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Siebzehntes Kapitel.

Am Vorabend großer Ereignisse.

Der große Tag rückte näher und näher. Bereits bemächtigten sich die Zeitungen der Sache. Um das Publikum für mich zu interessieren, wurde diese und jene Notiz über mich gebracht, sogar mein Privatleben in die Öffentlichkeit gezogen. Da dies jedoch ungemein einfach war, so erwiesen sich gewisse Zutaten als notwendig. Fernow lachte, als er mich darüber bestürzt und empört fand und riet mir, mich beizeiten daran zu gewöhnen. Dieser Anfang sei fabelhaft harmlos! Es werde bald ganz anders kommen. Dergleichen müsse man kühl aufnehmen.

»Öffentlich gedruckte Unwahrheiten kühl aufnehmen! Wohl gar Verleumdungen! Und das fordern Sie von mir!« rief ich entrüstet.

Fernow lachte laut auf.

»Sie sind für eine beginnende Künstlerin polizeiwidrig unschuldig. Hatten Sie denn noch nie einen schauerlichen Traum von der Presse? Gutes Kind, Sie werden noch viel davon träumen! Oder wollen Sie etwa gegen diese Macht zu Felde ziehen? Arme Freundin, Sie würden tausend Niederlagen erleben! Ich will Ihnen einen Rat geben: wenn Sie später des Morgens beim Frühstück nicht mit einer wahrhaft zynischen Gelassenheit in den neuesten Tagesnachrichten gewisser Blätter lesen können: daß Sie mit keinem Zoll eine Künstlerin seien, daß Sie den Erfolg des letzten Abends nur der Bravour Ihrer Claque zu danken gehabt hätten – ich sage: wenn Sie das nicht lesen können, ohne darüber Ihren Kaffee nicht kalt werden zu lassen, so lassen Sie mich noch heute der königlichen Intendanz aufkündigen. Ein Königreich für eine pikante Notiz aus dem Privatleben einer Schauspielerin! Machen Sie sich nur darauf gefaßt, von der Presse Dinge über sich zu hören zu bekommen, von denen Sie selbst ahnungslos sind; je intimer, desto besser! Wahrscheinlich wird man Ihnen sogar sehr bald einen Liebhaber besorgen, der natürlich einer unserer ersten Notabilitäten sein wird.«

»Meine arme Mutter! – – Im übrigen halte ich es nicht für nötig, daß Sie sich um meinetwillen noch einmal zur Intendanz bemühen.«

Diese letzten Wochen brachten überhaupt noch manche Aufregung. Es war nicht anders möglich, als daß ich mich oft in einem wahren Fieber befand. Wiederum war es Fernow, der überall besänftigte und beruhigte. Er ordnete alles, Dinge bedenkend, die mir nicht eingefallen wären. Im häuslichen Rat kam jetzt die Kostümfrage an die Tagesordnung. Bei unseren beschränkten Mitteln konnten wir die Sachen keinem Theaterschneider übergeben, der es Fernow übrigens schwerlich recht gemacht haben würde. So ward denn im abendlichen Familienkreise mit höchstem Ernst beraten: ob Gretchen in Kaschmir ober in Wollenmusselin zum erstenmal vor ein verehrungswürdiges Publikum treten solle? Luise, die eine gute Schneiderin war und für alle Zeit unglücklich gemacht worden wäre, wenn jemand anders als sie die Kleider genäht hätte, zeigte bei dieser Gelegenheit wieder einmal ihre höchste sittliche Entrüstung.

Kaschmir! Wollenmusseline! – – Wenn das königliche Schauspielhaus wirklich etwas gar so Vornehmes sei – Ton und Blick bezeigten vollste Verachtung – so wären Kaschmir und Wollenmusseline etwas viel zu Gemeines. Sie wolle nur von Seide und Samt hören!

Als wir ihr sagten, daß Gretchen nur ein armes Mädchen gewesen, wollte sie diesen doch gewiß triftigen Grund nicht gelten lassen. Hartnäckig hielt sie sich an Faust. Wenn der freilich auch nur »so einen Doktor« mache (mit scharfer Betonung und einem vernichtendem Blick auf Fernow), so sei dieser Doktor (Blick und Hohnlachen) doch ein spendabler Mann. Wenn er für seine Liebste einen Schmuck kaufen könne, so sehe sie, Luise, nicht ein, weshalb er ihr nicht auch ein Seidenkleid und eine Samtmantille schenken solle. Sie kenne Mädchen genug, die des Sonntags mit Federhüten in die Kirche gingen, von denen man nur zu gut wisse, wo sie herkämen.

Wir mußten ihr leider mitteilen, daß sich der Doktor für sein Gretchen mit Schmucksachen begnügt habe, woraus sie schloß, daß er ein Goldschmiedssohn gewesen sein müsse und sich über diesen Ritter sehr höhnisch ausdrückte. Als wir sie endlich so weit gebracht, sich für Gretchen Wolle gefallen zu lassen, verlangte sie leidenschaftlich, daß die Kleider wenigstens recht »schön bunt« sein sollten, womöglich von ihrer Lieblingsfarbe: hochrot. Auch das wurde ihr von Fernow abgeschlagen. Dieser erklärte sogar, daß er nicht einmal die gewöhnliche Farbe aller Gretchenkleider: Blau dulden werde. Um seiner Opposition die Krone aufzusetzen, rühmte er, daß mein Haar zwar stark und lang, aber von dem simpelsten Braun sei. So werde es denn weder ein blaues noch ein blondes Gretchen geben.

Man einigte sich schließlich dahin, daß ich auf dem Kirchgang mein Sonntagsgewand: dunkelviolett mit schwarzem Samt, tragen sollte; mein Werkeltagskleid dagegen war grau mit Kirschbraun besetzt. Im Kerker ward mir ein kuttenähnliches Gewand von ungebleichten Linnen aufgenötigt.

Den grimmigsten Kampf hatten wir mit Luise zu bestehen, als diese daran ging, die Stoffe zu zerschneiden. Ihr hauptsächlichster und höchster Begriff vom Theater war nämlich der: wunderschöne Damen, wunderschön angezogen, deklamierten irgend etwas recht Rührendes und schrecklich Schauerliches. Unter ›wunderschön angezogen‹ verstand die Gute, daß die Kleider gewaltig lang auf dem Boden hinschleppten. Nichts imponierte ihr mehr als ein Stück, dessen Heldin in einem Schleppkleide verzweifelte und starb. Ihr größter Kummer war bis dahin gewesen, daß ich dies eigentliche und einzige Attribut einer Primadonna noch immer nicht besessen hatte, ihr größtes Glück, daß ich es jetzt endlich bekommen sollte.

Obgleich sie weidlich über das ›vornehme Volk‹ schimpfte, das, es lang habend, es auch lang hängen lasse, verlangte sie dennoch kategorisch auf der Bühne ihre Schleppen zu sehen und empfand ein Fehlen derselben entrüstet als eine Schmälerung ihres theatralischen Genusses. Da im Akademietheater mein höchster Staat in einem neuen weißen Wollkleid bestanden, so befand sie sich noch immer in einigen Zweifeln: ob ich denn auch wahr und wahrhaftig jenes bewußte Wunder von Schauspielerin sei, das sie doch selbst aus mir machte. Endlich ereignete sich das Große: sie sollte ordentlich für mich schneidern dürfen. Nachdem ihr nun Seide und Hochrot unbarmherzig verweigert worden, tröstete sie sich im stillen mit den langen Schleppen, durch welche sie den ärmlichen Kleidern wenigstens einigen Glanz zu verleihen gedachte.

Ahnungslos, womit sie uns überraschen und beglücken wollte, wurden ihr die Stoffe übergeben. Nachdem sie noch einmal über die Wolle in ein lautes Lament ausgebrochen, beruhigte sie sich allmählich; ja, fing sogar an, Fernows Abwesenheit benutzend, in ihrer Weise ganz lustig zu werden.

Ich ließ sie allein mit der Mutter, ging in mein Zimmer und begann zu studieren. Nach einer Weile stürzte die Mutter herein: ich möchte schnell herüberkommen: Luise sei ja wohl ganz und gar verkehrt geworden. Ich begab mich ins Wohnzimmer und sah nun: – – Mitten in der Stube auf der Diele lagen die Kleider zugeschnitten, mit Schleppen, wie sie vielleicht bei großer Cour getragen werden. Über ihrem Werk kauerte Luise und schwenkte uns triumphierend die Waffe entgegen, mit der sie die Untat begangen.

»Mutter, wie konntest du das zugeben?« fragte ich halb lachend, halb ärgerlich.

»Aber Kind,« wehklagte diese, »du kennst sie ja. Kein Wort durfte ich sagen. Aber wer konnte denken, daß sie sie so lang machen würde. Was wird der Doktor sagen!«

»Der!« rief Luise kampfglühend und ihre Schere wie eine Streitaxt schwingend. »Was hat sich der Mann mit Frauensachen zu bemengen? Noch dazu mit unseren Kleidern und Röcken. Schämen sollte er sich.«

»Aber Luise!« stammelte die Mutter ganz entsetzt.

»Ach, was da aber Luise. Kein Mensch soll mir nachsagen können, daß sich eine Mannsperson mit unseren Kleidern und Röcken zu schaffen gemacht hat. Und wenn Ihnen das auch partutemank egal ist, so ist das mir nicht partutemank egal. Ehrgefühl muß der Mensch haben und das ist kein Ehrgefühl und Schamgefühl auch nicht, wenn sich ein Frauenzimmer von einem Mann über ihre Kleider insolieren läßt, und ist es auch nur so ein Doktor. Ich rede ihm auch nicht in seine Mixturen und Tollen hinein. Und wenn er unsere Rolla mit seinem Unsinn auch schon verrückt gemacht hat und Sie ihn ja wohl für den leiblichen Herrgott ansehen: mich hat er noch vernünftigermaßen bei Verstand gelassen und als meinen Herrgott kann ich ihn auch nicht ästimieren. Er soll nur kommen!«

Er kam.

Sofort verstummte Luise. Hand und Schere sanken in den Schoß. Scheuen Blickes schielte sie zuerst auf ihr in seiner ganzen Länge ausgebreitetes Verbrechen; dann auf das ernsthafte Gesicht des Eingetretenen, Dieser sah augenblicklich, was hier geschehen. Ohne eine Miene zu verziehen, holte er sein chirurgisches Besteck aus der Tasche, entnahm demselben irgendein scharfes Instrument, beugte sich, wie um Luisens Werk besser anzusehen, herab und ehe diese eine Hand rühren konnte, machte er mit einer Kaltblütigkeit, als ob es einer Amputation gelte, mitten durch die Schleppe dort, wo sie ansetzte, einen großen, klaffenden Schnitt.

Luise war entgeistert.

»Und nun, Beste,« redete der Freund die Sprachlose mit ungemeiner Höflichkeit an, »werden Sie die Güte haben, sich zu Ihren Töpfen und Tiegeln zu verfügen. Ich bin überzeugt, daß Ihr Kalbsbraten heute mittag wieder einmal ganz vortrefflich sein wird.«

Wie im Traum erhob sich Luise, wie im Traum wandelte sie majestätisch davon.

Einige Vormittage später begleitete mich Fernow in die erste Probe.

Als wir zum königlichen Schauspielhaus kamen, sah ich vor der Kasse die Menschen sich drängen: am Abend wurde die Jungfrau von Orleans gegeben. Einst hatte auch ich dort gestanden, nach Einlaß verlangend, als gelte es der Schwelle des Paradieses, dessen Allerheiligstes mir wie die Steine so unerreichbar schien. Nun stand ich hier und willig öffneten sich mir die Pforten des Tempels! Und wenn Wunsch und Hoffnung schönste Wahrheit wurden, so konnte einmal ein Tag kommen, an welchem – war es Traum oder Tollheit? – um mich spielen zu sehen, dort die Menschen sich drängten.

Vor der Tür, die zu den Bühneneingängen führte, standen Schauspieler, Statisten und sonstiges Personal. Der Portier ließ uns erst eintreten, nachdem Fernow ihm gesagt, wer wir seien. Dann bekümmerte sich niemand weiter um uns.

Wir gingen durch allerlei Gänge und Räume, die trübseliges Lampenlicht erleuchtete, kamen zu einer Tür, darauf stand in großen Buchstaben: Aufgang zur Bühne. Jetzt ward es bewegt um uns. Man trug Kulissen und Versatzstücke heraus und herein, lärmte, pochte, hämmerte. Balken schlugen auf, Staub wirbelte in die Höhe. Die Luft des Theaters umfing mich und trotzdem es wahrlich keine elysäische war, fühlte ich mich dennoch der Erde entrückt.

Auf einmal öffnete sich mir der Blick in den Zuschauerraum.

Ich trat von Fernow hinweg und starrte in die Weite, öde Dämmerung hinein. – – Auf der obersten Galerie, dort, wo gerade ein matter Lichtschein sein Spiel auf der Brüstung trieb, hatte ich bei jener Maria Stuart-Vorstellung an der Seite der Mutter gesessen. Sollte es wirklich kein Traum sein, so würden an manchem Abend zwei dankbare Augen dort hinaufschauen und – wie es auch komme und geschehe; kein Beifall, kein Ruhm sollten dämonisch genug sein, mich jemals vergessen zu machen, wie ich einst von dort oben als das Kind einer armen Witwe niederstaunte auf das erhabene Schauspiel.

Nie vergesse ich das Herzklopfen, nie den Schauer, der mich überrieselte, als ich darauf über die dunkle Bühne schritt. Wäre ich allein gewesen – ich wäre niedergekniet, die Bretter zu küssen, die mir fortan die Welt bedeuten sollten und das: welch eine Welt!

Und in dieser wunderbaren Welt ich als das Weib, das liebte und litt, das verzweifelte und starb. Was sollte ich tun, mich dessen würdig zu machen?! Ich konnte es allein durch ein Martyrium.

In solcher Stimmung hatte ich für die Blicke, mit denen man mich teils neugierig, teils wenig freundlich fixierte, nicht die geringste Empfindung. Da der Intendant, der Regisseur und die ersten Künstler noch nicht erschienen waren, so führte mich Fernow hinter eine Kulisse, wo schon der Thron des Königs von Frankreich für den Abend bereit stand. Ich setzte mich, er blieb neben mir stehen und wir übersahen von da aus das ganze in mystisches Helldunkel gehüllte Bild.

Wieder blickte ich in den öden Raum hinab, darin die Pracht der Samtpolster und der Vergoldungen mit grauen Decken überzogen war. Im Parterre hüstelte ein altes Weib umher und fegte den Boden. In einer Proszeniumsloge saßen einige Herren, die sich wohl die Novize in der Probe ansehen wollten. Auf der Bühne selbst war alles in Bewegung. Die Hinterwand war zurückgeschoben; ich erblickte einen Wirrwarr grauer Gerüste. Die Arbeiter setzten für den Abend die Dekorationen auf; es war das wüsteste Durcheinander von Menschen und Dingen in trübster Beleuchtung, ein Bild Grau in Grau. Hinter den Kulissen stand die edle Schar der Statisten: es wurde geschwatzt und gelacht.

Um mich möglichst ruhig zu machen, plauderte Fernow.

»Unsere heilige Halle hat eine erschreckende Ähnlichkeit mit einer italienischen Dame vor der Fahrt: bis zum späten Nachmittag schauderhaft; dann aufstrahlend, daß man Madame nicht wieder erkennt. Signoras Anbeter sind entzückt! ... Am Tage Auerbachs Keller, ist diese Welt abends das Feenreich schöner Illusionen. Nehmen Sie zum Beispiel dieses Ding. Es soll einen Rosenstrauch vorstellen und er mag derselbe sein, unter dessen Zweigen Gretchen stets ihre Blume pflückt. Es ist ein Bild des Ganzen. Jetzt so grau und so bestaubt, wird es am Abend denen in Parkett und auf den Galerien wundervoll rosenrot entgegenleuchten: ganz wie natürliche Rosen, wie die Näherin im vierten Rang bewundert. Von diesem liebenswürdigen Völklein da – er meinte die Statisten – kann man leider nicht das gleiche behaupten. Aha, da versammeln sich bereits Ihre Kollegen in spe. Die Dame dort drüben mit dem schauerlichen Federhut und dem riesengroßen Ridiküle ist unsere komische Alte, heute Ihre Frau Marthe. Ich habe nicht die Ehre, Madame zu kennen, fürchte jedoch, mehr Wahrheiten über sie aussagen zu können, als diese gute Seele ihr ganzes Theaterleben lang über eine ihrer Koleginnen zum besten gegeben. Leider wird es sich nicht verhüten lassen, daß Gretchen und Frau Marthe sich sehr genau kennen lernen. Da sie natürlichen Humor hat, gehört sie indessen keineswegs zu den Schlimmsten. – – Der junge Stutzer, der sich dort so geistvoll auf der Väter Thron, der in Gretchens Stübchen zu stehen kommt, umherrekelt, wird wohl unser Valentin sein. Eine Kritik über diesen Burschen steht im Faust selbst geschrieben: ›Du gleichst dem Geist, den du begreifst.‹ – – Dort kommt unser Intrigant! Er soll seine Charge nicht nur auf der Bühne meisterhaft spielen. Gegen Sie wird sich Mephisto vermutlich als berühmter Mann menschlich erweisen, was von einem so großen Herrn gar hübsch ist. – – Und dort ist auch schon unser Faust. Sie schwärmen ja wohl für ihn? Erschrecken Sie daher nicht, wenn er nur des Abends jugendlich aussieht, und was seine Statur anbelangt, etwas gar zu sehr dem Hamlet gleicht. Er ist übrigens einer der besten deutschen Schauspieler. Was er Ihnen für ein Kollege sein wird, müssen wir abwarten. Kommen Sie; wir kuppeln Gretchen und Faust zusammen, ohne einer Frau Marthe und eines Mephisto zu bedürfen.«

Er führte mich zu dem großen Künstler und sagte ihm, wer ich sei. Ich wurde höflich begrüßt, und weiter nicht beachtet.

Bereits nach der ersten Szene wird man liebenswürdiger gegen uns sein, ward ich getröstet.«

Ich lächelte meinem Getreuen zu und sagte ihm, daß ich ganz tapfer sei.

Jetzt war der Intendant gekommen, mit ihm der Schauspieler, der gerade die Regie hatte. Die Arbeiter waren fertig, der Bühnenraum leerte sich, der Intendant lief mit seinem Buch umher, der Souffleur stieg in seinen Kasten, Regisseur und Intendant nahmen seitwärts im Vordergrund Platz, der Inspizient klingelte, die Choristen traten weiter zurück, alles wurde still.

»Nun behüte Sie unsere Muse! Von ganzem Herzen Glückauf!«

Er ging hinter die erste Kulisse. Plötzlich kam ich mir ganz verlassen vor.

»Ist das Fräulein da?« fragte der Intendant.

Ich trat aus dem Hintergrund vor, jetzt eine Zielscheibe aller Blicke.

»Dann kann also angefangen werden,« fuhr der vornehme Mann fort, ohne es der Mühe wert zu halten, mich zu grüßen.

»Mit dem ersten Akt, Exzellenz?« fragte der Inspizient devot.

»Was erster Akt!« herrschte der vornehme Mann ihn an. »Diese Probe findet, wie Sie sehr wohl wissen, nur des Fräuleins wegen statt. Das Personal soll sich ruhig verhalten!«

»Dann also gleich den Kirchgang,« sagte der Inspizient und wandte sich mit einer Art Verbeugung zu mir. »Gretchen tritt aus der letzten Kulisse rechts auf und geht hinter die zweite Kulisse links ab.«

Der schwere Auftritt mußte mehreremal probiert werden, bis er dem Regisseur zu Gefallen ging. Obgleich wir gerade dieser Szene ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt, war der Intendant unzufrieden.

»Noch kein Gretchen gesehen, welches das gut gemacht hatte. Weiter!«

Ich wagte nicht, zu Fernow einen Blick hinüberzuwerfen: hatte er doch mein erstes Auftreten stets als überaus gelungen bezeichnet. Wie würde es mit der Szene: zu Haus nach dem Kirchengang werden, die ich ihm nie rechtmachen konnte! Ich gebot meinem klopfenden Herzen ruhig zu sein und spielte.

Fernow nickte mir heftig zu: er war also zufrieden.

Ich atmete tief auf und glaubte nun, ohne Bangen die Kritik Seiner Exzellenz und des Regisseurs abwarten zu können; eine solche blieb indessen aus. Ein trockenes »Fortfahren« machte meinen Erfolg bei den beiden Herren sehr zweifelhaft. Ich glaubte zu bemerken, daß sie sich bedeutungsvoll ansahen und mein Faust mich mit einem ganz seltsamen Blick fixierte.

Die Szene bei Frau Marthe mußte meinetwegen zweimal gespielt werden. Noch immer vermochte ich nicht zu erkennen, wie man über mich und mein Gretchen dachte.

Nun kam die Gartenszene, nun kam die Entscheidung.

Ich spielte und wußte kaum, daß ich in die Luft griff, als ich meine Blume pflückte. Der Geist des holden Mädchens beseelte mich und ließ mich die Schauspielerin völlig vergessen, die auf der staubigen Bühne, bei trübem Dämmerlicht, vor einem verödeten Hause, vor Herren mit zugeknöpften Oberröcken eine Probe ihres Talentes ablegen sollte, die über ihr Schicksal entschied.

Als es vorüber, stand ich tiefatmend da, kaum bemerkend, daß auch jetzt alles stumm blieb. Da fühlte ich mich bei der Hand gefaßt. Ich blickte auf und sah in das erregte Gesicht meines Faustes.

»Das nenne ich gespielt! – – Liebe, liebe Kollegin!«

Jetzt kam auch der Regisseur auf mich zu: »Ich wünsche Ihnen Glück, vielmehr: ich wünsche uns Glück!«

Darauf begab er sich wieder zum Intendanten zurück.

»Sehr ungewöhnlich!« hörte ich diese hohe Persönlichkeit sich äußern.

Fernow hielt sich fern.

Nun kam Erfolg auf Erfolg. Nach der Kerkerszene feierte die Debütantin ja wohl einen völligen Triumph. Mein Faust war ganz aufgeregt. Er machte mir vor aller Ohren eine förmliche Liebeserklärung:

Arm in Arm mit Dir,
So fordr' ich mein Jahrhundert in die Schranken!

Der Intendant blieb der Kühlste.

»Kinder! Eure Begeisterung ist recht schön und gut und ich mache dem Fräulein mein Kompliment (ich erhielt in der Tat ein steifes Kopfnicken); aber es ist das, wie ich wiederholt versichern muß, ein so ungewöhnliches Gretchen, daß ich durchaus nicht sicher bin, ob das Publikum in eure Extase mit einstimmen wird und ihr wißt: auf das Publikum kommt es an – selbst bei einer Hofbühne, mein Fräulein.«

»Jedenfalls,« meinte der Regisseur, »ist das Gretchen des Fräuleins eine so bedeutende künstlerische Leistung, daß wir das Urteil des Publikums gelassen abwarten können.«

Mein liebenswürdiger Faust äußerte sich fast leidenschaftlich über Publikum, Hofbühnen, und mein Spiel.

Gleich nach bei Mutter hatte ich an Fernow gedacht. Jetzt kam er. Ich merkte aber in seinem Gesicht eine so heftige Bewegung, daß ich, um ihm zu ersparen, sich mir weich zu zeigen, ihm nur freundlich zunickte, dann gleich fortging, um mir Hut und Mantel zu holen.

Wir verabschiedeten uns und gingen. Vor der Tür stand ein Wagen, Fernow hob mich hinein. Jedes drückte sich schweigend in eine Ecke.

Zu Hause angekommen, führte ich ihn zur Mutter und sagte: »Mutter, deine Tochter ist eine Künstlerin und das hast du diesem zu danken!«

Dann kam die Vorstellung. Ich hielt mich den ganzen Tag über in meinem Zimmer und ließ selbst mein Mütterchen nicht zu mir. Fernow kam nicht; aber er schrieb mir: gute, treue, starke Worte, wie sie nur von ihm kommen konnten. Er fragte an, ob ich seine Gegenwart hinter den Kulissen wünsche, was ich jedoch dankend ablehnte; ja, ich bat ihn sogar, einen möglichst verborgenen Platz zu nehmen. Auch mußte mir meine Mutter versprechen, der Vorstellung nicht beizuwohnen. Fernow übernahm es, sie nach jedem Akte benachrichtigen zu lassen.

Als ich am Theater vorfuhr, strömten die Menschen hinein. Welch eine Empfindung!

Das respektvolle Grüßen des Personals war mir seit jener ersten Probe nichts Neues mehr; aber sehr froh war ich, als ich vernahm, daß ich eine Garderobe für mich allein habe. Als ich in den kleinen, hellerleuchteten Raum trat, wußte ich, wem ich das zu danken hatte: alles war geschmückt und bekränzt; sogar von meinem Spiegel dufteten mir Veilchen entgegen.

Du sollst mir noch einmal über einen harmlosen Lorbeerkranz Moral lesen, dachte ich lächelnd mit Tränen im Auge.

Ich schickte die Ankleiderin und den Friseur fort: was braucht es für Gretchen des Kammerdieners und der Zofe?! Als ich mich anzukleiden begann, begann gerade die Ouvertüre. Ich unterbrach das Flechten meiner Zöpfe, kniete hin. Beide Hände vor das Gesicht gedrückt, hörte ich zu.

Als der erste Akt zu Ende, kam der Inspizient an meine Tür, um zu fragen, ob ich fertig sei. Er teilte mir mit, daß das Haus ausverkauft wäre.

Ich stand hinter den Kulissen, als mein Faust zu mir geeilt kam, um sich zu erkundigen, wie er sagte, ob seinem Gretchen auch wohl sei.

Wieder Musik, der ich lauschte, wie es Gretchen im Dom getan haben mochte, als ihr das Orgelspiel den Atem versetzte. – – Dann tönte die Glocke, der Vorhang rauschte auf – ich trat aus meiner Dämmerung in die Lichtfluten hinein.

 

Um es gleich zu sagen: ich gefiel nicht. Das Publikum blieb kühl bis ans Herz hinan.

Ich kam und ging, der Vorhang wurde aufgezogen und unter totenhaftem Schweigen wieder herabgelassen. Mein guter Faust war ganz verstört, Frau Marthe machte ein hämisches Gesicht, Valentin ein freches, Mephisto war dem armen Gretchen ein fast mitleidiger Teufel. Gartenszene, Gretchen am Spinnrad, im Zwinger, im Dom – – Im Hause blieb's lautlos.

»Ich begreife heute das Publikum nicht. Sie sehen so liebenswürdig aus, Sie spielen so merkwürdig vortrefflich; aber Ihr Gretchen ist, um mit dem Intendanten zu sprechen, in der Tat so ungewöhnlich, daß die im Parkett und im Olymp völlig verblüfft sind. (Die anderen verstehen nichts davon.) Mein Gott, wie mir das leid tut!«

Es war mein freundlicher Faust, der mir das sagte. Auch der Regisseur trat zu mir.

»Ich bin von dieser Aufnahme Ihrer Leistung auf das äußerste betroffen. Sie müßten doch Zoll für Zoll Goethes Gretchen in Ihnen erkennen. Allerdings, eine Leidenschaftlichkeit, wie Sie sie in Ihr:

»Meine Ruh' ist hin«

hineinlegten, muß wohl selbst diesem Publikum bedenklich erscheinen.

Ich erwiderte nichts. In mir war ein ungeheures Gefühl des Schmerzes. Trotz alledem dachte ich in diesem Augenblick mehr an Fernow als an die Mutter – als an mich selbst.

Die Kerkerszene!

Ich wußte nichts von meinem Spiel. Im Hause war es totenstill und totenstill war es in meiner Brust. Als ich einmal Faust ins Gesicht sah, erschreckte mich dessen Ausdruck.

Mephisto erschien. Ich rang mit Faust, ich entriß mich ihm, ich betete, schrie mein schauderndes:

»Heinrich, mir graut's vor Dir!«

Ich stürzte davon, nichts empfindend als: »Es ist zu Ende, es ist vorbei – alles vorbei!«

Da – – Ja, war's denn ein Traum? Ein Applaus, daß es den Boden unter meinen Füßen zu erschüttern schien. Ich war bereits in meine Garderobe geschwankt und hingesunken. Der Inspizient kam gestürzt. – – Es galt also mir: Mit schwindelnden Sinnen raffte ich mich auf.

Jetzt kam auch Faust. »Aber kommen Sie doch vor! Welch ein Erfolg!«

Ich konnte mich nicht regen, ich war wie gelähmt. Faust ergriff mich beim Arm und zog mich sich nach auf die Bühne.

Jubel empfing mich.

Ich verneigte mich, ich schwankte fort, um wieder herausgerufen zu werden und wieder und wieder.

Wie ich in meine Garderobe zurückkam, wußte ich nicht! Fernow stand dort. Ich wollte auf ihn zu, verlor jedoch in demselben Augenblick das Bewußtsein. Wie im Traum fühlte ich noch, wie seine Arme mich faßten, fühlte ich noch den Wunsch: Könntest du jetzt sterben.


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