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I.

In der ersten Nacht meines Christentums hat dieses sich ereignet:

Ich habe gewacht und in der Klosterkirche gebetet; darauf bin ich aufgestanden, um mich in meine Zelle zu begeben, wobei ich an dem Gemach des Abtes vorbei mußte. Nun war es nach der Hora, welche um die Mitternacht in der Klosterkirche abgebetet und abgesungen wird, und um die Zeit, da die Väter und Brüder eine Weile auf ihren harten Lagerstätten ruhen dürfen. Wie ich aber im Dunkeln den Gang hinaufgehe, gewahre ich einen Lichtschein, welcher durch die Thüre der Zelle des Abtes in die Finsternis hineinleuchtet; zugleich vernehme ich Stimmen, die ich als die des hochwürdigen Abtes und meines lieben Bruders Eustachius erkenne. Diese beiden reden laut und beinahe zornig mit einander, wie im Streit, und als wenn der Bruder Eustachius einem Gebote des Abtes den Gehorsam verweigere.

Ich wußte es bereits, daß der Gehorsam das allervornehmste Gebot eines Dieners des Herrn und Knechtes der Kirche sei. Auch war der Bruder Eustachius mir lieb geworden und lieber; nicht allein der großen Dinge willen, die er an mir begangen, sondern weil ich eben nicht anders konnte, als ihm von Herzen zugethan zu sein.

Ich bleibe also stehen – wahrlich nur aus Schrecken und Angst um den guten Bruder – und höre nun mit an, was die beiden in der Stille der Nacht und an einem solchen heiligen Ort so laut miteinander zu reden haben.

Sie sprechen von den Juden und von den christlichen Judenpredigten in den beiden Kirchen San Benedetto alla Regola, und Sant' Angelo in Pescaria.

Sie nennen meinen Namen.

Sie reden davon, daß Bruder Eustachius auf Befehl des hochwürdigen Abtes in das Haus meiner Eltern gekommen: nicht um meine jüdische Seele zu retten, sondern weil ich mit einer so überaus wohlklingenden Stimme begabt war.

Mein Gesang sollte dem Kloster zum Ruhm gereichen.

Deswegen war ich Christ geworden, deswegen hatte ich meinen Glauben abgeschworen, deswegen die Herzen meiner Eltern zermalmt.

Aber ich konnte als Christ und christlicher Priester für meine in Ewigkeit verdammten jüdischen Eltern bitten, ich konnte meine in Ewigkeit verdammten jüdischen Eltern losbitten; nicht allein sie, sondern auch Myrrha, auch Mose und viele vom Volke der Juden.

Deswegen war ich Christ geworden.

Da vernahm ich aus den undemütigen Worten, die der Bruder Eustachius gegen den Abt führte – –

Gott, ewiger Gott, was mußte dein Knecht erfahren! Ich stand, hörte und meine armen Sinne wirbelten durcheinander, als wären sie dürre Halme, in die hinein der Wind fährt.

Ich mußte aber jedes Wort anhören; denn ich konnte mich nicht von der Stelle rühren, konnte auch nicht rufen, nicht aufschreien:

»Hier draußen stehe ich, der Bruder Angelikus! Schweigt! Um Gottes Barmherzigkeit willen schweigt!«

Ich blieb also stumm und hörte! und war mir's dabei, als sähe ich eine unirdische Gestalt. Diese däuchte mich zuerst unsäglich herrlich. Ich wußte nicht, war es die Gottheit selbst, oder war es die Kirche dieser Gottheit. Indessen mit jedem Worte, welches ich hören mußte, fiel von jenem erhabenen Geiste ein Stück Majestät ab; bis ich zuletzt etwas erblickte, was scheußlich und gänzlich ungöttlich war. Und mit jedem Worte, welches ich hören mußte, fiel ab von mir ein Stück meiner Menschheit, bis ich das Geschöpf jenes Wesens geworden, von dem ich geglaubt hatte, daß es die Gottheit selber wäre.

Ich kann es auch jetzt nicht sagen, wie dieses alles damals gewesen ist; doch vermeinte ich alles deutlich vor mir zu erblicken, während die beiden miteinander sprachen, und ich draußen im Finstern stand und ihnen zuhörte. Ich fühlte mich von Grausen gepackt und meinen Leib von Schauern überlaufen, als wälzte man auf meinen lebendigen Menschen einen Leichnam.

Darauf ward es drinnen still, und ich sah die Thüre der Abtszelle vollends aufgehen und in dem breiten Schein, der aus dem Zimmer drang, den Bruder Eustachius auf der Schwelle stehen, mir gerade gegenüber; also, daß ich ihn beinahe berührte. Indessen er sah mich nicht, trat heraus, schloß die Thüre hinter sich und schritt an mir vorüber den Gang entlang seiner Zelle zu. Ich vernahm, wie er häufig stehen blieb und vor sich hin redete, gleich einem, der um seinen Verstand gekommen.

Ich aber hatte den meinen noch.

Nun ward alles still, nun blieb alles still.

Ich hätte jetzt gehen können, zurück zum Gebet in die Kirche, oder in meine Zelle. Ich hätte als neuer Christ Gott von neuem loben und preisen können, um des Wunders willen, das er an mir gethan.

Ich hätte ihn ohne Unterlaß anrufen können: »Barmherziger Gott, gnädiger Gott, allgütiger Gott!« Ich hätte so vielerlei fromme Dinge begehen können; als Christ sowohl, wie als Mönch, von jener Stunde an mein ganzes Leben lang, um alsdann im Herrn zu sterben: Selig sind die Toten, denn sie haben das Auferstehen und das ewige Leben.

Denn ich, der Christ, ich würde trotz allem, was ich mit angehört hatte, das ewige Leben erhalten können.

Ich allein – –

An alle diese Dinge dachte ich, auf dem dunklen Gange stehend, dicht an die Wand gedrückt. Ach, ich stand in solcher Finsternis, aber durch den Spalt der Thüre drang ein Lichtstrahl hervor. Auf diesen blickte ich unverwandt, immerfort an jene christliche Lehre denkend, und rührte mich nicht vom Fleck, als ob dadurch, daß ich die helle Stelle anstarrte, in die tiefe Nacht meines Elends ein Hoffnungsstrahl fallen könnte.

Der hochwürdige Abt wachte noch.

Ich hatte es gewiß nicht thun wollen; jedoch plötzlich hatte ich die Thüre aufgestoßen, war eingetreten und an der Schwelle stehen geblieben.

Der hochwürdige Abt saß am Tische, das Antlitz mir zugewendet. Ich sah indessen sowohl den Abt als das ganze Gemach in einem hellen Dunst, gleichsam durch Nebel, und hörte die Stimme des Abtes wie aus der Ferne.

Es sagte der Hochwürdige:

»Du bist es, Bruder Angelikus! Was begehrst Du noch so spät von mir?«

Was sollte ich nun wohl von dem hochwürdigen Abt begehren?

Meinen christlichen Glauben.

Und die Gnade, die Barmherzigkeit, die Allgüte Gottes.

Nicht allein für mich, sondern auch für alle diejenigen, für die sie mir verheißen worden.

Ich begab mich nicht von der Thüre hinweg und erwiderte dem Hochwürdigen demütig:

»Was muß ich thun, um von meinen Eltern und von denen, die mir lieb sind auf Erden, sowie von vielen des jüdischen Volkes den Fluch ewiger Verdammnis zu nehmen? Christ bin ich geworden, Mönch auch, und Priester werde ich. Aber an diesem allen soll es ja wohl nicht genug sein.«

Ich gewahrte durch den Nebel, der sich immer dichter um meine Augen legte, wie der Abt von seinem Sitze in die Höhe fuhr und starren Blickes auf mich schaute, ebenso wie ich auf ihn. Es war lange Zeit stille in dem Gemache, alsdann rief der Hochwürdige zornig:

»Bruder Angelikus, Du hast gehorcht.«

Ich entgegnete voller Demut:

»Ich habe gehört, daß meine Eltern und alle Juden verdammt sind und verdammt bleiben, trotzdem ich um ihretwillen ein Christ und Mönch geworden. Da indessen Gott barmherzig und gnädig und allgütig ist, so werdet Ihr, hochwürdiger Vater, mir gewißlich sagen können, wie ich jene durch Gottes Gnade, Barmherzigkeit und Allgüte erlösen kann von ihrer ewigen Verdammnis. Ich flehe Euch an, sagt es mir!«

Und der Hochwürdige sagte es mir:

»Du kannst die Juden erlösen, wenn Du die Juden zum Christentum bekehrst.«

»Durch anderes nicht?«

»Nein!«

»Wenn mein Vater und meine Mutter und sie, die ich sonst liebe, und die anderen Juden sich nicht zum Christentum bekehren, so bleiben sie verdammt in Ewigkeit? Sagt es mir!«

Und der Hochwürdige sagte mir auch dieses noch:

»Nur ein Christ kann der ewigen Seligkeit teilhaftig werden.«

»Nur ein Christ!«

»Also, mein Sohn – bekehre Du Juden.«

»Ich danke Euch, hochwürdiger Vater.«

»Bekehre Du Juden und Gott wird an Dir Wohlgefallen haben.«

»Gott ist barmherzig und gnädig, und seine Güte währet ewiglich.«

Ich sagte es, wie man mich gelehrt hatte, es zu sagen: in feierlichem und starkem Ton; alsdann wandte ich mich zum Gehen. Indessen der Abt rief mich hin zu sich.

Ich ging zu ihm.

»Empfange den Segen des Herrn.«

Und der Abt segnete mich.

Ich ließ mich segnen, ging langsam zur Thüre, blieb stehen.

Der Hochwürdige fragte mich väterlich:

»Was beschwert sonst noch Deine Seele, lieber Sohn?«

Aber meine Seele beschwerte sonst nichts mehr. Ich hatte mich von dem Hochwürdigen segnen lassen, ich grüßte den Hochwürdigen, ich ging hinaus und in meine Zelle.

Wenn ich die Juden bekehrte, würden die Juden selig werden – –

Aber ich würde die Juden nicht bekehren. Alsdann würden die Juden verdammt bleiben.

Es würden verdammt bleiben: mein Vater, meine Mutter, Mose, Myrrha! Und ich, der Christ, der Mönch, der Priester, ich konnte ihre Verdammnis nicht teilen, denn:

Für mich war Gott ein gnädiger, barmherziger, allgütiger Gott.

Für mich allein!

*

Als der Tag graute, stand ich auf, hielt meine Andacht, las meine Gebete, that alles, wie es mir vorgeschrieben und befohlen war, und begab mich darauf hinaus in den Klostergarten, unter die beiden Palmen.

Das war gar feierlich! Nämlich wie an dem blassen Himmel die Sterne verlöschten, und um mich die Blumen mit ihren bunten Blüten aus dem Dämmer auftauchten. Das flavische Amphitheater lag da gleich dem Altar eines Riesengeschlechtes, wie zu einem Opfer mit Laub und Blumen überschüttet, und mochten die Nebelwolken, die das Colosseum von allen Seiten umdampften, den Weihrauch bedeuten.

Aufmerksam schaute ich zu, wie der Tag sich lichtete, und hörte dabei auf den Vogelsang, der aus allen Büschen und Bäumen ertönte, daß es war, als jubilirten die Blätter und Blüten. Aber da die Sonne aufging, ward es für eine kleine Weile still. Und ich stand in dem hehren Schweigen und blickte dem himmlischen Glanze entgegen.

Da vernahm ich, wie jemand den Gang vom Kloster gewandelt kam, einer der Brüder. Die Schritte des Mönches waren langsam, wie von einem Kranken oder Todmüden. Daran erkannte ich ihn. An meiner Seite blieb er stehen. Ich wandte mich nicht um nach ihm, begrüßte ihn aber:

»Gott segne Dich, Du gehorsamer Diener des Herrn!«

Der also von mir Gegrüßte seufzte tief auf, erwiderte indessen nichts. Immerfort in die aufsteigende Sonne blickend, sprach ich weiter, mit ganz ruhiger Stimme:

»Eustachius, gib mir meinen Vater und meine Mutter wieder.«

Er antwortete:

»Ich kann nicht.«

»Eustachius, gib mir meinen Freund und meine Geliebte wieder.«

»Ich kann nicht.«

»Eustachius, gib mir meinen Glauben und meinen Gott wieder! Eustachius, gib mir meine Jugend, meine Seele, meine Reinheit wieder; denn Du hast mir alles genommen.«

»Alles! Aber zurückgeben kann ich Dir nichts!«

»Nein, nichts – –«

Ich stand immer noch, und wandte kein Auge von dem Himmelslichte, welches in aller seiner Pracht auf dem Felsenhaupte des Berges Albanus hervorzuflammen schien. Und sangen alle die Vöglein wieder. Es war wie ein Lobpreisen des göttlichen Tages, welcher doch so viel des Jammers bescheint.

Ich glaubte, der Gehorsame sei bereits wieder gegangen, als ich mich von ihm anrufen hörte:

»Dahiel! Dahiel!«

Nun ließ ich meine Augen von der Sonne. Aber ich war geblendet; also, daß ich dort, wo der Mönch stand, nur einen dunklen purpurfarbenen Glanz sah. Vielleicht, daß, hätte ich ihm in jenem Augenblick ins Gesicht geschaut, das Schreckliche, das geschehen sollte, ungeschehen geblieben wäre; wenigstens wäre er nicht ohne meine Vergebung ein ungehorsamer Diener seines Gottes geworden. So aber entgegnete ich ihm auf seinen schmerzlichen Ruf:

»Wen rufst Du mit diesem Namen? Ich bin der Bruder Angelikus.«

*

Damit und ohne ihn noch ein einzigesmal anzusehen, ging ich hinweg, schaute mich auch nicht um nach ihm, den ich zum letztenmal als atmenden Menschen erblickt haben sollte.

Langsamen Schrittes wandelte ich durch den Garten und pflückte Blumen, so viel ich deren tragen konnte: damit begab ich mich in die Klosterkirche vor das Bild der schmerzensreichen Mutter, welches ich ringsum mit Blüten besteckte. Ach, ich wußte noch eine andere Mutter, die ein Schwert im Herzen trug, Es war allerdings eine Jüdin.

Wiederum wußte ich nicht aus noch ein.

Denn zu allem diesem übergroßen Leid kam mir obenein die Erkenntnis, daß ich zwar ein Christ sei, jedoch ein schlechter und falscher Christ; indem das Christentum als solches mir sehr wenig galt, sondern nur als ein Mittel, um für mich und die Meinen das Auferstehen und das ewige Leben zu erlangen. Ja, wenn ich recht in mich ging, so mußte ich erkennen, daß mich weniger das Mitleid für die Juden, weniger die Liebe zu meinen Eltern, als vielmehr meine Leidenschaft für das junge Weib zum Christentum gebracht hatte, damit ich dermaleinst mit Myrrha selig würde.

Das sollte nun nicht sein.

Denn, wenn auch Myrrha die Tochter eines Christen war, so mußte ich sie doch als eine Jüdin ansehen, wohl gar als etwas noch Schlimmeres: als eine rechte Heidin! Nun wäre die Bekehrung einer Heidin in Wahrheit eine christliche That gewesen. Aber auch um eine Heidin bekehren zu können, bedurfte es des wahren Christentums und des wahren Glaubens, was ich beides noch nicht besaß, oder hatte ich es gehabt, so war es mir bereits wieder genommen worden.

Also glauben!

Alles glauben!

Ein Christ sein: nicht um des Lohnes willen, sondern aus innerstem Herzensdrang, aus tiefster Ueberzeugung – aus Glauben.

Gott und der Kirche nicht aus Gehorsam Gehorsam leisten, sondern – eben aus heiligstem Glauben!

Ich mußte den Glauben haben.

Alsdann würde ich die Heidin Myrrha bekehren können; alsdann vielleicht auch – –

Nur mußte ich glauben, glauben!

*

Da ich erst am vergangenen Tage Christ geworden, in der nämlichen Stunde bereits die ersten Weihen empfangen, so hatte ich nicht sogleich, wie es sonst Brauch ist, mit den übrigen Geweihten an der heiligen Kommunion teilgenommen, sondern ich sollte einen Tag später zum erstenmale als junger Christ beichten, um darauf in der Klosterkirche gemeinsam mit sämtlichen Brüdern und Vätern den Leib des Heilands zu genießen. In Anbetracht dieses erhabenen Ereignisses hätte der Zustand meines Geistes, hätte meine Zerknirschung, zugleich aber auch meine Wonne über alle Maßen groß sein müssen. Als ich mich indessen im Beichtstuhl befand und dem Hochwürdigen selber meine Sünden bekannte, war ich in einer solchen Dumpfheit und Stumpfheit, daß ich ohne Thränen und Verzweiflung, gleichsam in vollem Gleichmut das Geständnis that:

»Ich bekenne, daß ich nicht glaube.«

Nun hatte ich vor kaum vierundzwanzig Stunden öffentlich das christliche Glaubensbekenntnis abgelegt, war darauf sogleich getauft, gefirmelt und geweiht worden, hatte darauf sogleich der Welt entsagt und mich dem Himmel angelobt, vermeinte also nichts anderes, als daß sich jetzt etwas Schreckliches mit mir begeben würde, ich auch nimmermehr zur Vereinigung mit dem Herrn konnte zugelassen werden. Doch es geschah nichts dergleichen. Der Hochwürdige ließ es daran genug sein, mich väterlich zu ermahnen, mir streng ins Gewissen zu reden und mir im übrigen eine gelinde Pönitenz aufzuerlegen. Alsdann absolvirte er mich. Ich hätte nun leichteren Herzens werden können, wurde jedoch jählings von einer noch tieferen Traurigkeit und Ermattung aller Sinne befallen; also, daß ich mir zu jener Stunde den Tod wünschte, auch diesen erlangt haben würde, wenn nicht immerfort etwas in mir geschrieen hätte:

»Du mußt glauben, glauben, glauben!«

So blieb ich denn leben.

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