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Zunächst bestellte Michael Cibula seinen Acker, den anderen Teil des Herbstes brachte er auf dem Gebirge zu. Den Hirten, der ihm das beste Stück seiner Herde hatte verunglücken lassen, sandte er hinab ins Tal und versah selbst dessen Arbeit. Zwischen Felsen und Gletschern hausend, wandte er sich von neuem der Welt und dem Leben zu; in der erhabenen Öde der Alpenwelt seine Tage verbringend, bereitete sich sein Geist auf das vor, was er aus heißer Liebe und aus heißem Hasse zu tun gedachte. In der ungeheuren Einsamkeit, die ihn der Erde entrückte und dem Himmel näher brachte, kam er zu der Erkenntnis, daß sein Vorhaben, das er im Sinne trug, gut sei.
So lange es die Witterung ohne Schädigung für das Vieh zuließ, blieb er droben; als jedoch der erste Schnee fiel, trieb er ab. In seiner gewöhnlichen Weise sah er nach dem Hausstand und der Wirtschaft, legte noch einige neue Äcker an und freute sich über den kräftigen Saatenstand auf seinem ersten und geliebtesten Felde. Als Winterarbeit trug er seinen Knechten auf, ein Stück Waldung zu roden und die Bäume an den See zu schaffen; auch die Mägde mußten helfen. Verwundert fragte sich das Gesinde, was der Bauer im Frühling zu bauen gedächte. Denn die Stämme waren das herrlichste Holz und ihrer so viele, daß aus dem geschlagenen Wald ein halbes Dorf aufgerichtet werden konnte. Neben dem neuen Hause stand aber bereits nicht nur ein großer Stall, sondern noch ein zweites Gebäude, zur Bergung des Heues und der Feldfrüchte bestimmt.
Auch Michael Cibula fällte Bäume. Aber er tat die Arbeit nicht mit den anderen zusammen, sondern erkor sich für den Winter den Hügel zum Arbeitsplatz: auf dem Hügel fällte er die Eschen. Da die Bauern die schönen Bäume für den Bau seines Hauses hatten umhauen wollen, hatte er sich diesem Vorhaben mit Heftigkeit widersetzt; nun tat er es selbst, und niemand durfte ihm helfen. Bereits gegen Weihnachten war ein großer Platz freigelegt. Zu beiden Seiten desselben ließ Michael Cibula einige der ältesten und schönsten Eschen stehen; alle anderen jedoch fielen unter seiner Axt.
Als er damit fertig war, machte er sich daran, den Gipfel des Hügels zu ebnen.
Die langen Winterabende verbrachte er einsam in seiner Schnitzkammer. Wieder erschuf er nach dem Bilde der Heiligen seiner Familie die Gottesgebärerin, und wieder wurde, wie in früheren Tagen, das Abbild dem Urbilde gleich, so daß der Künstler hoffen durfte, seine Kunst nicht verloren zu haben.
Dennoch war er nicht zufrieden damit. Immer von neuem gestaltete er das Antlitz der Göttin, immer von neuem war er bemüht, in Formen auszudrücken, was er als leuchtendes Bildnis in der Seele trug. Doch so oft er auch die holdseligen verklärten Züge in seinem Holze zu bannen versuchte, immer wieder entglitten sie ihm. Jeden Abend saß er bis spät in die Nacht hinein auf, zuletzt wie im Fieber, mit Angstschweiß auf der Stirn an seinem Werk gestaltend. Glaubte er endlich: jetzt hast du es gefaßt, jetzt ist es dir gelungen! so schaute er plötzlich wieder in die bekannten starren Züge, so blickten ihn plötzlich wieder die bösen Augen an – so hörte er wieder die alte, harte, gellende Stimme reden. Das Holzbild sprach:
»Da bist du ja, Michael Cibula! Wolltest du fort von mir?«
Michael Cibula antwortete: »Ich wollte nicht fort von dir, sondern nur von deinen Augen.«
»Es sind die Augen, die mir deine Väter gegeben haben. Seit wann ist einem Bauern von Piatra und einem Cibula nicht recht, was von seinen Vätern stammt?«
Darauf erwiderte Michael Cibula demütig: »Meine Schuld gegen dich mag groß sein; aber bedenke: deine Augen haben Josephas Kind getötet und mir auch sonst viel Übles angetan.«
Sagte die Heilige: »Undankbar sind die Menschen! Die Sünde ihrer eigenen Gedanken geben sie dem Himmel schuld.«
Aber Michael Cibula fragte: »Ist es nicht der Himmel, der dem Menschen seine Gedanken gibt? Was kann der Mensch für seine Augen und Sinne – was kann der Mensch für seine Gedanken?«
Da zürnte die Heilige der Cibula. »So soll der Himmel Schuld sein an eurer Sünde! Wißt ihr nicht, daß der Himmel euch eurer sündigen Gedanken willen verdammt?«
Das mußte Michael Cibula zugeben, doch meinte er:
»Gegeben werden sie uns darum doch. Wir können nichts dafür und nichts dagegen tun. Aus demselben Grunde verdienen wir auch kein Lob und keinen Lohn, wenn unsere Gedanken gut sind. Aber was willst du, daß ich tun soll, um dich wieder zu versöhnen? Denn ich möchte gern Frieden haben mit dir und mit allen.«
Es forderte die Heilige von ihm: »Gelobe mir deinen Sohn zu eigen.«
Michael Cibula erschrak heftig. Obgleich er wohl wußte, was das Bildnis meinte – denn er trug sich seit einiger Zeit mit demselben Gedanken – fragte er doch:
»Wie meinst du das?«
»Gelobe deinen Sohn der Kirche.«
»Aber es ist in Piatra nicht Brauch, daß ein Cibula Priester wird,« wendete Michael Cibula ein.
»Gib mir deinen Sohn,« beharrte das Holzbild bei seiner Forderung.
»Es ist noch ein Knabe,« stammelte Michael Cibula, von Mitleid ergriffen.
»Gedenke Abrahams!« mahnte das Bildnis. »Gott forderte von Abraham das Opfer seines Sohnes, und Abraham nahm den Knaben, band ihn und zückte das Messer nach ihm.«
»Aber Gott gab Abraham für seinen Sohn den Widder,« rief Cibula aus. »Was gibst du mir für den Knaben?«
»Die Vergebung deiner Sünden.«
»Die begehre ich nicht.«
»Die begehre ich nicht.«
Da geriet das Holzbild in Zorn: »Dann den Lohn deiner Taten.«
»Den begehre ich mir!«
Er wurde gemahnt:
»Du hast mir schon damals deinen Sohn versprochen, als du ungehorsam warst und dem Bischof nicht halfst, die Juden zu vertreiben. Auch ohne deinen Willen ist dein Sohn mein und soll nach meinem Willen Taten vollbringen.«
»Was willst du den Knaben tun lassen?«
»Ernten soll er, was du gesät hast.«
»Ich habe mit Maria Cibulas Stamm Frieden geschlossen.«
»Was geht das mich an? Denke daran, daß die Bauern von Piatra noch den Unfrieden haben.«
»Darum will ich ja tun, was mir im Sinn liegt.«
»Tu, was du willst. Die Acht kannst du von den Bauern von Piatra doch nicht nehmen.«
»Das ist wahr.«
»Es müßte denn sein, daß sie dem Bischof sich beugen.«
»Das sollen sie nicht!«
»Und sich ihrer Rechte und Freiheiten begeben.«
»Gibst du mir deinen Sohn?«
»Wird dann die Acht von Piatra genommen werden, ohne daß Piatra seine Rechte und Freiheiten verliert?«
»Ja.«
Darauf spann Michael Cibula den ihm gegebenen Gedanken zu einem langen Faden aus und wirkte den Faden zu einem festen Gewebe. Und er hielt es für ein Kleid der Gottheit, gläubig und im Innersten überzeugt: nun habe er gefunden, womit er den Bischof versöhnen könne, ohne daß sich die Bauern von Piatra ihm beugten; nun habe er gefunden, wodurch der Bann von Piatra genommen werden würde, ohne Piatra in seinen ewigen Rechten und Freiheiten zu schädigen. An seinen Knaben und seinen eigenen Gehorsam gegen Gott die Fäden knüpfend, schnitt er das Gewebe ab; Piatras Glück und Piatras Frieden aber waren der Einschlag auf seinem Webstuhl gewesen.
Nachdem er solcher Art das Opfer bei sich beschlossen hatte, teilte er sein Vorhaben der Heiligen mit:
»Dein Wille geschehe. Aber du mußt vorher einen Pakt mit mir schließen. Damit das Opfer meines Knaben Gutes bewirke und Segen trage, erweise dich bei dem Bischof tätig. Denn nur, wenn Bischof Mauricius von Piatra die Acht nimmt, auch Stefan Dozana wieder als Priester einsetzt – nur dann gelobe ich meinen Knaben dir und der Kirche.«
Und das Holzbild nickte:
»Ich werde bei dem Bischof dafür wirken und tätig sein: ist doch dein Sohn der junge Christ, welcher den Judenknaben gesteinigt. Dessen soll der Bischof, wenn du ihm den Knaben bringst, eingedenk sein.«
Das alles vernahm Michael Cibula in seiner Seele.
Nachdem sein Gemüt mit allem fertig geworden, wartete er nur noch auf das Frühjahr, um alles zur rechten Zeit vollbringen zu können. Im März ging er einmal nach Piatra, daselbst seinen Sohn zu sehen und eine Unterredung mit Stefan Dozana zu haben. Den Knaben kannte er kaum wieder, so blühten seine Wangen, so blitzten seine Augen, so hell klang seine Stimme. Jede Gebärde, jede Bewegung war voller Jugendkraft und Lebenslust. Er war in dem halben Jahre mächtig gewachsen und versprach, nicht minder stattlich zu werden wie sein Vater. Alles Finstere war aus des Knaben Wesen gewichen, als wäre es niemals darin gewesen. Es war ein schönes, frohes, glückliches Menschenkind.
Und neben seinem Sohne sah Michael Cibula Ilja, bereits kein Kind mehr; Stefan Dozana zeigte seinem Besuche die beiden mit einem Lächeln: »Sie haben sich lieb.«
Das Wort fuhr wie ein Schlag in Michael Cibulas Seele.
Mit Stefan Dozana hatte er folgendes Gespräch:
»Wie steht es sonst hier? Du kennst den Sinn der Bauern von Piatra, beharren sie in ihrer Meinung über den schwarzen Grund?«
»Sie erkennen, daß ihr Aberglauben töricht und daß der schwarze Grund ein gesegnetes Tal ist.«
In Michael Cibulas Gesicht leuchtete es auf; leidenschaftlich rief er:
»Und sie wollen dennoch nicht meinem Beispiele folgen?«
Bedächtig erklärte Stefan Dozana:
»Dieser oder jener mag darunter sein, der es wohl möchte; aber keiner von ihnen spricht es aus, oder wird es jemals aussprechen. Du kennst ihre harten Köpfe.«
»Starrköpfe sind's!« murrte Michael Cibula.
Stefan Dozana zuckte die Achseln.
»Und du meinst, daß es gänzlich unnütz sei, zu ihnen zu reden?« forschte der andere.
»Gänzlich unnütz!«
»Es ist wahr: sie können nicht lassen von ihrem Dorf, aber –«
Stefan Dozana unterbrach ihn; er gestand:
»Und vor allem können sie nicht von ihrer Kirche lassen.«
»Von der neuen?«
»Von der alten haben sie längst gelassen.«
»Nicht lassen von dem, was ihr Unglück verschuldet!« rief Michael Cibula außer sich.
»Vielleicht grade deswegen halten sie so fest daran,« sagte Stefan Dozana düster. »Das, worum wir am meisten leiden müssen, lieben wir am meisten. Die Bauern von Piatra hängen an dem neuen Gotteshaus wie an Weib und Kind, die Bäuerinnen wie an ihrer Seligkeit.«
»So muß man sie von Weib und Kind, so muß man sie von der Seligkeit losreißen!«
Und er ging, ohne sich aufhalten zu lassen, Zoll für Zoll der alte, wilde, unbändige Cibula, heiß in der Liebe, und heiß im Hasse.
Schon nach drei Wochen kam er wieder zu Stefan Dozana.
»Höre,« sagte er zu diesem, »höre, ich habe einen Traum gehabt, drei Nächte hintereinander ein und denselben Traum. Josepha kam zu mir und gebot mir: ich sollte zu dir gehen und dich auffordern, die Heiligtümer aus der neuen Kirche in dein Haus überzuführen, denn in der neuen Kirche drohe ihnen Verderben. Tu, was der Geist meines Weibes dir befohlen hat. Du weißt, den Toten muß man gehorchen.«
Stefan Dozana dachte: Wenn Josepha etwas von mir will, so hätte sie es mir wohl selbst sagen können. Und er beneidete Michael Cibula um die Erscheinung.
Als es Abend geworden, begaben sich beide nach der Kirche, die Heiligtümer zu holen.
Viele Weiber begegneten ihnen, hoch mit Linnen beladen, welches sie hinunter in die Schlucht trugen, um es in dem Bach zu waschen. Darin blieb es die Nacht über liegen. Am anderen Morgen begann dann das große Waschfest in Piatra, das drei Tage währte und jeden Frühling und Herbst zur bestimmten Zeit abgehalten wurde. Mochte die Witterung noch so ungünstig sein, gewaschen wurde in Piatra in jenen Tagen. Michael Cibula schaute voll Teilnahme auf das rege Treiben des Völkchens. Manche der Frauen redete er an, ob sie auch alle ihre Wäsche hinunter an den Bach getragen hätten? Aber er fragte nur die Ärmeren und schien durch die bejahenden Antworten, die er von allen Seiten erhielt, höchlich befriedigt.
Einmal sagte er zu Stefan Dozana:
»Das wird eine wilde Nacht werden. Schau die Windwolken am Himmel!«
»Frühlingswind!« meinte Stefan Dozana gleichmütig. »Die ganze letzte Woche hat es hier jede Nacht gestürmt.«
»Im schwarzen Grunde ist es bereits so warm, daß man die Nächte im Freien zubringen könnte,« rühmte Michael Cibula seine neue Heimat.
»Das kann hier jetzt kaum das Vieh.«
»Aber das Vieh weidet doch schon im Walde?«
»Bereits seit drei Tagen,« erwiderte Stefan Dozana.
»Sind Kranke oder Bettlägerige im Dorfe?« erkundigte sich Michael Cibula.
»Nur Helja Scarpa, die Unsinnige.«
»Lebt die immer noch?«
»Sie weiß nicht viel davon.«
»Dann mag es gehen. – Sollte einmal bei solchem Winde Feuer auskommen, so bleibt in Piatra kein Haus stehen.«
»Das könnte leicht sein.«
Sie kamen zur Kirche, die Michael Cibula erst ein einzigesmal betreten hatte; damals, als ihr Inneres vollendet war. In der Dämmerung glichen die hohen Wölbungen mit ihrem Gold- und Silberschmucke einem schier unirdischen Raume. Michael Cibula war es, als beträte er den Vorraum des Paradieses. Schauer überliefen ihn, kaum, daß er vorwärts zu schreiten wagte.
Über dem Hochaltar strahlte unter der Kuppel das Kreuz. Das Zwielicht umhüllte die mächtige Sonne wie mit Schleiern, die Engel gewannen bei dem fahlen Schein gespenstisches Leben.
Stefan Dozana beugte vor dem Hochaltare seine Knie; aber Michael Cibula, obgleich Grausen ihn beinahe übermannte, stand aufrecht da. Sodann nahm Stefan Dozana die höchsten Heiligtümer aus ihrem verschlossenen Schrein und schickte sich an, die Kirche wieder zu verlassen. Aber Michael Cibula stand noch immer auf demselben Fleck, so daß der andere ihn laut anrufen mußte. Mit einem tiefen Seufzen wandte er sich ab und folgte dem Priester.
Draußen vor der Türe blieb er stehen.
»Solltest du die Kirche nicht schließen?« sagte er, halb fragend, halb auffordernd, mit einem unsicheren Blick.
»In Piatra ist es Brauch, daß die Kirche auch bei Nacht offen bleibt. Weißt du das nicht mehr?«
»Freilich,« murmelte Michael Cibula, »freilich«.
Damit niemand erkennen konnte, was er aus der Kirche forttrug, hatte Stefan Dozana die Heiligtümer mit einem Tuche bedeckt. Unbeachtet kamen sie bis an sein Haus; doch Michael Cibula wollte nicht eintreten.
»Willst du in der Nacht in den schwarzen Grund zurück?«
»Ich bleibe die Nacht hier.«
»So schlafe doch bei mir.«
»Ich will diese Nacht in meinem Hause schlafen.«
»Aber so iß wenigstens mit uns.«
»Ich habe mir heute einen Fasttag auferlegt. – – – Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Stefan Dozana trat ins Haus und Michael Cibula begab sich in die alte Kirche. Hier betete er, wie er sein Lebtag nicht gebetet hatte.
*
Es mochte gegen Mitternacht sein, als Michael Cibula sich von den Knien erhob. Erst jetzt vernahm er, wie der Sturm um die Kirche fuhr, ein echter Verrös- Frühlingssturm! Die Schlucht aufwärts brauste er einher, der alte Balkenbau zitterte und ächzte unter den wütenden Umarmungen der Windsbraut, durch die blinden, in Blei gefaßten Fenster sah Michael Cibula den jungen Mond hinter dem Felsengebirge versinken; noch stand das Himmelslicht, ein blutroter Streifen, gleich einem Flammensignal über dem schwarzen Gipfel des Kryvan, im nächsten Augenblick war es erloschen.
Bei dem Schimmer des ewigen Lämpchens sah sich Michael Cibula in der Halle um. Nur weniges Gerät war darinnen: die Kirchenstühle, darauf die Väter gekniet, darauf sie kniend die Monstranz gegrüßt und in Demut und im Glauben die Verkündigungen Gottes empfangen; die Beichtstühle, deren braunes und morsches Holz alle die Bekenntnisse und Seufzer der Väter vernommen; das Taufbecken, aus dem sich das Christentum auf ihre Stirnen ergossen; das Weihwasserbecken, darein Michael Cibula schon als ganz kleines Kind seine Hand getaucht – so tief er sie hineinstecken konnte!
Das alte Madonnenbild, der Altar, die Kanzel – – diese letzteren heiligen Geräte ließen sich nur gewaltsam entfernen.
Da hing auch das Bärenfell, Stefan Dozanas Bärenfell, von dem noch die Kinder erzählen sollten.
Wenn er in seinem Hause noch eine Stunde schlafen wollte, konnte er sich das Bärenfell mitnehmen; denn dort fand er nur die nackte, harte Diele. Also nahm er das Fell herab.
Langsam schritt er durch das schlafende Dorf; nirgends sah er Licht. Der Wind war so stark geworden, daß er dagegen ankämpfen mußte. Doch da der Sturm von der neuen Kirche herkam, würde man – für den Fall, daß in solcher Nacht in Piatra Sturm geläutet werden mußte – das Glockengeläut im Dorfe deutlich vernehmen können. Auch hatte die neue Glocke einen harten, gellenden Ton. Das war gut.
Jetzt kam er zu seinem Hause; er zog den Schlüssel aus der Tasche. – – Schlüssel und Schloß mußten ganz verrostet sein. Es deuchte Michael Cibula ein Menschenleben her zu sein, daß das alte Haus der Cibula so tot dastand. Merkwürdigerweise vermochte er ziemlich leicht zu öffnen; eine schwere, schwüle Luft schlug ihm entgegen. Als er in die große Kammer trat, hätte er beinahe laut nach Josepha gerufen.
Aber zum Schlafen war's nun doch nicht mehr Zeit. Auch hätte der Wind sich wenden können, und das wäre schlimm gewesen. Das Bärenfell hatte er im Garten gelassen, möglichst weit vom Hause.
Er ging im Dunkeln durch alle Räume; in jedem Gelasse hielt er sich eine Weile auf, am längsten in Josephas Flachskammer.
Dann begab er sich hinauf unter das Dach, wo noch von früher her das Werg aufgeschüttet lag; als man ausgezogen war, hatte man das nutzlose Zeug dagelassen. Er stieß eine der Dachluken auf. Wind fuhr ihm ins Gesicht, Sternenschein leuchtete ihm entgegen. Nun begann er aus Werg ein langes Seil zu flechten, mit dem er einen großen Haufen des weichen Materials umschnürte. Das getan, riß er vom Dach die Schindeln ab, bis eine Öffnung entstanden war, groß genug, um das Bündel hindurchzwängen und auf die Gasse hinab werfen zu können.
Darauf entfernte er sich; aber das Haus schloß er hinter sich nicht wieder zu.
Schwer beladen mit dem Packen Werg machte er sich auf den Weg. Da es in Piatra nicht Brauch war, im Dorfe Nachtwache zu halten, sah ihn niemand. Vor der alten Kirche legte er seine Last nieder, ging hinein und schickte sich an, sämtliche Gerätschaften hinauszutragen. Den morschen Altar und die Kanzel brach er in Teile auseinander. Er trug und schleppte, daß ihm der Schweiß über das Gesicht rann. Nach einer halben Stunde stand alles mitten auf dem Platz zusammengehäuft, obenauf das uralte Holzbild der Himmelskönigin.
Jetzt nahm Michael Cibula das Werg wieder auf, überzeugte sich, daß er Zunder und Stahl bei sich führte, und ging weiter – zur neuen Kirche, in die Kirche hinein.
Hier legte er sein Bündel nieder, schlug Feuer, zündete eine der Altarkerzen an und suchte sich in dem ihm unbekannten Raume zurecht zu finden. Durch die Sakristei begab er sich hinauf in den Turm und von diesem durch eine Öffnung unter das Kirchendach.
Dieses war nur mit Schindeln gedeckt und darunter lag der ganze Dachstuhl aus Holz frei da. Es konnte also so vor sich gehen, wie Michael Cibula es sich ausgedacht hatte.
Er schaffte das Werg hinauf, öffnete den Bund, teilte ihn in vier Haufen, die er in die vier Ecken des Dachstuhls trug. Das getan, nahm er die Kerze und steckte jeden der Haufen in Brand.
Er blieb droben, bis der Qualm ihn zu ersticken drohte, bis die Flammen ihm ins Gesicht schlugen.
*
Dieses Getöse und Getön war nicht Sturm!
Wer läutete über dem exkommunizierten, schlafenden Piatra die Glocke der neuen Kirche? Zu welchem Hochamt rief sie das Volk der Geächteten in der Stille der Nacht?
Sie fuhren empor – – Was für ein wildes Morgenrot lohte auf über Piatra?
Flammenschein!
»Feuer! Feuer! Feuer!«
Wen die harten, gellenden Glockentöne nicht weckten, der erwachte bei dem furchtbaren Ruf, der mächtiger war als Sturm und Geläute.
Jetzt ward auch die Glocke der alten Kirche gezogen. Noch einmal rief sie die Bauern von Piatra an, Leben und Habe zu retten und dann ihr Dorf in Flammen auflodern zu sehen.
Sie stürzten auf die Gasse. Da leuchtete es ihnen entgegen: über ihrer neuen Kirche eine gewaltige, feurige Krone.
Piatras neue Kirche brannte!
Ein Wehgeschrei gellte auf, als würde Piatras Glück von Flammen verzehrt. Alle eilten hin, vergaßen ihrer Häuser, ihrer Habe, vergaßen der Ihren, um Piatras neue Kirche vor dem Flammentode zu retten.
Aber schon war die Decke zusammengebrochen, schon war das Innere eine einzige Feuersflut.
Sie wollten sich hinein werfen.
Da hörte das Geläut über ihnen auf, da drängte sich ihnen einer entgegen mit geschwärztem Gesicht, mit versengtem Haar und versengten Kleidern, eine schreckliche Gestalt.
Michael Cibula!
Er wies die Bauern von Piatra aus ihrer brennenden Kirche zurück, nach ihren Häusern hin; denn schon nahm der Sturm die prasselnden, flatternden Flammen, schwang sich sausend mit ihnen in die Lüfte, riß sie dahin, zündete überall Fackeln an, trug die zischenden, sprühenden Feuergarben von Dach zu Dach, spielte mit ihnen Ball, streute über Piatra brennende Blumen aus, schmückte jedes Haus mit gelben und roten lodernden Gewinden.
Michael Cibulas mächtigem Geiste und mächtigen Worten gehorsam, retteten die Bauern, was sich retten ließ. Wo die Flamme am höchsten aufstieg, war sie für die Waldleute das Zeichen: dort war Michael Cibula zu finden!
Vom Kryvan den alten Weg über die Schlucht kamen die Juden zu Hilfe; aber die Christen wehrten ihnen. Untätig mußten sie dem ungeheuren Brande zuschauen; keine menschliche Macht vermochte der Zerstörung Einhalt zu tun.
Es war, als wäre das Feuer eine wilde Bestie, welche sich in unersättlicher Gier heulend auf ihre Beute stürzte; als wären die tosenden Flammen Christen, welche, rasend geworden, über Juden herfielen, nicht ruhend, bis sie das Herz ihrer Feinde zerfleischt. Wie ein von Haß und Rache beseelter Dämon wälzte sich das wütende Element über Piatra. Als bräche ein Feuerstrom aus dem Felsen, flutete es über die Klippen hinweg, in den Abgrund hinab. Bald brannten unterhalb Piatras die Bäume der Schlucht, bald brannte oberhalb Piatras der Wald.
Ringsum erglühte das Felsengebirge im Widerschein. Über den Kryvan breitete es sich wie ein Königsmantel, eine Gloriole umfloß die Judenstadt.
Der Sturm peitschte die Flammen. Er schlug in die Feuerflut, daß sie sich aufbäumte, daß sie in Wirbeln durch die Lüfte kreiste. Element kämpfte mit dem Element.
Voller Ingrimm standen die Waldleute und schauten dem wilden Schauspiele zu. Beinahe all ihr Hab und Gut war gerettet. Aber was kümmerte sie Hab und Gut! Wer gab ihnen ihre Häuser wieder, ihre alten, von den Vätern gebauten Häuser! Doch mochten auch ihre Häuser in Flammen aufgehen – wer baute ihnen ihre Kirche wieder auf?!
Da lag gerettet vor der alten Kirche beinahe jedes Gerät; doch von der neuen Kirche war kein einziges Stück den Flammen entrissen worden. So hätten sie denn die alten Heiligtümer am liebsten selbst in die Flammen geworfen.
Plötzlich kam eine Bewegung in die stumpfe Menge.
Ein Mensch war am Verbrennen!
Wer? – Ein Weib. – Wer? Wer? – Helja Scarpa! – Die Unsinnige! – Laßt sie umkommen! – Nein! Rettet sie! – Wer wird um Helja Scarpa sein Leben wagen? Um ein unsinniges Weib!
Einer wagte es: Michael Cibula.
Sie wollten ihn mit Gewalt zurückhalten; denn das Haus stand in vollen Flammen und mußte jeden Augenblick zusammenstürzen. Doch er wollte mit Gewalt hinein. Da hielt Stefan Dozana ihn fest. Sie rangen miteinander, ein Kampf war's wie um Leben und Tod; aber den Bären hatte Stefan Dozana bezwungen, Michael Cibula bezwang er nicht.
Und Michael Cibula stürzte in das brennende Haus, Qualm wirbelte auf – –