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In derselben Stunde wurde im Gemeindehause zwischen den Bauern von Piatra und den Juden von Tar der Pakt geschlossen; doch beinahe hätte der Handel sich noch im letzten Augenblick zerschlagen. Denn die Ebräer bestanden darauf, das ihre Ältesten und ihr Rabbiner mit den Häuptern der Waldleute und dem Priester bis in die nächste Stadt niedersteigen sollten, um daselbst alles nach der Form rechtens zu ordnen und festzustellen. Aber die Bauern weigerten sich, diese Forderung zu erfüllen, behauptend: sie wären ihre eigenen Herren und hätten ihre eigene Gerichtsbarkeit. Was sie in der Stadt bei Fremden sollten? Oder in den Dörfern bei anderen Waldleuten? Noch niemals hätten die Bauern von Piatra ihre Angelegenheiten vor anderer Leute Türen getragen, sondern alle Dinge nach uraltem Brauch und Recht unter sich selber geordnet. So wäre es gewesen, so sollte es bleiben.
Lange redeten und stritten sie hin und her. Aber der Bauern letztes Wort war – und selbst ihr Priester konnte kein anderes sagen – wer uns nicht als Freibauern und Selbstherren anerkennt, der braucht mit uns keinen Pakt zuschließen, der mag nehmen, was sein ist, und uns lassen, was unser ist.
Sie brachten ihre Urkunden herbei: vergilbte, halb vermoderte Pergamente, darin ein König von Ungarn, dessen Name mehr der Sage als der Geschichte angehörte, den Bauern von Piatra alle Rechte zusprach und alle Freiheiten verbriefte; Dokumente, die von keinem anderen Herrscher in späterer Zeit von neuem bestätigt worden. Diese Papiere wiesen die Waldleute den Juden mit einer Feierlichkeit, als enthüllten sie ein Mysterium. Indessen die Ebräer waren nun einmal Ungläubige und sie sprachen untereinander: »Was sollen uns diese Fetzen!«
Die Waldleute verstanden die Worte nicht, aber sie verstanden ihre Mienen, und die ihren wurden wild, wie die Juden niemals zuvor die Gesichter der Christen gesehen hatten.
Aber der Patriarch mit einem jugendlichen Aufleuchten seiner alten Augen redete zu den Schwankenden:
»Schließen wir den Pakt, wie sie von uns heischen: nach ihrem Brauch, welcher ist ehrwürdig und heilig. Eher würden wir rütteln können an diesen Bergen, als daß diese rühren werden an ihrem Versprechen.
Denn es halten diese ihr Wort Freunden und Feinden – Christen und Juden.
Sie werden die Rechte, die sie uns geben an ihrem Heimatboden verteidigen in alle Ewigkeit, als waren es ihre Rechte – vor Christen und Juden. Darum laßt uns schließen mit ihnen den Pakt. Und lasset uns geloben vor dem Gott, der auch ist ihr Gott, zu halten ehrwürdig und heilig den Bund, als wäre er geschlossen auf dem Berge Sinai vor dem Gott unserer Väter.«
Darauf wurde der Pakt geschlossen. Laut dessen erhielten die Ebräer von den Waldleuten zum ewigen Besitz und Eigentum:
Allen Wald und alle Weide auf dem Berge Kryvan, auch alles Gestein und Gewässer.
Grund und Boden zu einem Wege, so weit jenseits der Schlucht Wald und Gebirge Eigentum der Bauern war.
Der Weg sollte so breit sein, daß ein Dreigespann von Ochsen ihn befahren konnte.
Der Bach, der in der Schlucht floß, blieb ungeteiltes Eigentum der Bauern von Piatra.
Über diesen Bach sollte niemals weder Brücke noch Steg führen.
Keinerlei Gemeinschaft sollte zwischen Christen, und Juden bestehen; nicht im guten, nicht im bösen.
Wer diesen Vertrag verletzte, hatte sich einem Gericht zu stellen: war es ein Jude, einem christlichen Gericht, war es ein Christ – keinem jüdischen Gericht.
Wenn ein Jude einen Christen beleidigte oder kränkte, konnte er aus dem Tale verwiesen werden; wenn ein Christ einen Juden schädigte, sei es an Ehre oder am Gut oder am Leben, durfte der Jude Klage führen bei den Christen. Es versprachen die Christen den Juden, sie in Frieden ihrem Gott dienen zu lassen. Versuchte jedoch ein Jude, einen Christen von seinem Glauben abspenstig zu machen, so sollte der Jude des Todes sein.
Die Christen sollten in ewigen Zeiten die Juden ans ihrem Eigentum und Besitz nicht vertreiben dürfen, sonst sollte Gott ihnen nicht gnädig sein.
Über alle diese Punkte wurden von Stefan Dozana und Baruch Kolon Urkunden aufgesetzt und dieselben von den Häuptern der Waldleute und den Ältesten der Ebräer feierlichst bestätigt. Für die Waldleute unterzeichnete Stefan Dozana: »Im Namen der freien Bauern von Piatra,« für die Ebräer unterschrieb Baruch Kolon: »Im Namen der freien Judengemeinde vom Berge Kryvan.«
*
Während dieser Vorgänge im Gemeindehause stand Josepha in ihrem Garten. Dieses reizende Stückchen Erde hing mit seiner Überfülle von Blüten wie ein riesengroßer Blumenkorb über dem Abgrund.
Josephas Gärtlein war in Piatra hochberühmt. Keine Bäuerin, selbst nicht die vornehme Maura Dozana, hatte einen solchen Reichtum an blühenden Gewächsen aufzuweisen. Es war Brauch geworden, daß alle Bräute in Piatra ihre Hochzeitskronen von blaublütigem Rosmarin aus Josephas Garten empfingen: alle Bräute und alle – Toten. Diesen wurde der letzte Ehrenschmuck von blassen Tazetten oder weißen Rosen, in der blumenarmen Zeit aber ans dunklem Taxus gewunden. Und ebenso war es in Piatra Brauch geworden, daß Michael Cibulas Hausfrau alle diese Kronen und Kränze selbst wand, die blauen sowohl, wie die weißen und grünen. Josephas Gesicht und Wesen paßten so zu dieser gedankenschweren Beschäftigung, daß der Brauch allen ganz natürlich vorkam. Hatte sie eine Krone zu winden, so zeigte sie sich den ganzen Tag über feierlich, als sei sie in der Kirche. Und man sah es ihrem Gesichte an, ob sie einen Brautkranz oder einen Totenkranz wand: bei den blauen und glückseligen Kränzen war ihr Antlitz tief ernst und traurig; bei den weißen oder dunkeln dagegen leuchtete es förmlich auf.
An dieser Beschäftigung seines Weibes hatte Michael Cibula seinen heimlichen und lauten Ärger, mußte sich indessen dem Brauch fügen. Übrigens hätte Josepha, so nachgiebig sie sich auch sonst ihrem Manne gegenüber zeigte, die traurigen und heiteren Kränze sich nicht nehmen lassen.
Auch in diesem Jahre waren die schwarzen Wände von Michael Cibulas Haus noch im Oktober bis zum Giebel mit den schönen, feurigen Blumen der spanischen Kresse umsponnen, so daß es von weitem aussah, als hinge ein leuchtender Teppich vom Dach zum Boden. Die Nelken wucherten, daß ihnen gewehrt werden mußte: ihre langen Ranken voll purpurner Knospen fielen wie rinnendes Blut an den Felsenwänden nieder. Astern und Dahlien mischten ihre bunte Pracht durcheinander; die Stockrosen glichen Blütenbäumchen, zwischen denen mächtige Königskerzen ihre goldigen Kelche hervorschimmern ließen, Rosmarin, Lavendel und Menthe füllten die Luft mit Wohlgeruch.
Josepha war in den Garten gekommen, um für ihr Marienbild einen Strauß zu pflücken. Sie hatte sorgsam die schönsten Blumen gesucht, stand aber immer noch und schaute hinab in die wilde Schlucht, in deren Tiefe durch die schwarzen Tannen der Bach aufblitzte, schaute in die Höhe zu den wilden Felsgipfeln, die beim Untergang der Sonne wie Flammen emporloderten. Dann blickte sie gedankenvoll dem blassen Nebel nach, der, aus der Tiefe aufbrauend, den Felsen des Kryvan entlang irrte, Josepha dachte: gerade wie eine arme gefangene Seele.
Michael Cibulas Weib, das so still und lautlos dahinlebte, als wäre ihre Seele bereits zur Ruhe gegangen, fühlte sich an diesem Abend von einer dumpfen Angst befangen.
Heute hatte sich folgendes ereignet:
Michael Cibula lag auf seinem Bärenfell und Josepha hechelte mit Russka in der Spinnkammer Flachs, da kam Urs ins Haus gelaufen. Seine Mutter vernahm durch die geschlossene Türe des Knaben erregte Stimme. Gleich darauf hörte sie Michael Cibula aufspringen mit einem Laut wie ein verwundeter Bär. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder, so daß sie Zeit brauchte, sich zu erholen. Als sie dann in die Stube trat, stand ihr Mann da, in die Luft greifend, als erwürge er einen. Dabei murmelte er: »Der Priester! Das hat mir der Priester getan!«
Josepha erbebte und schritt mit erhobenen Händen auf ihn zu. Er winkte sie zurück und herrschte ihr zu:
»Du bleibst im Hause und redest mit keinem ein Wort.«
Dann ging er, Urs schlich ihm nach.
Josepha blieb eine Weile regungslos stehen, seufzte tief auf und begab sich in die Kammer an ihre Arbeit zurück, schweigend, als wäre nichts geschehen.
Da öffnete Russka ihren welken Mund und begann ein Lied zu krächzen: von einem Waldbauern, der ein Mädchen gern hat, aber Priester werden muß. Das Mädchen wird von einem andern zum Weibe genommen. Eines Abends treffen sich der Priester und das Weib in einem wilden Walde und der Priester spricht das Weib an:
»Warum kommst du nicht zu mir in die Beichte?«
»Weil ich Euch nichts zu beichten habe.«
»Bist du so sündenlos?. Ich will dir eine Sünde zu beichten geben, damit du zu mir in die Kirche kommen mußt.«
Und er küßte sie auf den Mund.
Die alte Sibylle wurde nicht müde, die Ballade von der schönen Helja Scarpa, mit der sie schon Josephas Sohn in Schlaf gesungen hatte, vor sich hin zu plärren.
»Hör auf mit deinem Singsang!« bat Josepha.
Russka ließ sich indessen nicht stören, die letzte Strophe wiederholte sie sogar.
Nach einer Weile begann sie:
»Du bist lange nicht zu Stefan Dozana beichten gegangen. Er wird bald kommen und dich fragen, ob du auch so sündenlos seiest, wie die schöne Helja Scarpa gewesen. Dann wirst du bald Sünden in die Beichte tragen können.«
»Du schwatzest!« rief Josepha streng, und ihre blassen Wangen röteten sich.
»Dein Bube gleicht Michael Cibula,« kicherte das Weib. »Die schöne Helja Scarpa hatte auch einen Sohn, der seinem Vater glich. Was half's ihr? Sie mußte doch dem Priester ihre Sünden beichten.«
»Du sollst schweigen!« befahl Josepha, und in ihren sanften Augen blitzte ein Strahl auf, so hell und heiß, als käme er aus Michael Cibulas Augen.
Während Russka noch vor sich hinmurmelte und murrte, sahen beide durch das Kammerfenster, wie die Bauernweiber die Gasse hinabliefen. Russka wollte sogleich hinaus und fragen, was es gäbe, denn die Mägde waren seit dem Morgen im Walde und die beiden allein im Hause. Aber mit ungewöhnlich strenger Miene gebot ihr Josepha, zu bleiben.
Die Alte schielte tückisch zu ihr hinüber und kreischte:
»Ich weiß schon. Bei der neuen Kirche schlägt Michael Cibula Stefan Dozana tot. Ich weiß auch, warum.«
Sie begann laut zu beten: die Litanei für eine Seele, die in ihren Sünden dahinfahren muß. Josepha saß, lauschte auf das Geplärr der Alten und fühlte sich mehr und mehr von Grausen gefaßt.
Plötzlich sprang sie auf. Sie hatte den bekannten Schritt vernommen und unterdrückte mit Mühe einen Freudenschrei, Michael Cibula kam nach Hause. Sie warf der Alten einen Blick zu, der diese verstummen machte, wartete noch eine kleine Weile und ging dann leise hinüber in die Stube, wo Michael Cibula lang ausgestreckt auf seinem gewöhnlichen Ruheplatz lag, das Gesicht nach der Wand zugekehrt. Josepha wollte zu ihm gehen, bezwang sich jedoch und verließ das Zimmer, um für die Großmutter Blumen zu pflücken, aus Dankbarkeit dafür, daß sie sich von einer dumpfen Sorge befreit fühlte.
Die Dämmerung brach herein, schwere Schatten entstiegen der Schlucht und krochen die Felsen hinauf; über die noch immer leuchtenden Gipfel sich wälzend, wurden sie von dem Brand des Sonnenuntergangs ergriffen.
Zuletzt loderten nur noch die höchsten Spitzen, einer langen Reihe verglimmender Riesenfackeln vergleichbar.
Stiller ward es in den Baumwipfeln, lauter schwoll aus der Tiefe das Brausen des Waldbachs herauf. Die irrende Wolke zog als langer schmaler Nebelstreif vom Kryvan fort zur Schlucht hinaus.
Josepha dachte:
Die arme Seele hat den Ausweg gefunden. Die ihre aber tastete und suchte vergebens.
Wie hätte sie es Michael Cibula sagen, wie hätte dieser sie verstehen sollen? Ihr junges Leben verzehrte sich in Sehnsucht, das erlösende Wort auszusprechen; aber sie fand es nicht und blieb stumm.
Da kam Urs nach Hause; er sah die Mutter im Garten stehen und lief zu ihr.
»Weißt du's schon, Mutter? Die Juden werden unsere Nachbarn. Stefan Dozana hat ihnen unseren Kryvan verkauft: für Silber und Gold!«
Und der Knabe sah sie mit seines Vaters zornigen Augen an.
»Und der Vater?« brachte Josepha mühsam über die Lippen.
»Der hat in der Kirche geredet, daß alle erschraken,« rief Urs begeistert. »Aber dann ist er gegangen und Stefan Dozana hat gesprochen und dann haben sie das Silber und Gold aufgenommen und den Juden unsern Kryvan verkauft.«
Des Knaben Lippen zuckten. Als er jedoch den Schmerz seiner Mutter gewahrte, tröstete er sie, wie er vor Jahren Ilja Dozana getröstet hatte.
»Laß es gut sein, Mutter, der Vater treibt die Juden schon wieder fort. Bin ich erst groß, helfe ich ihm und töte sie alle.«
»Hat der Vater wilde Worte gegen Stefan Dozana gesprochen?« fragte Josepha und holte Atem.
»Stefan Dozana fürchtete sich vor dem Vater,« rief Michael Cibulas junger Sohn voll Verachtung. »Alle fürchteten sich vor ihm, nur ich nicht – – Und auch die Juden nicht,« setzte er nach einer Weile niedergeschlagen hinzu. »Aber dann ging der Vater davon und dann sprach Stefan Dozana und dann nahmen sie das Silber und Gold.«
»Weiß es der Vater?«
»Der ist ja fortgegangen. Ich will es ihm sagen.
Und sie hielt ihn angstvoll zurück.
Da vernahmen sie laute, wirre Stimmen, sie mußten vom Gemeindehause kommen. Nun sahen sie einen Mann die Gasse heraufeilen; vor Michael Cibulas Hause blieb er stehen.
»Das ist Stefan Dozana, Mutter. Er will zum Vater,« flüsterte der Knabe seiner Mutter zu.
Josepha drückte ihren Sohn an sich, heftig und schweigend. Der Knabe fühlte, wie sie zitterte.
Jetzt erblickte Stefan Dozana das Weib seines Todfeindes, betrat den Garten und schritt langsam auf Josepha zu. Sie mußte an die schöne Helja Scarpa denken und ein Schauer überlief ihren Leib.
»Josepha Cibula, Gott mit dir! Ist dein Mann im Hause?«
Er trat dicht vor sie hin und sah ihr ins Gesicht. Da erkannte sie, daß der Priester gekommen sei, seine Rache zu kosten.
Ihre Kraft zusammennehmend, erwiderte sie:
»Mein Mann ist drinnen. Habt Ihr einen Auftrag für ihn?«
»Schicke den Knaben hinein und lasse ihm sagen, daß ich ihn sprechen möchte.«
»Ich will es ihm selbst sagen,« erwiderte Josepha und wandte sich dem Hause zu.
Aber Urs riß sich von seiner Mutter los und lief ins Haus.
»Urs! Urs!« rief sie angstvoll und wollte ihrem Sohne nach. Stefan Dozana vertrat ihr den Weg.
»Du weißt, was ich deinem Manne zu sagen habe?«
»Ja.«
»Du weißt, daß ich es bin, der ihm das antut?«
»Ja.«
»Und du weißt, warum ich es ihm antue? – – Antworte!«
»Ich weiß es.« Er sah ihr starr in die Augen. Beide schwiegen.
»Josepha Cibula,« begann er von neuem mit leiser, rauher Stimme, »Josepha Cibula, gedenkst du noch der Zeit, wo es bei Gott beschlossen schien, daß du Josepha Dozana heißen solltest? Und jetzt stehe ich vor dir und muß dich Josepha Cibula nennen!«
»Michael Cibula erwartet Euch im Hause. Ich bitte Euch: habt Ihr mit meinem Manne zu reden, so geht hinein.«
»Josepha, gedenkst du dessen noch?«
Sie dachte an die schöne Helja Scarpa und stand zitternd vor ihm, die Hand am Herzen, als empfände sie dort einen heftigen Schmerz. Als Stefan Dozana sie zum zweiten Male fragte, schloß sie die Augen, seufzte tief auf und sagte leise: »Ich denke daran, daß Ihr ein ehrwürdiger Priester seid, und daß ich jetzt Josepha Cibula heiße. Und ich denke daran, daß Gott, den Ihr verkündet und zu dem ich bete, es also beschlossen hat.«
Stefan Dozana antwortete nicht gleich; aber dann flüsterte er ihr zu:
»Weißt du auch, daß du ein bleiches und trauriges Weib geworden bist, und daß die Leute, wenn sie von dir reden, die Achseln zucken und sagen: sie hat einmal einen andern gern gehabt, Josepha Cibula, weißt du das?«
Sie wußte es! Sie wußte, daß alle von ihr glaubten, was ihr die jähe Schamröte ins Gesicht trieb, wenn sie nur daran dachte. Von der alten Russka bis zu ihrem eigenen Manne glaubten es alle, und nur Gott und die heilige Jungfrau wußten es besser. Aber aufschreien hätte sie mögen, vor Scham zu Boden sinken, als sie jetzt vernahm, daß auch der Priester es glaubte.
Dieser deutete Josephas Schweigen falsch, so daß sein Herz mit einem satanischen Jubel sich füllte. Es schien ihm, daß er heute, nachdem er dem Teufel seine Seele verkauft, neben der Herrschaft auch das Weib empfangen sollte, für dessen zeitlichen Besitz er gern eine zweite ewige Verdammnis erlitten. Jetzt hielt er Michael Cibulas Herz in der Hand und er wollte dieses Herz zermalmen.
»Josepha,« stieß er hervor, »die du von Michael Cibula nicht aus Liebe zum Weibe genommen wurdest, sondern aus Haß – aus Haß gegen mich! Josepha, die auch du tödlich von diesem Manne beleidigt wurdest, die auch du diesen Mann tödlich hassen mußt – die Stunde unserer Rache ist gekommen.«
Damit verließ er sie, die ihn mit wachsendem Grausen und Entsetzen angestarrt hatte, als spräche ein Wahnsinniger zu ihr, als sei sie selber von Sinnen gekommen. Aber es war zu dunkel geworden, als daß Stefan Dozana den Blick des Weibes hätte erkennen können. An der Tür blieb er noch einmal stehen, wandte sich und erhob winkend seine Hand. Dann hörte Josepha, wie er die Tür aufstieß und ins Haus zu ihrem Manne ging.
In halber Bewußtlosigkeit näherte sich Josepha dem Hause. – Wenn er jetzt vor Michael Cibula trat und ihm sagte: Du wirst von deinem Weibe gehaßt, aber ich werde von ihr geliebt! Ihr Mann würde ihm glauben. Und sie konnte nicht hingehen und aufschreien: »Es ist nicht wahr! Und hast du mich auch aus Haß gegen ihn zum Weibe genommen, so liebe doch ich dich. Jener aber ist unser Feind und er will uns beide verderben!«
Aber ihr Mann würde seinem Feinde geglaubt haben und nicht seinem Weibe.
Was sollte sie tun?
Das, was sie immer getan: schweigen und leiden.
Und suchen nach dem erlösenden Wort, wie eine gefangene Seele nach dem Ausgang sucht.
Jetzt stand sie an der Türe; aber sie ging nicht hinein. Sie drückte das Gesicht gegen das Holz und es fiel ihr ein, daß sie beten müsse.
Um was?
Daß der Priester ihrem Manne gnädig sein möge!
Um ihretwillen tat er es ihrem Manne an, ihrem Manne und dem ganzen Dorfe; um Michael Cibula zu kränken, hatte er durchgesetzt, daß die Juden blieben, daß der Kryvan für Silber und Gold verkauft worden: weil er sie einmal geliebt hatte und weil Michael Cibula sie, um Stefan Dozana zu kränken, zum Weibe genommen.
Einmal – –
Sie erinnerte sich seiner Worte von vorhin und in welchem Ton sie gesprochen worden. Und er war ein Priester, ein Gesalbter des Herrn, ein Bräutigam der Kirche. Als solchen hatte sie ihn verehrt, seitdem sie aufgehört, ihn zu lieben; und nun – nun beging der Priester eine Todsünde, nun streckte ein Gesalbter des Herrn die Hand nach ihr aus, nun wurde sie von einem Bräutigam der Kirche in wilder Lust begehrt, sie, das Weib eines anderen!
Sie stöhnte auf; dann lauschte sie von neuem in Todesangst.
Denn sie wußte: Todesschmerz litt in diesem Augenblicke Michael Cibula. Und sie durfte nicht bei ihm sein, sondern mußte vor der Türe stehen, eine Ausgeschlossene und Verstoßene.
Drinnen standen die beiden Todfeinde einander gegenüber. Nur ein Lämplein aus rotem Glas, das vor dem Madonnenbilde brannte, warf auf ihre Gesichter einen schwachen Schein; es war wie Abglanz eines blutigen Lichts. Die Augen des Holzbildes blickten mit einem Ausdruck auf die beiden nieder, als wollten sie sagen: das habe ich vollbracht und noch anderes werde ich vollbringen!
Stefan Dozana begann: »Ich komme zu dir, um dich an den Tag zu mahnen, wo du zu mir kamst, da ich als ein junger Priester in dieses Dorf heimgekehrt war. Du kamst zu mir, um mir anzukündigen, daß du ein Weib nehmen wolltest, und daß ich dich mit der Jungfrau vermählen solle. Heute nun komme ich zu dir, um dir anzukündigen, daß die Juden von Tar die Juden vom Berge Kryvan geworden sind. Und ich könnte dir heute zur Vergeltung an jene Stunde noch mehr sagen, schweige aber, bis auch dafür der rechte Augenblick gekommen ist. Bei allem, was geschehen ist und geschehen wird, Michael Cibula, erinnere dich, daß wir heute vor allem Volk unsere Todfeindschaft beschworen haben.«
»Bei allem werde ich mich daran erinnern,« erwiderte Michael Cibula, jedes Wort betonend. »Und jetzt erinnere ich mich daran, daß du in meinem Hause bist.«
»Wir können uns auch im Walde begegnen oder in der Kirche im Beichtstuhl.«
»Im Walde, ja! Aus der Kirche hast du mich vertrieben und vertrieben hast du mich aus dem Beichtstuhl für immerdar. Das falle am schwersten auf dich!«
»So sende dein Weib Josepha, damit ich ihr die Sünde vergebe, den Gatten nicht zu lieben, mit dem ich sie vermählt,« rief der Priester ausbrechend voll wilden Hohns.
Michael Cibula erhob die Hand zu einem Schlage, der seinen Feind zu den Füßen des Madonnenbildes niedergestreckt hätte; aber er ließ die Hand wieder sinken.
*
Josepha vernahm, wie die Türe aufgerissen und zugeschlagen wurde und gleich darauf im Vorraum schwere Schritte ertönten. Sie wich von der Haustür zurück, sich gegen die Wand in den tiefen Schatten an die Blumen drängend, wo sie sich niederkauerte. Stefan Dozana trat aus dem Hause, schloß die Türe, tat einige Schritte, spähte um sich und rief leise:
»Josepha!«
Er war ihr so nahe, daß sie sein Kleid hätte fassen können; aber schaudernd preßte sie sich an das Gesträuch, damit nicht das Gewand dieses Priesters sie berühre, dem sie noch bis vor kurzem ihre Sünden gebeichtet, den sie noch gestern voll Ehrfurcht gegrüßt hatte, dem sie noch heute, wäre sie ihm auf der Gasse begegnet, demütig die Hand geküßt hatte.
»Josepha!« rief Stefan Dozana zum zweiten Male, eindringlich und flehend.
Sie biß die Lippen blutig, damit ihnen kein Ausruf des Abscheus entschlüpfe.
»Josepha!« zum dritten Male, drohend, gebieterisch, beinahe laut.
Er suchte sie im Garten.
Aber da füllte sich die Gasse mit Männern und Weibern, die vom Gemeindehaus herkamen, wo die Juden soeben die Kaufsumme Stück für Stück aufgezählt hatten. Laut riefen die Waldleute nach ihrem Priester.
Bei dem Hause Michael Cibulas trat er ihnen entgegen; Jubel empfing ihn.
Wie eine Verbrecherin schlich sich Josepha ins Haus, nicht in die Stube, in der sie ihren Mann vermuten mußte, sondern in die Spinnkammer. Die Mägde und Knechte waren noch immer nicht zurück, nur Russka und den Knaben traf sie dort. Beim Scheine der Öllampe hechelte die Alte Flachs und erzählte Urs Geschichten, als jedoch die Mutter eintrat, hörte sie jäh auf und begann zu singen – den letzten Vers von der schönen Helja Scarpa.
Nebenan fiel etwas dröhnend zu Boden. Es klang, als ob von zorniger Hand ein Stuhl umgestoßen worden wäre. Sonst kein Laut.
Totenblaß setzte sich Josepha an ihre Hechel und griff nach dem Flachs. Urs kam und drängte sich an sie; sie streichelte seine Locken, ohne zu wissen, daß sie es tat.
Als die Alte ihr Geschrei geendet hatte, meinte sie:
»Morgen ist Sonnabend, morgen kannst du in die Beichte gehen. Ich hörte, daß Stefan Dozana zu Michael Cibula sagte, daß du kommen würdest und daß er dir deine Sünden vergeben wollte: vor einer Stunde warst du noch sündenlos. Wo bist du dem Priester begegnet?«
Aber Josepha antwortete nicht und Russka begann laut zu beten.
Dann kam das Gesinde nach Hause, ungewöhnlich lärmend. Josepha stand auf, reinigte sich sorglich von dem Flachse und begab sich hinaus, um nach dem Nachtmahl zu sehen, Knechte und Mägde umringten sie und schrien auf sie ein; sie deutete jedoch nach der Tür, hinter der Michael Cibula sich aufhielt, und das Gesinde verstummte.
Der Abend nahm seinen gewöhnlichen Verlauf: unter dem Heiligenbilde ward der Tisch gedeckt. Als Josepha in das Zimmer trat, befand sich Michael nicht darin, doch hörte sie ihn in der Kammer an seiner Schnitzbank. Sie hob den umgestürzten Stuhl auf, und als alles zur Mahlzeit bereit war, schickte sie den Knaben hinein, den Vater zu holen.
Michael Cibula kam, er schien ruhig zu sein. Urs sprach das Tischgebet, man setzte sich, aß und trank. Nachdem das Gesinde gesättigt, fragte der Bauer nach den verrichteten Arbeiten und bezeichnete die neuen für den nächsten Tag, alles genau so, wie es jeden Abend der Brauch war. Nach dem Essen wiederum ein langes Gebet unter dem Muttergottesbilde; doch sprach diesesmal der Bauer vor. Die übrigen sprachen nach.
Hierauf sagte das Gesinde gute Nacht und einer nach dem andern entfernte sich; keiner durfte Licht zu seiner Schlafstätte mitnehmen. Dann begab sich Urs zu Bett, dann auch Josepha. Michael Cibula ging noch einmal in seine Schnitzkammer.
»Ich töte das Weib, wenn sie es mit dem Priester hält.«
Er saß bei einer geweihten Wachskerze und schnitzte an dem Gesicht einer Muttergottes. Tief beugte er sich darauf herab, denn er hatte gerade die Augen in das harte Holz zu schneiden. »Ich töte das Weib, wenn sie es mit dem Priester hält.« Er schnitzte und schnitzte. Jetzt waren die Augen fertig. Sie sahen ihren Schöpfer an:
»Ja, töte sie!«
Und Michael Cibula saß, sein Werk in der Hand, und starrte dem Bildnis in die blöden Augen, So saß er noch, als es im Dorfe Mitternacht schlug.