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Ray Bennett erwachte. Seine Schläfen hämmerten, seine Zunge lag trocken im Mund. Als er den schmerzenden Kopf vom Kissen zu heben versuchte, stöhnte er, aber es gelang ihm mit Willensanstrengung, aus dem Bett zu steigen und sich bis ans Fenster zu schleppen. Er stieß die bleigefaßten Fensterflügel auf und sah auf den grünen Hyde-Park hinaus.
Dann goß er ein Glas mit Wasser voll und trank es gierig, setzte sich auf den Rand des Bettes, den Kopf in den Händen, und versuchte die Ereignisse der vergangenen Nacht zu überdenken. Er konnte sich ihrer nur trübe entsinnen, aber er war sich dessen bewußt, daß etwas Schreckliches geschehen war. Langsam erhellte sich die Erinnerung mehr und mehr, und mit schwerem Herzen wurde er sich des furchtbaren Vorganges bewußt.
Er sprang auf und begann hin und her zu gehen, bemüht, Rechtfertigung vor sich selber zu ersinnen. Die Eitelkeit der Jugend weist Entschuldigungen für eigene Fehltritte nicht zurück, und Ray stellte keine Ausnahme unter der Jugend dar.
Nachdem er ein Bad genommen und sich angekleidet hatte, war er bereits zu der Ansicht gekommen, daß viel, viel Unrecht an ihm geschehen sei. Es war unverzeihlich von ihm gewesen, seinen Vater zu schlagen, und er wollte ihm sicherlich sogleich schreiben, um seinen Schmerz hierüber zu betonen. Aber es sollte kein kriecherischer Brief sein, gelobte er sich, sondern ein würdiger und distanzierender. Schließlich kamen doch in allen Familien derlei Streitigkeiten vor. Und eines Tages würde er als reicher Mann zu seinem Vater zurückkehren und . . .
Ray verzog unangenehm berührt die roten Lippen. Es ging ihm ja jetzt recht gut, er hatte eine teure Wohnung, jede Woche wurden neue knisternde Banknoten durch die Post an seine Adresse gesandt. Er hatte auch ein Auto . . . aber wie lange würde es wohl so bleiben? Ray war kein Narr, nicht ganz so klug vielleicht wie er sich dünkte, aber auch nicht dumm. Warum sollte die japanische – oder irgendeine andere Regierung – ihn für Informationen bezahlen, die sich doch aus jedem erreichbaren Handbuch schöpfen ließen, die für ein paar Schillinge bei jedem Buchhändler zu kaufen waren. Er ließ den Gedanken fallen. Er besaß die Gabe, alles von sich zu schieben, was ihn störte. Er öffnete die Tür, die in sein Speisezimmer führte und erstarrte.
Ella saß an dem offenen Fenster, den Ellbogen auf dem Sims und das Kinn in der Hand. Sie war blaß, und tiefe Schatten lagen unter ihren Augen.
»Ella, was, um Gottes willen, machst du hier?« fragte er. »Wie bist du hereingekommen?«
»Der Portier hat mir mit seinem Schlüssel geöffnet, als ich ihm sagte, daß ich deine Schwester bin«, sagte sie apathisch. »Ich kam sehr zeitig heute morgen, und ich will dich fragen, ob du nicht nach Horsham kommen und mit Vater sprechen möchtest?«
»Nicht jetzt, nein – in ein paar Tagen«, sagte er hastig. Tatsächlich fürchtete er sich nicht davor, seinem Vater zu begegnen.
»Wäre es denn ein solch schreckliches Opfer, Ray, das alles aufzugeben?«
Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das alles nicht, wenn du damit die Wohnung meinst. Aber du und Vater, ihr wollt doch, daß ich meine Arbeit aufgebe.«
»Ich glaube nicht, daß das dein Schaden wäre.« Das war ein neuer Ton, und Ray starrte sie an. Ella war ihm immer eine nachsichtige, billigende, entschuldigende Schwester gewesen. Ein Puffer zwischen ihm und den Ermahnungen seines Vaters.
»Komm zu Papa zurück, Ray, komm sofort!«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, ich kann nicht. Ich werde ihm schreiben. Ich gebe zu, daß ich unrecht an ihm gehandelt habe und werde ihm das auch in meinem Brief schreiben; aber mehr kann ich nicht tun.« Es klopfte an die Tür.
»Wollen Sie Fräulein Bassano und Herrn Brady empfangen?« fragte der Diener im Flüsterton und sah bedeutsam nach Ella hin.
»Natürlich will er mich empfangen!« rief eine Stimme draußen.
»Wozu denn diese Formalitäten? Ach, ich verstehe . . .« Lola Bassano maß Ella aus halbgeschlossenen Lidern.
»Das ist meine Schwester Ella«, stellte Ray vor, »und dies sind Fräulein Bassano und Herr Brady.«
Ella blickte nach der zarten Gestalt in der Tür und vermochte nur zu bewundern, was sie erblickte. Lolas schönes Gesicht, ihre Haltung, ihre wundervolle Hand, ihre Art sich zu kleiden, entzückten sie.
»Gefällt Ihnen die Wohnung Ihres Bruders?« fragte Lola, die gegenüber Platz nahm und ihre Beine übereinanderschlug.
»Es ist sehr schön hier, und Horsham wird ihm ziemlich öde vorkommen, wenn er zu uns zurückkehrt«, sagte Ella.
»Ja, gehen Sie denn nach Horsham zurück?« Lola warf den Kopf in den Nacken und sah Ray voll in die Augen, während sie diese Frage stellte.
»Ich denke nicht daran!« sagte Ray energisch. »Ich habe Ella schon vorhin gesagt, daß meine Arbeit hier mir viel zu wichtig ist, um sie aufzugeben.«
Lola nickte zufrieden, und eine seltsame Kälte überkam Ella plötzlich. Eine Sekunde vorher war sie noch von Lolas Schönheit gefangengenommen gewesen. Nun aber schien ihr, als berge sich viel Grausamkeit in den Linien ihres schönen Mundes. »Sie müssen wissen, Fräulein Bassano, daß Gordon meiner Schwester die reinsten Spukgeschichten über uns erzählt hat.«
»Gordon ist Monomane«, sagte Lew Brady. »Er hat ja sogar Elk zu Ihrem Herrn Vater geschickt, um ihn verhören zu lassen. Er meint, daß es in der ganzen Welt lauter Verbrecher gibt und einen einzigen Mann, der sie zu fangen vermag, und das ist er selber . . .«
»Tapp, tapp, tapptapptappp, tapp.« Es klopfte an die Tür. Langsam, überlegt, unverkennbar. Die Wirkung auf Lew Brady war eine höchst merkwürdige. Sein mächtiger Körper schien zusammenzusinken, und sein braunes Gesicht wurde plötzlich ganz hohl.
»Tapp, tapp, tapptapptapp, tapp.«
Die Hand, die Brady zum Mund führte, zitterte. Ella blickte von ihm zu Lola und sah zu ihrem Erstaunen, daß sie unter ihrem Rouge blaß geworden war. Brady stolperte zur Tür, und sein Atem ging schwer und laut in der Stille.
»Herein!« brachte er hervor. Aber er vermochte das Eintreten nicht abzuwarten, er riß selbst die Tür auf.
Es war Dick Gordon, der eintrat.
Er sah einen nach dem andern mit lachenden Augen an. »Das Froschzeichen scheint manchen von euch zu erschrecken?« sagte er vergnügt.