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X.

Ich war bereits dermaßen wieder bei Kräften, daß ich im Hause und im Freien umhergehen konnte, allerdings nur langsam und von einem starken Arm gestützt. Sora Filomela wollte auf diesen Gängen mein Stab sein, doch ich bat ihre Nichte um solchen Liebesdienst. So wandelten wir denn in den herrlichen Herbsttagen vielfach durch die Vigna, meistens zu zweien; denn es waren die schönen Tage der Weinlese und Sora Filomela hatte nach ihren Winzern zu schauen. Auch wir thaten die festliche und fröhliche Arbeit gern mit, suchten eifrig nach den herrlichsten Früchten, die wir sorgsam abnahmen, in kleinen Körben zu einer besonderen Kufe trugen und besonders keltern ließen.

Es ist nicht zu sagen, von welchem Glanz und welcher Freudigkeit in jenen Tagen die Welt war, sowohl die Natur als die Herzen der Menschen.

Rings um die Vigna der Sora Filomela, die, wie bereits berichtet, am Berge Mario unterhalb der Villa Madama liegt, erstrecken sich die reichsten Weingärten, woselbst in jenen wonnigen Tagen überall geerntet wurde. Von einem Felde zum andern ertönten Gesänge und quollen aus den Reben die Lieder der Winzer, wie aus den Büschen die Stimmen der Vögel. Dazwischen ertönten die rasselnden Tambourins und überall dort, wo diese heidnische Musika die Gemüter allzu heftig bewegte, begannen Winzer und Winzerinnen ohne weiteres den wilden Saltarello aufzuführen, wobei manche das schwere Gefäß voll Trauben, das sie gerade trugen, gar nicht vom Kopfe herabnahmen. Wollte aber einer von ihnen seine besondere Kunst zeigen, so sprang und drehte er sich, hüpfend und wirbelnd, beide Arme gegen die Hüfte gestemmt.

Nachmittags wanderten unter Spiel und Gesang viele Römer aus der Stadt in die Weinberge ihrer Freunde und Verwandten, Mädchen und Frauen bunt aufgeputzt. Oder sie kamen angezogen auf Ochsenkarren, welche grüne Gewinde, mit bunten Bändern durchflochten, bekränzten. So festlich und fröhlich sah man es auf allen Wegen zwischen den Hecken und Rohrfeldern heranwimmeln. Bevor es nur recht Nacht geworden, flogen sausend die Raketen auf, sich hoch in der Luft in einem Feuerregen entladend, stiegen gewaltige Strahlensäulen und Feuergarben, kreisten Sonnen, Monde und Sterne; und die griechischen Lichter überfluteten die bewaldeten Hügel, die heiteren Rebenfelder und den öden Strand des nahen Tiberstromes, bald mit blauem und grünem, bald mit roten: und weißem Glanze. Oder es schien der Berg sich zu öffnen und unter donnerähnlichem Krachen Flammen auszuspeien.

Wir schauten alles, hörten das Freudengeschrei, die Gesänge und die Musik, und ich konnte mir nicht verwehren, mich von Herzen darüber zu erfreuen und zu erquicken, daß bei so vielem Leid auf der Welt immer noch so viele Freude unter den Menschen war. Und ich dankte Gott dafür; denn es erschien mir als eine große Barmherzigkeit des Schöpfers gegen seine Geschöpfe.

Ich äußerte von meinen Empfindungen einiges zu Clelia; diese jedoch stimmte mir nickt bei und bezeigte mehr und mehr eine tiefe Unlust, ja einen Widerwillen gegen das Leben, was sie jedoch ohne jede Bitterkeit aussprach, mit einer Gelassenheit, als sei von den geringfügigsten Trugen die Rede. Sonst erfuhr ich nichts von den:, was in ihrer Seele vorging, vermochte es mir auch nicht zu denken. Unser Verkehr mit einander war überaus friedlicher Art, ruhig und liebreich.

Den größten Teil des Tages und des Abends brachten wir in dem Rebengange zu, woselbst Sora Filomela sich häufig zu uns gesellte und uns mit diesem und jenem zu unterhalten und aufzuheitern pflegte, gewöhnlich mit einem Geschichtchen aus der Vigna oder von den lieben Nachbarn, mit denen die wackere Frau übrigens unseretwegen allen Verkehr abgebrochen hatte. Geriet die Treffliche ins Plaudern, so setzte sich Clelia auf einen Schemel, hielt die Hände im Schoß und schaute abwesenden Geistes vor sich nieder. Sprach ihre Tante sie einmal unvermutet an, so fuhr sie erschrocken zusammen und erwiderte verworren.

Einmal saß sie auch so da, am Boden kauernd, Sora Filomela wurde abberufen und Clelia begann mich zum erstenmal nach allerlei Dingen aus meinem Leben zu fragen: ob meine Eltern noch lebten, ob ich Geschwister hätte und ob ich jemals ein Mädchen lieb gehabt. Ich antwortete ihr gelassen: Meine Eltern wären Juden, die im römischen Ghetto lebten, ich sei meiner Eltern einziger Sohn und hätte als Jude ein jüdisches Mädchen lieb gehabt. Sie war totenblaß geworden, schaute mir mit namenloser Trauer steif in die Augen und sagte alsdann zu mir dieselben Worte, die ich jüngst zu ihr gesprochen:

»Warum hast Du Dir das angethan?!«

Wie aber hätte ich ihr das erklären sollen? Ich schwieg also. Bald darauf stand sie auf und ging davon, und ich sah sie an jenem Tage bis zum Abend nicht wieder.

Nie wieder fragte sie mich nach meinem Leben, schien plötzlich Scheu vor mir zu empfinden und vermied es fortan, mit mir allein zu sein.

Es war am sechsten Tage nach Absendung meines Briefes an den jungen Terenzio. Sora Filomelas breites, hübsches Gesicht zeigte immer aufgeregtere Mienen; sie lief im Hause und in der Vigna ängstlich hin und her, schaute jeden Augenblick ausspähend auf den Weg, der vom Ponte Molle längs des Flusses zum Mario führt, und kam vor lauter Erwartung, Unruhe und Seufzen nicht einmal mehr zum Schwatzen.

Auch mir erging es indessen nicht viel besser. Ich wartete sehnlichst auf einen Brief aus Subiaco und noch sehnlicher auf die Ankunft des jungen Menschen, vergeblich mit mir zu Rate gehend, was geschehen sollte, wenn der Liebhaber nicht käme, er also die Geliebte verschmähte.

Am Abend jenes sechsten Tages war schlechtes Wetter eingetreten, wir saßen zusammen in der Halle bei der Lampe und ich erzählte den beiden Frauen aus dem Leben Sankt Franziski: wie der Heilige als Jüngling zu Assisi seine Eltern verlassen, fortan allein den: Herrn angehört und so göttlich gewesen, daß er – – Da traf mich ein Blick Clelias, der mich verwirrte und mitten im Satze stocken machte.

Also schwieg ich; und wir saßen noch stumm, als das Geräusch des heftig strömenden Regens von hastigen Schritten übertönt wurde. Es pochte an die Thür, aber ehe noch Sora Filomela gerufen, wer da wäre, wurde die Thüre aufgerissen und mit Ungestüm trat ein junger Mensch herein, bei dessen Anblick die Frau in die Höhe fuhr, wie im höchsten Erstaunen die Hände zusammenschlug und mit schriller Stimme rief:

»Terenzio Latini, ist's möglich? Wo kommt Ihr her? So spät und bei solchem Wetter! Kommt Ihr aus Subiaco? Ist das eine Ueberraschung! Seid uns willkommen! Aber so tretet doch näher! Seht, da ist auch die Clelia, mit der Ihr gespielt habt. Seid uns von ganzem Herzen willkommen! Die Clelia hat Euch gewiß nicht vergessen. Aber was steht Ihr so an der Thüre? Und dieses ist unser lieber, frommer Bruder Angelikus, der seine Kutte abgethan, weil sie von seinem Blute gänzlich verdorben ist. Kommt doch näher! Ihr könnt ihm auch in diesem Kleide die Hand küssen; denn er ist ein gar gottesfürchtiger, tugendreicher Jüngling, der einstmals, wenn nicht Papst, so doch sicher ein Heiliger werden wird. – Wie geht es Euch, guter Sor Terenzio? Und wie steht's in Eurer Vigna? Daß Ihr zu dieser Zeit abkommen konntet! Aber so setzt Euch doch, – ich backe Euch gleich eine Frittata. Es ist auch Thunfisch im Haus.«

Diese schöne und merkwürdige Rede hielt die treffliche Sora Filomela mit erstaunlicher Fertigkeit ihrer lieben christlichen Zunge. Dabei stellte sie den Fiascho auf den Tisch, schleppte Brot, Früchte, Schinken herbei, schwatzte und schwatzte.

Unterdessen betrachtete ich mir den jungen Menschen, der noch immer an der Thüre stand und, statt auf die Donna zu blicken, unverwandt vor sich hin schaute, was mir gar nicht an ihm behagte. Sonst gefiel er mir recht wohl. Auch war er von überaus stattlicher Gestalt, hoch und schlank, mit braunem, schönem Gesicht, wie man denn überhaupt den Sabinern große Wohlgestalt und Schönheit zuspricht. Er trug den langen schwarzen Mantel der römischen Landleute, der vom Regen durchnäßt war und den Sora Filomela ihm jetzt voller Beflissenheit von den Schultern nahm, wobei ich hörte, wie sie ihm zuraunte:

»Sagt Ihr nichts von dem Brief.«

Aber der junge Mensch achtete gar nicht auf die wackere Frau. Er schaute jetzt auf, zu Clelia hinüber, wurde plötzlich ganz fahl im Gesicht, begann zu zittern und seine Augen glühten wie im Fieber, so daß ich ihn plötzlich erkrankt glaubte. Wie nun auch ich Clelia ansah, erkannte ich gleich, daß sie alles erraten hatte und von unserer Absicht vollkommen unterrichtet war. Denn sie sah mich an, wie sie mich angesehen hatte, als sie von mir erfahren, ich sei ein Jude gewesen und hätte Vater und Mutter verleugnet. Es sprachen ihre Augen auch diesesmal zu mir:

»Warum hast Du Dir das angethan?«

Sie hatte bis dahin gesessen; jetzt stand sie auf, trat einige Schritte auf ihren Landsmann zu, grüßte ihn gelassen und sagte:

»Wie steht's in Subiaco? Was macht Euer Freund, der junge Ignazio Feretti, welcher vor drei Jahren eines Sonntags vor dem Dome die Teresa Teani erstochen, weil dieses schöne und sittsame Mädchen, mit dem er verlobt war, sich von einem andern hatte ein seidenes Halstuch schenken lassen? Befindet er sich immer noch auf der Galeere, der arme, junge Mensch?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, zu ihrer Tante gewendet: »Mich schmerzt mein Kopf. Was Terenzio mir zu sagen hat, mag er mir morgen ausrichten, wenn er sich über Nacht nicht eines andern und bessern besonnen.«

Damit verließ sie die Halle, ihre Tante, die mit ihr gehen wollte, an der Thüre zurückweisend.

Unter mächtigem Seufzen kam Sora Filomela zu uns zurück, nötigte den jungem Sabiner an den Tisch, rückte daraus noch einmal alles zurecht und begann über ihre Nichte zu lamentiren:

»Es ist eben ein gar zu wunderliches Geschöpf! Kein Mensch kann aus der klug werden! Zum Beispiel diesen Abend. Wie oft hat sie mir von diesem Terenzio erzählt, von ihrem lieben Terenzio, ihrem Herzensfreund und Jugendgefährten. Und wie ist sie soeben gewesen! Dabei freut sie sich sicher von ganzem Herzen, daß Ihr gekommen seid und daß sie Euch wiedergesehen hat. Freilich – sie schämt sich vor Euch. Das ist auch ganz recht und in der Ordnung, das gehört sich so. Wie es früher gewesen, kann es freilich nicht mehr sein. Damit ist es aus. Ihr thätet ganz recht, Euch gar nicht mehr um sie zu kümmern. Stellt Euch vor: es gibt immer noch Männer, die sie heiraten möchten und das wie gern! Sie brauchte nur einen zu wollen. Aber sie will keinen. Ist es zu glauben? Ich meine aber, sie denkt immerfort an einen, dem sie einst lieb gewesen und der sie jetzt von Herzen verachtet. – Ganz recht thätet Ihr, mein wackerer Terenzio, wenn Ihr Euch eine andere zur Frau nähmt. Allerdings – eine so schöne wie die Clelia bekommt Ihr doch nicht wieder. Dafür aber eine Tugendhafte! Tugend ist mehr als Schönheit. Seht nur zu, daß die Eure es nicht treibt, wie so viele es treiben: vor der Hochzeit getreu, nach der Hochzeit – Nun, Ihr versteht. – Ja, die Clelia! Um die ist's ein Jammer. Wer aber ist schuld daran? Ich will ihn nicht nennen. Ach, warum habt Ihr sie fortgehen lassen mit dem schändlichen Weibe, der Ninetta? Dadurch ist alles Unheil gekommen, dadurch allein! Damals war sie rein wie die heilige Jungfrau selber und damals hat sie Euch im Herzen getragen – einzig und allein Euch! Ach, warum habt Ihr sie nicht lieber erstochen, als sie in Rom bei der Ninetta zu lassen? Gott sei Euch gnädig! Erst als Ihr fort wart und nicht wieder kamt, hat die Sünde angefangen. Sie hat lange genug auf Euch gewartet, das arme Ding. Dabei so schön, so blutjung, so unerfahren! Und die vielen schlechten, schlechten Menschen! Und die verdammte Kupplerin, die Ninetta! Einen Herzog hätte sie damals heiraten können, aber sie – Nun, Gott steh Euch bei, mein guter Terenzio! Denn jetzt – welches Unglück, welches Herzeleid, welcher Jammer! Ach ja und jetzt – diese Reue, diese Scham! Heilige Agnes und Cäcilia! Und jetzt – diese Tugend! Dort steht der frömmste und reinste Jüngling von Rom, den fragt. Am liebsten thäte sie eine Wallfahrt nach der Casa Santa in Loretto mit bloßen Füßen, das arme, schöne Geschöpf! Dort steht der gottesfürchtigste Mann im Kirchenstaat, von dem laßt es Euch sagen. Aber es ist nicht zu sagen! Bleibt hier, mein guter Terenzio, seht sie alle Tage, mein wackerer Terenzio, seht es alle Tage selbst mit an. Ich sage Euch: sie lebt wie eine zukünftige Heilige. Und ich sage Euch: bleibt hier, seht es selbst! Indessen: ich weiß, Ihr seid nur gekommen, um sie zu beschimpfen, zu mißhandeln, zu erstechen, und wenn Ihr das gethan habt, werdet Ihr Eurer Wege gehen, werdet Ihr eine andere zur Frau nehmen: aber ich sage Euch –«

Aber sie sagte nichts mehr, die treffliche Frau; sie brach in eine Flut von Thränen aus, stürzte laut heulend aus der Halle und wir vernahmen noch lange Zeit ihr Stöhnen, Schluchzen und Jammern.

Ich wußte nicht, was größer war: meine Verwirrung dem jungen Sabiner gegenüber, mit dem ich mich plötzlich allein befand, oder meine Scham über die heillosen Reden der sonst so trefflichen Frau.

Ich hatte, während sie gesprochen, nicht gewagt, aufzuschauen, aus Furcht, einem Blick des Jünglings zu begegnen. Als ich das endlich that, sah ich den jungen Menschen noch auf demselben Platze stehen und steif vor sich niederschauen. Ich gewahrte jedoch, daß in der Seele des Verliebten ein heftiger Kampf vorging. Daran mochte sowohl mein Brief als auch nicht minder die lange Reise, das Wiedersehen mit Clelia, die thörichte Rede der sonst so vortrefflichen Sora Filomela die Schuld tragen. Mit einem Wort: er dauerte mich.

Von dieser und von anderen heftigen Empfindungen getrieben, schickte ich mich zu einer Unterredung mit ihm an. Aber ich hatte kaum begonnen, als er mir wütend ins Wort fiel:

»Also Ihr seid der, welcher mir den Brief geschrieben?«

Ich bejahte und bat ihn, mich mit Ruhe anzuhören. Er wollte wiederum unbändig auffahren, that sich jedoch Gewalt an und ließ mich ruhig reden, was ihn Mühe genug zu kosten schien. Aber je eifriger ich für die Tugend seiner Geliebten sprach, um so finsterer wurden seine Mienen, was ich mir gar nicht zu deuten vermochte. Als ich schließlich nichts mehr zu sagen wußte und verstummte, trat er vor mich hin: »Ob ich nun zu Ende gesprochen?« – wobei er mich anblickte, als möchte er mir am liebsten ein Messer in die Brust stoßen. Darauf sagte er:

»Hört, Bruder! – denn ein solcher seid Ihr doch wohl, trotz Eurer weltlichen Kleidung – hört, Bruder: wenn in meinem Heimatlande ein Mönch oder Priester über die Tugend einer Frau oder Jungfrau ein großes Gerede anhebt, so weiß jedermann, daß das Weib mit Leib und Seele des Teufels ist und kein redlicher Jüngling wird ein solches Geschöpf zur Frau nehmen. Nun weiß ich längst, daß die Clelia ein schändliches Leben geführt hat, und wenn ich trotzdem in meinem Herzen nicht von ihr lassen kann, so ist das für mich Schmach und Schande genug, geht indessen keinen von euch etwas an. Nun seht: als ich Euren Brief erhielt, bin ich in der nämlichen Stunde aus Subiaco Hals über Kopf fortgeritten – bis nach Rom vor die Porta del Popolo! Und vor der Porta del Popolo bin ich umgekehrt und Hals über Kopf wieder nach Hause geritten. Und jetzt stehe ich dennoch vor Euch, der Ihr mir die Clelia, welcher ich gut bin, seit ich denken kann, verkuppeln wollt. Und ich sage Euch: trotz ihrer einstmaligen Verruchtheit würde ich die Clelia zum Weibe nehmen und an nichts anderes denken, als daß sie nun mir gehöre, mir allein! Solches würde ich indessen von meinem Weibe nicht glauben können, wenn ich wüßte, daß dieses durch einen Mönch – durch Euch in ihrem tugendhaften Lebenswandel bestärkt und erhalten würde. Ja, mir wäre ebenso lieb, mein Weib setzte ihren schändlichen Lebenswandel mit diesem und jenem fort, als daß sie mit Euch betete. Und deshalb, weil die Clelia Eure gute Freundin ist, mag sie es bleiben und mit Euch zusammen verdammt sein. Euch und ihr das zu sagen, bin ich binnen sechs Tagen zum zweitenmale nach Rom gekommen und werde nun rum zweitenmale nach Subiaco zurückkehren.«

Ach, das bereitete mir großen Kummer! Es war auch diesesmal weniger die üble Meinung, die der junge Sabiner von mir und meinem Umgang mit seiner Geliebten hatte, als vielmehr, daß ich auch bei diesem jungen und nicht schlechten Menschen auf eine so unsägliche Verachtung der Geistlichkeit stoßen mußte. Ich versuchte, ihn zu belehren, mußte jedoch einsehen, daß der Jüngling sich gar keine Vorstellung davon machen konnte, wie ein Mönch oder Priester, der doch dem Himmel das Gelübde der Keuschheit gethan, dasselbe auch halten könne. Zugleich mußte ich mir sagen: die Gedanken dieses jungen Menschen über den Lebenswandel eines Priesters sind die Gedanken des ganzen Volkes. Als er sodann meine tiefe Bekümmernis und Entrüstung über seine schändliche Meinung gewahrte, verstand er diese Empfindungen gar nicht, bezeigte darüber großes Erstaunen und versicherte mir: er wisse es nun einmal nicht anders, als daß einem Priester von der Kirche selbst ein Liebchen gewährt werde – freilich nur eines. Seinen heidnischen Reden nach, schien er der Ansicht zu sein, ich wollte ihm seine Geliebte verkuppeln, darauf in das Franziskanerkloster zu Subiaco eintreten und nebenbei in aller Gemächlichkeit mit seiner Ehefrau als deren zweiter Gatte leben. – Der junge Mensch, in seiner wütenden Leidenschaft und Eifersucht, die ihn ganz sinnlos machte, tobte noch gegen mich, als die Thüre sich öffnete und Clelia in die Halle trat, zum Erschrecken blaß anzusehen. Da erst fiel mir ein, daß der Sabiner überlaut gesprochen hatte und sie in ihrer Kammer alles mit angehört haben mußte. Sie ging, ohne mich anzusehen, auf den Jüngling zu und sprach sanften Tones:

»Terenzio, Du Freund und Gefährte meiner Kindheit, ich sage Dir, wie Du von mir nicht Uebles genug denken kannst, so kannst Du von diesem nicht Gutes genug denken. Du kennst ihn eben nicht. Siehe, dieser hat ein Mädchen lieb, von welchem er in seinem Herzen ebensowenig lassen kann, wie Du von mir, die ich doch ein so schändliches Geschöpf gewesen. Und siehe, Terenzio – ich liebe diesen Jüngling, der allein es war, welcher mich zur Tugend zurückgeführt hat; ich liebe ihn dermaßen, daß ich in meiner Seele keinen andern Gedanken haben kann als an ihn. Auch das mußt Du noch wissen, nämlich: daß ich zu dieses Jünglings Füßen gelegen bin und ihn angefleht habe, mich aufzuheben und mit mir zu thun, wie es ihm beliebte. Aber er verschmähte mich, weshalb ich ihm nur um so mehr angehöre und vor ihm stehe, siehe, mit aufgehobenen Händen.«

Sie schwieg und es herrschte in dem Gemach eine tiefe, schier feierliche Stille. Doch mochte ich nicht aufblicken, um nicht die erhobenen Hände Clelias sehen zu müssen. In jener Stunde empfand ich, daß man sich auch seiner Tugend schämen kann.

Wiederum nur zu ihrem einstmaligen Gefährten sprechend, fuhr sie fort:

»Aber jetzt bitte ich Dich, uns eine kleine Weile mit einander allein zu lassen, da ich mich mit ihm zu bereden habe. Gehe unterdessen zu meiner Tante.«

Und wirklich – er ging! Ohne ein Wort dagegen zu reden, verließ er leise das Zimmer.

Clelia sagte:

»Ich werde Euch gehorsamen und ich verspreche Euch, dem guten Menschen, der uns soeben verlassen hat, ein getreues Weib zu sein; auch redlich zu versuchen, alle meine Sünden, die ich mit anderen verübte, an diesem einen zu sühnen. Also soll es mit mir geschehen. Aber wie mit Euch? Denn seitdem ich von Euch erfahren, daß Ihr ein Jude wäret und Euren Glauben abgeschworen habt, weiß ich für Euch nichts anderes auf Erden, als wieder in Euer Kloster zurückzukehren und für immer darin zu bleiben, weil es Euch sonst von Sinnen bringen müßte. Ihr wißt, warum. Oder – habe ich unrecht?«

Ich erwiderte:

»Ihr habt recht, Ihr habt ganz recht. Ich danke Euch.«

Sie fragte:

»Wann geht Ihr?«

»Morgen.«

»So will ich noch heute dem Terenzio sagen, daß ich ihm angehöre.«

Und wir gingen zusammen zu ihm.

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