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Seit der Mißhandlung des Judenknaben waren mehrere Wochen verflossen und noch immer ließen die Juden keine Klage erfolgen. Da berieten sich die Waldleute mit ihrem Priester, schrien darauf nach dem Kryvan hinüber, den Juden zu und sendeten Boten in die Schlucht hinab.
Einige Abgesandte der Ebräer standen auch richtig am Ufer des Baches. Nun riefen die Waldleute hinüber: »Den Bauern von Piatra täte das Geschehene leid; indessen, was hätte der Judenknabe bei ihnen zu tun gehabt? Überdies wäre bei dem Vorfall auch ein Christenmädchen verwundet worden, die Bruderstochter ihres Priesters, und das Kind liege schwer krank an der Verletzung darnieder. Trotzdem böten die Bauern von Piatra den Juden von Tar für den gesteinigten Knaben Entschädigung.«
Die Juden riefen zurück, »Da sie keine Klage geführt hätten, so beanspruchten sie auch keine Entschädigung. Sie hätten aber nicht geklagt um des Christenmädchens willen, und weil dieses den Knaben mit seinem Leibe gedeckt. Denn diese eine Liebestat sei mächtiger als alle Missetaten. Übrigens waren sie nicht mehr die Juden von Tar, sondern die Juden vom Berge Kryvan.«
Diese Antwort überbrachten die Boten den Waldleuten; sie machten gerade keine freudigen Mienen dazu.
Den ganzen Sommer und Herbst arbeiteten die fremden Arbeiter an der Ausschmückung der neuen Kirche. Bis zum Winter hätte dieselbe vollendet werden können. Aber Stefan Dozana, der seit dem Frühling alle Hast verloren, mahnte stets, sich nicht zu übereilen, sich bei der Arbeit Zeit zu gönnen, und hätte diese am liebsten für den Winter ganz einstellen lassen. Die Waldleute vermochten sich das vollständig verwandelte Wesen ihres geistlichen und weltlichen Gebieters nicht zu erklären und grollten mit ihm. Fortan kamen die Gemeindehäupter selbst jeden Morgen zur neuen Kirche und trieben die Handwerker an: bis zum ersten Advent sollte alles fertig sein. Die Verkündigung der Engel an die Hirten wollten die Bauern in diesem Jahre im neuen Heiligtume vernehmen.
Der junge Maler malte an seinem letzten Bilde. Es stellte eine junge Sünderin dar, die in allen ihren Sünden vor den Herrn treten will. Aber die Jünger weisen sie ab, scheu schleicht das Weib davon. Ihr schöner Leib ist in Qualen zusammengekrümmt, die zarten Schultern sind wie niedergedrückt von der Last ihrer Schande. Sie bricht fast zusammen. Sie wendet den Kopf zurück nach dem Herrn. Das Weib sieht nach Christus, mit einem Blick der wie ein Jammerlaut ist, wie ein Sterbeschrei, wie der Seufzer einer zur ewigen Höllenqual Verdammten. Aber Christus sieht den Blick nicht.
Der Gedanke zu diesem Bilde war dem jungen Künstler gekommen, als er eines frühen Morgens Josepha Cibula aus der alten Kirche hatte treten sehen. Die junge Sünderin trug die Züge von Michael Cibulas Weib, sie hatte Josephas Blick.
Zum letzten Advent räumten die Handwerker die Kirche. Das ganze Dorf strömte hinzu, und es erschien den Waldleuten ihr Heiligtum über die Maßen herrlich. Sie rühmten und brüsteten sich nicht wenig und mancher dachte bei sich, die Heiligen könnten den Heiligen danken, eine solche Kirche und eine solche Gemeinde zu haben. Zuletzt stellten die Bauern die Chorstühle auf, hingen die Tür ein und die Bäuerinnen legten der Muttergottes den Federmantel um. Und als nun vollends die leere Tafel, die der schwebende Engel hielt, ihre Inschrift bekam, da wußte kein Bauer von Piatra, welche Sünde ihm noch anhaften könnte, da glaubte jeder auf Rechnung der neuen Kirche in aller Frömmigkeit hinfort nach seinem Gefallen leben zu dürfen.
Sie kamen zu ihrem Priester, ihn aufzufordern, die Kirche zu weihen. Aber Stefan Dozana antwortete:
»Die neue Kirche will im Frühling der Bischof weihen.«
Er hatte auf einen Tumult gerechnet. Ein solcher erhob sich auch, aber er war anderer Art, als der ehrgeizige Priester erwartet. Statt zu murren, jubelten sie; statt in ihren Priester zu dringen, selber die Weihen zu vollziehen, liefen sie hin und schlossen die Kirche ab, damit keiner darin bete, ehe das der Bischof am neuen Hochaltar getan. Stefan Dozana aber hatte wieder eine schlimme Stunde.
Ungeduldig harrten die Waldleute des Frühlings. Sie zürnten dem Himmel, daß er gerade diesen Winter der Verrös so viel Schnee geschickt, sie schalten die Heiligen, daß diese nicht für einen zeitigen Frühling Sorge trugen, und haderten mit der heiligen Jungfrau, weil sie die Ungeduld der Bauern von Piatra nicht zu teilen schien. Sie spähten nach jedem Sonnenstrahl, nach jedem warmen Winde und wüteten gegen den Kryvan und die Juden, als drüben der Schnee schon zu schmelzen begann, während ihr Dorf noch tief im Winter steckte. Als der April sich seinem Ende näherte und das Tal immer noch hohen Schnee hatte, nötigten sie den Priester zu einer Prozession. Sie holten aus der neuen Kirche das Madonnenbild, trugen es auf einen ragenden Felsen und zeigten der Himmelskönigin das schneebedeckte Tal. Das wirkte. Die Muttergottes erschrak über die wilde Verrös und bald darauf ging der Schnee fort.
Einige Wochen später brachte ein Bote die Nachricht, daß der Bischof mit großem Gefolge nach dem Waldtale unterwegs sei.
Nun gab es in Piatra ein Leben!
Das erste, was geschah, war, daß die Männer das Regiment freiwillig an die Weiber abtraten und diese mit ihren kräftigsten Stimmen unbeschränkt zu herrschen begannen. Sie schienen es anders gar nicht zu kennen.
Während die Mägde die Blockhäuser reinigten, als ob diese rußige Pfannen seien, während die Kinder Blumen und grüne Zweige herbeischafften, daraus die Jungfrauen lange Girlanden wanden, mußten die Männer jagen und fischen, Netze aufstellen und Fallen legen. Auch die Hirsche und Rehe, die Auerhähne, Fasanen und Schnepfen, die Forellen, Muränen und Aale sollten erfahren, daß zum ersten Male, seitdem die Felsen der Verrös standen, ein Bischof in die Verrös kam, und was solches für die Verrös bedeute. Die Hirten suchten ihre fettesten Ziegen und Hammel, ihre zartesten Zicklein und Lämmer aus, und im Gemeindehause wurde der Tod eines Rindes, dreier Schweine und mehrerer Kälber beschlossen.
Über das Federvieh hielten die Herrinnen von Piatra in eigener Person strenge Musterung. Und hoffte etwa ein feister Kapaun oder Puter, eine stattliche Ente oder Gans, ein junges Perlhühnchen im unbehaglichen Gefühl seines Fettes und seiner Zartheit sich vor den scharfen Blicken der Hausfrauen zu verbergen, so täuschten sie sich.
Dann erlebten die Felsen und Wälder der wilden Verrös, daß eines strahlenden Maitages ein ansehnlicher, vornehmer und bunter Zug ihre Einsamkeiten durchkreuzte. An der Spitze ritt Bischof Mauricius, trotz seines geistlichen Kleides so streitbaren Aussehens, als gälte es, eine Schlacht zu schlagen, statt eine Kirche zu weihen. Im übrigen schien der gestrenge Herr vortrefflicher Dinge zu sein, wie sein Gefolge ihn selten gesehen, woraus diese Weisen dann schlossen, daß binnen kurzem ein anderer die heitere Laune des Bischofs nicht teilen würde. Indessen mühten sich alle, Mienen zu zeigen, als schrieben sie das leuchtende Antlitz ihres Oberhauptes einzig und allein der Wirkung des schönen Frühlingstages zu.
Dem großen geistlichen Gefolge des Kirchenfürsten hatte sich auf seinem Zuge in die Wildnisse der Verrös viel fremdes Volk angeschlossen; die einen aus Andacht, die anderen aus Neugier, Und hofften jene durch die Wallfahrt Gutes für ihr Seelenheil zu gewinnen, so gedachten diese allerlei hübsche und wunderliche Neuigkeiten mit nach Hause zu bringen. Denn der Ruf des goldstrahlenden Heiligtums, seiner Erbauer und der Gemeinde von Piatra war weiter und weiter gedrungen, Piatras Namen bis an die Grenzen des Ungarlandes tragend. Aber man sprach davon, wie man sich eine Sage erzählt; nun wollten die Leute selbst kommen und schauen.
Hinter dem Zuge schritten vier junge Mönche, die an starken Stäben eine Glocke mit sich fühlten. Die Glocke war ein Geschenk des Bischofs Mauricius für die neue Kirche von Piatra.
Häufig ward Rast gehalten. Teils wegen der Gliedersteifheit der geistlichen Herren infolge des langen Rittes, teils um die Schönheit des Landes, das man durchzog, besser zu genießen; endlich auch weil, einer alten hochehrwürdigen Sitte gemäß, solche Rast unter freiem Himmel stets mit angenehmen Stärkungen verbunden war. In gerechtem Mißtrauen gegen die Herbergen, die bei einem Ritte in die Verrös am Wege liegen könnten, hatte der bischöfliche Koch den größten aller Reisekörbe packen und dem zuverlässigsten aller Maultiere auf den Rücken schnüren lassen. Dieser Umsicht war zu danken, daß nicht nur die Fischgallerten und die Wildbretpasteten in einem Zustande hoher Vollkommenheit die Wälder der Verrös erreichten; auch die Laune der geistlichen Herren, die sich Gallerten und Pasteten wohlschmecken ließen, war eine vortreffliche.
Das war ein buntes Bild, wie solches die tiefen Schluchten niemals geschaut; auf grünem Platz unter den Wipfeln des Urwalds eine fröhliche Tafelrunde streitbarer Wiener der Kirche. Nicht allein Rosen und Lilien trug da der Boden, sondern auch gebratene Kapaune und feurigen Tokaierwein.
In ehrerbietiger Entfernung lagerte das Volk, und wer mit seiner Zehrung schneller fertig als ihm lieb war, der schaute mit ganz besonderer Andacht hinüber.
Aber Bischof Mauricius gebot, alles, was an Kapaunen, Pasteten und Gallerten übrig geblieben, wieder einzupacken, denn: es kennt der Mensch nicht die Dinge, die da kommen werden.
Obgleich mit den Wildnissen des hohen Tatra nicht gänzlich unbekannt, machte Bischof Mauricius, je weiter sie vordrangen, ein um so erstaunteres und bedenklicheres Gesicht. Zu seinem Gefolge sich wendend, bemerkte er:
»Erst wenn man diese Täler sieht, erscheint begreiflich, was man von diesem Volke Befremdliches und Seltsames hört: nur hier konnte sich eine Republik von Waldbauern konstituieren und bis auf unsere Tage erhalten. Wenn das andere, was man von diesen Gegenden bei uns fabelt, ebenso wahr ist und diese Felsen voller Erze, diese Bäche voller Gold sind, so sollte man bei uns mehr der Bauern von Piatra und ihres wilden Tales gedenken. Ich fürchte, die Juden ließen sich den Bau der Kirche von diesen Waldleuten teuer bezahlen.«
Und der Bischof Mauricius nahm sich vor, im offenen und geheimen mancherlei scharf zu betrachten und genau zu erkunden. Verhielt es sich, wie ihm berichtet worden, so würde er die Reise in diese Wildnis nicht umsonst unternommen haben.
Solche Beschlüsse und Aussichten machten des Bischofs Stimmung immer heiterer, so daß sich sein Gefolge immer verwundertere Blicke zuwarf. Manche ließen ihren ersten bösen Verdacht fallen, wenn sie auch nicht begreifen konnten, wie öder Fels und wilder Wald auf des Menschen Gemüt eine solche rosige Wirkung auszuüben vermöchten. Und auch die Einsichtsvolleren, die besser über Ursache und Wirkung Bescheid geben konnten und genau wußten, welche herrlichen Gottesgaben alter Tokaier und Wildbretpastete waren, selbst diese Klugen fühlten sich diesesmal von ihrer Einsicht im Stiche gelassen.
Mit einem Male umwölkte sich des Bischofs Stirn: an eine freie Stelle gelangend, wo sich ein hohes Holzkreuz erhob, trat ihm, an der Spitze der Waldleute, Stefan Dozana entgegen.
Alle, die vorher noch nie einen Bewohner der Verrös gesehen, schauten staunend auf die Männer, die mit ihren hellen Locken und düsteren Augen, hoch und mächtig wie ein Geschlecht von Waldkönigen dastanden; alle blickten staunend auf die Frauen, welche in ihrer fremdartigen Schönheit, in den langen, weißen Gewändern und dem funkelnden Federschmuck eine Versammlung von Fürstinnen zu sein schienen.
Sämtliche Waldleute – bis auf ihren Priester – warfen sich vor dem Bischof nieder, der mit größerer Würde, als stünde er vor dem Hochaltar seiner Kathedrale, segnend seine Rechte aufhob. Dann winkte er Stefan Dozana zu sich heran.
»Der Weg in die Verrös ist weit und wild.«
Das war das einzige, was der Bischof zum Waldpriester sagte, und er sprach das wenige nicht grade mit besonders gnädiger Stimme. Und grade nicht mit besonders demütiger Miene entgegnete Stefan Dozana:
»Der Weg wird selten von Fremden gezogen, was auch nicht not tut.«
Gegen Abend erreichte der Zug das Dorf, und zum letzten Male sang die alte Kirchenglocke als einzige metallene Himmelsstimme des Tales den Christengruß. Klar und voll klang das Geläute über die Wipfel der Schlucht. Durch die reine Luft drangen die Töne weit hinaus in der Stille des Abends, bis zu den Felsen des schwarzen Grundes, wo Michael Cibula sie vernahm und in schweren Gedanken sein Haupt neigte, Josepha, die nicht mit den anderen Frauen dem Bischof hatte entgegenziehen dürfen, faßte Urs bei der Hand und begab sich mit dem Knaben zu der Taxushecke, hinter der die Kinder im Frühling nach den kommenden Juden ausspähten. Als der heilige Mann auf der Straße vorbei kam, warf sich Michael Cibulas Weib, von dem Bischof ungesehen, mit ihrem Sohn auf die Knie. So empfing auch sie ihr bescheidenes Teil von der gnadenspendenden Nähe.
Bei der neuen Kirche erwarteten die Greise, die Gebrechlichen und Kinder den Zug. Auch Russka war darunter und schrie im Chor der anderen Weiber den Bischof gellend um seinen Segen an. Die Kinder, die den ganzen Nachmittag auf dem Wege, den der Zug kommen sollte, hin und her gelaufen waren, standen jetzt mit den Blumen, die sie dem heiligen Mann zu Füßen streuen sollten, verlegen da und hätten am liebsten die Flucht ergriffen. Aber Bischof Mauricius hatte bereits von dem frommen Christenkinde gehört, das voll jungen, heiligen Glaubenseifers einen Judenknaben gesteinigt, und winkte den Kleinen – ganz gegen seine sonstige Art – gnädig zu. Da wagten sich die mutigsten heran, die anderen wurden von Müttern und Gevatterinnen hingezogen und nun schütteten alle ihre Körbe aus, so daß der Bischof plötzlich bis an die Knie in Blüten stand.
Alsdann besichtigten die Fremden die Kirche und sahen mit eigenen Augen die Wahrheit des Märchens. Von Stefan Dozana und den Häuptern der Gemeinde geleitet, umschritt der Bischof mit seinem Gefolge den herrlichen Bau; da er jedoch schwieg, schwiegen alle. Ehe er in die Kirche trat, las er mit lauter Stimme die Inschrift über dem Eingang. Den Wildleuten war dabei zu Mute, als würde ihr Preis und Ruhm mit Engelszungen gesungen. Sie achteten nicht des seltsamen Tons, mit welchem die stolzen Worte gelesen wurden. Stefan Dozana aber fühlte, wie alles Blut ihm zum Herzen drang. Dann hörte er den Bischof fragen:
»Wer hat diese Türe verfertigt?«
»Die Bauern von Piatra.«
»Nach welchen Mustern?«
»Nach meinen Entwürfen.«
»Nach Euern – –«
Mehr sagte Bischof Mauricius nicht; aber das Gefolge sah scheu von der Tür und den beiden Männern hinweg.
Nun aber trat der Bischof ein; doch außer seinem geistlichen Geleite, den Häuptern der Gemeinde und Stefan Dozana durfte niemand folgen. Gern wären jetzt die geistlichen Herren in laute Ausrufe der Verwunderung ausgebrochen; da indessen der Bischof immer noch schwieg, mußten auch sie stumm bleiben. Die Waldleute, deren Gemüter in diesem Augenblick vor Glück und Stolz erbebten, mißdeuteten das allgemeine Schweigen, es der Ehrfurcht vor dem Ort und dem Staunen über dessen Herrlichkeit zuschreibend. Keiner von ihnen blickte in das Gesicht ihres Priesters.
Während dessen wurde die neue Glocke vor der Kirche niedergestellt und von den Jungfrauen bekränzt. Im vollen Ornat trat später der Bischof heraus; im Meßgewand, mit einem silbernen Weihwasserbecken folgte dem Kirchenfürsten Stefan Dozana. Der Bischof besprengte, taufte und segnete die Glocke. Darauf wurde sie von den Ältesten aufgenommen, in den Turm getragen, dort aufgezogen und im Glockenstuhl aufgehängt. Ihr erstes Geläute am Morgen des folgenden Tages sollte für Piatra höchsten Stolz und höchste Freude bedeuten.
Das Gefolge zurückwinkend, trat der Bischof mit Stefan Dozana hart an den Rand der Schlucht; nach dem Kryvan hinüber deutend, warf er fragend hin:
»Dort wohnen die Juden, die euch die Kirche erbaut haben?«
»Dort wohnen sie.«
»Die Lage ihres Dorfes ist besser als die des euern. Warum nahmt ihr nicht selber den guten Platz?«
»Piatra liegt nun einmal an dieser Seite der Schlucht.«
»Das ist kein Grund, den herrlichen Berg fortzuschenken.«
»Wir verkauften den Berg.«
»Ihr hättet euch drüben von neuem ansiedeln sollen.«
»Ihr gabt den besten Teil eures Tales hin – an Juden!«
»Juden gaben uns das Beste unseres Tales – unsere Kirche.«
Bischof Mauritius antwortete nicht, so daß ein schweres Schweigen entstand. In Stefan Dozanas Seele kam eine Stille wie an gewitterschwülen Tagen vor einem Sturm. Von neuem begann der Bischof:
»Die Juden haben bessere Häuser als ihr.«
»Sie bauten aus Stein. Die Bauern von Piatra sind Waldbauern.«
»Die Juden haben Äcker und roden den Wald aus – euer Dorf umgibt eine Wildnis. Seht, sie legen eine treffliche Straße an! Seht, sie führen Stollen in den Berg und suchen nach Silber und Gold. Ihr habt allen euern Reichtum dem Volke überlassen, das den Heiland gekreuzigt.«
Heiße Röte überzog das Antlitz des Redenden. Heftig rief er aus:
»Das muß untersucht, das muß rückgängig gemacht werden!«
»Das ist unmöglich,« entgegnete Stefan Dozana kalt. Und er setzte nach einer Pause hinzu: »Auch geht das niemand etwas an.«
Da traf ihn ein Blick des Bischofs.
Es war ein ganz seltsamer Blick, aber des Priesters Augen hielten ihm stand; beinahe, daß er dem Bischof seinen Blick zurückgegeben hätte.
»Morgen ein Weiteres davon,« sagte der Bischof, jählings sich abwendend, »Es wird Zeit, sich nach einer Herberge umzuschauen. Wo wohne ich?«
»In meinem Hause.«
»Ich störe Euch ungern.« Und man sah es seinem Gesicht an, daß er lieber bei dem geringsten Bauern Unterkunft genommen.
»Es ist Gemeindebeschluß, daß der Bischof bei dem Geistlichen wohne,« konnte Stefan Dozana sich nicht enthalten, auf das Gesicht des Bischofs hin zu erwidern.
»Gehen wir also.«
Es begann zu dunkeln; drüben glänzten die Lichter der Juden auf. Dem Bischof schienen sie Heller zu brennen als die der Waldleute. Sie schimmerten über die Schlucht, durch den Wald wie ein Gewimmel von Johanniskäfern.
Von ganz Piatra geleitet, begab sich der Bischof nach dem alten Hause der Dozana, an dessen Schwelle Maura Dozana, die Mutter Iljas, den Kirchenfürsten empfing. Als dieser die kniende Frau, die immer noch von großer Schönheit war, segnete, blickte er von neuem auf sonderbare Weise nach dem Priester hinüber, und auch diesesmal erwiderte Stefan Dozana den Blick. Darauf machte er den Bischof mit dem Weibe bekannt.
»Es ist die Witwe meines Bruders.«
Stumm trat Bischof Mauricius ins Haus; nur dessen Bewohner folgten ihm. Die geistlichen Herren und die Mönche wurden bei den Bauern untergebracht, desgleichen die vielen andächtigen und neugierigen Fremden. Doch mußten manche mit Scheuern und Ställen fürlieb nehmen.
Das Nachtmahl nahm Bischof Mauricius in einer von vielen Wachslichtern erleuchteten Laube vor dem Hause ein. Rotblühende Bohnen und Geißblatt bildeten den schimmernden Baldachin; prächtiges altes Linnen, von bunten Ornamenten durchwebt, bedeckte die Tafel; in zinnernen Schüsseln, die wie Silber glänzten, wurden von der stattlichen Hausfrau die Gerichte aufgetragen: gebratene und gesottene Forellen, Schinken und Zunge eines Bären, in würzigen Kräutern gedampft, Wild und Geflügel, am Spieß gebraten, eingekochte Früchte und Honiggebäck. Es war ein Mahl, das ein König sich hatte schmecken lassen können; aber düster saß Bischof Mauricius seinem stummen Wirt gegenüber und rührte die Speisen nur aus Höflichkeit an.
Er beneidete die Juden um den Kryvan.