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Ich übergehe die Schilderung meiner qualvollen Empfindung: höchstes Glück, gemischt mit höchstem Leid. Obgleich meine Mutter alles tat, mir ihren Kummer zu verbergen, ertrug ich's recht schwer.
Sprachlos vor Entrüstung bezeigte sich Luise. Da ich es ihr mitteilte, starrte sie mich zuerst an, als sei ich endlich wirklich von Sinnen gekommen. Nachdem sie begriffen, daß ich diesmal nicht »nur wieder einmal verdreht« sei – was sie zu gewissen Zeiten überhaupt für meinen normalen Zustand hielt – warf sie sich ohne weiteres ihre Schürze über den Kopf und brach in leidenschaftliche Tränen aus. Wie ihr Schluchzen allmählich in Stöhnen und Seufzen überging, kamen auch die Worte: »Schauspielerin will sie werden? Komödiantin? Du mein Gott, so eine! Reden freilich kann sie! Ja, wenn ein Frauenzimmer Pfarrer werden könnte!« –
Kurz, Luise war empört und faßte die »Komödiantin« als persönliche Beleidigung auf. Hoch und heilig verschwor sie sich: »Nie wieder in ihrem Leben ein menschliches Geschöpf als Schlange an ihrem Busen nähren zu wollen.«
Einige Tage redete sie denn auch wirklich kein Wort mit mir. Da fühlte ich mich eines Abends im Bette heftig umschlungen – ich hatte bereits die Lampe ausgelöscht und lag in halbem Schlaf – und nun flüsterte mir das gute Geschöpf ihre flehentliche Bitte um Verzeihung zu. Besonders zerknirscht zeigte sie sich über die Schlange.
Mit der Bewilligung meiner Mutter und Luisens, die sie mir notgedrungen erteilten, ward ich also Schauspielerin. Jener große Mann unterrichtete mich; außerdem trat ich in eine sogenannte Theaterakademie ein, damals die erste und einzige.
Zahllose Male bin ich in meinem Leben der Ansicht begegnet, daß ein junges Mädchen nur Talent zu haben brauche, um sofort, gleichsam über Nacht, »Künstlerin« zu werden; ja, daß bei uns Frauen das Talent nicht einmal immer die Hauptsache sei. Es ist so gemein!
Etwas anders, tüchtiger und ernsthafter verhält sich die Sache denn doch. Ohne mir anzumaßen, euch überzeugen zu können, laßt euch sagen: daß auch diese Kunst eine große, harte, schwere Arbeit ist. Oder glaubt ihr, daß die Rachel, die Crelinger, die Janauschek direkt vom Himmel auf die Bühne fielen? Von der Schülerin bis zur Meisterin – welche langen, langen Jahre eisernen Strebens, unermüdlichen Bemühens, nie ermattender Ausdauer liegen auch hier zwischen Beginn und Höhepunkt. Da muß man Kräfte haben, da gilt es standhaft sein: physisch und psychisch: Und hat man endlich, vielleicht todmüde, eine gewisse, niedrige Höhe erreicht, die man für sich als »Gipfel« bezeichnen muß, so muß man da droben festen Fußes stehen, Stürmen trotzend, Blitze nicht fürchtend. Dann darf nicht gewankt und gewichen werden.
Ist es doch nichts weniger als festgestellt, daß bei einem Schauspieler das Talent immer genügt, um ihm zu einem Erfolge zu verhelfen. Manch einer und manch eine mit sehr tüchtigem Talent und sehr ernstlichem Wollen und Streben gehen dennoch unbarmherzig zugrunde. Fragt man betroffen nach dem Warum, so erhält man zur Antwort: Weil man, um in jener glänzenden Scheinwelt eine Rolle zu spielen, noch eines anderen bedarf, als nur des Talentes. Wer Schauspieler werden will, muß vor allen Dingen Schauspielerblut in den Adern haben, richtiges Komödiantenblut. Keine andere Kunst hat so sehr ihr Geheimnisvolles, Mystisches und Dämonisches wie diese.
Auch ich kann von einer langen und schweren Lehrzeit sprechen. Sie begann damals und hat gedauert bis ich, todmüde, nur noch die Heldin meines eigenen Trauerspieles zu spielen vermochte. Die ersten Jahre derselben waren der späteren Lehrzeit gegenüber wie leichtfertiges, tändelndes Spiel im Vergleich zu einer harten, ehrlichen Arbeit. Gerade an diese Zeit, wo ich noch so voller Ideale war, wo ich selbst die nackten Wände des Bühnenraumes mit Glanz und Schimmer überkleidete, selbst die schlechteste Statistin mir eine Art von geweihtem Geschöpf deuchte – gerade an diese ersten traumhaften, berauschenden Jahre denke ich heute sehr ungern zurück, fast mit einer Art von Schamgefühl.
Ich, die es an mir erfahren und an vielen andern beobachtet habe, bin zu der Überzeugung gekommen, daß kein künstlerischer Beruf so voll fortgesetzten Kampfes ist, wie der des Schauspielers. Freilich ist ein solcher ein ganz besonders geartetes Wesen, an das man, noch weniger als an andere Künstler, den Maßstab des Allgemeinen anlegen darf. Er atmet in einer Atmosphäre, in der keine andere Existenz dauern könnte – ihm ist sie Lebenselement. Aber trotzdem er sich darin scheinbar frei und leicht, gleichsam wie auf Schwingen bewegt, möge man dem schönen Schein nicht allzusehr trauen. Sollen doch die Bretter die Welt bedeuten! In welcher Welt aber gäbe es Menschen, die unter ihren Füßen nicht den Boden fühlten! Und in jener Welt ist die Erde nicht nur ein recht rauher, unwegsamer und schlüpfriger, sondern oft sogar ein recht – schmutziger Boden! Fittiche sollten den gottbegeisterten, sehnsuchtsvollen Mimen zur Sonne emportragen; doch bei diesem Volk der Ikariden sind die Schwingen aus Wachs. Schon die kümmerliche Glut der Lampen der Soffitten schmilzt die meisten.
Ich ging jeden Tag zu dem großen Mann, dessen Vorzimmer mir leider bald so vertraut war, wie mein eigenes, trauliches, blumengeschmücktes Stübchen zu Hause. Bald war ich gründlich in die Mysterien dieses Vorzimmers eingeweiht, wahrlich ohne mich danach gesehnt zu haben. Hielt ich mich doch so sehr zurück, daß das Fräulein von der Chaiselongue eine Zeitlang täglich bei meinem Anblick in ein höhnisches Gelächter ausbrach und sogar ihr junger Galan – es war der Liebhaber einer Vorstadtbühne – mich mit seiner Verachtung strafte.
Auch das erbitterte in bewußten heiligen Hallen gegen mich: Meinem sehr einfachen Anzuge nach schien ich nämlich durchaus nicht über ein fürstliches Vermögen verfügen zu können; trotzdem blieb keine so lange bei dem großen Manne wie ich; und war nicht jede Minute Verweilens bei diesem ein Schritt näher zum Ziel der hohen Gagen und Lorbeerkränze?
Wie jenes erste Mal, mußte ich zuweilen viele Stunden warten, bis die Reihe an mich kam. Leise meine Rolle memorierend, hörte ich kaum, wie die Dame mit dem Fächer eine laute Bemerkung über mich machte oder der fette Herr mich durch irgendein Zitat moralisch zu vernichten suchte. Selbst die Angriffe einer Heldenmutter, die zu meinem Bedauern an dem Dasein meiner kleinen, stillen Person Anstoß nahm, machten keinen Eindruck auf mich.
Ohne daß ich's gewußt, war meine Mutter bei dem großen Manne gewesen und hatte mit demselben Verschiedenes zur Sprache gebracht und geordnet. Da ihr schlichtes schwarzes Kleid den Eindruck einer vornehmen Dame nicht zu mindern vermochte, so hatte er nach dieser Wirkung der Persönlichkeit meiner Mutter seinen Preis gestellt, dessen Höhe ich niemals erfahren. Aber wohl nahm ich wahr, daß in unserer Häuslichkeit, was uns drei anbetraf, energische Einschränkungen gemacht werden mußten.
Ich muß hier übrigens gleich sagen, daß ich damals den großen Mann anstaunte, wie einstmals Luise mich. Sein sprühendes Wesen, sein wirklich mächtiges Pathos rissen mich hin.
Er nahm mit mir fast sämtliche Schillersche Frauengestalten durch – studierte sie mir ein. Sehr ungern gestattete er den Besuch der Theaterakademie, mußte ihn jedoch des dortigen praktischen Kursus der Aufführungen wegen wohl oder übel zugeben.
Ach, diese sogenannte Akademie! So, wie sie war, war sie die Verzerrung dessen, was sie sein sollte: Schule einer edlen Kunst, Vorhalle eines Tempels.
Wir waren vielleicht unser zwanzig junge »Akademiker«. Wie viele von diesen wirklich Talent hatten, möge dahingestellt bleiben, zugesprochen worden war es allen; denn sonst hätte man sie ja wohl nicht aufgenommen. Während der ganzen Zeit, in der ich diese »Akademie« besuchte, hörte ich selten oder niemals davon reden, daß jemand die Prüfung, die dem Eintritt voranging, nicht bestanden habe. So muß ich denn heute gestehen, daß der klangvolle Name »Akademie« eben nur eine Geschäftsfirma war, wie andere auch.
Man soll hier seine Empörung nicht unterdrücken.
Wer das Theater kennt und weiß, wie viel Leben diese große Vergnügungsmaschine zermalmt, der muß in diesen Ruf der Entrüstung mit einstimmen, wenn er sich der Gewissenlosigkeit erinnert, mit welcher gerade diese Kunst ihre Jünger anwirbt, um Hunderte dem offenbaren Untergang in die Arme zu führen. Ich weiß, daß man mich auf die Winkelbühnen verweisen, mir achselzuckend zu verstehen geben wird, daß dabei nichts zu machen sei. Ich gebe dies alles zu. Auch die Welt der Kulissen hat ihr Proletariat, das ich Proletariat bleiben lasse, mich an jene wendend, die in den Rangordnungen der Bühne die sogenannten höheren Stände bedeuten.
Man nehme ein Mädchen aus guter Bürgerfamilie.
Sie ist hübsch, deklamiert gut, hält sich für ein großes Talent, läßt sich von dem Schimmer des Theaters, das sie nur vom Parkett oder der dritten Galerie aus kennt, berauschen, dringt ihren Eltern die Erlaubnis ab, läßt sich auf einer solchen Theaterakademie prüfen, wird ohne weiteres aufgenommen, bildet sich zur Schauspielerin aus – Verzeihung! Zur »Künstlerin«.
Vielleicht hat das Mädchen eine törichte, eitle Mutter, die alle Hoffnungen ihrer Tochter teilt, vielleicht hat die angehende Künstlerin, welche die Luise einstudiert, zu Hause einen ehrlichen Vater, der zusehen muß, wie seine Tochter unehrlich wird.
Das Mädchen ist auf der Theaterakademie. Sie hat kein Talent, wenigstens so gut wie keines. Alle wissen es, ihre Lehrer, ihre Mitschüler; halb und halb läßt man's ihr merken, aufrichtig sagt es ihr niemand. So träumt sie sich denn immer tiefer in den Rausch einer zukünftigen Herrlichkeit hinein, aus dem sie einmal schrecklich aufwachen soll.
In den Aufführungen der Akademie wirkt sie mit. Sie hat etwas Organ, sieht hübsch aus (das Kleid, was sie trägt, mag nicht bezahlt sein), sie wird etwas beklatscht (alle ihre Freunde sitzen im Parkett), irgendein zerstreuter Rezensent erwähnt ihrer in seinem Bericht über die Vorstellung, als eines vielversprechenden Talentes, bei welcher unvorsichtigen Bemerkung der Herr sich wohl kaum etwas gedacht hat. Dennoch wird auf dieselbe hin die junge Dame an einer kleinen Bühne engagiert.
Die Tochter ist für dieses Glück (denn ein solches soll es sein!) durchaus nicht besonders dankbar, da sie mit ihrem Talent und ihrer Person ja eigentlich auf eine weit größere Bühne hingehört hätte. Aber die Mutter triumphiert und selbst der alte, ehrliche Vater fängt an zu glauben und zu hoffen.
Sehen wir zu, was aus seinem Glauben und seinem Hoffen schon nach fünf Jahren geworden ist.
Seine Tochter ist Schauspielerin, aber eine Künstlerin ist sie nicht.
Zuweilen ist sie monatelang ohne Engagement und wird ihr eines durch die Mühen ihres Agenten verschafft, so ist es auf einer Bühne dritten Ranges, wo sie ihre Toilette von bedenklicher Eleganz nicht von ihrer Gage bezahlt – auch nicht bezahlen kann.
So gut geht es ihr, solange sie noch jung ist.
Hätte ich, als ich damals zum erstenmal im Vorzimmer des großen Mannes wartete, gewußt, was ich jetzt durch zahllose Beispiele weiß, ich hätte jenes blasse Mädchen, mit den großen, traurigen Augen eher glücklich gepriesen als bedauert.
Mehr als die Hälfte meiner Kolleginnen waren solche Fräulein. So und so. Ein hübsches Gesicht, Leichtsinn, Lust an Vagabundentum, genügten völlig, sich zur Künstlerin berufen zu fühlen. Mit einer guten Gestalt, die man zu kleiden verstand, erschien eine brillante Karriere zweifellos. Das Theater als Versorgungsanstalt, in der man auf unglaublich leichte Weise zu seidenen Roben und Brasseletts komme, das war so die allgemeine Auffassung ihres Berufes. Übrigens muß man gestehen, daß sich die Damen trefflich dazu qualifizierten. Die meisten hatten schon jetzt, wenn auch nicht gerade ihre Liebhaber, so doch ihre Courmacher, wobei sie eine Routine bewiesen, die doch eigentlich nur das Resultat langer Praxis sein kann. Auch waren die Primadonnen der Akademiebühne bereits so eingeübt in die Intrigen der Kulissen, daß sie als Meisterinnen gelten konnten, ehe sie Schülerinnen gewesen waren.
Unter solchen Verhältnissen wurde auf jener Schule Kunst gelehrt. Der Elementarunterricht bestand in der Ausbildung des Organs. Das war natürlich weder für Lehrer noch für Schüler ein besonderes Vergnügen. Die letzteren zeigten sich sogar über die Zumutung, fünf Minuten lang einen Vokal in allen Tonarten sprechen zu sollen, höchlichst entrüstet, fühlten sie sich doch so sehr als geborene Artisten, daß sie ein so läppisches Ding, wie diese Stimmübungen es waren, als eine überflüssige Quälerei, ja, als eine Erniedrigung ihres Genies betrachteten. Für etwas lehrreicher, das heißt um vieles interessanter hielten sie die Lektionen, die uns in Grazie erteilt wurden. Da konnten sie sich drehen und wenden, Attitüden machen und die ganze griechische Plastik darstellen. Aber schließlich war doch eine jede so fest von ihrer Anmut überzeugt, daß ihnen auch das ziemlich überflüssig erschien.
So blieb denn als Kern des Ganzen nur das Rollenstudium übrig. Je nach der Richtung ihrer Anlage erhielten die jungen Schönen irgendeine Rolle zuerteilt, die sie mit Mühe und Not auswendig lernten, was sie ›Memorieren‹ nannten. In den Lektionen wurde aufgesagt und sie dabei genau angewiesen, wie Gretchen und Klärchen, wie die Jungfrau, Maria Stuart und Lady Milford aufzufassen seien. Ausdruck, Klangfarbe, Tonfall, Steigerung und Senkung, Emphase, Kunstpause und Atemholen, alles und jedes wurde von den Lehrern uns ›Künstlerinnen‹ so lange gezeigt, bis wir es prächtig – nachmachen konnten, ganz und gar sklavisch-getreue Kopien eines Schauspielers, der seinerseits wiederum Kopie einer ganz andern Kopie war. So kopierten wir uns nach und nach ein ganzes Repertoire zusammen, auf das hin wir später einmal engagiert werden sollten.
Gab nun die Akademie eine Vorstellung, so war unter Lehrern und Schülern die Aufregung groß. Lange vorher war das gewählte Stück auf das sorgfältigste einstudiert – eingepaukt worden. Natürlich fehlten die notwendigen Skandale nicht, wie man denn überhaupt bemüht war, nicht nur die Rollen, sondern auch das Wesen unserer großen Vorbilder nachzuahmen, vom Rollenneid der Primadonna an, bis womöglich zur Liebschaft derselben. Mit ausnehmender Wichtigkeit wurde von den Damen die Kostümfrage behandelt. Bei der Toilette durfte weder die falsche Frisur noch die Schleppe fehlen, ob es nun Marie Beaumarchais oder Lady Milford war.
Nachdem die Presse über das bevorstehende große Ereignis in die Posaune gestoßen, fand die Vorstellung statt. Das Haus war ausverkauft, Verwandte und Freunde sparten die Kosten einer Claque, die ersten Bänke im Parkett füllten Agenten, die Zeitungsreferenten waren ›in Anbetracht der Sache‹ milde gestimmt.
So spielte denn das Schauspiel, das eigentlich eine Farce war, sich köstlich ab. Der Applaus war übergroß. Der Direktor und die Lehrer versicherten einen vollständigen Erfolg, am andern Tage stand in gewissen Blättern zu lesen: Im Akademietheater stiegen am trüben Himmel der Kunst neue Sterne auf.
Zögernd und ungern schreibe ich nieder, daß der hellste jener aufsteigenden Steine Rolla genannt wurde. Im übrigen erging es mir in der Akademie wie in der Schule und wie im Vorzimmer des großen Mannes, daran trug ich jedoch allein die Schuld.
Meine junge, aber echte Begeisterung litt durch die Erfahrungen dieses Jahres entsetzlich. In den Mädchen, die meine Kolleginnen waren, fühlte ich nicht nur meine Kunst erniedrigt, sondern auch mein Geschlecht. Ich, die ich bis dahin nur die heilige Weiblichkeit meiner Mutter und Luisens rauhe Tugend gekannt, erfuhr plötzlich Dinge, von denen ich freilich nichts begriff, als daß sie sehr – häßlich seien.
Natürlich war ich unter meinen Kolleginnen so unbeliebt wie irgend möglich. Ich galt für unausstehlich eingebildet, für stolz und hochmütig. Schließlich bedauerten mich die gutmütigen Geschöpfe auch noch: ich hatte keinen Liebhaber.
Meine Unbeliebtheit wuchs, als ich zum erstenmal auftrat. Es geschah dies in der gewöhnlichen ersten Rolle junger, tragischer Liebhaberinnen, in der Luise Miller.
Ich spielte in einem dunklen Kattunkleid, welches von meinen freundlichen Kolleginnen mit unendlicher Verachtung betrachtet wurde, eine Empfindung, die schon nach der ersten Szene nicht mehr so ganz harmlos war. Weit mehr als an dem Klatschen derer da draußen merkte ich meinen Erfolg an den Gesichtern hinter den Kulissen. Die Lady Milford wurde lebhaft applaudiert, weil sie ihrem Zorn über die arme Luise einen so natürlichen Ausdruck gab.
Meine Mutter befand sich bei dieser Vorstellung nicht unter den Zuschauern, wohl aber Luise; und ich glaube nicht, daß über die matte Limonade von Ferdinands unglücklichen Mädchen jemals so viele bittere Tränen vergossen worden sind. Als ich nach dem Ende des Stückes vortrat, war mir's, als sähe ich eine lange, hohe Gestalt, die wütend ihr Taschentuch nach mir schwenkte. Wäre nicht so laut geklatscht worden, so hätte ich gewiß ein wildes Schluchzen vernommen.
Diese ersten Vorstellungen auf den ganz besonders schmutzigen Brettern des Akademietheaters, als wie trübe Bilder sie auch vor mir stehen, durchleuchten doch zwei Strahlen: mein heiliger Ernst und Luisens stürmische Begeisterung, in Wirklichkeit glühend, vom Parkett aus in wahrhaft beängstigender Heftigkeit von ihrem purpurnen Antlitz zu mir auffunkelnd.
Sie hatte ihren Platz auf der ersten Bank, leider viel zu nahe und obgleich bereits damals für mich das Publikum kaum vorhanden war – Luise mußte ich ansehen. Wie einst in dem Saal der Schule, mimiert und pantomimierte sie mir auch jetzt alle ihre Gefühle zu. Wie oft war ich nahe daran, durch sie aus der Fassung zu kommen, wenn ich sie bei einer rührenden Stelle seufzen und stöhnen hörte. Ich weiß nicht, welches Schauspiel interessanter war, das auf der Bühne oder das im Parkett. Öfter als einmal kam es vor, daß die Vorstellung durch Ausbrüche ihrer Bewunderung gestört wurde. Sie aber kehrte sich an nichts. Die junge Dame, die so wunderschön aussah und so rührsam spielte, war ihre Rolla und sie wiederum war dieser Rolla ihre Luise: da konnte sie schluchzen, bewundern und die Arme bewegen soviel sie wollte.
Ich machte den Versuch, sie hinter die Kulissen zu bringen, in der Hoffnung, daß sie sich dort vielleicht ruhiger verhielte. Aber ihre lebhaften Gefühlsäußerungen richteten da beinahe noch mehr Unheil an. Sie bekam ihren Parkettplatz zurück; doch mit der Drohung, daß er ihr, wenn sie sich nicht mäßige, für immer genommen werden würde. Dieses Gewaltmittel half.
Die Mutter kam nie in das Akademietheater. Ich selbst bat sie, es nicht zu tun, sie sollte in einer würdigeren Umgebung an den Genius ihrer Tochter zu glauben beginnen.
Daß die Welt nichts Hohes hoch, nichts Reines rein sein läßt, sondern, wo sie nur kann – und wo könnte sie nicht! – entstellt, verzerrt, herabreißt, beschmutzt und vernichtet, das sollte auch ich, so jung ich war, schon damals mit unsäglichem Schmerz erfahren.
Was waren es für Menschen! Zu einer Zeit ihres Lebens, wo sie noch von dessen Staub hätten unbefleckt sein sollen, wie eine sich eben zur Blume entfaltende Knospe, waren sie nicht nur selbst ohne Reinheit, sondern sahen bereits die Welt um sich her, statt als grüne, liebliche Flur, voller Kehricht und Schmutz. Unter meinen sogenannten Kolleginnen befanden sich Mädchen, von denen ich mir jetzt vergeblich vorzustellen versuche, wie es für diese Seelen je eine Zeit der Jungfräulichkeit gegeben habe.
Und diese Geschöpfe – ohne Pharisäertum kann ich sie so nennen – bei denen mir unverständlich ist, wie sie jemals die Frauen ehrlicher Männer zu werden vermochten, fielen über meine lichte Göttin her, um sie mit ihrem Schmutz zu besudeln. Ich mußte mit anhören, wie der Name meiner Tragödin, schon dadurch entweiht, daß diese Lippen ihn aussprachen, mit einem Lächeln, einem Achselzucken genannt wurde, daß es mir glühend zum Herzen und ins Gesicht stieg. Nicht nur, daß ihre weibliche Ehre von solchen, die das Wesen dieses Wortes wohl nie auch nur als Ahnung empfunden, als Stoff für Skandale herhalten mußte, sogar an die Künstlerin wagten sich diese Karikaturen von Künstlerinnen. Ich geriet außer mir. Ich sagte ihnen Dinge, die ihre Abneigung bis zum Haß steigerten. Aber was half das meinem Schmerz? Man hatte versucht, das, was ich verehrte und hoch hielt, zu beschimpfen und zu erniedrigen. Allein, daß dergleichen in der Welt möglich sei, erschütterte mich in allen meinen Sinnen.
Wie jung ich damals war!