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Einundzwanzigstes Kapitel

»Wenn ich dich lieb habe, was geht es dich an?«

Als auf dem Acker im schwarzen Grund die Saat in kräftigen Halmen aufsproß, stand das neue Haus der Cibula so weit fertig, daß es bezogen werden konnte. Schnell war der Hausrat eingeräumt, jedes Ding an demselben Platz, den es im alten Hause innegehabt.

Aber während Michael Cibula am liebsten das ganze Jahr hindurch Tag und Nacht Sonnenschein gehabt hätte, damit die Holzwände sich schnell bräunten, hatte Josepha an dem blanken Holzwerk, von dem die buntbemalten Geräte so heiter abstachen, ihre stille Hausfrauenfreude. Auch sonst nahm sie an der Wirtschaft einen so regen Anteil wie nie zuvor. In der neuen Flachskammer sah es nicht anders aus wie in der alten. Aber sie betrachtete alles darin mit Augen, als erführe sie erst jetzt, welche Gabe des Himmels der gelbliche, seidenweiche Flachs sei, was für trauliche und freudenspendende Geräte Haspel und Spindel. Und gar erst der Webstuhl! Konnte es etwas Lustigeres und zugleich Beschaulicheres geben, als ein solcher Webstuhl war?! Da saß sie und ließ das Schifflein mit den silberhellen Fäden durch die Spulen hin und her laufen. Und mit dem Schifflein gingen die Gedanken. Und ehe sie es sich versah, war das Stück fertig gewirkt, war das Gewand gewebt, und siehe, es war ein Feierkleid.

Und gar nicht weit davon, in der Schnitzkammer, saß Michael Cibula an seiner Arbeit. Es war dieselbe graue Hobelbank, dasselbe rötliche Arvenholz, dasselbe Messer, das in der neuen Schnitzkammer den gleichen Platz hatte wie in der alten; es war dasselbe Holzbild, daran er schnitzte: seine Muttergottes, die Heilige der Cibula! Aber er war unzufrieden mit seiner Arbeit wie niemals zuvor; es gelang ihm nicht, dem Antlitz die übliche Starrheit zu geben, ohne die das Bild gar nicht Michael Cibulas Heilige, gar nicht die Heilige der Bauern von Piatra war. Wie er sich auch quälte, immer kam etwas Neues hinzu: etwas Weiches, Sanftes und Liebliches, etwas von einem irdischen Weibe. Vollends die Augen gelangen ihm nicht mehr. Denn wo war der böse, grausame und höhnische Blick geblieben? Schier holdselig sahen sie ihn an, mit einem strahlenden Lächeln, mit dem andere Augen ihn jetzt so oft ansahen.

Daß ihm plötzlich seine ganze Kunst abhanden gekommen, war dem Manne ein schweres Herzeleid, Oft kam er sich wie verzaubert vor. Dann legte er mißmutig das Messer aus der Hand und verließ die Werkstatt. Wenn er in das Zimmer trat, wo an der Wand das Urbild seiner Muttergottes stand, ging er mit gesenkten Augen und bösem Gewissen daran vorüber, den starren Blick der Madonna fürchtend. Denn er wußte, daß sie von heftigem Zorn gegen ihn erfüllt sei; eben jenes anderen Angesichts willen, das er jetzt schuf. In allem übrigen konnte sie zufrieden sein. Als hätte sie niemals den alten Platz verlassen, als wäre sie niemals aus der Verrös in den schwarzen Grund übergesiedelt, thronte sie in der heiligen Ecke des Hauses, über dem Tische und dem ewigen Lämpchen.

Aber sah Michael Cibula das Holzbild nie mehr in der alten Weise an, so sprach dasselbe doch in der alten Weise zu ihm, und das nicht nur, wenn er bei seiner Arbeit saß. Selbst draußen auf dem Acker oder im Walde hörte er die harte, gellende Stimme; jede Nacht weckte sie ihn aus friedlichem Schlafe auf, zerstörte sie ihm den seligsten Traum. Und, grade als wäre sie Bischof Mauritius, der den Bauern predigte, mahnte die Himmelskönigin: »Denke daran! Denke daran, wer mich in die unheilige Öde getrieben. Jede Stunde, jeden Augenblick deines Lebens denke daran!«

Und da geschah es jetzt zuweilen, daß Michael Cibula der Muttergottes antwortete: »Ach, laß doch das!«

An demselben Tage, als das Haus und der Stall fertig dastanden, waren die Waldleute aus dem schwarzen Grunde fortgezogen; aber einen hatten sie zurücklassen müssen.

Schwer verwundet, mit zerrissenen Gliedern, bewußtlos, dem Tode nahe, lag Stefan Dozana in einer der Kammern des neuen Hauses. Michael Cibula pflegte ihn und wich in den ersten Tagen auch nicht des Nachts vom Lager seines Feindes, Josepha durfte nicht helfen; sie kochte nur die Salben und Heilwasser und bereitete die kühlenden Getränke. Aber obgleich kein Weib an das Krankenbett trat, wurden Stefan Dozanas Wunden von so weicher Hand verbunden, seine brennende Stirne so sanft gekühlt, seinem lechzenden Munde so behutsam der Trunk zugeführt, als wäre er von eines Weibes Sorge umgeben. Niemand hatte geglaubt, daß Michael Cibulas rauhe Stimme, sein wuchtiger Schritt so leise sein könnte.

Zuweilen erhielt Urs die Erlaubnis, mit seinem Vater um den Verwundeten zu sein. Sobald jedoch Stefan Dozana zu phantasieren begann, ward der Knabe fortgeschickt. Dann hörte Michael Cibula den wilden Reden seines Feindes unbeweglich zu, keine Miene verändernd. Er hörte ihn noch einmal jenen nächtlichen grausigen Kampf bestehen. Noch war es kein Bär, mit dem er rang, sondern ein Mensch: Michael Cibula! Auf ihn stieß er mit dem Messer, sein Blut trank er, seine Brust hätte er am liebsten mit den Zähnen zerfleischt.

Und seinem Feinde beichtete Stefan Dozana in seinen Phantasien mit wütenden, wie Wahnwitz klingenden Worten. Aber der Mann, der diese Geständnisse vernahm, hörte zugleich auch eine furchtbare Anklage: Stefan Dozana klagte einen an, schuldig zu sein an seiner Schuld ... Er war nicht schlecht gewesen, der junge Stefan Dozana, kein gemeiner Geist. Da war einer gekommen, der hatte seine Seele verdorben und sie für die Ewigkeit der Gottheit abspenstig gemacht, durch eine einzige Tat: daß er ein Weib nahm.

Michael Cibula saß mitten in der Nacht allein an Stefan Dozanas Lager, und als der Fiebernde Josephas Namen rief, bald in lautem Rasen, bald mit vertraulichem, zärtlichem Flüstern, da war es ihm oft, als müßte er sich auf den bewußtlosen Mann stürzen, der wehrlos dalag, und ihn mit seinen Händen erdrosseln. Aber er regte sich nicht, und wer jetzt in der Kammer so fürchterlich aufseufzte, war nicht der Verwundete.

Eines Abends gewahrte Michael Cibula, daß dem Kranken das Bewußtsein allmählich zurückkehrte. Leise erhob er sich, ging hinaus, suchte Josepha auf und sagte:

»Ich muß auf den Acker. Unsern guten Weizen ernten jetzt schon die Hirsche und Rehe; da will ich denn doch als Hausherr ein Wörtlein dreinreden. Unterdessen wache du bei ihm. Er wird ganz ruhig bleiben.«

Damit nahm er seine Büchse, nickte seinem Weibe freundlich zu und ging. Josepha hätte lieber eine Magd in die Kammer geschickt, wagte indessen nicht, dem Gebote ihres Mannes zuwider zu handeln. Ihre Scheu bekämpfend, bereitete sie einen frischen Kühltrunk, mit dem sie sich zu Stefan Dozana begab. Um den Kranken nicht zu stören, nahm sie kein Licht mit. Auch schien der aufgehende Mond hell in die Kammer.

Drinnen war die Luft so dumpf, daß Josepha sogleich das Fenster öffnete. Dann trat sie an das Bett. Der Kranke hielt die Augen geschlossen; mit seinem bleichen, vom Mond beleuchteten Gesicht hätte Josepha ihn für einen Toten halten können. Sie stand da, sah mit Entsetzen das entstellte Gesicht und sagte unwillkürlich, beinahe laut:

»Stefan Dozana, ich vergebe dir.«

Wie von diesen Worten ins Leben zurückgerufen, schlug Stefan Dozana die Augen auf. Doch vermochte er sich noch nicht zurechtzufinden. Nur, daß er Josepha in Glanz und Glorie vor sich sah, daß er sie hatte sagen hören: Stefan Dozana, ich vergebe dir.

Er dachte: du bist tot. Der jüngste Tag ist angebrochen und Gott kündigt dir durch einen Engel seine Gnade an. Es ist doch schön, Vergebung zu finden und selig zu werden.

Er schloß mit einem Lächeln die Augen von neuem, lag still da und wartete auf die Posaunen des Gerichts. Statt der schmetternden Töne vernahm er leises Schluchzen, Er wußte: das ist Josepha Cibula. Sie weint über deine gerettete Seele. Wo mag Michael Cibula sein?

Und er empfand plötzlich eine solche Sehnsucht, seinem einstigen Feinde in der Ewigkeit zu begegnen, daß er aufstehen wollte, um durch alle Himmel Michael Cibula zu suchen. Wieder die Augen öffnend, sah er den Platz, wo Josepha gestanden, leer, doch statt ihrer ein wundersames Bild: ein herrliches Tal, ganz aus silberheller Glorie gebildet. In Glorie leuchtete das gewaltige Gebirge, leuchteten die Bäume und Gräser, leuchteten Himmel und Erde.

Er dachte: es ist das Paradies. Wie Josepha Cibula und ihr Mann sich freuen werden, miteinander im Paradiese zu sein, in aller Ewigkeit beisammen! Ob Michael Cibula den Bauern von Piatra wohl im schwarzen Grunde die neue Kirche gebaut hat? Er war doch ein herrlicher Mensch.

In diesem Gedanken schwanden ihm von neuem die Sinne.

Josepha eilte unterdessen über die bereiften, im Silberglanz des Mondes leuchtenden Wiesen dem Acker zu, wo am Saum des Waldes Michael Cibula soeben einen Hirsch, der sich die junge Weizensaat schmecken ließ, niedergestreckt hatte. Laut rief sie nach ihrem Manne.

»Was ist geschehen?«

»Stefan Dozana ist zum Leben erwacht. Er ruft nach dir.«

»Nach mir?«

Das war in einem so sonderbaren Ton gesagt, daß Josepha erwiderte: »Flehentlich ruft er nach dir.«

»Das mußt du geträumt haben; aber ich will zu ihm gehen.«

Eilig kehrte er mit Josepha zurück. Als sie dem Hause sich näherten, fragte er:

»Hat Stefan Dozana dich gesehen und erkannt?«

»Er hat mich angeschaut.«

»Und er hat wirklich nach mir gerufen?«

»Warum sollte er nicht?«

»Weil du bei ihm warst.«

Josepha brach in Tränen aus; weniger der Worte als des Tones wegen, in dem sie gesagt worden, und der nicht wild und aufgebracht, sondern unsäglich traurig war.

»Wir wollen Gott und den Heiligen danken,« sagte ihr Mann, »daß er am Leben geblieben. Denn obgleich er mein Feind war von Jugend auf, so sollen wir doch unsere Feinde lieben und an diesem Mann habe ich schweres Unrecht getan.«

Dann gingen sie beide zu Stefan Dozana und wachten zusammen an seinem Bette die ganze Nacht.

Vor Stefan Dozanas Augen war der blutige Vorhang, der damals vor seinem Blicke sich niedergesenkt, für immer gewichen, in der wilden Seele war es still geworden, als ob es darin Abend werden sollte. Langsam heilten seine Wunden, sowohl die, welche ihm die Tatzen des Bären geschlagen, als die anderen, tödlicheren, für welche nur liebende Hände Balsam bereiten konnten. Aber eine große Schwäche blieb dem Genesenden zurück, daß er einem hilflosen Kinde gleich war. Dann schämte er sich vor Michael Cibula. Denn so ist der Mensch: sein Leben hatte er Michael Cibula zu danken und dankte es ihm; aber sich von ihm bei seinem schwankenden Gang durch das Zimmer stützen zu lassen, diese kleine Hilfe wies er wie eine Beleidigung zurück. Noch seltsamer war, daß auch Michael Cibula sich schämte. Voller Scham bot er ihm seine Liebesdienste an, so geringe und so wenige wie möglich; voller Scham war er sich in der Gegenwart des siechen Mannes seiner strotzenden Kraft und seines Liebesglückes bewußt. War er mit dem Genesenden zusammen, oder glaubte er, dieser könne ihn hören, so versuchte er nach wie vor seine Stimme zu dämpfen und seinen schweren Schritt leise zu machen.

Im übrigen verkehrten die beiden Feinde in möglichst fremder Weise miteinander, jeder angstvoll bemüht, den anderen nicht in seine Seele blicken zu lassen. Und ebenso scheu verbargen sich Michael Cibula und Josepha in ihrem neuen Leben vor Stefan Dozana. Niemals wieder konnte dieser Blicke belauern, darin Liebes- Leidenschaft aufglühte, nie wieder konnte er Josepha unter den Blicken ihres Mannes erröten und erblassen sehen, als wäre sie ein junges Weib am Hochzeitsabend. Scheu und still lebten beide neben dem genesenden Gast: in allerheimlichster, in allerheiligster Liebe.

Als das neue Haus bezogen worden war, hatte Michael Cibula, entgegen jedem Brauch, nicht die geringste Feier gestattet, so daß das Gesinde im geheimen murrte. Mitten in der Woche nun ordnete Michael Cibula plötzlich einen Festtag an: als Stefan Dozana zum ersten Male in der gemeinsamen Stube einen Teil des Tages verbrachte. Eifrig, mit glühenden Wangen hantierte Josepha seit dem frühen Morgen am Herde, kramte alle ihre Gewürze hervor, mischte und mengte, briet und buk, trug dann eigenhändig mit strahlender Miene die Speisen auf den mit buntem Festlinnen prangenden Tisch. An diesem saß auf dem Ehrensitze, den der Hausherr willig geräumt, Stefan Dozana, und während vor den Plätzen der anderen die gewöhnlichen bunten Holzschüsseln standen, glänzte vor dem Gaste des Hauses Cibula Zierde und Stolz: der Ahnen Zinngeschirr. Kaum konnten die schwachen Hände des Genesenden den mächtigen Krug an die Lippen führen.

Aber schier feierlich war es, als das letzte der Festgerichte aufgestellt ward: die geräucherte und nun gebratene Keule eines gewaltigen Bären. Stumm, mit tiefernster Miene deutete Cibula auf eine Stelle, wo das Fleisch vielfach durchlöchert war, und alle blickten scheu auf den Jäger, welcher der Hausfrau das Wild in die Küche geliefert.

Und Michael Cibula erzählte: »Das Fell nahmen die Bauern nach Piatra mit. Sie wollen es in der Kirche aufhängen, aber nicht in der neuen; denn da ist vor lauter Pracht kein Raum zu solchen Ehrengeschenken. In der alten Kirche wird es für alle Zeiten aufbewahrt bleiben, und die Mütter werden den Kindern von dem Manne berichten, der den Bären getötet. Dann laufen die Kinder hin und zählen die Löcher in der Bärenhaut; doch wer nicht bis fünfzig zählen kann, zählt sie nicht. Ein Gerber würde nur wenig für solches Leder zahlen. – – Und die Mütter werden ihren Kindern von dem Priester und Bärenjäger Stefan Dozana erzählen, wenn das Fell längst in einer anderen Kirche hängt, in einer neuen! Wenn dann die Kinder hinlaufen, um an den Löchern des Felles bis fünfzig zählen zu lernen, dann werden für die Bauern von Piatra bessere Zeiten gekommen sein. Das walte Gott!«

Das war die Festrede, die Michael Cibula seinem Gaste hielt.

Wie ungeduldig Stefan Dozana auch sein mochte, aus dem schwarzen Grunde fortzukommen, so mußte er doch erst die Stärkung seines Körpers abwarten. Dieses unfreiwillige Harren gab ihm von neuem Gelegenheit, das wundersame Tal kennen zu lernen. Während das Gebirge als himmelhohe Schneewand aufstieg, an welchem die Wasserfälle und Bächlein gefroren in bunten Eiskristallen herabhingen, schmolz im Grunde der frischgefallene Schnee stets schon nach wenigen Tagen. Kein rauhes Lüftchen wehte, so daß die Frauen im Dezember ihre häuslichen Arbeiten in der Halle verrichten konnten und im Rühmen und Preisen des neuen Wohnorts kein Ende fanden. Mit eigenen Augen konnte Stefan Dozana sehen, wie der »schwarze Grund« viele Tage lang in einen silbernen Grund sich verwandelte. Denn da in den tiefen Kessel kein Windhauch hinab gelangte, so zerstörte nichts die märchenhaften Gefilde, die der Reif jede Nacht von neuem schuf. Nur beim See, wohin mittags die Sonne kam, verging die schimmernde Pracht, aber nur um einem anderen lieblichen Wunder Raum zu machen: überall, wo die Sonne hinschien, drängte sich Blüte an Blüte. Es waren Schneerosen. Als Knospen rosig überhaucht, leuchteten die erblühten Blumen im reinsten Weiß um einen goldigen Kelch. So kränzten sie, die Narzissen des Winters, den schwarzen Spiegel des trüben Blickes, so pflückte sie Josepha für ihr Heiligenbild.

Einmal trat Stefan Dozana zu Michael Cibula in dessen Werkstatt. Da sah er den Künstler vor seinem Werk sitzen und finster darauf niederschauen. Am liebsten hätte er es wieder vernichtet. Doch Stefan Dozana stand vor dem Bildnis, als habe er eine Vision, als empfinge er eine Offenbarung, Endlich rief er aus:

»Wahrlich, dieses holdselige und himmlische Weib ist die Jungfrau, welche Gottes Sohn geboren und welche für unsere Sünden am Throne Gottes Fürbitte einlegt. Maria, Heilige, jetzt erkenne ich dich!«

Und fast wäre er vor der Gestalt, die Michael Cibula nach dem Bilde seines Weibes geschaffen, hingesunken und hätte angebetet. Zugleich mußte er jener Frauengestalten gedenken, die nach seinen Entwürfen an der Tür der neuen Kirche geschnitzt worden waren, und ein Gefühl zuckte in ihm auf, daß er sich von dem Antlitz der Madonna abwenden mußte. Auch Josepha sah er diesen ganzen Tag nicht in die Augen; aber später bestürmte er Michael Cibula, statt der finsteren Heiligen diese Himmelskönigin in der heiligen Ecke seines Hauses aufzustellen. Doch Michael Cibula machte ein Gesicht dazu, als wäre von ihm gefordert worden, Gott zu lästern.

Obgleich noch immer sehr schwach, wollte Stefan Dozana doch zu Weihnachten nach Piatra zurück, um das heilige Fest mit seiner geächteten Gemeinde zu verbringen. Es würde ein großer Jammer werden und ein starkes Wort not tun. Ob Michael Cibula mit Weib und Kind während der Festwoche nicht in Piatra verweilen wollte? Aber Michael Cibula verneinte.

Nun wurde nach Piatra ein Knecht geschickt, der mit einem Maultier zurückkam. Er brachte schlechte Nachrichten: die Bauern lebten in hellem Unfrieden mit ihren Weibern und verzehrten sich in Haß und Mißgunst gegen die Juden, deren Dorf immer mehr zur Stadt wurde. Alle wollten sie Michael Cibula wieder zurückhaben; einige hätten nach Stefan Dozana gefragt. Der Bischof hätte nichts von sich hören lassen.

Solche Mitteilungen machte der Knecht Michael Cibula allein; dieser gebot dem Manne Schweigen und begab sich zu Stefan Dozana.

»Der Knecht hat das Maultier gebracht. In Piatra schreien alle nach dir: sie wollen ihren Bärentöter haben. Zeige dich ihnen nur recht als solchen. Den Bauern tut ein Bärentöter jetzt mehr not als ein Priester.«

Und er mahnte zur Eile.

Nochmals bat Stefan Dozana: »Komm mit! Den Bauern von Piatra tut Michael Cibula jetzt mehr not als Stefan Dozana.«

Michael Cibula schüttelte den Kopf und lachte. Das Lachen kam ihm jedoch nicht von Herzen. Als Stefan Dozana zum dritten Male bat, ward er zornig.

»Was scheren mich die Bauern von Piatra! das sage ihnen nur.«

Und zornig ging er zur Kammer hinaus.

Am nächsten Morgen halfen sie dem Priester auf das Maultier, der Knecht belud sich mit seinen Sachen und Michael Cibula gab ihm mit Josepha das Geleit. Sie waren bereits eine ziemliche Strecke vom Hause entfernt, als Michael Cibula plötzlich erklärte, er müßte noch einmal zurück, etwas Vergessenes zu holen. Josepha bat ihn, den Knecht zu senden; aber er bestand darauf, selbst umzukehren. Sie sollten nur langsam vorausgehen. Damit war er schon fort.

Schweigend ritt Stefan Dozana weiter, Josepha schritt neben ihm her. Gern wäre sie zurückgeblieben; denn sie gewahrte auf Stefan Dozanas Gesicht einen Ausdruck, der ihr bang machte. Der Knecht war weit voraus. Um jedem unziemlichen Wort vorzubeugen, sagte sie:

»Ungern sieht Michael Cibula Euch ziehen; denn Ihr seid ein werter Gast in seinem Hause gewesen. Doch die Bauern von Piatra bedürfen Eurer.«

»Er wollte nicht mit,« murmelte Stefan Dozana.

»Verdenkt ihm das nicht. Wenn er seine neue Heimat lieb gewinnen will, muß er dort bleiben.« Leise setzte sie hinzu:

»Es wird ihm schwer genug,«

»Meint Ihr? Doch Ihr müßt es wissen.«

Das sagte er in einem Ton, der Josepha das Blut ins Gesicht trieb, obgleich es ein ehrerbietiger Ton gewesen und zuversichtlich und freudig klang. Hastig sagte sie:

»Auch denkt er, daß es für die Bauern nicht tauge, wenn er mit Euch heimkäme.«

»Wieso nicht tauge?«

Weil er ihnen doch nur von dem Einen reden könnte, was sie nicht freuen würde.«

»Ihr meint von der Übersiedlung Piatras nach dem schwarzen Grund?«

»Daran denkt er Tag und Nacht.« Das sagte sie mit tiefer Traurigkeit.

»Ihr sorgt Euch um Euren Mann?«

»Daran denkt er Tag und Nacht,« wiederholte sie leise.

»Niemals wird er die Bauern für sein Vorhaben gewinnen!« rief Stefan Dozana.

»Das weiß er und dennoch denkt er daran Tag und Nacht.«

Stefan Dozana antwortete nicht; er schien schwer mit sich zu kämpfen. Dann meinte er, und er konnte dabei seiner Stimme kaum Herr bleiben:

»Er denkt auch noch an anderes; Tag und Nacht denkt er daran, daß er ein geliebtes Weib hat.«

Es war das reuigste Geständnis, das dieser Mann machen konnte, und Josepha verstand, Josepha dankte es ihm. Ihn voll anblickend, sagte sie:

»Ich habe Euch ein Unrecht abzubitten.«

»Ihr mir?«

»Daß ich einst wähnen konnte, Ihr wäret Michael Cibulas ärgster Feind.«

»Ich war sein ärgster Feind.«

Da empfahl ihm Josepha mit einem holdseligen Lächeln den Mann, dessen ärgster Feind er gewesen.

»Ihr werdet bei ihm sein, wenn ihm etwas zustoßen sollte.«

»Wie redet Ihr nur!« rief Stefan Dozana. »Was sollte ihm zustoßen? Bei Michael Cibula ist sein Weib. Das Allerschlimmste, was ihm begegnen könnte, wäre, daß ihr nicht bei ihm wäret.«

»Ihr habt mir soeben das Allerbeste gesagt,« entgegnete Josepha lächelnd. Dann wurde sie wieder ernst: »Ich weiß jetzt, daß Ihr bei ihm sein werdet, und bin ruhig.«

Stefan Dozana hielt sein Maultier an; sie wollten auf Michael Cibula warten, den sie von weitem kommen sahen. Josepha plauderte: »Ihr müßt mir versprechen, Euch zu schonen, ihr Männer werdet immer gleich wild! Euch freilich muß ich loben; denn Ihr waret ein geduldiger Kranker. Gott im Himmel, und wie schrecklich Ihr darniederlagt! Wißt Ihr auch, daß die heilige Jungfrau an Euch ein Wunder getan?«

»Sie hat mir vergeben,« erwiderte Stefan Dozana leise.

»Sie hat Euch gerettet!« sagte Josepha feierlich.

»In der Nacht, in der ich zur Besinnung kam, trat sie zu mir an mein Bett und sprach: Stefan Dozana, ich vergebe dir.«

»Das werdet Ihr geträumt haben,« stammelte Josepha.

»Sie kam zu mir in eitel Glanz gehüllt, und da sie schied, war die Welt voller Glorie. Von jener Stunde an bin ich genesen. Freilich war es ein Wunder.«

»Seid nur recht glücklich darüber,« flüsterte Michael Cibulas Weib so leise, daß der Priester sie nur mit Mühe verstehen konnte. »Gott will, daß wir glücklich seien. Was weiß ich jetzt, und ich danke Gott und der heiligen Jungfrau, daß sie es mich lehrten. Lernt auch Ihr glücklich sein, damit Ihr dem Himmel alle Tage dafür danken könnt.«

Andächtig hatte Stefan Dozana zugehört; dann sahen sie Michael Cibula schon ganz nahe und der Priester bat:

»Kann ich nichts für Euch tun, was Euch lieb wäre?«

»Ihr könnt für mich beten. Das ist jedem lieb, und Euer Gebet käme gar aus dem Munde eines Priesters. Und Ihr könntet hinauf in das Judendorf gehen, in das Haus des Rabbiners Jehuda, und dessen Weib von mir grüßen. Wollt Ihr das von Herzen gern für mich tun, so seid von Herzen dafür bedankt.«

»Ich verspreche Euch, es von Herzen gern zu tun.«

»Und sagt ihr: was sie zu mir gesprochen, waren Worte der Erlösung gewesen, die der Herr gesegnet und an mir in Erfüllung gebracht hätte. Sagt Dozia Kolon: ich lasse sie grüßen und sie erinnern: Wenn ich dich lieb habe, was geht es dich an.«

»Wenn ich dich lieb habe, was geht es dich an?«

Und Stefan Dozana sah Josepha beinahe mit Entsetzen in das holde, von Glück verklärte Gesicht. In diesem Augenblick kam Michael Cibula heran.

Er trug einen verhüllten Gegenstand; in einem möglichst gleichgültigen Ton sagte er zu dem Scheidenden:

»Dir gefiel das Holzbild. Ich hätte es doch aus meiner Kammer entfernen müssen, denn die heilige Jungfrau zürnt mir wegen des Götzenbildes. Wenn du es mit dir nehmen magst – hier ist es.«

Damit reichte er Stefan Dozana das Bildnis hin, welches das Antlitz und die Züge seines Weibes trug.

Stumm blickte der Beschenkte von Michael Cibula auf Josepha. Er dankte nicht mit Worten; aber sein Herz wiederholte die Botschaft, die er soeben vernommen hatte:

»Wenn ich dich lieb habe, was geht es dich an?«


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