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VIII.

Sie hatte einen solchen Jubel über mein gerettetes Leben, daß ich schließlich selber Freude daran empfand und dem Willen des Himmels fortan nicht länger Widerstand leistete. In der Sorgfalt für mich und der Pflege meiner schweren Wunde war sie von einer so lauteren Art, daß ich mich – auch wenn ich bedachte, was sie gewesen – solcher Samariterdienste gänzlich unwürdig fühlte. Ich mußte immer nur staunen, wie ihr Verlangen, mir Gutes zu erweisen, sie allerlei Dinge ersinnen ließ, welche mein Schmerzenslager mir beinahe in eine Freudenstätte verwandelten. So ließ ich denn die ehemalige Buhlerin Barmherzigkeit an mir üben, als könnte es gar nicht anders sein.

Ihre Tante hieß Filomela Gentili, und hatte ihre Stimme auch nicht gerade den süßen Wohllaut jener lieblichen Nachtsängerinnen, deren Namen sie führte, so war sie doch eine überaus wackere Frau, mit einem mütterlichen Wesen gegen mich, welches mir häufig die Thränen in die Augen brachte.

Wenn die beiden Frauen am offenen Fenster saßen, durch welches der goldene Herbsttag bis zu meinem Bette leuchtete: wenn sie, mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt, munter plauderten, die Tauben dazu kamen, die Schwalben zwitschernd vor dem Fenster hin und her schossen und der Wind leise die glanzvollen Blätter bewegte, dazwischen die reifenden Trauben hingen – das war dann Frieden!

Noch immer war vom Kloster niemand gekommen, um nach mir zu sehen. Am zweiten Tage fragte ich noch jede Stunde darnach, am dritten bereits weniger, am vierten gar nicht mehr. Am fünften Tage dachte ich jede Stunde mit Angst und Schrecken: jetzt kommen sie, jetzt holen sie dich! Und ich atmete erleichtert auf, wenn der Tag vorüber und niemand gekommen war. Alsdann bemühte ich mich, weder zu fürchten noch zu hoffen, sondern gar nicht daran zu denken. Und jetzt war der Frieden um mich her noch einmal so friedlich und heilig.

Sora Filomela achtete darauf, daß Clelia mir nicht immerwährend ihre Dienste erwies: sie schickte ihre Nichte in die Vigna, daselbst irgend eine leichte Gartenarbeit zu verrichten, Früchte einzusammeln, Gemüse zu holen, Kräuter zu pflücken und zum Trocknen auf einen sonnigen Platz auszubreiten. Dergleichen kleine und anmutige Verrichtungen übten eine außerordentliche Wirkung auf die Donna aus und verstärkten den Eindruck von Jugend, Sittsamkeit und Bescheidenheit, den sowohl ihre Person als ihr Wesen von Tag zu Tag mehr machte. In ihren Augen brannte ein sanftes Feuer und ihre Lippen glühten beinahe so tief, wie sie geglüht hatten, da sie mit einer kirschroten Farbe bestrichen gewesen. Und wie kleidete sie das schlichte dunkle Gewand, mit keinem andern Schmuck daran, als irgend einer schönen, leuchtenden Blüte vor der Brust.

Jedesmal, wenn die Donna in der Vigna war, kam die treffliche Sora Filomela zu mir, rückte einen Stuhl an mein Bett, legte die fetten weißen Hände in den Schoß, seufzte ein weniges und schwatzte ein reichliches. Aber ich hörte ihr gern zu.

Gewöhnlich war von Clelia die Rede: wie alles gewesen, wie alles geworden, wie alles werden sollte.

Ach, wie alles werden sollte?!

Ich meinte dann, das sei doch nicht gar so schwer zu sagen: die Donna verabscheute ihren einstmaligen schändlichen Lebenswandel von Herzen und die Donna befand sich bei ihrer Tante, der trefflichen Sora Filomela, die sie fortan nie mehr verlassen würde. Aber da war das Seufzen groß! Als ob damit genug gethan sei! Ein so junges Ding mit heißem Blute und Zeit ihres Lebens bei einer einsamen alternden Witwe – das würde alles Gute, was sich ereignet hatte, wieder zunichte machen. Ja, für ein paar Jährchen möchte es angehen, aber alsdann – – Ich freilich meinte: das könnte das ganze Leben hindurch so fortdauern. Das käme eben daher, weil ich eine solche christliche Unschuld wäre und so unmenschlich reinen Gemüts. Indessen – davon verstünde ich nichts.

Und so ging es weiter, daß ich ganz erschrocken war; weniger über den großen Unverstand, den ich haben sollte, als vielmehr darüber, daß es ausgemacht schien, die Tugend der Donna würde nur auf ein paar Jahre Vorhalten. Ich fragte voller Angst, was denn daraus werden sollte, worauf die gute Dame von neuem ein gewaltiges Geseufz anhob: sie wisse es auch nicht, sie wisse nur, was sie wisse. Es wäre eben ein rechter Jammer; nämlich, daß gewisse Leute ein so ausbündig heiliges Leben führten. Andere wären auch fromm und gottesfürchtig, ohne deshalb so – nun eben so zu sein! Sie wollte deswegen keinen schelten, sondern jeden darum in Ehren halten: aber ein Jammer wäre es doch und obenein ein rechtes Unglück für das arme Geschöpf, die Clelia.

Erst in späterer Zeit habe ich begriffen, was die gute Frau mit diesen Reden meinte, und es treibt mir, wenn ich daran denke, noch heutigen Tages das Blut ins Gesicht, vor allem darum, daß selbst eine so treffliche Person, wie es die Sora Filomela in Wahrheit ist, einem Manne, der das Kleid Sankt Franziski trägt, dergleichen zumuten konnte, ohne es als Gotteslästerung und Schändung des Heiligen zu empfinden, sondern beinahe für eine natürliche und selbstverständliche Sache zu halten. Indessen bei jener Unterredung vermochte ich mir, wie ich berichtet habe, die Worte der wackeren Frau nicht zu deuten, scheute mich, sie zu befragen, drang dagegen von neuem in sie, mir zu sagen, was, ihrer Ansicht nach, im stände sei, ihre Nichte für Zeit ihres Lebens der Tugend und Sittsamkeit zu erhalten.

Da kam es heraus:

»Verheiratet sie an einen wackern Mann.«

Ueber dieses Wort erschrak ich heftig. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, wie ein wahrhaft redlicher und braver Mann sich zu einer solchen Ehe verhalten würde, wo überhaupt ein redlicher und braver Mann für eine solche Ehefrau gefunden werden sollte. In meiner Verwirrung erwiderte ich:

»Ich soll Eure Nichte an einen wackern Mann verheiraten? Wie vermag ich das zu thun? Auch redet Ihr gerade, als ob Eure Nichte sich so ohne weiteres von mir verheiraten lassen würde.«

»Wenn Ihr es wolltet – ohne weiteres würde sie es thun, und das mit jedem, den Ihr für sie bestimmt. Dafür bürge ich Euch.«

Worauf ich mit großem Ernst entgegnete:

»Gott verhüte, daß ich Euch das glauben müßte.«

Sie jedoch blieb dabei:

»Wen Ihr der Clelia zum Mann gebt, den nimmt sie zum Mann.«

Meine Bestürzung wuchs, und ich fuhr fort, dagegen zu reden: Wie ich überhaupt dazu käme, ein Mädchen zu verheiraten und gar die Clelia! Auch wüßte ich keinen Mann für sie, vermöchte also in dieser befremdlichen Angelegenheit nichts zu thun.

Aber Sora Filomela wußte einen Mann für ihre Nichte; es war noch dazu ein wahrhaft redlicher, braver Mann, eigentlich noch ein Jüngling. Und so verliebt in die schöne Person!

»Wer ist es?«

Es war der gewisse Terenzio Latini aus Subiaco, jener junge, wohlhabende Bürgerssohn, der auf eigenem Weinberg lebte, weder Eltern noch Angehörige besaß und seit seiner Knabenzeit eine glühende Leidenschaft für die Clelia im Herzen trug. Sora Filomela hatte ihn mit eigenen Augen gesehen und sogleich großes Gefallen an ihm gefunden. Er war damals eigens von Subiaco nach Rom gekommen, um die Clelia zu erstechen, geberdete sich vor Liebe wie ein Verrückter, war indessen in allem übrigen ein überaus verständiger junger Mensch.

»Ihr müßt ihm schreiben, daß er jetzt die Clelia bekommen könnte, Ihr müßt es ihm sogleich schreiben; denn die Sache muß sogleich in Richtigkeit gebracht werden. Noch ist das Eisen heiß! Schmiedet das Eisen! Schreibt dem Terenzio! Schreibt ihm, er solle sogleich kommen und die Clelia zur Frau nehmen. Und ich sage Euch, er kommt sogleich und nimmt sie sich.«

»Weiß der junge Mensch, was sich mit der Clelia begeben hat, seitdem sie aus Subiaco fort ist?«

»Warum sollte er es nicht wissen?«

»Sonst müßte es ihm gesagt werden.«

»Wie?«

»Sonst müßtet Ihr oder ich müßte es ihm sagen.«

»Nun ja – freilich – das würde dann wohl nichts helfen. Aber er weiß es gewiß. Indessen – Ihr mögt es ihm schreiben.«

»Das muß ich. Ob er jedoch auch alsdann noch kommen wird –«

»Ich sage Euch, er kommt sogleich, er heiratet die Clelia sogleich. Wer so toll und verrückt vor Verliebtheit ist, wie dieser gute, liebe Mensch, der kommt in solchen Dingen niemals recht zur Vernunft. Das haben die Heiligen so eingerichtet. Entweder er heiratet die Clelia, oder er bringt sie um. Eines von beiden gibt es nur für den Terenzio, und ich sage Euch: er heiratet sie lieber, als daß er sie umbringt, der treffliche junge Mann! Ach, mein lieber Bruder, Ihr kennt die Männer eben nicht, Gott segne Euch darum. Der Clelia ihre Mutter hätte sich unter zwanzig Männern einen aussuchen können, und das war gar die Dionizia Baldi! Heiraten die Modelle von der spanischen Treppe, die den reichen Malern und Steinmetzen ihre Schönheit verkaufen, etwa nicht? Und sind sie etwa viel besser, als meine liebe, arme Nichte, welche obenein die Tochter der Dionizia Baldi ist?! Ihr versteht eben nichts davon. Aber das thut nichts. Schreibt nur dem guten Terenzio, schreibt dem lieben Terenzio alles. Der gute, liebe Terenzio kommt sogleich, heiratet die Clelia sogleich, denn er ist ein herrlicher Jüngling.«

Nach dieser kräftigen Rede, welche die gute Frau um ihren Atem brachte, ging sie, ohne meine Erwiderung abzuwarten, und ließ mich in großer Verwirrung und Bestürzung zurück. Ich kannte jenen Jüngling nicht; da ich aber von ganzem Herzen sein Wohl und nicht sein Verderben wünschte, so versuchte ich mich mit aller Inbrunst in seine Lage zu versetzen, was sich für einen Diener der Kirche und Jünger Sankt Franziski wenig ziemte, da sich dabei mein Geist in allerlei Vorstellungen verlieren mußte, die sehr irdischer und sündhafter Natur waren. Indessen mir half der Gedanke an die Wiedergeburt der Donna, mir half das herrliche und erhabene Vorbild, welches Jesus Christus der Menschheit mit jener Maria Magdalena gegeben, mir half anderes aus meinem eigenen Herzen, was unaussprechlich ist.

Nachdem ich die ganze Nacht schlaflos gelegen, gelangte ich zu folgendem Entschlusse:

Wäre ich jener Jüngling, ich würde die reuige Sünderin unbedingt zum Weibe nehmen, sie lieben und achten, als hätte ich sie von ihrer Mutter als unberührte Jungfrau empfangen.

Ich nahm mir vor, bereits am nächsten Tag an den braven Terenzio zu schreiben.

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