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Eines Sonntags schlenderte Vico durch das reiche Ernteland. Die ganze Erde war Glut und Glanz – Glut und Glanz der ganze Himmel. Wie aus Bronze gegossen, erhob sich das Gebirge über dem großen goldfarbenen Gefilde. Die Luft füllte der grelle gelbe Brodem, den der Südwind mit sich bringt. Vico atmete Staub der Wüste, sengenden Saharasand.
Dabei herrschte ein Schweigen, eine totenhafte Stille, als wäre das Leben der Natur erstickt von der bleiernen, von der goldenen Schwüle des Mittags.
Plötzlich schreckte Vico zusammen. Die schrille Frauenstimme, die anhub, einen eintönigen Gesang abzuschreien, fuhr selbst ihm, dem wilden Sohn dieser Einsamkeit, durch Mark und Bein.
Die Sängerin sah er nicht. Wie der Gesang eines häßlichen Dämons schwebten die gellenden Töne über das strahlende Land.
Immerfort hörte Vico darauf. Es war ein Liebesgesang von der schwülen Glut eines Scirokkotages. Vico empfand plötzlich wie die Glieder ihm schwer wurden. Mühsam holte er Atem, fast keuchend.
Zornig wehrte er sich gegen die gellende Stimme, gegen die heißen Worte, gegen die erstickenden Gluten und die lahmende Schwere in sich.
Dann sah er sie.
Sie hatte sich mitten in den reifenden Weizen geworfen, ein blutjunges Geschöpf. Beide Arme unter dem Kopf, lag sie, starrte mit weitoffenen Augen in den Glanz der Atmosphäre und schrie ihren leidenschaftlichen Gesang ab.
Und wie häßlich sie war, Madonna, so häßlich! Nur die Lippen: Volle weiche Kinderlippen! Und blutrot! Ja und dann – wie jung sie war, wirklich fast noch ein Kind, Solche kleine, zarte, schmächtige Gestalt. Aber so häßlich!
Vico wollte verächtlich weiter gehen. Doch dann blieb er stehen, sah sie an, stand und regte sich nicht.
Ihren jungen blutroten Kindermund sah er an.
Sie kümmerte sich nicht um ihn – nicht im geringsten. Sie fuhr fort zu schreien, womöglich noch gellender. Da rief er sie an:
»Sei still!«
Das Reden kostete ihm Anstrengung. Und wie heftig er die Worte hervorstieß. Was ging es ihn an, wenn sie im reifen Weizen lag und sang? Statt seiner Wege zu gehen, starrte er unverwandt auf ihren Mund. Er stand und starrte, bis das endlose Liebeslied aus war, bis der Held der Heldin aus Eifersucht sein Dolchmesser in die Brust gestoßen hatte. Dann seufzte er tief auf. Es klang wie ein Stöhnen, als hatte er selbst eine Todeswunde empfangen.
Da sie immer noch liegen blieb, sprach er sie an:
»Woher bist du eigentlich?« »Aus Capranica.«
»O, aus Capranica bist du? Von dort oben her? So, so, aus Capranica.«
»Nun ja. Und du?«
»O ich – – Wie heißest du?«
»Was geht's dich an?«
»Ich will wissen, wie du heißest,«
»Geh' du doch!«
»Du hast gewiß einen Schatz?«
»Weiß nicht. Vielleicht.«
»Sag' mir's nur.«
»Wozu? Ich kenn' dich nicht. Geh' du doch! Ich könnte viele Schätze haben – so viele!«
»Lüg' nicht!«
»O so viele! Aber ich will keinen Schatz.«
»Warum nicht?«
»Ich will nur einen reichen Schatz. In Capranica sind alle arm. Die meisten haben nicht einmal Schafe und Ziegen. Ich will einen Schatz, der Schafe und Ziegen hat. Ja und Geld. Viel Geld!«
Es kochte in ihm vor Wut. Sie war so häßlich und wollte einen Liebhaber, der Schafe und Ziegen hatte, einen Liebhaber mit viel Geld, dieses kleine, dünne, garstige Geschöpf! Es hätte ihn erstickt, wenn er ihr nicht gesagt hätte:
»Du und einen Reichen – du! Sieh dich doch an! Sei du zufrieden, wenn du einen ganz Armen bekommst. Mit solchem Gesicht nach einem Reichen zu trachten! Dich nimmt ja niemand – häßlich wie du bist! Madonna, so häßlich!«
Er glaubte, sie würde zornig werden, würde aufspringen, ihm womöglich wie eine junge Katze ins Gesicht fahren. Aber sie blieb liegen. Nur, daß sie anfing zu lachen. Madonna, wie das kleine, dumme, garstige Geschöpf lachen konnte! Wie eine Hexe. Der große lange Mensch fürchtete sich beinahe.
Als sie so toll und teuflisch lachte, blinkten zwischen den roten Lippen die Zähne hervor. Junge Wölfe hatten solch blinkendes, solch scharfes Gebiß. Er hätte sich am liebsten von ihr beißen lassen.
Als sie sich trennten, wußte Vico, daß die Sängerin Romana Demarchis hieß, daß sie mit ihrem Vater im unteren Molarathal Weizen schnitt, daß sie wirklich noch keinen Liebhaber besaß und daß sie ihn nehmen würde – wenn er erst Geld hätte, viel Geld.
Aber nur dann!