Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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10.

Über das Leben des Franzosen beruhigt, nahm ich eifrig Chinin, um, sobald meine Kräfte es gestatteten, nach dem Molarathal abzureisen: mit der Bahn bis Frascati, dann zu Fuß. Ich nahm ziemlich viel Gepäck mit, da ich den ganzen Sommer in jener schönen einsamen Gegend bleiben wollte, die mich nun einmal magisch anzog.

Nicht wissend, ob die Latini noch im Grabmal der Furier hausten, ließ ich meine Sachen in der berühmten Wein- und Villenstadt und begab mich durch die köstlichen Wildnisse der Villa Falconieri und über den tusculanischen Ruinenberg in die Kirchhofstille der ältesten Schlachtfelder Roms hinab.

Keine purpurfarbenen Veilchen- und goldgelben Krokusfelder grüßten mich mehr: die frühlingsfrohe Lieblichkeit war einer sommerlichen Blütenpracht gewichen, deren Üppigkeit etwas Sybaritisches hatte: die Natur feierte ein Symposion.

Ich wollte querfeldein gehen und versank buchstäblich in einem Meer violetter Skabiosen, brennendroter Malven und indigoblauen Rittersporns. Mühsam durchwatete ich die bunte Flut von Blüten und Düften, mußte Caprifolium überwucherte Felsblöcke emporklimmen, mußte Bollwerke von wilden Rosen und Rosmarin überwinden, um mit erschöpften Kräften auf einer Insel zu landen,

welche rosablühende Verbenen und Reseden umsäumten. Auf diesem märchenhaften Gestade ruhte ich aus und schaute nach dem Grabmal der Furier hinüber. Es lag verlassen unter Akanthus und Ginster. Ich hörte kein Hirtenlied. sah keine Herde. Nur auf der Landstraße, der uralten Via latina, die wie eine braune Furche das Blütenland durchschnitt, bemerkte ich einen von Maultieren gezogenen Karren. Langsam, unter dem schrillen Geläut seiner Schellen, bewegte sich das Fuhrwerk durch das große Schweigen der Öde, darüber das Volskergebirge wie ein strahlendes Wolkengebilde aufstieg. Nachdem ich meine Augen an dem Bilde gesättigt und genug gerastet hatte, machte ich mich auf, meine beiden Sabiner zu suchen. Ich arbeitete mich bis zur lateinischen Straße hinunter, die ich auf gut Glück hinzog, in der Hoffnung, einem Bauern oder Hirten zu begegnen, der mir über den jeweiligen Aufenthalt der Nomaden von Val di Pietra berichten konnte.

Ich wandelte fort und fort durch die wuchernde Prairie, in welcher Herden silbergrauer Ochsen weideten. Die schönen Tiere ragten nur mit dem mächtig gehörnten Haupt aus der Buntheit der blühenden Steppe auf. Von einem Hirten war nichts zu sehen.

Die Straße stieg an und ich gelangte auf eine Hochebene. Von einem weiten Rund von Waldhügeln umschlossen, bildete sie ein einziges unabsehbares Gefild von Königskerzen. Es war sogleich bei mir beschlossen: das mußt du malen, dieses leuchtende Feld in dem schillernden zitternden Dunst eines römischen Sommertages. Nur die Staffage fehlte. Es mußte eine junge schlanke Gestalt sein, regungslos wie einer der schimmernden Blütenschäfte ...

Dann ein neues Blütenwunder, für mich das Erstaunlichste.

Das Terrain wurde hügelig.

Welle auf Welle floß über den Boden wie schneeweiße Schaumwogen, in deren Gischt ich mich stürzte: steile Kämme, besetzt mit Weißdornbüschen, die in voller Blüte standen. Ich sah kein grünes Blatt, keinen Stamm. Schneeweiße glanzvolle Blumenmassen, so weit ich blicken konnte. Als ich einen der Hügel erklomm, stand ich wie über den schäumenden Wassern eines wundersamen Ozeans.

Wohl eine Stunde irrte ich in dieser holdseligen Brandung umher. Sie wich zurück. Inmitten der weißen Wellen ein kleiner, kreisrunder, kohlschwarzer Teich und an seinem Rande eine Hütte aus Röhricht.

Kaum trat ich darauf zu, so sprangen auch die drei Wolfshunde vor und heulend auf mich zu. Sogleich rief der bekannte Pfiff sie zurück. Ich gewahrte die schlanke Gestalt meines guten armen Cé im Eingange der Hütte stehen. Sobald er mich erkannte, eilte er mir entgegen.

An dem Ufer dieses dunkeln Bergsees, unter den Weißdornhügeln wollte auch ich mir eine Hütte bauen.


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