Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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6.

Nach einer Woche war der Checco wieder wohl auf; nach einer Woche ging er – nicht zurück zum Nicotera nach Albano, sondern zum Vater Giuseppe nach Monterotondo.

Wir, ich und mein Bruder, hatten unsre roten Hemden an, hatten die Ziegen und Schafe den andern Hirten übergeben und gingen mit dem Checca zum Vater Giuseppe. Bei dem süßen Herzen der Madonna, das thaten wir, Herr!

Das war am dritten November; und als wir an Rom vorbei und bereits über dem Aniofluß sind, da sehen wir's unter den Monticelli aufblitzen, da hören wir es von dorther krachen und knattern.

Herr, ach, Herr, das waren die Päpstlichen und die Franzosen im Kampf gegen den Vater Giuseppe!

Wir hin! Wir hin in einem Lauf bis Mentana! Und mit dem Vater Giuseppe gekämpft gegen die Franzosen und Päpstlichen, wo wir doch dem heiligen Vater die Füße geküßt hätten! Mit Piken und Bajonetten, die wir auf dem Felde aufhoben, gehauen und gestochen! Mein Bruder wird verwundet, ich werde gefangen und gefangen wird – Herr, Herr, Herr! gefangen wird an der Brücke von Correse unser Vater Giuseppe!

Er war ausgezogen, nicht um Rom anzugreifen; sondern um ins Sabinergebirge abzuziehen. Da waren die Franzosen und die Päpstlichen gekommen und da hatten sie ihn gefangen.

Wir Rothemden schrieen auf vor Schmerz und Wut. Selbst die Alten weinten wie kleine Kinder. Daß über tausend Garibaldianer gefallen und fast zweitausend gefangen waren, danach fragten wir kaum. Aber der General! Herr, Herr, unser Vater Giuseppe!


Und gefangen war ich. Mit den zweitausend andern brachten sie mich nach Rom, wo die Römer in hellen Haufen auf den Straßen standen und die Rothemden verhöhnten. Aber wir dachten an den General und daß wir seine Kinder waren, die auf ihren Vater Giuseppe stolz sein mußten. Das zeigten wir denn auch den Römern, die uns verlachten.

Herr, ein volles Jahr hielten sie mich gefangen im Kerker in der Via Giulia. Als ich herauskam, waren die Franzosen immer noch in Rom. Und vom Vater Giuseppe hörte ich nichts. Auch nichts vom Checco ...

Ich kam nach Hause, wo mich meine Mutter mit Verwünschungen empfing und mein Vater mich am liebsten totgeschlagen hätte, weil ich damals die Herde verlassen, die nun unter fremden Hirten Schaden genommen hatte. Jetzt weidete sie mein Bruder im Molarathal. Ich wurde auch hingeschickt.

Nun ja, Herr! In dem Sommer war's, daß ich im Molarathal mit der Marianna Bekanntschaft machte. Und – Herr! Schön war sie! Schön und wild.

Aber dann mußte ich doch wieder fort von der Herde. Und ich mußte fort von der Marianna! Herr, päpstlicher Soldat mußte ich werden. Ich, der ich mit Vater Giuseppe bei Mentana gegen die Päpstlichen gekämpft hatte! Was wohl Vater Giuseppe dazu gesagt haben würde? Und der Checco? Aber das half nun einmal nichts.

Ich war also in Rom Soldat ... Nach zwei Jahren kamen die Leute des Königs, welchen Vater Giuseppe als Papst nach Rom bringen wollte, und wir sollten gegen sie kämpfen. Ich stand bei der Porta Pia und sah immer nur, ob draußen nicht auch die Rothemden wären? Aber die kamen nicht. Da schoß ich denn in Gottes Namen mit den andern auf die Leute des Königs.

Aber diese schossen bei der Porta Pia eine Bresche in die Mauer, zogen ein in Rom, verjagten die Fremden und machten den heiligen Vater zum Gefangenen.


Herr, zwei Jahre blieb ich noch in Rom als Soldat des Königs. So geht es zu in der Welt.

Als ich dann nach vollen vier Jahren zu meinen Eltern ins Val di Pietra zurückkam, war mein jüngerer Bruder wieder im Molarathal. Ich sagte meinem Vater, daß ich nach wie vor als sein Knecht die Herde weiden wollte, aber daß ich die Marianna heiraten würde. Herr, meine schöne wilde Marianna von Rocca Priora. Tag und Nacht hatte ich in Rom an sie gedacht, Tag und Nacht.

Mein Vater sagte nicht nein, nicht ja. Aber die Mutter wollte reden. Da schrie er sie an, still zu sein. Ich hätte mich auch weder um Vater noch um Mutter gekümmert und die Marianna zum Weib genommen, wenn sie mich auch darum verwünscht hätten.

Noch denselben Tag ging ich fort. Ich wollte hinauf nach Rocca Priora und die Marianna holen. Aber sie war nicht mehr oben, sondern unten im Molarathal, Und sie war seit drei Wochen das Weib meines Bruders Oreste.


Herr! Erstechen wollt' ich meinen treulosen Bruder, der von meiner Liebe gewußt hatte. Und erstechen wollte ich das falsche Weib. Denn so ist es im Sabinerland: Totschlag für Totschlag; und einen Totschlag hatten die beiden an mir verübt. Aber ich dachte an Vater Giuseppe und was der wohl dazu gesagt haben würde. So ließ ich denn die beiden Weib und Mann sein, baute mir in der Nähe ihrer Capanna eine Hütte und weidete mit Oreste zusammen meines Vaters Herde.

Dann sah ich mit an, wie mein Bruder sein Weib blutig schlug, weil er glaubte, sie hätte mich lieber als ihn. Herr, Herr! Da dachte ich nicht mehr an Vater Giuseppe; da faßte ich mein Dolchmesser und würde es meinem Bruder ins Herz gestoßen haben, wenn sein Weib mich nicht angesehen und mir zugelächelt hätte, während sie sich das Blut aus dem Gesicht wusch.

Aber die Rache des Himmels schlug meinen Bruder. Denselben Sommer holte er sich das Fieber und nach drei Tagen war er ein toter Mann.

Die Marianna und ich ließen ihm in Frascati ein christliches Begräbnis geben und danach blieben wir zwei mutterseelenallein im Molarathal – Herr, die Marianna und ich.

Ich schlief nach wie vor in meiner Hütte und schaute die Marianna an, als wie die gebenedeite Mutter des Herrn; denn sie trug meines Bruders Kind unter dem Herzen.

In einer Nacht, da ich nicht schlafen konnte, vernahm ich in der Capanna ein leises Stöhnen. Ich stand auf und lief hin. Da hatte die Marianna ein Mädchen geboren und sie selber lag im Sterben.

Ich aber wollte nach Rocca Priora laufen, um den Priester zu holen; denn trotz der Todsünde, die sie an mir begangen hatte, sollte sie nicht sterben, 'ohne vorher die heilige Wegzehrung empfangen zu haben. Aber die Marianna sagte zu mir: ›Bleibe bei mir! Wenn du mir vergibst, so ist's das gleiche, als hätte mir in Gottes Namen der Priester vergeben. Vergib mir! Ich habe dich lieb gehabt. Aber ich mußte deines Bruders Weib werden, weil er dich sonst erstochen hätte. Und du solltest nicht sterben. Vergib mir!‹

Als ich dann aber doch zum Priester lief, weil ich die Marianna in der Ewigkeit wiedersehen wollte; und als ich im Morgengrauen mit ihm zurückkam – da war die Marianna schon tot und an ihrem toten Herzen lag ihr Kind und schrie nach der Mutter Brust.

Das Kind war die Fiammetta.


Noch im selben Jahre nahm ich ein Weib; denn ich mußte meines Vaters Herde weiden und mußte für die Fiammetta sorgen. Es war ein gutes Weib. Sie gebar mir meine Söhne Cesare und Raffaelo und war auch für die Fiammetta eine Mutter. Es that mir leid um sie, als sie nach etlichen Jahren das Fieber bekam und ich sie in Frascati begraben lassen mußte, weit fort von meinem Bruder Oreste, bei dem auch die Marianna nicht lag.

Mein Weib starb mit der letzten Wegzehrung versehen, so daß ich in der Ewigkeit mit ihr zusammen sein werde. Aber mit der Marianna nicht – Herr, mit der Marianna nicht.«


So erzählte mir Lorenzo Latini, währenddessen sein Sohn das fette Lamm briet ...

Die Geschichte war zu Ende und der Gastbraten fertig. In dem Grabmal des edlen Geschlechts der Furier lagerten wir um das offene Herdfeuer und verzehrten ein Mahl, welches meinem hungernden Gaumen wahrhaft lukullisch deuchte.

Durch hartnäckiges Fragen bekam ich dann nach und nach noch heraus, wie die drei Kinder: Fiammetta, Cesare und Raffaelo, in der Einsamkeit des Molarathales miteinander aufwuchsen, die kleine Fiammetta so recht als der Genius der wilden Stätte. Sie blieb fein und zart, so daß der große und starke Cesare, gleichwohl er ein Jahr jünger war, sehr gut als der Ältere gelten konnte. Sie schienen Geschwister zu sein, bis plötzlich zwischen ihnen eine Leidenschaft entbrannte, heiß wie römische Sommersonne und schwül wie Scirocco, daß es dabei selbst dem Mann, der die schöne Marianna geliebt hatte, angst und bang ward.

Hauptsächlich um die beiden jungen Menschenkinder zu trennen, sandte Lorenzo – wie ich wohl merkte – die sechzehnjährige Fiammetta mit dem jungen Raffaelo nach Rom, um dort mit vielen andern braunen Söhnen und Töchtern der wilden Sabina das einträgliche Gewerbe des Modellstehens zu betreiben, welches dem Volke für durchaus ehrbar gilt.

Cesare selbst schien ganz einverstanden zu sein und nur den einen Gedanken zu haben: die Fiammetta soll in Rom Geld verdienen! Nur schnell Quattrini! Nur recht schnell sehr viele Quattrini! Und dann die Herde, die Heimat, das Glück! Armer Cesare.


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