Idee«, sagte sie leichthin. »Er späht ja immer nach guten Gelegenheiten aus, allerdings nicht für sich selber, sondern für andere.«

»Ja, das ist eine meiner Schwächen«, sagte Lew bescheiden.

»Ich weiß ja nicht, ob Sie mit meinen Plänen einverstanden sein werden. Ich würde die Sache selbst übernehmen, aber ich habe leider im Augenblick zuviel zu tun. Hat Lola Ihnen alles darüber gesagt?«

Ray nickte. »Ich kann es kaum glauben«, sagte er. »Ich habe immer gemeint, daß so etwas nur in Zeitschriften steht. Lola hat mir von einem Geheimagenten erzählt, den die japanische Regierung in London einsetzen möchte. – Jemanden, den sie desavouieren könnte, wenn es notwendig wäre. Aber worin bestünde denn eigentlich meine Arbeit?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Lew kopfschüttelnd. »Soweit ich informiert bin, haben Sie nichts zu tun, als zu atmen. Vielleicht werden sie Sie brauchen, um Dinge in Erfahrung zu bringen, die in der politischen Welt vor sich gehen. Das, was mir, wie ich ehrlich gestehe, daran nicht gefällt, ist, daß Sie ein Doppelleben führen müssen. Niemand darf erfahren, daß Sie bei Maitland angestellt sind. Sie legen sich einen beliebigen Namen bei und treffen Ihre häuslichen Arrangements so gut Sie es vermögen.«

»Das wird nicht schwer halten«, unterbrach ihn Ray. »Vater meinte ohnedies, ich müßte ein Zimmer in der Stadt nehmen. Er findet die tägliche Reise von und nach Horsham zu kostspielig. Das habe ich Samstag mit ihm ausgemacht. Zum Wochenende werde ich immer nach Hause fahren; aber was habe ich zu tun und wem muß ich berichten?«

Lola stand auf und kam langsam auf ihn zu. »Armer Junge«, spottete sie mit ihrem leisen Lachen, »die Aussicht, eine schöne Wohnung zu haben und mich jeden Tag zu sehen, macht ihm solche Sorgen!«


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