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Ich kümmerte mich nicht mehr um die schöne Fiammetta, gedachte ihrer mit einer Abneigung, die an Widerwillen grenzte, und versuchte für den Mann, der seine ganze Zukunft preisgab, indem er sie heiratete, christliches Bedauern zu empfinden. Gern wäre ich den heißen Straßen der Stadt entflohen und ins Molarathal gezogen, darüber der Mai gewiß seinen ganzen Blütenzauber ausströmen ließ. Aber ich scheute mich, dem armen ahnungslosen Cé unter die Augen zu treten. Was sollte ich antworten, wenn er mich nach seiner Verlobten fragte?
Ich trieb mich zu dieser Zeit vielfach in den Wildnissen von Ostia und Castel Fusano umher, wo ich mich auf einem andern Erdteile wähnen konnte. Aber ich mußte meine Begeisterung mit einem Fieberanfall bezahlen und lag mit schwindelndem Kopf und schmerzenden Gliedern ziemlich elend in meinem Atelier, als eines schönen Vormittags plötzlich Fiammetta bei mir eintrat. Sie trug ihre ganze gelassene Hoheit zur Schau und ich war daher nicht wenig überrascht, als sie mich fragte, ob ich sie brauchen könnte.
»Du willst mir Modell stehen?«
»Nun ja.«
»Aber du bist ja Tag für Tag in der Villa Medici?«
Sie verneinte mit der allergleichgültigsten Miene. »Wie, du gehst nicht mehr zu den Franzosen?«
»Nein.«
Sie sah sich in meinem Atelier um und schien nicht sonderlich erbaut zu sein. Nirgends kostbare Stoffe, orientalische Teppiche, Bronzen, Blumen, schwellende Polster. Trotz meines Fiebers mußte ich lachen.
»Du siehst, ich bin ein armer Teufel von Künstler. Bei mir gibt's nichts zu holen. Wollte ich dich zu einer wahrhaftigen Signora machen, so würdest du dich schön bedanken. Ich könnte dir auf den Hut, den du dann tragen würdest, nicht für hundert Lire Federn kaufen.«
Sie zuckte, ohne zu antworten, die Achseln und wiederholte ihr Anerbieten, mir Modell zu stehen.
»Ja, aber, Fiammetta! Du heiratest jetzt bald deinen Franzosen. Erlaubt er dir denn das Modellstehen?«
»Damit ist's nichts.«
»Womit?«
»Mit dem Heiraten.«
»Will er dich nicht mehr?«
Sie sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an. Dann antwortete sie so gelassen, als ob es sich um die gleichgültigste Sache handelte: »Er wird wohl sterben.«
»Sterben! Der junge Mensch! Das große Talent! Wie geht das zu?«
»Er liegt in San Spirito.«
»Wie kommt er ins Hospital?«
»Gestern morgen fanden sie ihn.«
»Fiammetta!«
Ich sprang auf. Ich fühlte mein Fieber nicht mehr.
»Oben auf der spanischen Treppe fanden sie ihn.«
»Erstochen?!«
Ich schrie es laut. Doch sie, so ruhig, daß sie kaum die Stimme erhob, entgegnete nur:
»Er wird wohl nicht durchkommen, der Arme!«
Sie sah in diesem Augenblick so schön aus; und ich fand sie zugleich so unmenschlich, daß ihre Schönheit mir Grausen einflößte.
Ganz fassungslos lief ich auf und ab und dachte mit einer Art von physischem Weh an den jungen Franzosen, der im Hospital mit einer Todeswunde daniederlag – um eines solchen Weibes willen! Plötzlich kam mir ein entsetzlicher Gedanke. Ich blieb vor ihr stehen, fand den Mut, sie anzusehen, sagte langsam und leise:
»Du kennst den Mörder?«
Nur ihr Blick erwiderte mir: ›Ja, ich kenne ihn.‹
Eine Weile schwiegen wir. Dann brachte ich mit Anstrengung hervor:
»Wo ist Raffaelo?«
»Weiß nicht,«
»Also ist er nicht mehr in Rom?«
»Nicht mehr.«
»Seit wann ist er fort?«
»Seit vorgestern Nacht.«
Ich war so erregt, daß ich kaum zu atmen vermochte.
»Und niemand weiß, wo der Knabe ist?«
»Niemand.«
»Vielleicht ging er ins Molarathal zu seinen Leuten?«
»Vielleicht.«
»Jedenfalls wird man ihn dort suchen.«
»Wer?«
»Die Polizei.« Wiederum eine Pause. Dann hörte ich sie sagen, immer noch langsam, leise, gleichgültig:
»Sie werden ihn nicht finden.«
Später bedeutete ich ihr, daß ich sie als Modell nicht brauchen könnte. Mit derselben gleichgültigen Miene, mit der sie gekommen war, entfernte sie sich.
Welch ein Volk!
Sogleich begab ich mich nach San Spirito jenseits des Tibers. Die Erkundigungen, die ich einzog, klangen hoffnungsvoll. Aber der Verwundete verweigerte der Polizei gegenüber jede Auskunft und nach allem, was ich darüber gehört, durfte ich über das Schicksal des jungen Raffaelo ruhig sein. Fiammetta wurde verhört. Sie wußte jedoch von nichts, also brauchte die römische Polizei sich um sie nicht zu kümmern.
Eine Genugthuung brachte mir der tragische Unfall. Die leidenschaftliche Verliebtheit des jungen Franzosen war durch den Aderlaß, der leicht hatte tödlich sein können, stark abgekühlt. Mit keinem Worte verlangte er nach der schönen Urheberin seiner Leiden. Ich aber dachte: besser solchen, römischen Dolch zwischen den Rippen, als einen römischen Ring am Finger!
Fiammetta ließ sich nicht ein einziges Mal im Spital sehen, vollständig gleichgültig dafür, ob das arme junge Blut mit dem Leben davonkam oder nicht. Für sie war die Sache seit der Geschichte mit dem Dolchstoß vorbei. Und vorbei die Hoffnung, sich mit dem Hut der Signora krönen zu können. Also ging der Verwundete in San Spirito sie weiter nichts an und alles, was sie zu thun hatte, war, sich in andern Ateliers Arbeit zu suchen, da man sie in der Villa Medici nicht mehr wollte.
Ich hatte sie abgelehnt; doch war sie bereits am nächsten Tage bis tief in den Sommer hinein für jede Stunde vergeben. Es war sehr nett von ihr gewesen, zuerst zu mir armem Kerl zu kommen; und sie fand mich gewiß unendlich thöricht. Ja, diese Deutschen!