Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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15.

Dann mußte ich die beiden verlassen und aufbrechen. Sie wollten mir durchaus ein Stück Wegs das Geleit geben, so sehr ich mich auch gegen solche Unvorsichtigkeit auflehnte. Cé in seiner glückseligen Stimmung hörte auf nichts und Fiammettas Miene sagte: ›Es ist ja ganz gleich! Seinem Schicksal kann der Mensch doch nicht entgehen.‹ Ich vermochte nur durchzusetzen, daß ich mich vorher über die Sicherheit der nächsten Umgebung unterrichtete.

Das ganze Gebiet der Kaiservilla suchte ich ab. Die Ruinen füllte die Glut der Abendsonne. Auf dem roten Gemäuer lag ein Glanz, als würde es von all' dem Blut überströmt, welches unter Kaiser Tiberius geflossen war. Das verdorrte Farnkraut, durch welches ich mir erst einen Weg bahnen muhte, leuchtete wie Goldbronze. Bis an die Schulter versank ich in den Schimmer und erschrak, wenn die braunen Blätter unter meinen Schritten knisterten, oder eine große grüne Eidechse mit lautem Rascheln vor mir entfloh.

Aber meine Fußspur bildete in der wuchernden Wildnis das einzige Zeichen von menschlicher Anwesenheit. Als ich endlich aus den Trümmern hervortrat, übersah ich eine kahle Berglehne, welche nach der vollständig baum- und strauchlosen Steppe zu steil abfiel.

Nirgends ein Mensch!

In ziemlicher Entfernung unter mir erhob sich eine Hirtenhütte aus Cannenrohr und Ginstergestrüpp. Aber sie war verlassen. Beruhigt kehrte ich zu den beiden zurück: sie hatten wirklich nichts zu befürchten – heute noch nicht!

Ohne jede Sorge ließ ich mir jetzt ihre Begleitung gefallen. Cesare trug seine Büchse schußbereit. Unterwegs besprachen wir, auf welche Weise ihnen das nächstemal die Lebensmittel zugeführt werden konnten: sie sollten an einem bestimmten Platz in den Ruinen verborgen werden.


Die Katastrophe kam so schnell, daß ich davon betäubt ward. Fiammetta stieß einen gellenden Schrei aus und zugleich sah ich, wie aus dem Boden gestiegen, einen Carabinier von den Ruinen her auf uns zustürzen. Und dort noch einen und noch einen! Cé wollte fliehen. Aber Carabiniers hinter ihm und Carabiniers neben ihm! Nur vor uns schien der Weg frei. Also sprang er den steilen Abhang hinunter. Ein Polizist legte auf ihn an, schoß, traf jedoch nicht. Unversehrt erreichte der Verfolgte die Capanna, die sogleich von den Carabiniers umzingelt ward. Um Fiammetta und mich kümmerten sich die Leute nicht und so wurden wir denn die unthätigen Zuschauer des schrecklichen Dramas, welches vor unsern Augen sich abspielte.

Cesare stand in dem Eingang der Hütte, von dem aus er – da die Hinterwand durch den Tufffels geschützt ward – seine Verfolger übersah. Er hatte seine Büchse erhoben. Wir waren ihm so nahe, daß wir sein Gesicht erkennen konnten. Er war totenbleich, aber vollkommen ruhig.

Der Sergeant fragte ihn: ob er sich auf Gnade und Ungnade ergeben wollte?

Er wollte nicht.

Ich rief ihm zu: er möge es thun – da er das Hoffnungslose seiner Lage doch einsehen mußte.

Aber er wollte nicht.

Ich bat und beschwor ihn. Doch er wollte nicht! Da schrie ich Fiammetta an: sie sollte ihn auffordern, sich der Übermacht zu ergeben; flehentlich bitten sollte sie ihn. Aber das Weib stand neben mir, stumm, starr, die Augen weit offen und in die Weite schauend ... Ich wendete mich an den Sergeanten: er möchte dem Unglücklichen Bedenkzeit geben – nur fünf Minuten! Da that Cesare aus seinem Gewehre den ersten Schuß und damit war er verloren.

Er hatte einen der Polizisten verwundet und diese wurden jetzt wütend. Sie wollten die Capanna stürmen. Der Sergeant jedoch befahl ihnen, zurückzubleiben und die Hütte einfach in Brand zu schießen. Er wollte den Sabiner ausräuchern wie einen im Bau gefangenen Dachs.

Wenn die Hütte in Flammen stand, würde er schon herauskommen.

Aber er kam nicht heraus!

Gierig züngelten die Flammen an dem trockenen Röhricht empor, dicker Qualm stieg auf. Er mußte ersticken, kam er nicht heraus, nicht sofort heraus!

Er blieb drinnen.

Ich schrie auf vor Entsetzen; ich stürzte vor, hin zu der ganz in Flammen stehenden Hütte, Ich wollte hineindringen ...

Es war zu spät!

Verbrennen hatte er sich lassen, lebendigen Leibes verbrennen!


Sie hatten den verkohlten Leichnam des jungen Sabiners aus den rauchenden Gluten hervorgezogen, hatten in dem nächsten Gehölz Äste und Zweige abgehauen, eine Bahre gemacht, den Toten darauf gelegt, mit Laub bedeckt und nach Frascati getragen. Ich war mitgegangen und mitgegangen war auch Fiammetta. Sie sagte nicht ein Wort, that keinen Laut. Stumm und starr schritt sie neben der Bahre her, dicht zu Häupten des Toten. Wenn ich zu ihr sprach, schien sie es gar nicht zu hören. Wenigstens gab sie kein Zeichen irgend welchen Verständnisses.

Sie trugen den Verbrannten in das Municipium, vor dem trotz der späten Stunde das Volk zusammenlief. Fiammetta und ich standen in der Menge und warteten, was geschehen würde. Es dauerte nicht lange, so kamen die Carabiniers mit dem Leichnam wieder zurück und dann zeigte sich, was sie damit vorhatten. Zum warnenden Beispiel sollte der Tode ausgestellt werden: auf öffentlichem Marktplatz, daß jedermann mit Augen sehen konnte, wie es einem Deserteur erging. Noch mitten in der Nacht wurde das effektvolle Spiel in Scene gesetzt.

Zwischen zwei Pechpfannen stand die Bahre mit dem enthüllten Leichnam, zwei Carabiniers hielten dabei Wache und das Volk drängte lautlos herbei, um zu schauen. Fiammetta hatte sich dicht neben dem Toten auf das Straßenpflaster niedergekauert.

Den ganzen nächsten Tag über blieb der arme Cé ausgestellt, von den Carabiniers und seiner Geliebten behütet.

Ich mußte zurück ins Molarathal an den Doganellosee, um Lorenzo Latini von seinem Sohne Kunde zu bringen ...


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