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XII.

Während Sora Filomela diese seltsame Begebenheit mit erstaunlicher Lebhaftigkeit vortrug, saß ich am Tische, den Kopf in den Händen, wie schlafend. Da sie plötzlich schwieg, fuhr ich in die Höhe, und mir war's, als sähe ich am geöffneten Fenster, dem Sora Filomela den Rücken wendete, eine Gestalt verschwinden. Indessen mein Geist war allzu sehr mit dem Schicksal der schönen Dionizia Baldi und des lustigen Carlo di Tomaso beschäftigt, um auf anderes zu achten. Ich fragte:

»Warum erzählt Ihr nicht weiter?«

»Ich glaubte, Ihr schliefet.«

»Ich wachte und habe alles gehört.«

»Dann will ich Euch das Weitere berichten.«

Und sie fuhr fort:

»Mein Carlo, mein Carlino, mein Carluccio ein Mörder und Flüchtling, mit dem schändlichen Weibe, der Dionizia! Und ich auf der flaminischen Straße mitten unter dem Volk an der Leiche des Kavaliers, der in seinem Blute schwamm und in dessen Brust noch das Messer meines lieben Bruders steckte. Unterdessen ich in meiner Verzweiflung Gott und alle Heiligen anschrie, lärmte das Volk und leistete allen denen Widerstand, welche den Mörder verfolgen wollten, was außer dem Kumpan des Erstochenen und einigen anderen niederträchtigen Kreaturen nur etliche Päpstliche versuchten. Diese waren erst herbeigekommen, nachdem die Sache, der sie aus der Ferne zugeschaut, ein Ende genommen. Ich höre heute noch das Geschrei, die Verwünschungen der Carabinieri, höre heute noch die Musik und den Gesang der Fröhlichen, die von dem Totschlag noch nichts vernommen hatten. Denn bei diesen Festen ereignen sich solche Streitigkeiten so häufig, daß die wenigsten sich darum kümmern, und man in den Osterien fortfährt, zu tanzen und guter Dinge zu sein, nach welchen Freuden vor kaum fünf Minuten mein lieber, lustiger Bruder so sehnliches Verlangen getragen.

»Alsdann mußte ich mich nach Hause begeben, um meinen Eltern mitzuteilen, was sich mit ihrem Sohne ereignet hatte. Auf diesem schweren Gange, den ich mit wankenden Füßen antrat, begleiteten mich viele; manche aus lieber Neugier, einige, um mit mir zu klagen, mir Trost zuzusprechen und mir sonst aus christlicher Nächstenliebe beizustehen.

»Wer aber stand meinem Vater und meiner Mutter bei?

»Meine Mutter und ich, wir saßen die ganze Nacht zusammen auf mit unseren Nachbarinnen und wehklagten um den Carlo, als ob dieser auf der Bahre läge, was für uns und für ihn besser gewesen wäre. Denn der Kavalier, den mein Bruder erstochen, war eines Herzogs Sohn und darum des Sünders Leben, hätten die Häscher ihn gefangen, unrettbar der Galeere oder dem Henker verfallen. Aber auch so hatte mein Vater seinen Sohn und Erben verflucht.

»Und all dieser Jammer um eines Weibes willen, das sündhafter und schändlicher als eine Buhlerin war!

»Der junge Herzog wurde begraben, meinem Bruder ward nachgespürt und auf sein Haupt ein Preis von tausend Scudi gesetzt.

»Von der Dionizia war nichts zu sehen und zu hören.

»Auch unser Haus wurde bewacht, weshalb wir aus Gram und Scham beinahe gleich Gefangenen lebten. Mein Vater war über Nacht schier ein alter Mann geworden und meiner Mutter Leben verlöschte unter unseren Augen. Mußte ich einmal einen notwendigen Ausgang thun und ich sah auf der Gasse zwei beisammen stehen, so glaubte ich nicht anders, als daß sie sich erzählten: jetzt hätten sie auch den Carlo di Tomaso gefangen! Halbe Nächte saß ich auf, dachte an ihn, betete für ihn und horchte auf jedes Geräusch; denn ich meinte immer, er müßte wiederkommen oder jemand senden mit Kunde von sich.

»Gegen die Weihnachtszeit lies ein Gerücht durch die Stadt: mein Bruder befände sich mit der Dionizia in der Macchie an der Meeresküste nahe bei Ostia.

»Nun war es in jenem Jahre ein überaus kalter Winter. Einen halben Tag lang lag auf den Gassen Schnee und das Wasser in den Brunnen war zu Eis gefroren, was in Rom seit Menschengedenken nicht geschehen war. Und bei einer solchen unmenschlichen Kälte mein Bruder in der Wildnis umherirrend! Nachts im Buschwerk verkrochen, nicht wagend, ein Feuer anzuzünden, weil Rauch und Flammen ihn seinen Verfolgern hätten verraten können. Ach, und wie mochte er es beginnen, daß er mit dem Weibe nicht Hungers starb?

»Wenn ich es im Bette warm hatte, wenn ich ein Stück Brot verzehrte oder es mir sonst leidlich gut erging, so hätte ich laut aufschreien mögen; aber ich mußte stille sein, denn meine Mutter war um den Sohn einer Sterbenden gleich, und vor meinem Vater durfte sein Name nickt genannt werden.

»Eines Nachts hörte ich an unserem Hause leise pochen. Ich sogleich auf und hinaus, heimlich und ohne Licht. Aber an der Stiege stand bereits mein Vater, die Lampe in der Hand, und wollte gerade hinunter. Ich bat ihn mit zitternder Stimme:

»›Laßt mich gehen und öffnen.‹

»Mein Vater antwortete nicht, sah mich nur an, mit einem Blicke, daß ich kein Wort weiter hervorbringen konnte und ihn in Gottes Namen gehen ließ. Ich schlich ihm nach, so daß ich die Hausthüre sehen konnte. Und jetzt hörte ich ihn fragen:

»›Wer ist da?‹

»Die Stimme einer Frau erwiderte:

»›Gut Freund.‹

»Darauf öffnete mein Vater und herein trat – die Dionizia.

»Heilige Mutter Gottes, wie schaute das Weib aus!

»In einem schlechten Gewande, ohne Schmuck, mit zerrissenen Sandalen, das Haar verwirrt wie das eines Bettelweibes, das Antlitz hager durch Hunger und gelb durch Krankheit.

»Aber schön war sie immer noch, wenn auch in ihrer Schönheit schier grausig anzusehen.

»Sie schloß die Thüre hinter sich, wozu sie kaum die Kraft hatte, und sank alsdann mit dem Haupte gegen die Mauer, mit ihren geschlossenen Augen einer Toten ähnlicher als einer Lebendigen.

»Ich lief die Treppe vollends herab und auf sie zu, um sie zu stützen und zu halten; denn ich glaubte nicht anders, als daß sie umsinken und im Augenblick verscheiden würde. Aber mein Vater stellte sich zwischen mich und sie. Ich rief:

»›Vater, Vater! Es ist die Dionizia! Sie kommt vom Carlo!‹

»Indessen mein Vater hatte sie wohl bereits an ihrer Schönheit erkannt, denn er erwiderte kein Wort, ließ mich auch nicht zu ihr.

»Da raffte das Weib sich auf, sah meinem Vater eine Weile steif ins Gesicht und sagte darauf mit schwacher Stimme:

»›Gebt mir Wein und Brot.‹

»Mein Vater fragte:

»›Wer seid Ihr und was wollt Ihr mitten in der Nacht in meinem Hause?‹

»Sie wiederum:

»›Gebt mir Wein und Brot.‹

»›Für wen?‹

»›Für Euren Sohn.‹

»›Ich habe nur eine Tochter.‹

»›Euer Sohn stirbt Hungers.‹

»Da schrie mein Vater auf:

»›Seid verflucht, Ihr und der, den Ihr meinen Sohn nennt.‹

»Aber sie sagte darauf:

»›Verflucht ihn; nur gebt ihm zu essen.‹

»›Geht.‹

»›Gebt mir!‹

»›Geht!‹

»›Ich gehe; aber Euer Sohn stirbt.‹

»Mein Vater öffnete ihr die Thüre, doch sie blieb unbeweglich. In meiner Todesangst machte ich ihr Zeichen: sie sollte um Gottes willen gehen und auf der Gasse auf mich warten. Sie begriff mich und ging. Aber immer noch stand mein Vater, in der einen Hand die Thüre, in der andern das Licht. Als ich zu ihm trat und ihn ansprach, erschrak er dermaßen, daß er die Lampe fallen ließ. Alsdann schloß er die Thüre, schob den Riegel vor und ging im Dunkeln die Treppe hinauf, dicht an mir vorüber, ohne mir ein Wort zu sagen.

»Ich wartete, bis ich ihn in die Kammer treten und zu meiner Mutter, die aufgewacht sein mußte, mit ruhiger Stimme reden hörte. Nun öffnete ich vorsichtig die Thüre, ging auf die Gasse und schaute nach der Dionizia aus. Ich sah sie nicht. Als ich aber leise ihren Namen rief, erhob sie sich vom Boden, trat herzu, ließ sich von mir bei der Hand nehmen und die Treppe hinauf in meine Kammer führen. Ich leitete sie an mein Bett, darauf sie augenblicklich niederfiel. Nun zündete ich Licht an, holte Wein und Brot und gab ihr von beidem. Sie aß und trank mit Gier, ohne zu sprechen, wie denn auch ich stumm blieb. Als sie sich erquickt und gestärkt, wollte ich sie nach meinem geliebten Carlo fragen. Aber sie antwortete nicht, erhob sich vom Bett und sagte:

»›Fragt nicht, gebt mir und laßt mich gehen.‹

»Was sollte ich thun?

»Immer noch halb tot vor Jammer und Angst suchte ich zusammen: Wein, Brot, einen Schinken, getrocknete Bohnen, ein Päcklein Maccaroni und anderes mehr, was gerade im Hause vorrätig war. Aus meines Carlo wärmsten Kleidern machte ich ein Bündel, darein ich mein Gebetbuch steckte, meine goldene Kette und was ich sonst an dergleichen Dingen besaß. Die Hände zitterten mir aber dermaßen, daß ich mit dem Zusammenpacken gar nicht fertig werden konnte, und vor Thränen vermochte ich häufig nicht zu sehen, was ich that.

»Dionizia drängte zur Eile:

»›Ich muß zurück sein, ehe er aufwacht und es ist weit.‹

»›Wo ist er?‹

»›Irgendwo.‹

»›Ist er krankt?‹

»›Schwach vor Hunger.‹

»›Was will er beginnen?‹

»›Nichts‹

»›Werdet Ihr bei ihm bleiben?‹

»›Ich bin bei ihm.‹

»›Aber werdet Ihr bei ihm bleiben?‹

»›Redet nicht; ich muß fort.‹

»›Auf seinen Kopf ist ein Preis gesetzt.‹

»›Er weiß es.‹

»›Sie werden ihn fangen?‹

»›Nein‹

»›Er liebt Euch sehr?‹

»›Ja.‹

»›Und Ihr ihn?‹

»›Und ich ihn. – Auch seine Büchse müßt Ihr mir für ihn geben.‹

»›Seine Büchse?‹

»›Pulver und Blei.‹

»›Ach, Dionizia –‹

»›Schnell, gebt! Wir leben wie die Bestien, können uns nicht wehren. Die Wälder wimmeln von Wild, wir können es aber nicht schießen. Meinen Schmuck und was ich sonst fortgeben konnte, gaben wir den Hirten für Brot. Gebt mir Eures Bruders Büchse, sonst stirbt er Hungers. Eilt Euch!‹

»Ich holte die Büchse, ich holte Pulver und Blei, holte auch von meinen Kleidern für das Weib. Aber Dionizia wollte die Sachen nicht nehmen.

»›Ich friere nicht.‹

»›Nehmt!‹

»›Ich bedarf nichts.‹

»›Sagt meinem Bruder: seine Mutter segne ihn jeden Tag.‹

»›Und sein Vater fluche ihm zu jeder Stunde.‹

»›Um Euretwillen.‹

»›Ja, um meinetwillen.‹

»Sie legte die Büchse auseinander und verpackte sie zwischen den Kleidern; alsdann belud sie sich mit allem, wandte sich zum Gehen und sagte:

»›Vor dem ostiensischen Thor, beim dritten Meilenstein steht ein hohler Ulmenbaum; dahin werde ich jede vierte Nacht kommen und nehmen, was Ihr mir für Euren Bruder in den Baum legt. Er wird es Euch danken.‹

»›Ich danke Euch; für alles, womit Ihr ihm Eure Liebe beweist, danke ich Euch.‹

»Darauf erwiderte sie nichts, und ich führte sie aus der Kammer, die Stiege hinunter, zum Hause hinaus. Auf der Gasse stand ich und sah ihr nach, so lange ich sie erblicken konnte. Sie ging rasch und hochaufgerichtet, als trüge sie keine Last.

»Von nun an begab ich mich jeden vierten Tag mit unserer Magd vor das ostiensische Thor in die Sankt Paulskirche und ging allein die ostiensische Straße bis an den dritten Meilenstein zu dem hohlen Ulmenbaum. Unter diesen setzte ich mich hin und war ringsum kein Mensch zu erspähen, so that ich mein Päcklein in den Baum, bedeckte es mit Steinen und Laub, sprach ein kurzes Gebet und kehrte eiligst in die Kirche zurück, woselbst ich die Alte jedesmal eingeschlafen fand.

»Diese frommen Gänge unternahm ich bis gegen den Frühling; alsdann wurde meine Mutter um vieles elender, weswegen wir aus der Stadt zogen, hinaus auf unsere Vigna. Mein Vater blieb in Rom.

»Aber die gute Luft hier draußen half meiner Mutter so wenig, wie ihr in der Stadt der Arzt geholfen hatte. Bereits nach einigen Wochen mußten wir sie mit den Sakramenten versehen lassen; darauf segnete sie ihren Carluccio zum letztenmal und verschied.

»Mein Vater wollte nunmehr von der ganzen Welt nichts wissen, am wenigsten von seiner Vigna, für die er den Erben verloren. Er nahm eine Verwandte in sein römisches Haus und sandte mich mit der Magd und einem Knecht hinaus in die Vigna. Hier hauste ich nun, beladen mit einem dreifachen Jammer: um Vater, Mutter und Bruder. Auch ohne das wäre mein Herz schwer genug gewesen; denn ein wackerer Mann, der sich seit langem um mich beworben, hatte sich seit der Geschichte mit meinem Bruder gänzlich von mir zurückgezogen. Er war aus einer Familie, die etwas auf sich hielt und die nicht die Schwester eines Mörders unter sich dulden wollte. Auch konnte mein Bruder jeden Tag eingefangen werden und dem Tode verfallen.

»Es war eines Sonntags, einen Monat nach dem Tode der Mutter. Der Knecht war bereits am Morgen in die Stadt gegangen und die Magd am Nachmittag in Sankt Peter zur Messe. Ich saß in dieser Kammer, dort am Fenster. Auf einmal stand er draußen und sah zum Fenster herein; nämlich der Carlo. Er hätte indessen am hellen Tage mitten durch die Stadt gehen können und niemand würde ihn erkannt haben.

»Zuerst erkannte auch ich ihn nicht, sondern kreischte bei seinem Anblick laut auf; denn ich meinte nicht anders, als daß ich in meiner Einsamkeit von Briganten überfallen worden wäre und mein letztes Stündlein geschlagen hätte. Solchermaßen war mein Bruder verwandelt, mein guter, hübscher, fröhlicher Bruder!

»Ach, ihr armen, lustigen Augen –

»Ich erkannte ihn erst, als er mit einem Blick auf mein schwarzes Gewand sagte:

»›Wer ist tot? Der Vater oder die Mutter? Oder sind sie es beide?‹

»Das fragte er ganz gelassen, mit einer heiseren, todmüden Stimme. Ich rief:

»›Carlo, Carlo, Du bist es! Ach, mein lieber, lieber Bruder! Wo kommst Du her, wo willst Du hin? Ach, mein Carlo, vor einem Monat haben wir unsere Mutter begraben!‹

»Ich hätte gar gern geweint! nicht über den Tod meiner Mutter, sondern über das Leben meines Bruders. Aber meine Augen blieben trocken.

»›Also die Mutter,‹« sagte Carlo, und er sagte es nach einer Weile noch einmal: »›Also die Mutter. Sie war eine brave Frau. Nun, einmal müssen wir alle sterben. Es ist nicht das Schlimmste.‹

»So sprach der Jüngling über den Tod seiner Mutter, gegen die er der zärtlichste Sohn gewesen!

»Plötzlich packte mich die Angst um ihn, daß ich nichts anderes mehr dachte als: wenn er entdeckt würde! Ich bat ihn flehentlich: »›Komm herein! Schnell, komm herein! Ich will das Haus verschließen. Es ist sonst niemand drinnen. Komm schnell herein.‹

»Aber er blieb draußen stehen.

»›Was thut's, wenn sie mich bekommen?‹

»›Rede nicht so. Komm herein.‹

»Er wiederum:

»›Was thut's, wenn sie mir den Kopf abschlagen? Das ist nicht das Schlimmste, was einem Menschen geschehen kann.‹

»In meiner Todesangst um ihn fiel mir die Dionizia ein und ich fragte ihn nach dem Weibe:

»›Wo ist Dionizia?‹

»Ich hatte den Namen kaum ausgesprochen, als er sich gänzlich verwandelte und sich geberdete, daß ich in meinem ersten Entsetzen meinte, er wäre plötzlich von Sinnen gekommen. Aber gleich ward er wieder still und sagte:

»›Ich will herein kommen und Du sollst das Haus verschließen. Denn Du hast recht: sie dürfen mich nicht fangen und mir den Kopf abschlagen. Denn alsdann würde noch in der nämlichen Stunde die Dionizia einen andern küssen, solch einen verdammten Bildermaler oder Steinhauer, weißt Du! Und ich müßte mit abgeschlagenem Kopf aus dem Grabe aufstehen, um auch den andern zu töten – alle die anderen! Ich würde viel zu thun bekommen?.‹

»Während dieser tollen Reden war er durch das Fenster gesprungen, welches er verschloß und verhängte. Wir verriegelten darauf das ganze Haus und kamen alsdann in diese Kammer zurück, darin mein Bruder seit seiner Kindheit gewohnt hatte, so oft wir in der Vigna gewesen.

»Sich auf das Bett werfend, gebot er nur:

»›Bringe mir zu trinken.‹

»Ich brachte ihm ein Fiascho roten Weines – sein Lieblingswein – noch von ihm selber gekeltert. Er erkannte ihn sogleich.

»›Das ist der Rote vom vorletzten Jahr. Laßt ihn auf dem Fasse. Gebt ihn nicht dem Händler. Das ist Hochzeitswein.‹

»Er leerte den halben Fiascho, ohne weiter ein Wort zu sagen. Ich saß ihm gegenüber an demselben Fleck, wo ich jetzt sitze, schaute ihn an und hätte an Gott und den Heiligen verzweifeln mögen. Plötzlich begann er zu reden; aber es war, als spräche er zu sich:

»›Ja, die Dionizia! Das ist ein Weib! Zwanzig Menschenleben auf dem Gewissen zu haben thut nichts, wenn die Dionizia einen dafür küßt. Was schwatzen die Pfaffen von Seligkeit und Verdammnis? Was wissen sie davon?! Selig ist der, den die Dionizia küßt, und verdammt ist der, den sie nicht küßt. Ich bin selig und will es bleiben. Ich will!‹

»Und nach einer Weile:

»›Ja, die Dionizia – Wie eine Bestie hat sie gelebt – aus Liebe zu mir! Sie hat gefroren und gehungert – aus Liebe zu mir! Sie hat sich halb zu Tode hetzen lassen – aus Liebe zu mir!

»›Wie eine Bestie habe ich gelebt, wie eine Bestie und wie ein König. Denn mir hat die Dionizia gehört! Ich bin fast Hungers gestorben und ich habe davon nichts gefühlt, denn ich habe mich gesättigt an Dionizias Küssen.

»›Um ihretwillen bin ich zu Dir gekommen – um Dionizias willen.

»›Sie trägt ein Kind unter dein Herzen – mein Kind!

»›Nun werden wir immer noch gejagt, nun müssen wir immer noch leben wie die wilden Tiere. Das soll die Dionizia nicht länger. Sie soll zu Dir kommen, sie soll bei Dir ihr Kind gebären, Du sollst sie pflegen, sie und das Kind.

»›Mein und Dionizias Kind!

»›Ich will mich von ihr trennen – aus Liebe zu ihr!

»›Nicht auf lange, weißt Du; nur bis sie das Kind geboren.

»›Es wird ein Knabe sein: ich werde einen Sohn haben, den Dionizia mir geboren hat.

»›Jede Nacht komme ich und schaue nach ihr. Ich lasse Dir meine Seligkeit. Hüte mir meine Seligkeit! Ich habe wilde Träume – Träume, in denen ich nichts sehe, als dampfendes Blut.

»›Das bedeutet, daß sie bereits an einen andern denkt, an einen andern, während sie unter dem Herzen mein Kind trägt. Das bedeutet Mord!

»›Willst Du sie heimlich aufnehmen und bei Dir verborgen halten? Darf ich Dir die Dionizia bringen, wann es Zeit ist?

»Er sah mich an mit seinen todtraurigen, wie in Wahnwitz glühenden Augen, fragend, bittend, flehend – Was hätte ich thun sollen?

»Ich sagte ihm:

»›Carlo, mein lieber Bruder, bringe die Dionizia zu mir: bringe sie zu mir, wann Du willst. Ich will sie hüten, mehr als mein Leben?

»Da dankte er mir mit Thränen in seinen armen, todtraurigen Augen.

»Ich konnte erst weinen, nachdem er längst wieder gegangen war.

»Als es Sommer ward, begann ich alles für die Dionizia vorzubereiten – in aller Heimlichkeit. Mein Vater kam niemals in die Vigna und unsere Magd war eine treue Person. Trotzdem schwieg ich noch einstweilen zu ihr. Das Lager für die Wöchnerin bereitete ich in meiner Kammer, die außer der Dienerin niemals jemand betrat. Auch für andere Dinge sorgte ich, so gut ich es eben verstand. Bei jedem Stücklein Linnens gedachte ich des armen kleinen Lebens, welches darin eingehüllt werden sollte, und betete darüber einen Segensspruch. Als die ersten reifen Pfirsiche von den Bäumen genommen wurden, war ich mit allem fertig und harrte unter Zittern und Zagen, daß mein Bruder mir das Weib bringen sollte. Heilige Maria – sie war nicht einmal sein Weib.

»Ich wartete Tag für Tag, eine Woche nach der andern – aber sie kam nicht.

»Längst mußte die Zeit, da die Dionizia gebären sollte, verstrichen sein, und ich wartete immer noch.

»Was war geschehen?

»Waren Beide tot?

»Oder war sie fort von ihm?

»Aber sie trug ja sein Kind unter dem Herzen!

»Wie treu hatte sie bei ihm ausgeharrt! Während er schlief, war sie von der ostiensischen Macchia nach Rom gelaufen, um für ihn von seinem Vater Speise und Trank zu erbetteln, sie, das trotzige, stolze Geschöpf! Jede vierte Nacht war sie bis zum Thor gewandert, um für ihn das Brot aus dem hohlen Baum zu nehmen. Ich hatte es ja gesehen, in welchem Elend sie gewesen – alles für ihn!

»Aber alsdann fielen mir immer wieder und wieder die wilden und wirren Worte ein, die mein Bruder über sie gesprochen. Der Aermste glaubte ja selbst, daß sie ihn einmal verlassen könnte, und diese Gedanken waren es, welche ihn schier toll machten, und nicht der schreckliche Umstand, daß er dem Tode verfallen war und in den Wäldern leben mußte gleich einem wilden Tier.

»Sie hatte es bei keinem lang ausgehalten – –

»Doch – sie trug ja sein Kind unter dem Herzen!

»Und ich fuhr fort zu warten; indessen niemand kam, mir Kunde von ihnen zu bringen.

»Da hatte ich einmal in der Stadt zu thun, und als ich auf die Piazza del Popolo kam, sah ich eine Sabinerin vor mir hergehen. Heilige Muttergottes – der Schreck fuhr mir in die Glieder, daß ich glaubte, ich müßte augenblicklich niederfallen. Denn eine solche Gestalt, einen solchen Gang und ein solches Haar hatte auf der Welt nur eine – die Dionizia Baldi aus Olevano.

»Mein zweiter Gedanke war:

»Carlo, mein lieber, armer Bruder!

»Das gab mir Kraft.

»Ich schickte die Magd in die Kirche der heiligen Jungfrau, welche an dem Platz gelegen ist, und ging eilends dem Weibe nach. Und in der Mitte des Platzes, dort, wo der hohe, spitze Stein aufgerichtet steht, um den die vier steinernen Löwen Wasser speien, an jener Stelle holte ich die Sabinerin ein.

»Sie war es! – in ihrer ganzen herrlichen Schönheit, die Dionizia Baldi! Nur um ein weniges schlanker und bleicher im Gesicht, und daß sie keinerlei goldenen Schmuck hatte, nicht einmal ein Ohrgehänge; aber sie ging in einem schönen roten Gewande.

»Maria, Gottesmutter! Sie hielt in ihren Armen ein Kind, dem sie die Brust gab.

»Ich rief sie an:

»›Dionizia! Dionizia Baldi!‹

»Darauf blieb sie stehen, blickte mich an, so gelassen und fremd, als hätte sie mich niemals in ihrem Leben gesehen. Dann wandte sie langsam die Augen von mir ab nach dem Kinde an ihrer Brust und lächelte ihm zu. Bei dem allmächtigen Gott – das Weib lächelte! Ich trat dicht an sie heran und fragte sie und es versetzte mir beinahe den Atem:

»›Wo ist mein Bruder, dessen Kind Ihr säugt?‹

»Sie antwortete, immerfort auf das Kind blickend und es gar holdselig anschauend:

»›Ich weiß es nicht.‹

»›So ist mein Bruder nicht bei Euch?‹

»›Nein.‹

»›So habt Ihr meinen Bruder verlassen?‹

»›Ja.‹

»›Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr gethan?! Mein armer Bruder! – Und Ihr wißt nicht, wo er ist?‹

»›Er weiß, wo ich bin und wird den Weg zu mir finden. Lebt wohl.‹

»Damit ging sie, ohne ein einzigesmal ihre Augen von dem Kinde gewendet zu haben.

»Ich ließ sie gehen, stand steif und starr da, mitten auf dem Platz, besann mich endlich, daß ich sie nicht so fortgehen lassen durfte. Also ging ich ihr nach und im Corso holte ich sie ein.

»›Dionizia Baldi, hört mich, um Gottes willen, hört mich.‹

»Diesesmal blieb sie nicht stehen, nicht einmal, daß sie sich nach mir umblickte. Aber gleich darauf war ich an ihrer Seite. Sie schaute mich mit ihren herrlichen Augen zornig an und sagte mit gedämpfter Stimme:

»›Was wollt Ihr noch von mir? Sprecht leise. Das Kind ist eingeschlafen.‹

»Ich ging neben ihr hin und sprach leise, um das schlafende Kind nicht zu wecken:

»›Ach, Dionizia – mein armer Bruder hat für Euch einen Mord begangen. Sein Vater fluchte ihm, seine Mutter starb darum und er muß sich in den Wäldern und Wildnissen verbergen. Ihr habt seine Seele auf Eurem Gewissen. Nun habt aber auch Ihr ihn geliebt. Welcher böse Geist ist in Euch gefahren, daß Ihr meinem Bruder dieses anthun konntet? Hättet Ihr ihm doch lieber sein Messer ins Herz gestoßen, da er in Euren Armen lag und schlief. Dionizia Baldi, ich fordere meines Bruders Seele von Euch, steht mir Rede.‹

»Sie aber schwieg.

»Ich redete weiter, halbtot vor Jammer und Angst.

»›Ihr haltet sein Kind an Eurer Brust – im Namen dieses Kindes fordere ich von Euch, mir Rede zu stehen.‹

»Da sagte sie mir, ohne ihren Blick von dem friedlich schlummernden Kinde zu heben:

»›Ich muß frei sein.‹

»Ich schrie beinahe auf:

»›Aber Ihr liebet meinen Bruder doch noch?‹

»Wiederum ihre Antwort:

»›Ich muß frei sein. – Geht.‹

»Ich ging jedoch nicht, ich blieb dicht an ihrer Seite und fuhr fort, leise in sie hinein zu reden:

»›Kommt mit mir! Dionizia, kommt mit dem Kinde zu mir hinaus in unsere Vigna. Bleibt mit dem Kinde bei mir. Ich will Euch achten, als wäret Ihr meines Bruders eheliches Weib, und Ihr sollt gleich meiner Schwester sein. Nur kommt, kommt mit mir, gleich heute, diesen Augenblick.‹

»Aber sie schwieg.

»›Wenn Ihr nicht mit mir kommt – wißt Ihr, was dann geschieht?‹

»›Ich weiß es.‹

»›Mein Bruder wird Euch finden, mein Bruder wird Euch töten.‹

»›Das wird er.‹

»›Kommt mit mir!‹

»›Ich komme nicht.‹

»›Aus Barmherzigkeit –‹

»›Laßt mich!‹

»Ich ließ sie.

»Das Kind war erwacht und begann heftig zu weinen. Ich hörte, wie sie es, ohne der Menschen auf der Straße zu achten, wieder in Schlaf sang.

»Die nächste Zeit verstrich für mich in einer schrecklichen Erwartung. Am Tage saß ich da, that nichts, starrte vor mich hin und dachte: Jetzt ist es geschehen, jetzt liegt sie in ihrem Blute. Gott sei ihrer armen Seele gnädig. Keine Nacht mehr verschloß ich das Haus, ließ jede Nacht die Lampe brennen und stellte Wein zurecht. Denn ich wußte, daß er zu mir kommen würde, wenn er es gethan hätte.

»Und er kam – mitten in der Nacht und brachte mir das Kind und das Kind war mit dem Blut der Mutter bespritzt.

»Er hatte sie getötet, als sie eben dem Kinde zu trinken geben wollte. Sie hatte das Kind schnell fortgelegt, sein Gesicht mit einem Tuche bedeckt und sich darauf von ihm toten lassen.

»Er sagte:

»›Ich wußte längst, daß sie nicht bei mir bleiben würde, sie hatte es mir längst gesagt und ich hatte ihr gesagt, daß ich sie alsdann töten würde. Damals trug ich es in mir wie Himmel und Hölle zugleich; jetzt bin ich ruhig, jetzt haben wir beide Frieden.‹

»Ich fragte ihn, was er beginnen wollte.

»›Ich gehe in die Volskerberge unter die Briganten. Was soll ich anderes thun? Mich selbst angeben? Ich will leben bleiben, wäre es auch nur, um an die Dionizia zu denken und daß ich von ihr geküßt worden bin.‹

»Ach, was sollte ich beginnen, ich, seine arme, hilflose Schwester?

»Auf ewig von ihm Abschied nehmen, ihn für ewig ziehen lassen.

»Seine letzten Worte waren:

»›Laß das Kind niemals erfahren, was seine Mutter gewesen. Bleibe ich am Leben, so komme ich wieder und hole es.‹

»Er ist nicht wieder gekommen.

»Dionizia Baldi aber ward von den Künstlern zu Grabe getragen, als wäre sie eine Königin, und halb Rom ist ihrer Leiche gefolgt.«

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