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II.

Am Abend des Tages, da ich vom Klostergarten aus dem Aufgang der Sonne zugeschaut und dem Hochwürdigen gebeichtet hatte, fehlte der gehorsame Bruder Eustachius. Der Bruder Pförtner berichtete: Jener habe zur gewöhnlichen Stunde seines Ausgangs das Kloster verlassen, sei indessen nicht wie sonst kurz vor dem Ave zurückgekehrt.

Nun war es der erste Sabbath im Mai, an welchem Tage der Gehorsame in der Kirche des heiligen Engels den Juden über die Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu predigen hatte; also gebot der Hochwürdige mir und noch einem Bruder: wir sollten uns in die neunte Region nach dem Bogen der Oktavia begeben und daselbst dem Gehorsamen nachforschen. Wir machten uns denn auch in Eile auf den Weg, kamen an und vernahmen von dem Küster, daß der Bruder Eustachius dagewesen und den Juden die Predigt gehalten und zwar mit solcher Beredsamkeit und solchem heiligen Eifer, wie es bis dahin noch niemals geschehen. Darauf war der Bruder gegangen, ohne, wie sonst, sein Gebet vor dem Hochaltar verrichtet zu haben. Er hatte aber mit dem Küster gesprochen, und war so heiter und guter Dinge gewesen wie niemals zuvor.

Nach diesen Nachrichten besprach ich mich mit meinem Gefährten, welcher der Ansicht war, daß wir bei unserer Rückkehr den Bruder im Kloster finden würden. Es wäre ihm wohl etwas Ungewöhnliches begegnet, und dadurch seine Heimkehr verzögert worden. Aber in mir erwachte plötzlich eine große Angst: also, daß ich den Bruder zur schleunigen Rückkehr antrieb; hätte meine geistliche Würde es gestattet, ich wäre am liebsten nach der Velia gelaufen.

Wir schlugen wiederum den kürzesten Weg ein: über den montanarischen Platz und durch die Via della Consolazione. In der Mitte dieser Straße, dort, woselbst es nach dem kapitolinischen Hügel abgeht, war ein Zusammenlauf, Gedränge und Geschrei, wie dergleichen in Rom überaus häufig ist; bald um gar nichts: um einen toten Hund – oder Juden – bald um einen erschlagenen Menschen. Da nun einem Diener des Herrn keinerlei weltliche Neugier geziemt, unsere Gedanken auf anderes standen, wir auch in Eile waren, so wollten wir unsern Weg zum Forum fortsetzen, ohne dem Lärm nachzufragen. Aber da wir uns dem Haufen näherten, schrieen etliche:

»Dort kommen Franziskaner!«

Und alsbald hatten wir die ganze Menge über uns.. Sie schrieen auf uns ein, wobei sie unter heftigen Geberden nach dem Berge deuteten. Mein Gefährte verstand zuerst, was sie zeterten und sagte:

»Sie schreien: die Rupe Tarpeja habe sich ein Mönch herabgestürzt. Es sei ein Franziskaner.«

Ich wußte sogleich, wer das Gräßliche an sich begangen, erbebte bis in mein Innerstes und rief:

»Laß uns hingehen und schauen, ob wir ihn kennen.«

Wir gingen, und alles Volk, dem das Geschehnis ein großes Gaudium war, folgte uns. Ich wußte zu jener Zeit noch nicht, daß das römische Volk jeden Mönch und Diener Gottes von Herzen verachtet, wenn es sich auch vor jeder Kutte neigt und jedem Schwarzrock in Demut die Hand küßt.

Man wies uns unter großem Geschrei den Weg: durch ein Haus am Abhang des Hügels, in einen Hof hinein, der mit mächtigen alten Römersteinen gepflastert war und an eine jähe und hohe Felsenwand stieß. Von der Höhe rankten sich blühende Rosen und Eppich fast bis auf den Boden hernieder und ward sogleich von mir erkannt, daß droben jener schöne, friedliche Platz gelegen sei, an welchen der Himmel und der Bruder Eustachius an mir das Werk der Bekehrung vollbracht hatten.

Er aber, den wir suchten, lag vor uns: tot, mit zerschmetterten Gliedern.

Sie hatten Licht herbeigeschafft, und ich leuchtete dem Toten ins Gesicht. Dieses war gar nicht entstellt; aber es lag darauf kein Friede, keine Versöhnung, sondern ein solcher Ausdruck von Haß, zugleich von Hohn und Triumph, daß ich voller Entsetzen die Leuchte abwandte, damit die Menge dieses fürchterliche Totenantlitz nicht sähe.

Nun entdeckten sie einen großen weißen Zettel, welcher an einem Strick – dem Gürtel des Mönches – um des Toten Hals hing, und auf dem etwas geschrieben stand. Ohne daß wir es hätten wehren können, riß einer das Schriftstück vom Leichnam hinweg und wollte es lesen. Es war indessen Latein, welches niemand aus der Menge verstand. Nun reichte man mir den Zettel, damit ich denselben dem Volke vorläse, was ich wohl gekonnt hätte; denn der Tote hatte mich unter anderem auch in der lateinischen Sprache unterrichtet. Indessen nachdem ich die Schrift zuerst still für mich gelesen, erklärte ich dem Volk, daß auch ich der fremden Sprache nicht mächtig wäre, zerriß das Papier und steckte die Fetzen unter mein Gewand, in meinen Gürtel.

Da erhob sich ein wüstes Geschrei gegen mich, als ob ich den Toten gemordet. Doch würden sie mich auch gesteinigt haben, ich hätte ihnen die Schrift nicht gedeutet, weniger aus christlichem Eifer und der Kirche willen, als vielmehr um das Andenken des Toten nicht schänden zu lassen.

Nachdem sie genugsam geschrieen hatten, sagte mein Gefährte, daß der Tote zu unserem Kloster gehörte, und wir baten, man möchte uns den Leichnam aufheben lassen und uns helfen, ihn in unser Heiligtum zu schaffen. Zuerst wollten sie weder das eine zugeben, noch das andere thun; letzteres wohl in der Meinung, man würde sie für die geleistete Hilfe nicht zahlen. Nun verhieß mein Gefährte ihnen reichlichen Gotteslohn, von dem sie indessen nicht viel zu halten schienen; doch als der Bruder versprach, für ihre Sünden Fürbitte einzulegen, wollten alle den Leichnam aufheben und tragen und entstand darum beinahe ein Kampf. Eine Frau brachte eiligst ein Linnentuch, in dieses wurde der Tote gelegt, und dasselbe über ihm geschlossen; darauf hob man den Bruder Eustachius auf und trug ihn davon. Es war aber der Platz, an welchem der Mönch so Gräßliches an sich begangen, eine uralte Richtstätte, woselbst man auch die gefangenen Juden aus Jerusalem zu Tode gestürzt hatte.

Mein Gefährte und ich, wir gingen unserem toten Bruder zur Seite. Und wiederum folgten uns viele, weswegen wir mit anhören mußten, was das Volk über den Toten und die Ursache seines Todes unter einander redete.

Es wurden darüber viele Scherz- und Spottreden geführt, die mich wie Faustschläge trafen; denn ich vernahm damals zum erstenmale, wie das Volk über einen Mönch und eines Mönches Leben denkt: als wären beide nichts weniger als christlich oder gar heilig.

Ein Weib rief:

»Vielleicht ist ihm sein Liebchen ungetreu geworden.«

Eine andere:

»Oder er hat diejenige, mit welcher er eifrig betete, und welcher er fleißig die Beichte abhörte, voller Tugend befunden.«

Und eine dritte:

»Oder ein Vater hat dem Mönch sein frisches Töchterlein nicht gegönnt und deswegen bei seinem Abt Anzeige erstattet.«

Die Männer riefen:

»Um solcher Dinge willen wirft sich in Rom kein Mönch den tarpejischen Felsen hinunter. Bekommt ein Mönch nicht die eine, so nimmt er die andere, oder er nimmt sie beide zugleich. Sein Abt gönnt es ihm, und er weiß auch, warum.«

Da lachten alle.

Ich hielt jedoch nicht länger an mich. Und auf dem Platz, wo der Römer Markus Antonius seinem Freunde, dem ermordeten Feldherrn Julius Cäsar, die Leichenrede gesprochen, sprach ich zum römischen Volk für den Bruder Eustachius. Und ich fragte die Römer: ob sie nicht wüßten, daß ein Mönch dem Himmel Gelübde ablege, und welche diese seien?

Ich sprach zum erstenmale in solcher Weise und redete in heftiger Bewegung. Aber sie lachten darüber wie über ein lächerliches Komödienspiel, verspotteten und verhöhnten mich, und die Männer riefen:

»Ein keuscher Mönch! Wer will einen keuschen Mönch sehen? Seht den keuschen Mönch!«

Die Frauen meinten jedoch:

»Ei, der ist es wohl noch!«

Darauf drängten sich etliche Weiber zu mir und forderten von mir, ihnen Glücksnummern für die Tombola zu sagen. Da ich dieses nicht wollte, rissen sie mich an meinem Gewande, beschimpften mich und schrieen: Ich wäre ein Schelm, ein rechter Heuchler und Bösewicht.

Das war das Grabgeleite, welches der Bruder Eustachius bekam.

Sie trugen ihn ins Kloster, woselbst ein großer Aufruhr entstand, und Mönche und Volk durcheinander schrieen.

Als die Menge endlich aus dem Heiligtum gesperrt war, wollten die Mönche den Leichnam ihres Bruders in die Klosterkirche bringen; aber der hochwürdige Abt gebot, daß man ihn, der sich selbst um das Leben gebracht, auf den Hof niederlege, unter dem freien Himmel. Dieses wäre nun wahrlich nicht das Schlimmste gewesen, was dem Toten hätte geschehen können; indessen etwas in mir schrie dagegen. Ich trat also zu dem Hochwürdigen heran und sagte mit unterdrückter Stimme, demütigen Tones:

»Hochwürdiger Vater, ich bitte Euch, lasset den Leichnam des Bruders Eustachius in der Kirche niederlegen. Denn wisset: es hat der Bruder vor seinem Ende aufgeschrieben, weswegen er solche Todsünde begehe; und er hat die Schrift um seinen Nacken gehängt, wie man es ehedem mit Missethätern machte, auf daß jedermann lesen konnte, welchen Verbrechens wegen sie gerichtet wurden. Diejenigen nun, die den Toten gefunden, begehrten von mir, ich sollte ihnen die lateinische Schrift lesen, was ich nicht gethan habe; sondern ich habe die Schrift in Stücke zerrissen.«

Das lobte der Hochwürdige; aber ich sagte in aller Demut:

»Ich bitte Euch, hochwürdiger Vater, befehlt, daß die Brüder den Toten in die Kirche tragen, wie es geschehen sein würde, wäre er eines christlichen Todes gestorben. Was der Bruder Eustachius wie ein Missethäter sich um den Hals gehängt, ehe er den Todessprung gethan, habe ich zerrissen zu mir gesteckt und werde es Euch, hochwürdiger Vater, nach meiner Pflicht übergeben, auf daß Ihr damit thut, wie es recht und christlich ist. Zuvor aber lasset – darum bitte ich Euch herzlich – den Bruder Eustachius in die Kirche schaffen.«

Der Hochwürdige wandte sich von mir ab, und – der Leichnam wurde in die Kirche getragen und daselbst vor dem Hochaltar niedergelegt. Darauf brachten die Brüder hohe schwarze Holzkandelaber herbei, von denen jeder mit einem gemalten Totenkopf verziert war. Diese Leuchter stellten sie im Kreise um den Toten auf, steckten Kerzen an, desgleichen vielen Weihrauch und begannen alsdann im Chor die Totengebete. Ich saß dabei, bewegte meine Lippen und blickte über das Buch hinweg auf den Leichnam und konnte von meinem Platze aus deutlich das Antlitz erkennen, mit seiner unsäglich furchtbaren Miene von Hohn und Trotz, welche der rote Kerzenschein beleuchtete. Und ich mußte denken:

»Da beten und singen wir nun für Deine arme Seele, Bruder Eustachius. Es mag ja auch sein, daß Gott Dir gnädig und barmherzig ist – eben um Deines großen Gehorsams willen! Wie aber kann Dir vergeben werden, wenn Du einstmals mit solchem Antlitz auferstehst und vor den Richter trittst? Weißt Du denn nicht, daß Dein Antlitz Gott anklagt, als wäre Gott Dein Verderber und Mörder gewesen; derselbe Gott, o Bruder Eustachius, dessen Kirche Du solchen Gehorsam geleistet?«

Alsdann gingen alle und ich blieb und hielt die Totenwache.

Es war aber der erste Gestorbene, welchen ich in meinem Leben gesehen, und nun dieser Tote, dieser Tote mit diesem Antlitz! – Ich ging und holte eine Decke, die breitete ich über den Leichnam. Alsdann kniete ich vor ihm nieder und begann Gebete abzusprechen: alles, was ich wußte, was Bruder Eustachius mich gelehrt hatte. Dabei schaute ich immerfort auf das bedeckte Antlitz, bis es unter dem Teppich sich zu regen schien, und ich denselben abhob. Nun fuhr ich fort zu beten und blickte dabei das böse, höhnische, triumphirende Totengesicht an. Aber meine Seele war nicht bei den heiligen Worten, die ich meine Lippen sprechen ließ, sondern ich mußte wiederum denken:

»Da liegst Du nun, Eustachius! Da warst Du nun ein Christ und Priester Gottes. Und Du hattest auf Erden das Leiden der Welt, und hattest auf Erden die Hoffnung auf die Gnade des Himmels und auf des Himmels Lohn, und warst ein gehorsamer Diener des Herrn. Und da liegst Du nun! Wahrlich, Dir wäre besser, Du könntest so liegen bleiben: so liegen bleiben in alle Ewigkeit, als daß Du auferständest mit solchem Angesicht für alle Ewigkeit. Ach, Bruder Eustachius, daß Du nun so daliegst, das hat allein Dein Gehorsam an Dir vollbracht.«

Könnte auch ein jüdischer Priester durch seinen Gehorsam gegen Gott dahin kommen, so daliegen zu müssen?

Nein!

Und es ist doch der Gott der Juden ein gestrenger und furchtbarer Gott, ein Gott des Zorns und der Strafe, kein Gott der Liebe und Barmherzigkeit.

Aber kein jüdischer Diener Gottes könnte, seines Gehorsams willen, mit solchen: Antlitz in die Ewigkeit eingehen, die für ihn der ewige Tod, oder, nach der Meinung der Christen, die ewige Verdammnis ist.

Nun erhob ich mich, holte die Fetzen des zerrissenen Schriftstücks aus meinem Gewande hervor, glättete sie und paßte die Teile aneinander. Alsdann legte ich sie wieder auf die Brust des Toten, stellte mich davor und las die fremden Worte mit lauter Stimme ab, daß es schaurig durch die Wölbungen der Kirche klang:

»Nach dem Tode des Bruders Bartolomeo, den ich auf Geheiß des Abtes der Kirche zugeführt, ward mir, dem Franziskanermönch Eustachius, geboten, den jüdischen Jüngling Dahiel Sarfadi zum Christentum zu bekehren und der Kirche zuzuführen, was ich auch beides vollbracht habe. Dieser schändlichen Thaten willen, und damit ich nicht zum drittenmale solchen christlichen Gehorsam leisten muß, verurteile ich mich selber zum Tode.

»Ich vollziehe dieses Urteil an mir, ohne vorher kommunizirt und gebeichtet zu haben, sterbe demnach eines unbußfertigen Todes.

»Also enden möge jeder, welcher der Kirche Christi Gehorsam leistet, wie ich gethan.

»Amen!«

Diese fürchterliche Schrift las ich immerfort mit lauter Stimme ab, als ob es eines meiner Gebete wäre, hielt auch dabei die Hände gefaltet. Plötzlich vernahm ich hinter mir die Stimme des hochwürdigen Abtes:

»Bruder Angelikus, welche Gotteslästerungen betest Du da?«

Ich wandte mich um nach dem Hochwürdigen, grüßte ihn mit Ehrfurcht und erwiderte voller Demut:

»Ich lese, was der Bruder Eustachius auf dem Herzen hat.«

Da wurde der Hochwürdige bleich, wie der Tote nicht bleicher war, trat hinzu, riß die Schrift von dem Leichnam fort, verbrannte die Stücke an einer der Kerzen, nahm die Asche und streute sie über den Gestorbenen, dabei sprechend:

»Wie ich diese Asche auf Deinen Leichnam werfe, also schleudere ich auf Deine, in Schuld und Sünden dahin gefahrene Seele den Fluch, der Dich scheidet von der Gnade Gottes und Dich übergibt ewiger Verdammnis.«

So ward denn dem Christen und Mönch das nämliche zu teil, was, der christlichen Kirche nach, allen Juden zu teil werden sollte. Nun mußte ich aber denken, daß der Bruder Eustachius gar nichts anderes für sich gewünscht hatte; sprach er doch in seiner Todesschrift aus, daß er sterben wolle, ohne sich mit seinem Gott versöhnt zu haben, sich gewissermaßen seines unbußfertigen Todes freuend. Da aber demnach der Bruder Eustachius für seinen Leib die Qualen ewiger Verdammnis erwartete, so erschien mir sein freiwillig unbußfertiger Tod als ein Ding, das über eines gläubigen Menschen Kräfte geht.

Als der Tag anbrach, wurde Bruder Eustachius bestattet – eingegraben! Nicht auf dem Kirchhof der Mönche, sondern im Vorhof des Klosters, an der Mauer unter Disteln und Nesseln. Es war dies aber der nämliche Platz, an welchem mein Vater und meine Mutter gestanden und zum letztenmale zu ihrem Sohn gesprochen hatten.

Ach, gern hätte ich mich auf dem Grabe niedergeworfen, entblößten Leibes, mitten unter die Dornen und Nesselgewächse und hätte mich nackten Leibes in den Disteln und Nesseln gewälzt, hätte ich dadurch die Seele des Bruders Eustachius vor der Strafe retten können, welcher er für seinen Gehorsam verfallen.

Als ich am Begräbnistage gemeinsam mit den Vätern und Brüdern den Leib des Herrn empfing und aus dem Kelche auch für mich getrunken ward, da faßte mich Grausen, gedenkend des göttlichen Blutes, darein der Wein sich verwandelte: es war Blut, das die Juden vergossen! Es floß immer noch, und ich genoß davon, ich, der ich doch ein Jude gewesen!

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