Edgar Wallace
Der Frosch mit der Maske
Edgar Wallace

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9

John Bennett arbeitete frühmorgens in seinem Garten, als Elk erschien und sofort auf den wichtigsten Punkt zu sprechen kam. »In der Wohnung Lord Farmleys ist zwischen Samstag nacht und Sonntag morgen ein Einbruch verübt worden, dem Anschein nach zwischen zwölf und drei Uhr. Der Safe war aufgesprengt und ein wichtiges Dokument gestohlen. Ich frage Sie, ob Sie Ihr Ausbleiben von Samstag auf Sonntag rechtfertigen können?«

Bennett sah dem Detektiv gerade in die Augen. »Ich kam aus der Stadt. Um zwei Uhr sprach ich mit einem Polizisten in Dorking. Um Mitternacht war ich in Kingsbridge, wo ich wieder mit einem Polizisten sprach. Der Mann in Dorking ist Amateurfotograf wie ich selbst.«

Elk überlegte. »Mein Auto ist hier, möchten Sie vielleicht mit mir kommen und mit den beiden sprechen?« schlug er vor. Und zu seiner Überraschung war Bennett sofort damit einverstanden. In Dorking entdeckten sie ihren Mann. Er wollte gerade aus dem Dienst gehen.

»Ja freilich, Herr Inspektor, ich erinnere mich genau, mit Herrn Bennett gesprochen zu haben. Wir haben über Tierfotos diskutiert.«

»Wissen Sie genau, um welche Zeit es war?«

»Absolut genau! Um zwei Uhr visitiert mich der Patrouillensergeant, und er kam gerade herauf, als wir miteinander plauderten.«

Der Patrouillensergeant, den Elk aus dem Morgenschlaf weckte, bestätigte die Aussage. Das Resultat der Nachforschung in Kingsbridge war das gleiche. Elk ließ das Auto nach Horsham zurückfahren.

»Ich entschuldige mich nicht bei Ihnen, Herr Bennett«, sagte er. »Sie kennen meine Arbeit genug, um meine Stellung zu würdigen.«

»Ich beklage mich nicht«, sagte Bennett mürrisch. »Pflicht ist Pflicht. Aber ich habe doch das Recht zu erfahren, warum Sie von allen Menschen in der Welt gerade mich verdächtigen?« Elk brachte das Auto zum Halten.

»Gehen wir auf der Straße weiter«, sagte er. »Ich kann so besser reden.«

Sie stiegen aus und gingen eine Weile, ohne zu sprechen.

»Bennett, Sie stehen aus zwei Gründen unter Verdacht. Sie sind ein geheimnisvoller Mann, denn niemand weiß, womit Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie haben kein eigenes Einkommen. Sie haben keine Beschäftigung, und in ungleichen Zwischenräumen verschwinden Sie vom Hause, und niemand weiß, wohin Sie gehen. Wären Sie ein jüngerer Mann, so würde ich Sie verdächtigen, daß Sie ein Doppelleben im gewöhnlichen Sinn führen. Aber Sie sind nicht von dieser Art. Das ist der verdächtige Umstand Nummer eins. Nummer zwei ist folgendes: Sooft Sie verschwinden, geschieht irgendwo ein großer Einbruch, und ich bin der Meinung, daß es Froscheinbrüche sind. Ich will Ihnen meine Theorie klarlegen. Die Frösche sind doch gewöhnlich letzte Klasse. Es ist nicht genug Hirn in der ganzen Bande, um eine mittelgroße Nuß auszufüllen. Aber ich garantiere Ihnen, höher oben sitzen die Gescheiten. Dazu gehören aber nicht die regulären Kerle, die von Verbrechen leben. Solche Jungen haben keine Zeit für so etwas. Sie machen den Plan und führen ihn aus, oder sie werden erwischt. Wenn sie eine Beute machen, so teilen sie sie. Und sitzen dann in Cafés mit Mädels herum, bis alles zerronnen ist und sie wieder von neuem anfangen müssen. Aber die Frösche unterhalten sicher gern ein paar gute Leute, die außerhalb der Organisation stehen und Extradienste leisten.«

»Und Sie meinen, ich wäre einer von diesen guten Leuten?«

»Genau das habe ich gemeint. Der Einbruch im Haus des Lord Farmley ist von einem Experten ausgeführt worden. – Es sieht ganz nach Saul Morris aus.«

Elks scharfe Augen durchforschten Bennetts Gesicht, aber kein Zucken verriet dessen Gedanken.

»Ich erinnere mich an Saul Morris«, sagte Bennett langsam. »Ich habe ihn nie gesehen, aber von ihm gehört. Sah er mir ähnlich?«

Elk schürzte die Lippen, und sein Kinn sank auf die Brust herab. »Wenn Sie überhaupt etwas über Saul Morris wissen«, sagte er langsam, »so wissen Sie auch, daß er niemals der Polizei in die Hände geraten ist, daß ihn niemals jemand gesehen hat, außer seiner eigenen Bande, und ihn also niemand je wiedererkennen kann.«

Es herrschte ein langes Schweigen. Auf ihrem Weg zum Auto sprach Bennett wieder.

»Ich trage Ihnen nichts nach, meine Handlungsweise ist verdächtig. Aber ich habe guten Grund dafür. Was die Einbrüche betrifft, so weiß ich nichts darüber. Das würde ich zwar auf jeden Fall sagen, ob ich es nun wüßte oder nicht. Ich bitte Sie nur, meiner Tochter nichts von dieser Angelegenheit zu sagen.«

Ella stand an der Gartentür, als das Auto herankam, und bei Elks Anblick schwand das Lächeln von ihrem Gesicht. Elk fühlte instinktiv, daß der Gedanke an ihren Bruder und die Schwierigkeiten, in die jener geraten sein mochte, den Grund ihrer Befürchtungen bildeten.

»Herr Elk ist herübergekommen, um ein paar Fragen wegen des Überfalls auf Herrn Gordon zu stellen«, sagte ihr Vater kurz. Elk dachte, daß er ein schlechter Lügner sei.

Sowie sie allein waren, fragte Ella ihn: »Ist etwas nicht in Ordnung, Herr Elk?«

»Nicht im geringsten, Fräulein. Ich bin nur hierhergekommen, um mein Gedächtnis aufzufrischen. Ist Ihr Bruder wieder in der Stadt?«

»Er ist gestern abend zurückgefahren«, sagte sie und fügte fast trotzig hinzu: »Er ist jetzt wirklich in einer sehr guten Stellung.«

»Das habe ich schon mehrfach gehört«, sagte Elk. »Ich hoffe nur, daß er nicht in demselben Geschäft arbeitet wie die andern, die mit ihm sind. Aber Sie können ganz ruhig sein, ich lasse ihn nicht aus den Augen, Fräulein Bennett«, sagte er.

Am Abend gestand der Detektiv Dick in höchster Niedergeschlagenheit seinen Irrtum. »Ich weiß nicht, wieso ich auf Bennett verfiel«, sagte er. »Mir scheint, meine Jugendeseleien beginnen wieder. Ich sehe, daß die Abendzeitungen den Diebstahl schon gebracht haben.«

»Aber sie wissen nicht, was gestohlen wurde«, sagte Dick. »Das muß geheimgehalten werden.«

Sie befanden sich im inneren Büro, das Dick nur zeitweilig benützte. In seinem nebenanliegenden Arbeitsraum waren zwei Tischler beschäftigt. Sie erneuerten die Wandtäfelung, die bei dem Attentat auf Dick von der durchs Fenster eindringenden Kugel beschädigt worden war. Es war symptomatisch für die Wirkung, die die Frösche auf die Polizeidirektion ausübten, daß beide Männer mechanisch nach einer Tätowierung auf dem linken Arm der Arbeiter ausgespäht hatten. Der Anblick des beschädigten Paneels brachte Elks Gedanken auf einen Vorfall, der ihn schon lange beschäftigte. Trotz der steten Beobachtung, unter der der Landstreicher Carlo gestanden hatte, und trotz aller angewandten Vorsichtsmaßregeln war er verschwunden, und den gemeinsamen Anstrengungen der Polizeidirektion und der Landpolizei war es nicht gelungen, seine Identität festzustellen. Das war Gordons wunder Punkt, wie Elk mit Recht äußerte. Denn Carlo schien die berühmte Nummer Sieben zu sein, nach dem Frosch selbst der wichtigste Mann der Organisation.

»Es nützt nicht viel, wenn wir einen anderen Mann hinausschicken, um Genters Rolle weiterzuspielen. Das System funktioniert nicht zweimal. Ob wohl Lola etwas darüber wüßte?«

»Ich glaube nicht, daß die Frösche einer Frau trauen«, sagte Dick.

Sie verbrachten den Rest des Tages mit fruchtlosen Untersuchungen. In sein Zimmer in der Polizeidirektion zurückgekehrt, saß Elk lange reglos und zusammengekauert in einem Sessel, die Hände in den Hosentaschen vergraben, geistesabwesend auf seinen Schreibblock starrend. Dann rief er seinen Assistenten Balder herein.

»Gehen Sie zum statistischen Büro und bringen Sie mir alles über jeden Safeeinbrecher, der im Land bekannt ist. Sie brauchen sich nicht um die französischen oder deutschen zu kümmern, aber es gibt ein oder zwei Schweden, die höchst geschickt mit der Lampe umgehen können. Und dann sind natürlich noch die Amerikaner da.«

Nach einer langen Pause kam Balder mit einem beträchtlichen Stoß von Papieren, Fotografien und Fingerabdrücken wieder.

»Sie können gehen, Balder. Der Mann, der den Nachtdienst hat, kann das wieder zurücktragen.«

Elk machte es sich bei seiner angenehmen Nachtlektüre gemütlich. Er hatte fast den ganzen Stoß durchgeprüft, als er auf das Bild eines jungen Mannes mit herabfallendem Schnurrbart und lockigem Haar stieß. Es war eine jener scharfen Aufnahmen, wie sie die unromantischen Polizeibeamten aufnehmen, und zeigte jegliche Unebenheit der Haut. Unter der Fotografie war der Name sorgfältig gedruckt: »Henry John Lyme R. V.«

»R. V.« war der Gefängniskodex. Jedes Jahr von 1894 bis 1919 war mit einem Großbuchstaben des Alphabets bezeichnet. Dann kamen die Kleinbuchstaben. Das große R bedeutete, daß Henry John Lyme im Jahre 1911 zu Zuchthaus verurteilt worden war, das V, daß er eine weitere Zeit im Jahre 1915 im Gefängnis verbracht hatte. Elk las den schrecklichen und kurzen Bericht.

Im Jahre 1893 in Guernsey geboren, war der Mann sechsmal verurteilt worden, bevor er noch sein zwanzigstes Jahr vollendet hatte. Die geringeren Haftjahre werden nicht mit Buchstaben im Kodex bezeichnet. In dem Raum am Fuß des Abschnittes, wo besondere Einzelheiten des Verbrechers angemerkt werden, standen die Worte: »Gefährlich, führt Schießwaffen mit sich.« In einer anderen Schrift und mit roter Tinte, mit der man gewöhnlich die Karriere eines Verbrechers abschließt, stand darunter: »Zur See gestorben, CHANNEL QUEEN, 1. Februar 1918.« Elk erinnerte sich an den Schiffbruch des Guernsey-Postpaketbootes auf den Black Rocks. Er wendete die Seite um, um Genaueres über die Verbrechen des Toten zu lesen und die Erklärungen derjenigen, die zeitweilig in amtlichem Verkehr mit ihm standen. In diesen Abschnitten war die wahre Biographie zu lesen. »Arbeitet allein«, war die eine Anmerkung. Und dann: »Ist nie mit Frauen gesehen worden.« Eine dritte Anmerkung war schwer zu entziffern, aber als Elk die schlechte Schrift gemeistert hatte, erhob er sich in seiner Aufregung halb vom Sessel: »Zu den körperlichen Kennzeichen im allgemeinen hinzuzufügen: D. C. P. 14 Frosch tätowiert linkes Gelenk, neu I. I. M.«

Das Datum, an dem dies geschrieben war, war das der letzten Haft des Verbrechers. Elk drehte das Gedruckte D. C. P. 14 um und fand, daß es ein Formular war, betitelt: »Beschreibung des Häftlings.« Die Zahl war die Klassifikation. Von tätowierten Fröschen war nichts erwähnt. Der Schreiber war nachlässig gewesen. Wort für Wort las er die Beschreibung.

»Harry John Lyme, a. Jung Harry, a. Thomas Martin, a. Boy Piece, a. Boy Harry. (Es standen da fünf Zeilen solcher »Alias«.) Einbrecher, gefährlich, trägt Schußwaffen, Höhe fünf Fuß, sechs Zoll, Brustumfang 38. Teint frisch. Augen grau. Zähne gut. Mund regelmäßig. Grübchen im Kinn. Nase gerade. Haare braun, wellig, sehr lang. Gesicht rund. Schnurrbart herabfallend, trägt Koteletten. Hände und Füße normal, am linken Fuß das erste Glied der kleinen Zehe infolge eines Unfalls amputiert, königliches Gefängnis Portland. Spricht gut, schöne Handschrift, keinerlei Steckenpferd. Raucht Zigaretten, gibt sich für einen öffentlichen Beamten aus. Steuereinnehmer, Sanitätsinspektor, Gasmann oder Installateur. Sprich fließend Französisch und Italienisch. Trinkt nie, spielt Karten, ist aber kein Spieler. Lieblingsverstecke Rom oder Mailand. Keine Verurteilungen außer Landes. Keine Verwandten. Ausgezeichneter Organisator. Unmittelbar nach einem Verbrechen suche man ihn in einem guten Hotel in Mittelengland oder auf dem Weg nach Hüll zu holländischen oder skandinavischen Schiffen. Man weiß, daß er Guernsey besucht hat . . .«

Hierauf folgten nur noch die genauen Maße und körperlichen Merkmale, denn es war in den Tagen, bevor das Fingerabdrucksystem eingeführt worden war. Des Frosches auf dem linken Handgelenk ward keinerlei Erwähnung mehr getan. Elk tauchte die Feder ein und fügte die fehlenden Daten hinzu. Dann schrieb er: »Dieser Mann mag noch am Leben sein«, und unterzeichnete dies mit seinen Initialen.


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