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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Stefan Dozana veranlasst einen berühmten Rechtsgelehrten, falsches Zeugnis abzulegen

»Seid Ihr Stefan Dozana, der geächtete Priester dieses mit dem Bann belegten Dorfes?«

»Ich bin Stefan Dozana von Piatra. Doch Ihr, wer seid Ihr?«

»Titus Mila, Doktor der Rechtsgelehrsamkeit.«

»Und was wollt Ihr von mir?«

»Mich sendet Euer Bischof.«

»Zu welchem Zweck?«

»Gewisse Urkunden und Dokumente der Bauern von Piatra zu prüfen.«

Stefan Dozana wiederholte: »Zu welchem Zweck?«

Den weisen Mann, der zugleich ein berühmter Mann war, begann das unhöfliche Fragen eines geächteten Waldpriesters zu ärgern; gereizt rief er aus:

»Der Bischof sendet mich, damit ich durch eigenen Augenschein mich überzeuge, ob die bewußten Urkunden und Dokumente echt oder gefälscht, gültig oder ungültig seien. Vermutlich sind sie gefälscht, also ungültig.«

»Vermutlich sind sie gefälscht, also ungültig,« sprach Stefan Dozana dem berühmten Mann langsam nach. Dann sagte er von neuem in seiner unhöflichen Art:

»Und Ihr wißt, was die bewußten Schriften beurkunden und dokumentieren sollen?«

»Irgend welche eigentümlichen Rechte und Freiheiten, aus früheren Jahrhunderten herrührend, welche dieses eigentümliche Waldvolk sich anmaßt.«

»Ganz recht: irgend welche eigentümlichen Rechte und Freiheiten, die wir uns anmaßen. – – Und wenn Ihr nun ergründen solltet, daß wir uns unsere Rechte und Freiheiten fälschlich anmaßen, was gedenkt Ihr dann zu tun?«

»Es offenkundig zu machen,«

»Worauf wir aller unserer Rechte und Freiheiten verlustig gehen würden? Auf Eure Aussage hin!«

»Welche in diesem Falle entscheidet,« erklärte der berühmte Mann dem bäurischen Priester seine Autorität.

»Doch wenn Eure Aussage lauten würde: die Urkunden der Bauern von Piatra sind echt, sind nicht seit geraumer Zeit verfallen und ungültig?«

»So wird meine Aussage schwerlich lauten.«

»Doch wenn sie so lautete? Wäre Euer Wort auch dann entscheidend?«

»Vollkommen.«

»Seid Ihr dessen sicher?« forschte der ungläubige Priester.

»Bei meinem großen Rufe – –«

Aber Stefan Dozana unterbrach die Entrüstung des berühmten Mannes, dessen Ruf sonderbarerweise noch nicht bis nach Piatra gedrungen war.

»Freilich, Herr: bei Eurem großen Rufe! Nun bin ich sicher, Herr. Bei Eurem großen Rufe ist Eure Aussage in jedem Falle entscheidend. Das ist für die Bauern von Piatra – für ihre Rechte und Freiheiten nämlich – von großer Wichtigkeit.«

Einigermaßen betroffen über die plötzliche Bereitwilligkeit, mit welcher der düster blickende Waldpriester seinen Ruf als großer und berühmter Rechtsgelehrter anerkannte, bemerkte Doktor Titus in milderem Tone:

»Ich würde in jedem Falle meine Aussage zu begründen und zu behaupten wissen.«

»Ihr würdet in jedem Falle für die Wahrheit und Richtigkeit Eurer Aussage einstehen?«

»Mit meinem ganzen Rufe als Gelehrter.«

»Der sehr groß ist.«

»Meine Bemühungen um die Wissenschaft, besonders was Kenntnis und Richtigstellung von Dokumenten und Urkunden anbetrifft, erfreuen sich allgemeinster Anerkennung,« äußerte Doktor Titus mit ruhiger Würde.

»Das ist mir lieb zu hören, Herr. Ihr seid in dergleichen Dingen ein unbestechlicher Richter. Auch würdet Ihr niemals falsches Zeugnis leisten?«

Scharf schaute der berühmte Mann auf den Priester; aber Stefan Dozana stand ruhig vor ihm und sah ihn an.

»Ich verstehe Euch nicht, Stefan Dozana.«

»Ich sagte: mir sei lieb, zu hören, welchen allgemein geachteten Mann und Gelehrten der Bischof nach Piatra geschickt.«

Sich des kühlen Empfanges von seiten der Bauern von Piatra erinnernd, rief Doktor Titus mit erneuter Entrüstung: »Dennoch weigern sich die Bauern, mich Einsicht in die Papiere nehmen zu lassen. Ich erfuhr, daß dieselben sich in Euren Händen befinden.«

»Es verhält sich so, wie man Euch berichtet hat. Aber wenn die Bauern Euch die Einsicht in die Papiere weigern, so vermag ich nicht, sie zu gewähren.«

»Es ist der Wille des Bischofs, daß mir die Papiere vorgelegt werden sollen,« rief der Doktor empört.

»Der Bischof hat die Bauern von Piatra geächtet, aber ihren Willen konnte er ihnen nicht nehmen; daß er ihnen ihren Willen lassen mußte, bezeugt sein Bann. Also, Herr: durch den Willen des Bischofs vermögt Ihr in Piatra nichts auszurichten.«

»So müßte ich, falls Ihr mir die Papiere nicht vorlegen wolltet, wieder gehen, ohne sie auch nur gesehen zu haben?«

»Das würdet Ihr wohl müssen, Herr. Es ist ein weiter und beschwerlicher Weg nach Piatra, Das hätte der Bischof für Euch bedenken sollen.«

Doktor Titus erblaßte vor Zorn.

»Steht es so? Gewalt kann ein einzelner Mann nicht anwenden.«

Stefan Dozana bedachte sich; dann sagte er:

»Wenn Ihr morgen unverrichteter Dinge wieder gehen müßtet, so würde nach Euch sehr bald ein anderer kommen?«

»Vermutlich! Vermutlich würden dann gleich ihrer mehrere kommen und vielleicht nicht nur vom Bischof geschickt.«

Dem stimmte Stefan Dozana bei.

»Das denke ich auch. Deshalb sollt Ihr die Papiere besichtigen und prüfen. Wir wollen lieber mit Euch zu tun haben, mit Euch allein, als mit anderen.«

Und Stefan Dozana spähte von neuem scharf in das Gesicht des berühmten Mannes, darauf er das Bewußtsein seiner tiefen Gelehrsamkeit ausgeprägt fand, sonst nichts anderes.

Erfreut, alle Schwierigkeiten so rasch gehoben zu sehen, versicherte Doktor Titus mit herablassendem Wohlwollen: »Ich werde dem Bischof berichten. Er soll erfahren, daß Ihr mir freundlich entgegengekommen seid.«

»Das haltet, wie Euch gut dünkt. – – Wo gedenkt Ihr Herberge zu nehmen während der Zeit, die Ihr der Papiere wegen hier zubringen müßt?«

»Wo? Da die Papiere sich hier befinden, so –«

»Verzeiht, Herr. Mein Haus kann keinen Gesandten des Bischofs beherbergen. Euch am wenigsten. Deshalb müßt Ihr bei einem der Bauern Wohnung nehmen. Hat die Frau, die Ihr hier fandet, Euch Speise vorgesetzt?«

»Ich führte noch eigenen Vorrat mit mir.«

Stefan Dozana zeigte, wie lieb ihm das sei. Mit mühsam verhehltem Unwillen erkundigte sich Doktor Titus:

»Für diese eine Nacht werdet Ihr mich doch bei Euch aufnehmen können?«

»Ein Lager kann ich Euch auch für diese eine Nacht nicht bieten. Wollt Ihr jedoch hier den Morgen abwarten, so möchtet Ihr in jenem Stuhle keine allzu üble Nachtruhe halten. Aber vergeßt nicht, daß ich Euch nicht geladen habe. – – Ihr werdet müde sein. Morgen in aller Frühe rede ich Euretwegen mit den Bauern: Ihr sollt die Papiere prüfen, Ihr und kein anderer.«

Stefan Dozana nahm das Licht und entfernte sich, seinen Gast im Dunkeln allein lassend. Der berühmte Mann tastete sich, vollständig starr vor Staunen, nach dem Lehnsessel, wickelte sich mühsam in die Bärenhaut und machte sich, bis er einschlief, über die Bauern von Piatra und ihren geachteten Priester allerlei Gedanken, gelehrte und ungelehrte.

Am nächsten Morgen in aller Frühe gab es im Gemeindehause zwischen den Häuptern der Bauern und Stefan Dozana einen heißen Kampf. Denn die Bauern wollten nicht, was Stefan Dozana wollte: sie wollten dem berühmten Rechtsgelehrten, den Bischof Mauricius zu ihnen geschickt, ihre Urkunden zur Prüfung nicht überlassen. Stefan Dozana kam in starke Versuchung, ihnen mit den Worten des Bischofs zuzudonnern: »Eure Rechte und Freiheiten sind null und nichtig!« Aber er gedachte Michael Cibulas, und was er diesem betreffs der Urkunden gelobt hatte; und er beschloß: wenn einer über Piatra herrschen soll, darf dies nur ein Bauer von Piatra! Und da Stefan Dozana nicht mehr herrschen konnte, sollte es Michael Cibula sein. So hoffte er, diesem sein Versprechen, Piatras Freiheiten und Rechte vor dem Bischof und der ganzen Welt zu behaupten, erfüllen zu können.

Hätte der Bischof heute Stefan Dozana reden hören, würde er ihm schwerlich wie damals höhnend zugerufen haben: »Ihr sprecht ja wie ein Bauer, Stefan Dozana!« Denn dieser Bauernsohn, um die Gemeinde zu seiner Meinung zu bekehren, sprach, wie nur ein Priester sprechen konnte. Trotzdem wäre es ihm kaum geglückt, seine Sache durchzusetzen, so sehr war seine Macht über die Gemüter geschwunden, hätte er nicht Michael Cibulas Namen zu Hilfe gerufen und die Bauern in diesem ihnen mächtig klingenden Namen angegangen, dem Fremden die Urkunden zur Prüfung zu überweisen: »damit er in der neuen Kirche vor dem Hochaltare die Gültigkeit der Urkunden und die daraus sich ergebende Unverletzlichkeit der Rechte und Freiheiten der Bauern auf das Allerheiligste beschwöre!«

Da erst willigten sie ein.

Sofort begab sich Stefan Dozana nach Hause, wo der berühmte Mann noch friedlich auf seiner Bärenhaut schlummerte, rüttelte ihn wach und kündigte ihm an:

»Unter einer Bedingung mögt Ihr noch in dieser Stunde die Urkunden einsehen und prüfen.«

»Welche Bedingung wäre das?« forschte Doktor Titus mißtrauisch, nachdem er mit Mühe seine fünf gelehrten Sinne gesammelt hatte.

»Daß ich der erste bin, der Euern Ausspruch erfährt.«

»Ihr sollt der erste sein.«

»Und daß Ihr vorher zu niemandem irgend welchen Argwohn äußert; was ich Euch auch sonst nicht raten möchte.«

»Welchen Argwohn meint Ihr?«

»Irgendwelchen Argwohn bezüglich der Gültigkeit unserer Dokumente. Was sollte ich anders meinen?«

»So haltet Ihr selbst sie für ungültig und hinfällig?« rief Doktor Titus im höchsten Erstaunen.

»Ich bin bereit, die Hostie darauf zu nehmen, daß ich sie für gültig und heilig halte, jetzt und immerdar. Und ich denke, daß Ihr sehr bald dasselbe werdet beschwören können.«

Dies sagte Stefan Dozana in einem Tone und mit einer Miene, daß dem berühmten Manne plötzlich ganz seltsam zu Mute ward. Er meinte hastig:

»Da ich auf eure Forderung eingehe, so gebt mir die Papiere.«

»Zuerst werde ich Euch zu dem Bauern begleiten, der Euch Herberge geben wird. Während Ihr dort ein Frühmahl einnehmt, schaffe ich Euch die Papiere.«

Mit ganz sonderbaren Begriffen über die Gastlichkeit der Waldleute folgte Doktor Titus seinem Führer in ein nahegelegenes Bauernhaus, wo auch der Mönch untergebracht war, der ihn in die Wildnis begleitet hatte. Auch dort empfingen den gelehrten Mann keine allzu freundlichen Mienen; aber es wurde ihm eine mehr als reichliche Mahlzeit aufgetragen. Da Doktor Titus bereits gefürchtet hatte, die Wissenschaft würde ihr leuchtendstes Licht in Piatra am Hungertode verlieren, hielt der würdige Gelehrte ein Festessen, bei dem er sich in aller Stille und mit aller Inbrunst selbst leben ließ. Dann kam Stefan Dozana mit den Urkunden.

Eine ganze Woche hindurch sah und hörte er nichts von dem Abgesandten des Bischofs; nur daß er an den Mienen der Bauern merkte, wie diese über den langen Aufenthalt des Fremden und über das lange Beschauen ihrer höchsten Heiligtümer ergrimmt waren. Endlich eines Morgens kam der Mönch zu Stefan Dozana und fragte an, zu welcher Stunde Doktor Titus den Priester ungestört sprechen könnte. Stefan Dozana bestimmte eine späte Abendstunde desselben Tages.

Frühzeitig gebot er seiner Schwägerin und dem Gesinde, zu Bette zu gehen. Am nächsten Morgen sollte das Vieh in die Berge getrieben werden; da brach man schon vor Tagesgrauen auf. Dann erwartete er vor dem Hause den Gelehrten.

Es dauerte lange, bis dieser kam, mit ihm der Mönch, der die Urkunden zurückbrachte. Stefan Dozana grüßte höflich, erhielt knappen Gegengruß und führte Doktor Titus in sein Zimmer. Hier nahm er dem Mönch die Papiere ab, sah bedächtig nach, ob nichts fehle, und verschloß sie dann in eine Truhe, worauf Doktor Titus den Mönch fortschickte. Bevor jedoch der Gelehrte zu reden anheben konnte, sagte Stefan Dozana:

»Ich habe noch einiges in der alten Kirche zu tun. Vielleicht beliebt es Euch, mich dahin zu begleiten. Auch möchte ich Euch dort, ehe wir hier miteinander reden, gern etwas zeigen.«

Da er den finsteren Mann nicht unnötig aufbringen wollte, erklärte sich Doktor Titus bereit, ihm zu folgen.

Es waren nur wenige Schritte.

Stefan Dozana ließ den Fremden eintreten und schloß dann die Tür hinter sich zu. Sie befanden sich in tiefer Finsternis.

»Was bedeutet das?« rief Doktor Titus ärgerlich. Wäre er ein weniger berühmter Gelehrter und ein furchtsamerer Mann gewesen, so hätte er vielleicht etwas ängstlich gerufen.

»Sogleich zünde ich Licht an,« erwiderte Stefan Dozana gelassen. »Wollt Euch einen Augenblick gedulden.«

Er entfernte sich einige Schritte. Der Gelehrte benutzte die Gelegenheit, tastete hinter sich nach dem Schlosse: der Schlüssel war abgezogen.

Bereits hatte Doktor Titus die Abfassung einer Abhandlung: »Die Bauern von Piatra, ihre Abstammung, Gebräuche und Urkunden« beschlossen. Es versprach ein bedeutsames Werk zu werden, mit bewunderungswürdiger Gelehrsamkeit und Sachkenntnis geschrieben. Seit einer Woche häufte der berühmte Mann Material auf Material zusammen, sein gelehrter Kopf war voller Noten über »die Bauern von Piatra, ihre Abstammung, Gebräuche und Urkunden«. Unterdessen Doktor Titus den sonderbaren Brauch des Abschließens der Kirchentür hinter einem Besucher schleunigst ad notam nahm, zündete Stefan Dozana Licht an: zwei Wachskerzen auf dem Altare, als sollte ein nächtliches Hochamt gehalten werden. Denn auch das Allerheiligste stand dort.

Befremdet schaute sich Doktor Titus in dem altertümlichen Raume um, der ihm eher eine Katakombe als eine Kirche zu sein schien. Die Wände waren so dunkel, als wären sie mit brauner Farbe angestrichen; schwerfällige Holzsäulen stützten die Decke, riesenhafte Schatten werfend. Nur um den Altar war es hell, Fledermäuse durchstrichen lautlosen Fluges die Halle, im Turm klagte ein Käuzchen.

»Ihr wolltet mir etwas zeigen,« sagte Doktor Titus. »Und Ihr laßt mich allerdings Absonderliches sehen; denn eine solche Kirche sah ich noch nie.«

»Ihr sollt noch mehr absonderliche Dinge zu sehen bekommen.«

Stefan Dozana nahm eine Kerze vom Altar, ging zur Wand und leuchtete in die Höhe. Der Gelehrte folgte ihm.

»Wißt Ihr, was das ist?«

»Ein Bärenfell, wenn ich nicht irre. Was ist daran Absonderliches zu sehen?«

»Bemerkt Ihr die vielen Löcher?«

»Das Fell ist an hundert Stellen zerrissen und zerstochen.«

»Nur an fünfzig Stellen.«

Damit trat Stefan Dozana zurück, setzte den Leuchter wieder auf den Altar und erzählte:

»Mit dem Bären, dessen Fell Ihr da hängen seht, hat ein einzelner Mann gekämpft. Es geschah in finsterer Nacht. Indessen der Bär den Mann zu erdrücken suchte, hat dieser ihm fünfzigmal sein Messer in den Leib gestochen. Zuletzt stieß er dem Untier das Messer ins Herz. Da brach der starke Stahl.«

»Wer war der Mann? War es ein Bauer von Piatra?«

»Ich war's.«

Doktor Titus fuhr zurück. Er fühlte, daß ihm kalter Schweiß von der Stirne rann und atmete auf, als er den Priester ganz gelassen sagen hörte:

»Und jetzt sagt mir: was entdecktet Ihr in den Urkunden der Bauern von Piatra?«

»Daß sie gänzlich wertlos sind.«

»Das bedeutet, daß die Rechte und Freiheiten der Bauern von Piatra fürderhin nicht mehr bestehen werden?«

»Diese sogenannten Rechte und Freiheiten sind längst verjährt und hinfällig; auch wurden sie niemals von irgend einem Fürsten des Landes bestätigt oder wieder erneuert. Nur der Abgeschiedenheit eures Winkels habt ihr es zu danken, diese ganze Zeit hindurch so unbehelligt geblieben zu. sein. Ihr seid ungarische Untertanen wie alle im Lande. Außerdem gehört ihr zu der Diözese des Bischofs Mauricius, steht unter seiner Oberhoheit und seid ihm im besonderen untertänig.«

»Und sind ihm im besonderen untertänig – – Inwiefern sind wir das?«

Doktor Titus erklärte die Sache. Er sprach mit ungemeiner Gelehrsamkeit und Weitschweifigkeit. Mit Tacitus und den alten Römern begann er; es folgten die römischen Bischöfe im allgemeinen und die ungarischen Bischöfe im besonderen; es folgten die Bauern von Piatra: die ältesten, die alten, die neuen. Die jetzigen Waldleute und Bischof Mauricius machten den Beschluß. Dazwischen wimmelte es von Päpsten, Kaisern und Königen, von Bullen und Privilegien, von Verjährungen und Verfügungen. Mit wahrhaft antiker Ruhe hörte Stefan Dozana zu. Als der Gelehrte jedoch, durch die Andacht seines Zuhörers bis zur Inspiration gebracht, im Eifer sich anschickte, sein ganzes großes und umfangreiches Werk über »die Bauern von Piatra, ihre Abstammung, Gebräuche und Urkunden« in Tabellenform vorzutragen, als Doktor Titus den Inhalt seines gelehrten Hauptes mit allem darin angesammelten Material und allen Noten vor Stefan Dozana auszuschütten begann, da unterbrach dieser den berühmten Mann.

»Von Eurem Standpunkt aus mögt Ihr recht haben: alle unsere Rechte und Freiheiten sind verjährt, wir sind ungarische Untertanen, wie alle anderen, ganz besonders aber sind wir dem Bischof Mauricius untertänig – vielmehr, wir wären es, wenn ich nicht hier auf das Allerheiligste schwören würde, daß wir es nicht werden.«

Damit legte Stefan Dozana seine rechte Hand auf die Monstranz. »Und ferner schwöre ich, daß auch Ihr auf das Allerheiligste ein Gelübde leisten werdet, so der Himmel mir in dieser Sache beisteht.«

»Ich kann beschwören, daß alles, was ich Euch gesagt habe, die reine Wahrheit ist,«

»Das könnt Ihr geloben, jedoch das sollt Ihr nicht geloben; denn ich verlange von Euch ein anderes Gelöbnis. Da Ihr Euch indessen weigern dürftet, morgen vor der versammelten Gemeinde dieses Gelöbnis freiwillig auf die Monstranz zu leisten und sodann über den ganzen Vorgang eine Urkunde aufzusetzen – ich sage, weil Ihr solches schwerlich aus eigenem Antriebe tun möchtet, so vernehmt, was ich Euch vorschlage:

Wir sind beide in der Nacht in dieser Kirche allein. Die Kirche ist verschlossen. Würdet Ihr schreien, so würde niemand Euch hören; denn während Ihr mir Eure Weisheit vortrugt, ist der letzte im Dorfe zu Bette gegangen und eingeschlafen; wenn aber ein Bauer von Piatra einmal eingeschlafen ist, weckt ihn so leicht nichts wieder auf.«

»Ihr wollt mich morden!« schrie Doktor Titus auf und er gedachte dabei seines herrlichen Werkes über den »ersten Rechtsfall der Römer«. Dieses Werk, das seinen Autor unsterblich machen sollte, würde er der Welt unvollendet zurücklassen müssen. Arme Welt!

Ein tiefes Bedauern überkam ihn; nicht mit sich selbst und seinem hingemordeten Leben, sondern ein Bedauern mit der Wissenschaft. Noch einmal rief er schmerzlich aus:

»Ihr wollt mich morden? In der Kirche vor dem Altar!«

Und er gedachte jenes griechischen Weisen, zu dem die Mörder stürmten, als er grade seine unsterblichen Zeichen in den Sand schrieb; und wie Archimedes gefleht hatte: Zerstört mir meine Kreise nicht! so hätte Doktor Titus gern seinen Mörder gebeten: Laß mich meinen »ersten Rechtsfall der Römer« vollenden! Aber er schöpfte wieder neue Hoffnung für dieses Werk, als er Stefan Dozana sagen hörte:

»Wenn ich Euch morden wollte, so könntet Ihr ja nicht morgen vor der Gemeinde auf die Monstranz beschwören, daß die Urkunden so echt und gültig sind, wie das Urkunden nur sein können.«

»Eine solche abscheuliche Lüge sollte ich beschwören?« rief Doktor Titus mit ehrlichem Abscheu. »Eine solche Schändlichkeit und Niedertracht mutet Ihr mir zu, mir, Titus Mila, Doktor des heiligen römischen Rechtes?! Mann, wißt Ihr, daß – –«

»Daß Ihr ein großer Gelehrter und ein berühmter Mann seid, dessen Aussagen unzweifelhaft sind. Ich weiß es, Herr. Eben deshalb werdet Ihr, so Gott will, schwören; und eben deshalb werdet Ihr – so die Heiligen mir beistehen – eine Urkunde aufsetzen, daß Ihr den Schwur freiwillig vor der ganzen Gemeinde geleistet habt.«

»Niemals werde ich das,« schrie der Gelehrte, vor Zorn und Entrüstung an allen Gliedern bebend. Jede Todesfurcht war verschwunden, er gedachte sogar nicht mehr seines herrlichen Werkes, das, allem Anschein nach, nun wirklich unvollendet bleiben würde.

»Hört!« mahnte Stefan Dozana. »Ihr werdet Euch denken können, daß ich Euch jene Geschichte von der Erlegung des Bären nicht erzählt habe, um mit Euch zu schwatzen, oder gar um vor Euch zu prahlen. Deshalb vernehmt: Was ein Gottesgericht ist, wißt Ihr, der Ihr ein gelehrter Mann seid, besser, als ich es euch zu sagen vermöchte. Nun könnt Ihr mir einwenden, daß dasjenige, was bei den Vätern Brauch gewesen, nicht mehr bei den Söhnen Sitte ist. Darauf erwidere ich Euch: in Piatra besteht bei den Söhnen noch der Brauch der Väter. Gottesgerichte kann man überdies zu allen Zeiten und an jedem Orte halten. Und sagt selbst, Herr: wo könnte man es besser als in einem Hause Gottes, in einer Sache, von der ich nicht will, daß Menschen sie entscheiden, sondern allein Gott. Macht Euch daher bereit, mit mir zu kämpfen.«

»Mit einem, der einen Bären bezwungen hat, als wäre das Untier ein Knabe, soll ich, ein schwacher Mann, einen Kampf bestehen? Und dann wollt Ihr mich nicht morden?!«

»Wartet!« gebot Stefan Dozana.

Er zog ein langes, scharfes Messer hervor und legte es auf den Altar neben die Monstranz; darauf nahm er einen starken Strick und fesselte seinen rechten Arm, indem er ihn an seinem Leibe festband. Voller Grausen sah Doktor Titus diesen Vorbereitungen zu.

»Nehmt das Messer! Dann werde ich die Kerzen auslöschen, dann ringen wir in der Dunkelheit miteinander. Ich schwöre Euch zu, daß ich keinerlei Waffen bei mir trage. Erliege ich in dem Kampfe, so hat Gott gegen mich entschieden, so braucht Ihr kein Gelübde zu leisten, so könnt Ihr von dem Ergebnis Eures Forschens, die Dokumente der Bauern von Piatra betreffend, dem Bischof und aller Welt Kunde geben. Erlieget dagegen Ihr im Kampfe – fallt Ihr vor mir zu Boden, so will Gott, daß Ihr um unserer Rechte und Freiheiten willen falsches Zeugnis leistet, so werdet Ihr morgen vor der Gemeinde unsere gültigen Ansprüche auf unsere Rechte und Freiheiten beschwören. Nehmt das Messer!«

»Wenn ich mich nun weigerte, in solchen Wahnsinn einzuwilligen, und mich lieber von Euch ermorden lassen würde – –«

»So würde ich Euch ermorden müssen; Euch und die anderen, die nach Euch kämen.«

»Man würde den Mord entdecken.«

Da lächelte Stefan Dozana grimmig.

»Man sieht, daß Ihr hier fremd seid, sonst würdet Ihr wissen, daß die Verrös voll schrecklicher Abgründe ist, in die mehr als einer hinabgestürzt sind. Auch scheint Ihr gänzlich vergessen zu haben, wie wild und gefährlich der Weg, den Ihr zurückzulegen habt, und daß bis spät in den Sommer hinein dort Lawinen niedergehen; wie leicht könntet Ihr von einer solchen auf dem Heimwege verschüttet worden sein. Jetzt entscheidet Euch.«

»Ihr seid ein Ungeheuer!« schrie Doktor Titus außer sich. »So mit einem Manne der Wissenschaft umzugehen! Mensch, wenn ich hier umkomme, bleibt mein Werk über den ersten Rechtsfall der Römer unvollendet. Denn der Doktor Zamosius ist ein schnöder Ignorant, er würde mein Werk vollständig verpfuschen! Es müßte als Fragment herausgegeben werden, als elendes Bruchstück! Wie wolltet Ihr meinen Tod vor der Wissenschaft verantworten!«

»Wenn ich Euern Tod nur vor Gott verantworten kann, und das will ich.«

»Unglücklicher, warum wollt Ihr so Gräßliches tun? Bedenkt doch – –«

»Herr, ich habe alles bedacht. Euch begreiflich zu machen, warum ich so Gräßliches mit Euch vornehme, würde mir niemals gelingen, trotzdem Ihr ein so gelehrter und berühmter Mann seid. Darum entscheidet Euch. Entweder wir halten hier ein Gottesgericht, oder Ihr kommt mit Eurem Mönch nicht lebend aus diesem Tale; und nach Euch wird es anderen ebenso ergehen.«

Doktor Titus bedachte sich. Auch der Mönch stand in Gefahr, um sein Leben zu kommen. War das Leben dieses Mönches ihm nicht gewissermaßen anvertraut worden? Und die anderen, die nach ihm kommen würden – – Freilich würden ohne Zweifel schnöde Ignoranten darunter sein, Gegner der historischen Wahrheit, Feinde seines Werkes über den ersten Rechtsfall der Römer; mit einem Worte: elende Skribenten! Aber dennoch – – Und Doktor Titus entschied sich.

Unter zwei Bedingungen wollte er sich, in den wahnsinnigen Kampf mit dem Bärentöter einlassen: die Lichter sollten nicht ausgelöscht werden und Stefan Dozana sollte seinen gefesselten Arm losbinden und gleichfalls ein Messer nehmen.

»Wie Ihr wollt.« Und er dachte: Ich werde auch ungefesselt nicht den Arm gegen dich heben und kein Messer gegen dich brauchen.

So ließ er sich denn von Doktor Titus losbinden, ging zur Türe, schloß auf, ging hinaus und schloß wieder hinter sich zu, Doktor Titus setzte sich auf eine Stufe des Altars und bereitete sich auf das Entsetzliche vor. Hoffentlich kam er bei dem Kampfe um! Dann nahm er freilich unter diesen Barbaren ein ruhmloses Ende und der Doktor Zamosius schrieb zu seinem unvollendeten Werke ein Vorwort, darin der Ignorant dem berühmten Manne einen Nachruf hielt: »Eine Säule der Kultur, eine Stütze der Wissenschaft ist nicht mehr: Doktor Titus Mila ist auf rätselhafte Weise zu den Unsterblichen gegangen.«

Doktor Titus sah gedrückt vor sich hin. Er las seinen eigenen Nachruf, las ihn in dem erbärmlichen Stil des Ignoranten; ja, er entdeckte darin einen gröblichen Lapsus. Und es war nicht einmal eine Korrektur mehr möglich! Der Lapsus blieb in alle Ewigkeit: Doktor Titus Mila wurde in Gemeinschaft mit einem gröblichen Lapsus unsterblich.

Und er stöhnte laut auf.

Stefan Dozana kam mit einer Waffe zurück. Mühsam erhob sich der Doktor, ergriff mit zitternder Hand das Messer, schloß die Augen und empfahl sein Werk und den Stil des Doktors Zamosius dem Himmel. Kaltes Grausen überrieselte ihn, er taumelte vor, stieß zu, fühlte, daß er getroffen hatte, öffnete die Äugen, sah Blut fließen und brach ohnmächtig zusammen.

*

Am anderen Tage strömten die Waldleute ihrer neuen Kirche zu; es war nicht anders, als hätte der Bischof die Acht von ihnen genommen, als sollten sie dem ersten Hochamte beiwohnen. Auf dem Altar war die Monstranz aufgestellt – zum ersten Male seit der Bann Piatra betroffen. Alle warfen sich vor dem höchsten Heiligtum nieder und lagen, mit dem Gesicht den Boden berührend, eine Weile regungslos da. Dann hörten sie eine schwache, zitternde Stimme sagen:

»Ich schwöre auf die Monstranz, daß ich die Dokumente und Urkunden, welche die Rechte und Freiheiten der Bauern von Piatra bezeugen, nach bestem Wissen und Können untersucht und sie völlig zu Recht bestehend und gültig befunden. Und ich gelobe mit feierlichem Lide, daß ich solches Zeugnis leisten will vor dem Bischof und vor aller Welt.«

*

In der Nacht darauf vernahm Michael Cibula Schritte vor der Haustür und hörte seinen Namen rufen. Er erkannte Stefan Dozanas Stimme, stand auf und öffnete.

»Welches Unglück ist in Piatra geschehen?«

»Es ist in Piatra kein Unglück geschehen. Ich komme nur, um dir zu sagen, daß der Bischof einen berühmten Rechtsgelehrten zu uns sandte, um unsere Urkunden zu prüfen, und daß Doktor Titus, der übrigens ein wackerer und tapferer Mann ist, die Gültigkeit der Dokumente vor der ganzen Gemeinde in der neuen Kirche auf die Monstranz beschworen hat. Auch hat der Mann eine Schrift aufgesetzt und unterzeichnet, darin steht, daß er seine Erklärung und sein Gelübde freiwillig geleistet.«

»Wer sollte ihn denn gezwungen haben. Er beschwor nur, was wahr ist: unsere Rechte und Freiheiten sind unantastbar und heilig,«

»Das sind sie.«

Stefan Dozana kehrte noch in derselben Nacht nach Piatra zurück: der wackere und tapfere Doktor Titus lag fieberkrank in seinem Hause und bedurfte der Pflege.


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