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XIV.

Und ich zog den Glockenstrang – –

Als der Bruder Pförtner nachschaute, wer Einlaß begehrte, trat ich ein weniges zurück und rief:

»Entsetzt Euch nicht, Bruder Girolamo; ich bin es, der Bruder Angelikus. Aber ich bin nicht mein Geist, wie Ihr vielleicht denken mögt, sondern stehe als Fleisch und Blut vor Euch.«

Der Bruder Girolamo entsetzte sich denn auch gar nicht, mich, dessen Totenschein man im Kloster besaß, so unerwartet lebendig vor sich zu sehen. Er sprach den üblichen Gruß so gelassen, als ob ich von einem meiner gewöhnlichen Almosengänge zurückgekehrt wäre. Ich ließ mich sogleich bei dem Abt melden.

Auf dem Wege zu dem Hochwürdigen begegnete ich einigen der dienenden Mönche; sie warfen einen scheuen Blick auf mich und schritten stumm an mir vorüber. Ich mußte daran denken, daß in einem Hause Gottes die Liebe keine Heimstätte hatte, selbst nicht die fromme Bruderliebe unter Brüdern. Ach und ich fühlte mich mehr denn jemals von Sehnsucht nach Liebe durchdrungen; zugleich erschien mir nichts leichter, als dieses Verlangen zu stillen: man hatte sich eben lieb, der Mensch den Menschen. Der Abt empfing mich mit großer Strenge, er wies mir den Totenschein vor:

»Verantworte Dich.«

Das vermochte ich nun nicht; alles, was ich sagen konnte, war:

»Ich habe mich schwer vergangen und bitte um gnädige Strafe.«

Darauf berichtete ich meine tötliche Verwundung und wie ich mich drei volle Wochen von jenem Weibe hatte pflegen lassen, ohne im Kloster davon Anzeige zu machen. Der Abt fragte:

»Warum hast Du mir keinen Boten gesendet?«

Ich erwiderte nichts, sondern bat nochmals; man möchte mich richten nach meinem Vergehen und mich die Buße umgehend vollziehen lassen. Der Hochwürdige rief aus:

»Was soll ich mit Dir beginnen?«

Ich wußte es auch nicht.

Die Strafe, die mir zuerteilt ward, hätte schwerer ausfallen können; ich nahm sie dankbaren Gemütes hin.

Drei volle Monate lebte ich im Kloster wie ein Begrabener. Von den Brüdern durfte keiner ein Wort zu mir reden, ich durfte zu keinem ein Wort sagen. Meine Kost erhielt ich im Refektorium an einem besonderen Platz, woselbst ich Speise und Trank knieend einnahm. Ebenso von den anderen geschieden, mußte ich in der Kirche den Andachten beiwohnen; die übrige Zeit verbrachte ich in meiner Zelle mit Gebet und Buße. Ich durfte das Kloster niemals verlassen, selbst der Aufenthalt im Garten blieb mir untersagt; nur in jenem Hof, wo meine Eltern zu mir geredet hatten und wo der Bruder Eustachius begraben lag, erhielt ich Erlaubnis, für eine Stunde auf und ab zu wandeln. So wandten sich Geist und Körper mehr und mehr der Welt ab und dem Himmel zu.

Einmal jedoch wurde ich in einer Weise, die mir sehr zu Herzen ging, an die Welt und ihre Bewohner erinnert.

In der Klosterkirche, welche zu gewissen Stunden jedermann zugänglich ist, befindet sich ein Gemälde: die Madonna mit Sankt Franziskus darstellend; und zwar ist darauf abgebildet, wie der Heilige der Gottesmutter sein Herz überreicht. Vor dem Altar, den diese schöne Tafel ziert, betete ich am liebsten: ach, ich war ja auch ein solcher armer Schächer, der mit seinem Herzen zu Gott kam. Indessen das Herz, welches ich dem Himmel hätte darbringen können, war zu sündhaft und unrein, als daß der Himmel es hätte annehmen können. So blieb ich denn, mit meinem Herzen in der Hand, unbeachtet vor Gott stehen, einem Bettler gleich, der einem reichen Manne zu dessen Gastmahl ein Stück seines Bettlerbrotes bringt.

Eines Abends begab ich mich wie gewöhnlich in die bereits geschlossene Kirche, um vor jenem Altar mein Gebet zu verrichten. Ich hatte wieder einmal recht hart gerungen; diesesmal aber gegen mich selbst, denn ich fühlte, wie meine Seele von Tag zu Tag mehr in einen unergründlichen Schlund von Dumpfheit versank, was mir ärgere Todesangst und größere Qualen bereitete, als wäre ich in einen wirklichen Abgrund gestürzt.

Da ich mich von den Knieen erhob, fiel mein Blick auf die Madonna, vor deren Bildnis ein Lämplein brannte: und ich sah es unter dem Bilde mit mattem Glanz durch die Dämmerung leuchten. Ich griff darnach und faßte eine starke Strähne seidenweichen, goldig hellen Haares, das ich sogleich erkannte, wie ich auch sogleich wußte, als welches Opfer die Flechte auf dem Altare niedergelegt worden und daß Clelia heute das Weib des wackeren Terenzio geworden. Der Madonna gehörte das Haar der bekehrten Sünderin, ich nahm es jedoch der Madonna fort, barg es unter meiner Kutte auf der bloßen Brust und schlich mit meinem Tempelraub davon.

Nachdem die langen und schweren Fasten der heiligen Adventszeit vorüber, war meine Strafe abgebüßt; ich wurde wieder unter die Brüder und in die christliche Gemeinschaft aufgenommen, durfte die Beichte ablegen, erhielt Absolution, empfing den göttlichen Leib, ohne mich aller dieser Gnaden würdig fühlen zu können.

Es hatte sich aber meiner eine gewaltige Sehnsucht bemächtigt, die Stätten wieder zu sehen, wo ich geboren worden und als Kind gewesen, wo meine Eltern und Mose lebten. Diese Sehnsucht wuchs und wuchs, bis daß sie Gewalt über mich bekam. Einige Zeit widerstand ich noch, betete inbrünstig um Schutz gegen die Verführung und trug diese meine neue Sünde jede Woche in die Beichte. Doch es war alles nutzlos.

Die erstenmale schlich ich nur bis an die Mauern und Thore des Judenzwingers, woselbst ich mich in einem Winkel verbarg und die Ebräer in ihren Käfig aus und ein gehen sah. Gern weilte ich auf dem Platz vor dem Palast der Cenci; denn hier war ich dem Tempel und dem Hause meiner Eltern am nächsten. Hätte mein Vater oder meine Mutter nach mir gerufen, ich hätte es vernehmen müssen. Aber sie riefen nicht.

Auch um das Theater des Marcellus, auf der Piazza Montanara und beim Bogen der Oktavia trieb ich mich umher, starrte in die dunklen Gassen des Ghetto hinein, als führten sie ins Paradies, und wenn ich einem von dem stinkenden Volke begegnete, so mußte ich mir Gewalt anthun, ihm nicht um den Hals zu fallen, um ihn an mein Herz zu drücken und auf den Mund zu küssen. Manche Stunde verbrachte ich auf der Brücke Quattro Capi, von welcher aus ich hinüberschaute nach dem Ghetto, der hier von dem Strom bespült wird. Dort lag die Via Fiumara! Die Häuser dieser jammervollen Gasse neigten sich dem Flusse zu, als wollten sie sich hineinstürzen; sie waren gänzlich eingehüllt in Lumpen und Fetzen, welche die Juden dort zum Trocknen aufgehängt hatten. Ich sah die Höhle, darin Mose wohnte – –

Ich hatte ein Mittel gefunden, vor Sonnenaufgang heimlich aus dem Kloster zu gelangen. So schnell ich konnte, eilte ich zum Ghetto und zum großen Thor, wo ich wartete, bis es sich öffnete, um die wilden menschlichen Thiere hinauszulassen. Vor noch gar nicht so langer Zeit hatte ich ebenso an dem geschlossenen Thore geharrt, aber drinnen in der jüdischen Stadt. Und wenn das Thor aufgethan ward, so sprang ich mit einem Satz hinaus und lief fort – ach, und wohin!

Wiederum nach einiger Zeit vermochte ich mich nicht länger zu überwinden und redete die jüdischen Kinder an – nur die allerkleinsten! Sie hatten große Scheu vor mir; aber ich war geduldig und wartete, bis sie mir vertrauen würden. Was war es für ein Glück, um die Liebe dieser Kinder werben zu dürfen. Nach langer Mühe gelang es mir, einigen von ihnen Zutrauen einzuflößen. Mit diesen kam ich nun beinahe jeden Tag zusammen: beim Marcellustheater in einem der ehemaligen Eingänge jenes altertümlichen Gebäudes. Dieser Unterschlupf war wie eine Grotte, und man konnte nur von einer einsamen Gasse aus hineingelangen. Hier kauerten wir nun, die Kinder und ich, die Kleinen alle um mich versammelt, und ich erzählte ihnen Geschichten aus dem alten Testament, alle, die meine Mutter mir erzählt hatte. Diese frommen und herrlichen Geschichten besaßen ja auch die Christen, so war denn meine Sünde – wenigstens diejenige, welche ich an den jüdischen Kindern beging – nicht allzu groß. Dennoch ließ ich jene Zusammenkünfte, sowie alles, was auf meine Sehnsucht nach dem Ghetto und die Juden Bezug hatte, seit längerer Zeit ungebeichtet. Ich beging indessen dieses Unrecht nicht aus Furcht vor der Pönitenz, die mir dafür auferlegt worden wäre, als vielmehr aus tödlicher Angst, mich dem Ghetto nie wieder nahen zu dürfen. Freilich hätte ich die Sache in einer Weise wenden können, daß sie mir, anstatt schwerer Strafe, hohe Belobigung eingetragen, denn ich wußte wohl, wie wünschenswert dem Abte der Verkehr einer seiner Mönche mit den Judenkindern erscheinen würde, und was der Hochwürdige davon für das Christentum hoffte. Indessen, ehe ich darin meinem Vorgesetzten Gehorsam geleistet, eher hätte ich mich selber gesteinigt und gekreuzigt.

Wie es nun so geht, und weil der Mensch niemals zufrieden ist, und weil jede starke Begierde nach dem Verbotenen durch sündhafte Erfüllung immer mehr an Macht gewinnt, so genügte es mir bald nicht mehr, außerhalb der Mauern des Ghetto zu bleiben, sondern meine Sehnsucht quälte mich, die jüdische Stadt selber zu betreten.

Es war abends, kurz vor Thores Schluß und bereits dunkelt also, daß mich schwerlich jemand erkennen konnte.

Ich wollte nicht weiter, als bis zum Platz vor dem Tempel, daran das Haus meiner Eltern stand und hatte mir fest vorgenommen, nur wenige Minuten zu bleiben. Alsdann kam ich aber doch nicht fort. Ich hörte das Mahnzeichen, das dem Sperren der Thore vorangeht, ich sah einige Juden in Hast in ihre Stadt zurückkehren, ich wußte, daß ich eilen mußte hinauszukommen – ich blieb! Nicht von der Stelle konnte ich mich rühren, keiner Bewegung war ich fähig. Ich ließ mich für die Nacht im Ghetto einsperren, ich beging eine neue, schwere Schuld.

Dies geschah eines Sabbathabends in der kalten Jahreszeit, weshalb die Gassen öde waren. Bald brannten in allen Häusern die Sabbathlampen, tönte aus allen Häusern das Beten des Vorsprechers und das Murmeln der anderen. Ich schritt langsam über den Platz und zum Hause meiner Eltern. Es lag dunkel da, das einzige von allen; die Fenster der Festkammer waren verhängt. Ich drückte mich gegen die Wand und konnte vernehmen, was drinnen geredet wurde. Mein Vater sprach die üblichen Gebete; indessen seine Stimme klang anders als sonst: schwach und zitternd wie die eines alten Mannes. Ich hörte meine Mutter tief aufseufzen.

Jetzt waren die Bitten zu Ende, jetzt setzte die Rebekka in den schimmernden Schüsseln die Festspeisen auf den Tisch; auch das ungesäuerte Brot und den Wein, den mein Vater stets selbst mischte. Alsdann betete er wiederum, worauf es still ward.

Nun aßen und tranken sie wohl. Gott im Himmel, plötzlich hörte ich meinen Vater mit starker Stimme vernehmlich sprechen:

»Und segne, Herr, unsern Sohn Dahiel!«

Als ich das hörte, schrie ich laut und schrecklich auf und fuhr zurück von der Mauer, als hätte ein Blitz mich gestreift und floh auf die andere Seite des Platzes. Hier im Dunkeln warf ich mich nieder. Darauf sah ich meinen Vater, eine Lampe in der Hand, aus dem Hause treten, und hinter ihm standen meine Mutter und die Rebekka. Die Leuchte in die Höhe haltend, so daß sie sein Gesicht beschien, sagte mein Vater:

»Es ist niemand hier. Laßt uns wieder hineingehen.«

Aber meine Mutter drängte sich vor, sah sich nach allen Seiten um und rief:

»Wer hat hier draußen so gräßlich aufgeschrieen, da wir drinnen unseren Sohn Dahiel segneten?«

Ich krümmte mich am Boden wie ein getretener Wurm, verstopfte mir mit beiden Händen die Ohren und grub die Zähne in meine Kutte. So lag ich eine Weile. Als ich mich wieder in die Höhe richtete, war das Haus verschlossen und niemand mehr zu sehen.

Nun ging ich langsam, langsam davon, den Weg zur Via Fiumara und von dieser zu der Stelle, wo ich als Knabe so oft gestanden und sehnsuchtsvoll zu dem Hause meines Mose hinübergeschaut hatte. – – Dort hatte er gekauert in seinen Lumpen und in seiner Herrlichkeit und hatte mich geliebt – von allen Menschen mich allein! Und hatte mir gepredigt den Haß gegen das Volk, dessen Knechte die Juden waren und hatte in mich hinein geschrieen das Elend von ganz Israel. Und nun stand ich da, ein Abtrünniger und ein Christ und konnte niemand sagen, daß mich ja nur meine heiße Liebe getrieben, hinweg von einem Gotte des Hasses und des Zornes, hin zu einem Gotte der Liebe und der Barmherzigkeit.

In der Kammer, darin Mose lag, sicherlich wachend und in großen Schmerzen, blitzte ein matter Lichtschein auf. Der scheuchte mich fort, als triebe mich ein Engel mit flammendem Schwerte davon.

Alle die Straßen ging ich, die ich einstmals gegangen, da ich noch ein Jude und reinen Herzens war; an allen diesen Orten verweilte ich, die mir Denkmäler meiner Kindheit und Jugendzeit bedeuteten. Es hatte sich nichts verändert. Vor der Synagoge sproß immer noch zwischen den Steinen das Gras; indessen ich suchte darin nicht mehr nach Blumen.

Den Rest der Nacht verbrachte ich auf der Schwelle meines Elternhauses. Ich schlief sehr bald fest ein und träumte: ich sei ein Kind und liege am Herzen meiner Mutter. Es war eine glückselige Nacht.

Die Kälte weckte mich, da der Tag zu grauen begann. Ich erhob mich, wollte vor der Thür mein Morgengebet verrichten, begann auch damit, stockte indessen und ging fort ans Thor und harrte des Oeffnens. Aber ich harrte ohne jegliche Ungeduld, und ging für mich die Sonne viel zu früh auf.

Die Wächter, welche das Thor aufsperrten, wunderten sich nicht wenig, als das erste hebräische Vieh, welches sie herausließen, ein Mönch war; sie spotteten weidlich darüber und schrieen mir nach:

»Sagt uns, Frate, welche Jüdin hat Euch gebeichtet? Wir wollen uns auch von ihr über Nacht Almosen holen. Nur müßt Ihr uns dazu Eure Kutte leihen.«

Da wandte ich mich um zu den frechen Menschen und sagte:

»Eine Jüdin würde jedem, ob Jude oder Christ, ins Gesicht schlagen, der mit einem schamlosen Worte sich zu ihr wendete. Was ihr sucht, holt euch bei den Weibern der Christen.«

Damit ging ich meiner Wege. Sie schimpften und schrieen:

»Der Pfaff ist ein verkappter Jude! Hep! Hep! Pfui, wie er stinkt!«

Ich dachte: »Ruft nur euer Hep! Hep! hinter mir drein. Es ist gar kein solches Schimpfwort, wie viele meinen, könnte sogar manchem zur Ehre gereichen.«

Um nicht von neuem im Kloster eingeschlossen zu werden, was mich für lange Zeit vom Ghetto entfernt gehalten hätte, log ich, erhielt eine leichte Strafe, die ich mir selber um das Zehn- und Zwanzigfache verschärfte, schlich indessen nach wie vor in die Judenstadt. Am liebsten hätte ich alle Nächte auf der Schwelle meines Elternhauses geschlafen und dafür alle Tage gefastet und mich kasteit. Wäre ich jedoch noch einmal eine Nacht ausgeblieben, so hätte mir kein Lügen mehr geholfen, mich vor langer und strenger Klausur zu bewahren. So verzichtete ich denn auf diese glückseligen Nächte, wollte aber dafür nicht länger wie ein Verbrecher nachts im Ghetto umherschleichen, sondern am hellen Tage in der Judenstadt umhergehen. Dabei war ich mir wohl bewußt, was mir bevorstand, wenn man mich erkannte.

Also ich ging in den Ghetto. Es war wiederum eines Sabbaths und auf den Gassen nicht allzu viel Volks. In der Via Rua erkannte mich einer und wies mich anderen, daß in der ganzen Gasse ein Deuten und Murmeln entstand. Wo ich hinkam, wich man mir aus, als wäre ich ein Pestkranker, und die Mütter rissen die Kinder zurück, wenn diese in meinem Wege standen. Indessen nicht einer rief mir eine Verwünschung oder ein Schimpfwort nach; wo ich hinkam, war die Gasse still, bis auf das leise Raunen und Flüstern, welches vor mir herlief.

Ich ertrug diese Verachtung eines ganzen Volkes, ging ruhigen Schrittes weiter und in die Synagoge, woselbst gerade Gottesdienst war, bei welchem meine ehemaligen Gefährten aus dem hohen Liede sangen, mein Vater die Gebete vorsprach, und meine Mutter hinter dem Gitter bei den Frauen saß.

Ich sah wiederum die heiligen Abbilder der Bundeslade, des Leuchters und der Cherubime; ich grüßte wiederum mit den Augen den Pentateuch – –

Aber auch in der Synagoge ward ich erkannt. Hier wurden die Stimmen des Unwillens und der Verachtung gegen mich zu lautem Reden; also, daß dadurch der Gottesdienst gestört wurde, und mein Vater mitten im Gebet innehalten mußte. Dennoch blieb ich. Ich sah nämlich die Augen meines Vaters auf mich gerichtet und konnte den Blick nicht von ihm wenden, des Segens gedenkend, den er in jener Nacht für seinen Sohn vom Himmel erbeten. Da trat ein ehrwürdiger Greis auf mich zu und bat mich, den Gottesdienst durch meine Gegenwart nicht zu entheiligen.

Ich erwiderte mit lauter Stimme:

»Vergebt mir!«

Darauf ging ich, und wiederum wichen alle mir aus. Ich dachte: »Könntest du dich niederwerfen und mit deinem ganzen Leibe daliegen, und alle schritten über dich hin, auch dein Vater, auch deine Mutter!«

Als ich den Ghetto verließ, kam ich gerade dazu, wie am Thore ein Judenkind von Christenkindern mißhandelt wurde. Die großen Leute – Christen natürlich – standen dabei und schauten der Mißhandlung ruhig zu. Ich riß das Kind aus den Händen seiner Peiniger und brachte es in den Ghetto: dabei hörte ich sie hinter mir her sagen:

»Was schert das den Mönch?« Das nämliche schien auch des Knaben Mutter zu denken. Die Frau schaute mich mißtrauisch an und wandte sich ohne Dank von mir ab.

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