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Wieder war's Sommer.
Der Krieg mit Afrika sollte zu Ende sein.
Im tiefen Winter war die Schlacht von Adua geschlagen worden und erst jetzt, im Sommer, fingen die Italiener an, auf dem furchtbaren Schlachtfeld ihre Toten zu begraben.
Die Römer saßen in ihrem heißgeliebten Café Aragno, standen auf ihrer schönen Piazza Colonna, promenierten in dem engen kühlen Corso, auf der breiten heißen Via Nazionale und ließen sich erzählen, daß in diesem gesegneten Kriegsjahr die Girandola auf dem Pincio besonders prachtvoll ausfallen würde.
Der große politische Feiertag kam. Ich war ein Fremdling, den die Siege und Niederlagen der Italiener schließlich doch etwas weniger angingen, als einen Bürger des neuen Kulturstaates. Ich las die Ankündigung des grandiosen Feuerwerks, welches viele, viele Tausende kosten sollte. Ich dachte: dich kümmert's nicht, wenn die bei Adua geschlagenen Italiener auf die Piazza del Popolo strömen, um dem lustigen Schauspiel beizuwohnen – gehe also auch du hin. Als es dunkelte, ließ ich mich im Corso von der Volksflut ergreifen und dem für mich schönsten Platze Roms zutreiben. Ich landete denn auch glücklich an einer überaus günstigen Stelle: bei der Treppe der großen Fontane mit den steinernen Löwen und dem Obelisken. Es gelang mir sogar, die höchste Stufe zu erreichen, gerade gegenüber dem Pincio, der noch im tiefen Dunkel lag.
Tausende und Abertausende auf dem Platze, auf den Tribünen, den angrenzenden Straßen. Man wartete: das Königspaar war noch nicht erschienen.
Endlich ertönte die italienische Hymne. Dann erscholl heftiger Applaus wie bei dem Auftreten einer Primadonna; dann erdröhnten die Kanonenschläge, welche das Zeichen zum Beginn des Feuerspiels gaben.
Dieses stieg auf – kein Feuerwerk, sondern ein Kunstwerk in bunten Lichtern, in Flammensäulen, in farbigen Gewinden, Fontänen und Feuermasten. Ich sah es jedoch nicht. Ich sah etwas andres, etwas Entsetzliches, Grausiges: das Schlachtfeld von Adua, wo gerade jetzt die verwesten, von Raubtieren zerfetzten Leichname der gefallenen Söhne des Landes eingescharrt wurden. Ich glaubte Stöhnen zu hören, Ächzen, wilde gellende Schreie –
Nein! Es war Beifallsklatschen, es war Jubel und Jauchzen. Ich hatte ganz vergessen: die Römer sahen die Girandola und – die Römer freuten sich!
Und plötzlich, mitten in dem unvergleichlichen Schauspiel, während zu dem Sternenhimmel ein zweiter, noch wunderbarerer aufstieg, überfiel mich ein Gefühl von Ekel und Scham, daß ich hier stand und zusah – hier stehen und zuschauen konnte! Hastig drängte ich durch die Menge und versuchte, die Treppe hinab und fort zu gelangen.
Und da sah ich sie! In diesem Augenblick sah ich Fiammetta zum erstenmal wieder ...
Sie stand gegenüber der Königsloge, dem Pincio und dem Feuerwerk den Rücken wendend, und starrte zu der Königsloge empor mit einem Ausdruck, einem Blick, daß ich ihren Namen rief – nein, schrie! Sie aber hörte nicht. Sie stand und starrte hinauf zu dem ernsten König, zu der bleichen Königin ...
Aber ein andrer hatte meinen Ruf gehört. Es war ein Mann, der neben ihr stand und sich nun hastig umwendete. Es war ein junger hübscher Mensch, den ich nicht kannte, den ich seitdem nur ein einzigesmal wiedersah: heute nachmittag vor der Porta San Giovanni, als die Carabiniers ihn fortführten ...
Das Leben des Königs Umberto hatte der Rachewahnsinn des sabinischen Weibes für das Leben des sabinischen Soldaten Cesare Latini gefordert! Der Unglückliche aber, der für sie die Rache vollziehen sollte und dem sie sich als Preis dafür gab, war kein andrer als jener junge Mensch, durch welchen Cesares Verfolger auf dessen Spur gekommen waren; denn auch an ihm hatte die Sabinerin Rache zu nehmen.
Nein, werter Freund und Verfasser von »Römischen Dorfgeschichten« – weder Sie noch ich lernen dieses Volk jemals in Wirklichkeit kennen ...
So erzählte mir an jenem Maitage, dem Tag des Attentats auf König Umberto, der deutsche Maler.